WD 5 - 3000 - 052/20 (27.05.2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Folgende Stellungnahmen des Thünen-Instituts für Ökologischen Landbau und des Leibniz-Instituts für Gemüse- und Zierpflanzenbau sind nach fristgerechter Fertigstellung der oben genannten Dokumentation noch eingegangen (Originaltext der Stellungnahmen kursiv gesetzt): 1. Thünen-Institut für Ökologischen Landbau Die folgende einschätzende Stellungnahme ist mit dem Hinweis versehen, dass das Thünen- Institut für Ökologischen Landbau zwar nicht zum Thema forsche, aber mit einer weiteren Orientierung zum Thema die Anfrage des Fachbereichs WD 5 unterstützen wolle. Nachfolgender Beitrag von Prof. Gerold Rahmann vom Thünen-Institut für Ökologischen Landbau ist als eine Ergänzung zur telefonischen Anfrage des Fachbereichs WD 5 vom 13. Mai 2020 zu verstehen. Prof. Rahmann erläutert: „Zunächst muss unterschieden werden zwischen a) Folientunnel (v.a. im Garten- und Gemüsebau) b) Plastikabdeckung von bestimmten Anbaukulturen (in Deutschland insbesondere für Spargel, Erdbeeren und Frühkartoffeln, aber auch Gemüse), c) Schutzfolien/-behälter für Gemüse und Blumen sowie d) Folien für die Konservierung von Erntegut (insbesondere Silage). Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf a) und b), da beide sowohl eine große Bedeutung in der Verbreitung als auch in den von Ihnen angesprochenen Wirkungen haben. In Deutschland ist die Verwendung von Folientunnel und Abdeckplanen als vergleichsweise gering zu bezeichnen . In EU-Ländern mit sehr intensiver Landnutzung, wie z.B. den Niederlanden, Belgien oder Spanien, aber auch in China, Japan und Südkorea findet ein wesentlich größerer Teil des Gemüsebaus unter Folien statt. Auch in Deutschland lässt sich eine Zunahme feststellen. Auch im Ökolandbau ist der Einsatz von Folientunneln und Abdeckplanen erlaubt und anteilig mehr Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Nachgang zur Dokumentation „Verwendung und Auswirkungen des Folientunnelanbaus“ (WD 5 - 3000 - 043/20) Kurzinformation Nachgang zur Dokumentation „Verwendung und Auswirkungen des Folientunnelanbaus“ (WD 5 - 3000 - 043/20) Fachbereich WD 5 (Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 verbreitet als in konventioneller Produktion. Ihr Einsatz wird zwar diskutiert, aber aus der Sicht der Praxis überwiegen die Vorteile die Nachteile deutlich. Vor- und Nachteile im Einsatz von Folientunnel und Abdeckplanen: Vorteile: Die Temperaturen sind höher (Glashauseffekt), die Pflanzen keimen früher und wachsen gleichmäßiger und schneller als unter Bedingungen ohne Folie. Aussehen und Geschmack können besser sein, z.B. auch durch andere Sorten. Dieses erlaubt eine zeitlich frühere Marktbeschickung mit höheren Erträgen und Einnahmen. Die Kosten der Folien werden dabei durch die Mehrerträge getragen. Unter Folien lässt sich die Luft- und Bodenfeuchtigkeit besser regeln/erhalten. Dieses ist besonders in Regionen mit Wasserknappheiten, hohen Wasserpreisen oder hohen Verdunstungsraten sowohl betriebswirtschaftlich als auch aus Sicht der Wassernutzung (Ökologischer Fußabdruck „Wasser“) sinnvoll. Folien schützen die Kulturpflanzen vor negativen Umwelteinflüssen wie Wind, Staub und Sonneneinstrahlung, aber auch Diebstahl und/oder Wildtierschäden. Damit sind die Risiken der Verunreinigung, Beschädigung oder Verlust der Pflanzen reduziert. Folientunnel und Abdeckplanen ermöglichen einen effektiveren Pflanzenschutz. Schadinsekten können effektiver abgehalten (Barriere für fliegende Insekten und auch Ameisen ), „Unkräuter“ besser kontrolliert werden (Lichtabschluss verhindert Wachstum, Schadsaatgut wird nicht eingetragen) und Pilzinfektionen reduziert werden. Nützlinge können gefördert werden. Es müssen keine/weniger Pestizide eingesetzt werden. Wenn Pestizide eingesetzt werden, so verbleiben diese unter der Folie/im Tunnel und werden auch nicht weggeweht oder ausgewaschen. Nachteile: Folientunnel und Abdeckplastik sind teuer in der Beschaffung, Wartung und Entsorgung . Sie erfordern eine intensive Nutzung und hohe Erträge (Erntemenge, monetär), um sich zu rechnen. Sie stellen ein finanzielles Risiko für die Nutzer dar. Es kann zu einem Nutzungsdruck kommen, wenn Konkurrenten (lokal, regional, national, international) früher auf den Markt mit vergleichbaren Produkten kommen. Spätere Marktbelieferungen haben in der Regel auch niedrigere Preise/Erträge. Folientunnel und Abdeckplanen erlauben Anbaupraktiken, die ohne diese nicht möglich oder üblich wären. Es können neue Pflanzenarten und -sorten angebaut werden. Welche Wirkungen dieses haben kann zeigt der Gemüseanbau in Almeria in Spanien, wo eine ganze Region, die üblicherweise semi-arid unter Wassermangel (Niederschläge) leidet, wegen den Folientunneln ganz neue Agrarstrukturen mit erheblichem Wasserbedarf aufzeigt. Traditionelle und standörtlich angepasste Landwirtschaft wird zurückgedrängt bzw. ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Kurzinformation Nachgang zur Dokumentation „Verwendung und Auswirkungen des Folientunnelanbaus“ (WD 5 - 3000 - 043/20) Fachbereich WD 5 (Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Den üblichen agrarischen und gartenbaulichen Plastikabdeckungen/-verpackungen ist gemein, dass sie in der Regel aus nicht wiederverwertbaren und biologisch nicht abbaubaren Stoffen (vor allem Polyethylen) bestehen sowie nicht nachhaltig produziert werden . Sie können als Makro-, Meso- und vor allem Mikroplastik eine Belastung für die Umwelt darstellen (Klima, Boden, Gewässer, Landschaftsbild, Flora und Fauna). Folien können Lebensmittel kontaminieren, wenn sie mit Stoffen behandelt wurden, die nicht für die Lebensmittelproduktion geeignet sind (bzw. die Derivate der Stoffe). Liegengebliebene, weggewehte/-schwemmte Folien stören das Landschaftsbild und können eine Gefahr für Tiere sein, wenn diese die fressen oder sich darin verheddern. Verbrannte (illegal) Folie belastet die Umwelt durch Schadstoffe, Rauch und Geruch. Verkehrsgefährdung durch Spiegelungen oder weggewehten Materialien. Es kann sein, dass die Vorteile für die Landwirtschaft/den Gartenbau für die Öffentlichkeit, den Naturschutz oder den Tourismus Nachteile bedeuten. Hier ist ein Interessenskonflikt gegeben: Eine Akkumulation von Folientunneln und Abdeckplanen in einer Region kann nicht nur das Mikro- sondern auch das Mesoklima verändern. Die Sonneneinstrahlung wirkt anders (Rückstrahlung/Spiegelung, Aufheizen der Luft über den Folien), die Luftfeuchtigkeit ändert sich (je nach der Region höher oder tiefer). Dieses hängt vom Umfang und den Umweltfaktoren ab und kann nicht pauschal bewertet werden. Flora und Fauna sollen aus gartenbaulicher und agrarischer Sicht beeinflusst werden. Es ist ja eines der Ziele, dass Schadinsekten, Schnecken, Kleinsäuger sowie „Unkräuter“ und pilzliche Infektionen besser kontrolliert werden. Folgewirkungen können hinzukommen , wenn z.B. weniger Insekten weniger Futter für Vögel oder Fledermäuse oder weniger Schnecken weniger Futter für Igel bedeuten. Dieser angestrebte Zustand kann aus der Sicht des Naturschutzes auch negativ gesehen. Folientunnel und Abdeckplanen sind landschaftsästhetisch nicht für jede Person attraktiv . Wenn diese in einer Landschaft eingeführt oder verstärkt genutzt werden, so hat das eine Wirkung auf das Erleben der Landschaft und auch den touristischen Wert. Ein Interessensausgleich ist zu finden. Stand der Forschung: a) Es gibt weitreichende Erkenntnisse über die betriebswirtschaftlichen und auch ökologischen Vorteile von Folientunnel und Abdeckplanen. b) Die sozio-ökonomischen Auswirkungen, insbesondere wenn es um eine starke Zunahme bzw. einem hohen Flächenanteil geht, sind eher auf Sonderregionen wie in Almeria in Spanien oder in den Niederlanden bearbeitet. Letzteres ist nur in einigen Regionen in Deutschland zu erwarten, da die Produkte aus den Folientunneln und Abdeckplanen ja Kurzinformation Nachgang zur Dokumentation „Verwendung und Auswirkungen des Folientunnelanbaus“ (WD 5 - 3000 - 043/20) Fachbereich WD 5 (Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) Wissenschaftliche Dienste Seite 4 einen „Markt“ brauchen. Es kann teilweise von einem Marktversagen ausgegangen werden , wenn die Produktion in die Nutzung von Folientunneln und Abdeckplanen gedrängt wird, um gegenüber lokalen oder internationalen Konkurrenten wettbewerbsfähig zu bleiben. Hier kann die Politik helfen (Förderungen der Produktion ohne Folien, Beschränkungen im Anteil an der Fläche oder Kulturen). c) Ökologische und klimatische Wirkungen sind bislang nur wenig beforscht. In Ländern, wo Folientunnel eine hohe Bedeutung haben, ist Material zu finden (China, Südkorea, Trockengebiete). Sie sind jedoch nur wenig auf die Verhältnisse in Deutschland übertragbar . Fazit: Folientunnel und Abdeckplanen sind nicht grundsätzlich negativ zu beurteilen. Ihre zunehmende Verbreitung in der Landwirtschaft und dem Gartenbau zeigen die Bedeutung für die Landwirtschaft und insbesondere für den intensiven Gemüse- und Sonderkulturanbau. Dieses muss aber unter ortsangemessen Bedingungen und möglichst hoher regionaler Akzeptanz erfolgen . Grundsätzlich sollte es angestrebt werden, a) dass die Nutzung von Folientunnel und Abdeckplanen umweltfreundlich und in akzeptablem Umfang (Landschaft, Tourismus) stattfindet. Hier sind Rechtsvorgaben und Kontrollen vorzusehen. b) dass biologisch abbaubare, schadstofffreie und nachhaltig produzierte Folientunnel und Pflanzenabdeckungen im Gartenbau und in der Landwirtschaft eingesetzt werden, wenn nicht darauf verzichtet werden kann/soll. c) dass weitere wissenschaftliche Studien über die kumulierte Wirkung von Folientunneln Plastikabdeckungen durchgeführt werden. Referenzen Kapanen A et al. 2008. Performance and Environmental Impact of Biodegradable Films in Agriculture : A Field Study on Protected Cultivation. J Polym Environ, 16:109–122, doi:10.1007/s10924-008-0091-x Sander, M., 2019. Biodegradation of Polymeric Mulch Films in Agricultural Soils: Concepts, Knowledge Gaps, and Future Research Directions. Environmental Science & Technology, doi:10.1021/acs.est.8b05208 Bandopadhyay S et al. 2018. Biodegradable Plastic Mulch Films: Impacts on Soil Microbial Communities and Ecosystem Functions. Frontiers in Microbiology, doi:10.3389/FMICB.2018.00819 Kader MA et al. 2017. Recent advances in mulching materials and methods for modifying soil environment. Soil & Tillage Research, 168:155-166 Kurzinformation Nachgang zur Dokumentation „Verwendung und Auswirkungen des Folientunnelanbaus“ (WD 5 - 3000 - 043/20) Fachbereich WD 5 (Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) Wissenschaftliche Dienste Seite 5 Zhang F et al. 2017. Does long-term plastic film mulching really decrease sequestration of organic carbon in soil in the Loess Plateau? European Journal of Agronomy, 89:53-60, doi:10.1016/j.eja.2017.06.007 Chen, Y et al. 2014. Mulching practices altered soil bacteria community structure and improved orchard productivity and apple quality after five growing seasons. Scientia Horticulturae , 172:248-257 Zhang YL et al. 2017. Effects of plastic mulches on the radiative and thermal conditions and growth under drip irrigation in arid Northwest China. Soil & Tillage Research, 172:1- 11.”1 2. Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau Das Leibnitz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) hat am 27.5.2020 folgende Kurzstellungnahme übersandt: „Welche Auswirkungen hat der großflächige Anbau von Obst und Gemüse unter Folientunneln auf das Mikroklima (Mesoklima) des Standortes und auf die Bodenökologie (enzymatische Aktivität etc.), Insekten, Kleinsäuger und Vögel? Anbau von Gemüse unter Einsatz von Folien, Vliesen und Netzen: - Einsatz von Folien sichert und fördert rentablen regionalen Anbau von Obst und Gemüse (sonst erhöhter Import von Obst und Gemüse und damit erhöhte CO2- Emissionen durch überregionale Transporte, Kühlung) - Einsatz von Mulchfolien vor allem im Anbau von Spargel (Nutzungsdauer schwarz-weißer Folien 6 – 8 Jahre) im Zeitraum bis Mai, maximal Mitte Juni - Einsatz von Mulchfolien vor allem im Anbau von Einlegegurken und Kürbis (teilweise biologisch abbaubare Folien) - Lochfolien (Vlies) bedeckung von Frühgemüse und Erdbeeren bis zum Erntebeginn - Einsatz von Vliesen und engmaschigen Netzen zur Schädlingsabwehr, vor allem im biologischen Anbau - Folientunnel (Spargel bis Erntebeginn oft mit Höhe von 60 cm) (Erdbeeren und Beerenobstbau höher als 2 m). 1 Stellungnahme von Prof. Rahmann vom 25.05.2020. Kurzinformation Nachgang zur Dokumentation „Verwendung und Auswirkungen des Folientunnelanbaus“ (WD 5 - 3000 - 043/20) Fachbereich WD 5 (Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) Wissenschaftliche Dienste Seite 6 Einfluss auf Mikroklima: - Etwas wärmere Lufttemperaturen (bei Folientunneln und schwarz/weißer Abdeckung ) und etwas verringerte Luftfeuchten bei Feldern mit maßgeblicher Größe ( ab ca. 4-5 ha) - Langwellige Rückstrahlung wird maßgeblich verringert (Gewächshauseffekt) - Kurzwellige Albedo (Reflexion) kann ggf. stark von Natürlicher abweichen (weiße Folie > Folientunnel > Boden > schwarze Folie) - Verringerte Evapotranspiration und damit eine wassersparende Pflanzenproduktion - Verminderung der Bodenerosion - Potentiell höhere CO2-Speicherung (verringerte Emissionen) durch verlängerte Saison und höhere Erträge - Bodenökologie bisher kaum Untersuchungen, aber gleichmäßigere Bodenfeuchte und Temperaturen fördern das Bodenleben, führen aber auch zu einem schnelleren Humusabbau . Vorteile für den Anbau: - Reduzierung des Unkrautwachstums und der Ausbreitung von Krankheiten damit Verringerung des Einsatzes von Herbiziden und Pflanzenschutzmitteln (Verminderung des Energieaufwandes ) - Reduzierter Eintrag von Agro-Chemikalien wird sich letztlich positiv auf die Biodiversität bzw. das Bodenleben auswirken - Verminderung des Eintrags von Nährstoffen (Dünger) und Pflanzenschutzmittel in Grundwasser - Verminderung der Bodenerosion - Anbau unter Einsatz von Folien und im Folientunnel verlängert Anbauphase, sichert bessere Qualität - Anbau im Folientunnel erhöht Temperatur und Feuchtigkeit und vermindert den Einfluss von Wind (positiv für Ertrag und Qualität)“.2 *** 2 Email des IGZ an die Verfasserin der Kurzinformation.