© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 051/19 Das Abstandsgebot im Personenbeförderungsrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 051/19 Seite 2 Das Abstandsgebot im Personenbeförderungsrecht Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 051/19 Abschluss der Arbeit: 20. Mai 2019 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 051/19 Seite 3 1. Einleitung und beförderungsrechtlicher Rahmen Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages sind um die Bereitstellung von überblicksartigen Informationen zum sog. Abstandsgebot im Personenbeförderungsrecht gebeten worden . Der Fokus des vorliegenden Sachstandes liegt daher auf gewerberechtlichen Vorgaben zur Regulation der Personenbeförderung, die primär im Personenbeförderungsgesetz (PBefG)1 verankert sind. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 PBefG regelt das Gesetz die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen (§ 4 Abs. 1 und 2 PBefG), Obussen (§ 4 Abs. 3 PBefG) und Kraftfahrzeugen (§ 4 Abs. 4 PBefG). Im Bereich der Kraftfahrzeuge wird zwischen Kraftfahrzeugen im Linienverkehr (§§ 42, 43 PBefG) und Kraftfahrzeugen im Gelegenheitsverkehr (§ 46 PBefG) unterschieden. Zum Linienverkehr gehören nach § 42 S. 1 PBefG die regelmäßige Personenbeförderung zwischen festen Ausgangs- und Endpunkten. Gelegenheitsverkehr meint gemäß § 46 Abs.1 PBefG die Personenbeförderung mit Fahrzeugen, die nicht Linienverkehr ist. Zulässige Verkehrsformen des Gelegenheitsverkehrs sind nach § 46 Abs. 2 PBefG der Taxen- (§ 47 PBefG), Ausflugsfahrten- (§ 48 PBefG) und Mietwagenverkehr (§ 49 PBefG). Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 PBefG steht die Personenbeförderung der Verkehrstypen unter einem Genehmigungsvorbehalt . Genehmigungsfähig sind grundsätzlich nur die im PBefG erfassten Verkehrsformen (numerus clausus).2 Zur Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu typengemischtem Verkehr3 und um der Dynamik neuer Mobilitätsoptionen Rechnung zu tragen, die sich nicht in die klassischen Verkehrskategorien einordnen lassen, sind im PBefG jedoch sog. Öffnungsklauseln normiert.4 So kann gemäß § 2 Abs. 6 PBefG auch ein nach dem PBefG untypischer Verkehr nach den Vorschriften genehmigt, werden, denen er am meisten entspricht. Ferner ermöglicht § 2 Abs. 7 PBefG zur Erprobung neuer Verkehrsarten die temporäre Abweichung von Vorschriften des PBefG. 2. Begriff und gesetzliche Verankerung Das BVerfG hat die Existenz und Funktionsfähigkeit des Taxenverkehrs in Abgrenzung zum Mietwagenverkehr als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut anerkannt.5 Der Taxenverkehr stelle „die notwendige, von keinem anderen Verkehrsträger übernehmbare Ergänzung des öffentlichen Linien- und Straßenbahnverkehrs dar“.6 Vor diesem Hintergrund gelten insbesondere für den Mietwagenverkehr spezielle Vorgaben, die einen das Taxigewerbe gefährdenden Wettbewerb 1 Personenbeförderungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.08.1990 (BGBl. I 1990, 1690 ff.), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 14 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I 2017, 2808 ff.), abrufbar unter http://www.gesetze -im-internet.de/pbefg/ (zuletzt abgerufen: 17.05.2019). 2 So z.B. BVerwGE 148, 321; näheres: Heinze, in: Heinze/Fehling/Fiedler, PBefG, Kommentar, 2. Auflage, 2014, § 2, Rn. 6, 49 ff.; vgl. auch Wimmer/Weiß, in: MMR 2015, 80 (83); kritisch dazu Verweise bei König, in: BB 2015, 1095 (1095); Heinze, in: Heinze/Fehling/Fiedler, PBefG, Kommentar, 2. Auflage, 2014, § 2, Rn. 6. 3 BVerfGE 17, 306 (311f f.); siehe auch Rspr. des BVerwG zu sog. grauen Verkehr: BVerwGE 148, 321. 4 Vgl. König, in: BB 2015, 1095 (1095). 5 Siehe: BVerfGE 121, 168; BVerfGE 65, 237, 246; BVerfGE 81, 70, 86; BVerfGE 85, 238, 246. 6 BVerfGE 11, 168, 186. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 051/19 Seite 4 beider Marktteilnehmer vermeiden und dafür sicherstellen sollen, dass die Leistungen des Mietwagengewerbes nicht an die des Taxigewerbes heranreichen (sog. Abstandsgebot7).8 Auch soll verhindert werden, dass die für den Taxiverkehr geltenden strengeren rechtlichen Vorgaben in Bezug auf den Marktzugang und das Marktverhalten durch eine Annäherung des Mietwagenverkehrs an den Taxenverkehr unterlaufen werden.9 Zur Gewährleistung des sog. Abstandsgebots sind dem Mietwagenverkehr in § 49 Abs. 4 PBefG zahlreiche taxitypische Verhaltensweisen untersagt. Gemäß § 49 Abs. 4 S. 2 PBefG ist etwa das Aufnehmen von Fahrgästen am Straßenrand und das Bereitstehen zur Aufnahme von Fahrgästen an öffentlichen Straßen und Plätzen nicht erlaubt. Insbesondere ist für den Mietwagenverkehr nach § 49 Abs. 4 S. 3 PBefG nach jeder Beförderungsfahrt eine unverzügliche Rückkehr zum Betriebssitz bzw. zur Wohnung vorgeschrieben. Die gesetzliche Rückkehrverpflichtung nach § 49 Abs. 4 S. 3 PBefG gebietet folglich die Entgegenahme von Fahraufträgen nur am Betriebssitz und vor Fahrantritt, jedoch grundsätzlich nicht während der Fahrt. Zusätzlich sind Dokumentationspflichten des Mietwagenverkehrs in § 49 Abs. 4 S. 4 PBefG geregelt.10 Auch darf die Annahme , Vermittlung und Ausführung von Beförderungsaufträgen gemäß § 49 Abs. 4 S. 5 und 6 PBefG nicht geeignet sein, eine Verwechslung mit dem Taxenverkehr hervorzurufen. Hauptsächlich § 49 Abs. 4 S. 2 und 3 PBefG dienen dabei dem Schutz des Taxenverkehrs vor einem Wettbewerb mit dem Mietwagenverkehr und gewährleisten damit das Abstandsgebot.11 3. Ausblick In der Praxis geht das Angebotsspektrum von Personenbeförderungsmodellen längst über die im PBefG erfassten Verkehrstypen hinaus, was dazu führt, dass die vorgesehenen Verkehrsformen zunehmend verwischen.12 Dabei erscheinen vermehrt solche Geschäftsmodelle, die auf die mobilgerätegestützte Vermittlung von Mietwagen durch Smartphone-Applikationen ausgelegt sind und Fahraufträge nicht nur am Betriebssitz und vor Fahrantritt, sondern vor allem während der Fahrt entgegennehmen.13 In diesem Zusammenhang erlangte das Ridesharing- bzw. Ridepooling- Modell Bedeutung, worunter die gemeinsame Nutzung eines Fahrzeuges für den (entgeltlichen) Transport von Personen zu verstehen ist. Ein solches Angebot ist zum Beispiel der im Jahr 2018 7 Der Begriff „Abstandsgebot“ findet sich als Rechtsbegriff lediglich in wenigen Quellen wieder und bezieht sich in diesen vor allem auf den Taxen- und Mietwagenverkehr. 8 Vgl. König, in: BB 2015, 1095 (1097 f., 1100). 9 Vgl. Ebenda (Fn. 8), (1096, 1100); Wimmer/Weiß, in: MMR 2015, 80 (83). 10 Dazu Heinze, in: Heinze/Fehling/Fiedler, PBefG, Kommentar, 2. Auflage, 2014, § 49, Rn. 12, 16. 11 Vgl. BVerfGE 81, 70, 84 f.; Heinze, in: Heinze/Fehling/Fiedler, PBefG, Kommentar, 2. Auflage, 2014, § 49, Rn. 12; König, in: BB 2015, 1095 (1100); Wimmer/Weiß, in: MMR 2015, 80 (84); Kramer/Hinrichsen, in: GewArch 2015, 145 (148); Wimmer, in: MMR 2014, 713 (714). 12 Vgl. z.B. Kollosche/Schwedes, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Mobilität im Wandel: Transformationen und Entwicklungen im Personenverkehr (2016). 13 Vgl. BMVI, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Die Chancen der Digitalisierung im Taximarkt nutzen: Liberalisieren und Verbraucherschutz stärken, 2017, als Download verfügbar unter: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/wissenschaftlicher-beiratgutachten -2017-3.html?nn=12830 (zuletzt abgerufen: 17.05.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 051/19 Seite 5 gestartete Berlkönig der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).14 In die öffentliche Aufmerksamkeit rückte insbesondere das US-amerikanische Unternehmen Uber, das über eine mobile Plattform (private) Personenbeförderungsleistungen vermittelt.15 Bei den von Uber in Deutschland angebotenen Beförderungsleistungen handelt es sich in der Regel um genehmigungspflichtigen Mietwagenverkehr , der jedoch zum Teil nach derzeitiger deutscher Rechtslage gegen die zum Schutz des Taxiverkehrs geltende Rückkehrpflicht für Mietwägen verstößt.16 Der Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages beinhaltet das Ziel, neuen digitalen Mobilitätsangeboten eine rechtssichere Grundlage für ihre personenbeförderungsrechtliche Zulässigkeit zu geben.17 Ausweislich aktueller Pressestimmen wird zum Zeitpunkt der Ausfertigung des vorliegenden Sachstandes über eine Novelle des PBefG diskutiert. In Frage steht die Deregulierung der für den Mietwagenverkehr geltenden Vorschriften vor dem Hintergrund neuer Mobilitätsoptionen, insbesondere eine Abschaffung der Rückkehrpflicht für den Mietwagenverkehr nach § 49 Abs. 4 S. 3 PBefG.18 *** 14 Vgl. BVG, https://www.berlkoenig.de/; weitere Beispiele: Clever Shuttle, http://www.clevershuttle.de, MOIA, http://www.moia.io, ioki, https://ioki.com/ (zuletzt abgerufen: 17.05.2019). 15 Vgl. https://www.uber.com/de/de/ (zuletzt abgerufen: 17.05.2019); näheres: Kramer, in: GewArch 2015, 145 (145 ff.); Ingold, in: NJW 2014, 3334 (3336 ff.); Wimmer, in: MMR 2014, 713 (713 ff.). 16 Siehe z.B.: VG Hamburg, Beschl. v. 27.08.2014, Az.: 5 E 3534/14; OVG Hamburg, Beschl. V. 24.09.2014, Az.: 3 Bs 175/14; VG Berlin, Beschl. v. 26.09.2014, Az.: VG 11 L 353.14; aber auch: OLG Frankfurt, Urt. v. 09.06.2016, Az.: 6 U 73/15; BGH, Urt. v. 13.12.2018 Az.: I ZR 3/16. 17 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 122. 18 Vgl. Sieg, in: Wirtschaftsdienst 2019, S. 161 f.; Delhaes/Fasse, in: Handelsblatt, Verkehrsminister Scheuer will Mobilitätsdienste per Gesetz stärken (18.02.2019), abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/carsharing -verkehrsminister-scheuer-will-mobilitaetsdienste-per-gesetz-staerken/24005432.html; Kritisch dazu: Kugoth, im: Tagesspiegel, SPD und Grüne zerpflücken Scheuers Reform-Pläne (20.03.2019), abrufbar unter: https://background .tagesspiegel.de/spd-und-gruene-zerpfluecken-scheuers-vorschlaege-zur-pbefg-reform; Deutscher Taxi- und Mietwagenverband e.V. (BZP), Positionspapier des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes (BZP) zu einer Reform des PBefG (22.03.2017), abrufbar unter: https://www.bzp.org/_doc/Positionspapier_PBefG_BZP_-_Berlin_22-03-17.pdf; Delhaes, in: Handelsblatt, Der Taxi-Kompromiss (24.04.2019), abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/politik /deutschland/liberalisierung-der-taxi-kompromiss-wie-scheuer-die-wuetenden-taxifahrer-beruhigenwill /24250734.html (zuletzt abgerufen: 17.05.2019); vgl. auch Haack/Dathe, in: NRP 2019, 81.