Deutscher Bundestag Unkonventionelles Gas Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 5 – 3000 - 044/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 2 Unkonventionelles Gas Verfasser: Ausarbeitung: WD 5 – 3000 - 044/10 Abschluss der Arbeit: 31.03.2010 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 3 1. Einleitung 4 2. Definition und Typologie 4 3. Technische Aspekte 5 3.1. Erdgas aus dichten Gesteinen 5 3.2. Kohleflözgas 5 3.3. Aquifergas 5 3.4. Gashydrat 6 4. Ressourcen, Reserven und Förderung 7 4.1. Welt 8 4.1.1. Erdgas aus dichten Gesteinen 8 4.1.2. Kohleflözgase 9 4.1.3. Aquifergas 11 4.1.4. Gashydrat 11 4.2. Deutschland/Europa 12 5. Prognostizierte Auswirkungen auf den Gasmarkt 13 5.1. DIW 2009 14 5.2. Mohr/Evans 2007 17 6. Diskussion in den USA 18 7. Anlagen 20 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 4 1. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung gibt einen Überblick zum Thema „unkonventionelles Gas“. Die meiste der aufgefundenen wissenschaftlichen Literatur beschäftigt sich mit geowissenschaftlichen Aspekten unkonventioneller Gasvorkommen. Ökonomische Fragestellungen werden in diesem Zusammenhang meist nur bei der Qualifizierung von Gasvorkommen als nutzbare Reserven angesprochen. Außerhalb der USA existiert bislang so gut wie keine kommerzielle Nutzung unkonventioneller Gasquellen. Aus diesem Grund liegen auch so gut wie keine Untersuchungen zu den potentiellen Auswirkungen einer verstärkten Erschließung auf den europäischen und deutschen Gasmarkt vor. Entgegen dem dieser Ausarbeitung zugrundeliegenden Fragekatalog liegt der Schwerpunkt der Darstellung somit auf geowissenschaftlichen Aspekten. Es wurde versucht, ökonomische Aspekte soweit wie möglich in die Darstellung zu integrieren. Einige der im Auftrag gestellten Fragen bleiben allerdings unbeantwortet. Erschwert wurde die Arbeit an dieser Ausarbeitung zusätzlich durch die eingeschränkte Verfügbarkeit wichtiger Quellen. So ist z. . das „Oil & Gas Journal“ nicht in der Bibliothek des Deutschen Bundestags vorhanden und auch die Möglichkeit zu seiner Fernleihe eingeschränkt. Aus diesem Grund sind die in dieser Ausarbeitung verwendeten Quellen zum größten Teil als Anlagen beigefügt, so dass weiterführende Aspekte und Literaturhinweise aus den Orginalbeiträgen entnommen werden können. 2. Definition und Typologie Die detaillierteste deutschsprachige, systematische Darstellung zu unkonventionellem Gas (UG), die für diesen Sachstand gefunden werden konnte, findet sich im Bericht der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) „Energierohstoffe 2009“ (die entsprechenden Abschnitte sind als Anlage 1 beigefügt). Die Autoren nehmen zu Beginn des Textes eine Abgrenzung von konventionellen zu nicht-konventionellen Rohstoffvorkommen vor. Wie beim Öl werden auch beim Gas solche Vorkommen als unkonventionell bezeichnet, die sich nicht mit klassischen Fördertechniken gewinnen lassen. Im Gegensatz zu „freiem Erdgas“ und Erdgas, das bei der Ölförderung anfällt, strömt UG einer Förderbohrung nicht ohne weitere technische Maßnahmen zu, weil es entweder nicht in freier Gasform im Gestein vorkommt oder das Speichergestein nicht ausreichend durchlässig ist (vgl. BGR 2009: 20). Die BGR unterscheidet vier unterschiedliche Formen von UG: Erdgas in dichten Gesteinen, Kohleflözgas , Aquifergas und Gashydrat. „Bei Erdgas in dichten Gesteinen (Tight Gas, Shale Gas) ist die Durchlässigkeit der Speichergesteine sehr gering. Zur Produktion von Erdgas aus dichten Gesteinen müssen durch technische Maßnahmen Wegsamkeiten im Speichergestein geschaffen werden. Dazu wird über Bohrungen das Gestein mit hohem hydraulischem Druck aufgebrochen (gefract). Bei diesen Speichergesteinen handelt es sich häufig um feinkörnige Tonsteine, für die sich im internationalen Sprachgebrauch der Begriff Gas Shale durchgesetzt hat. Kohleflözgas (Coalbed Methane, CBM) ist Erdgas, das in kohleführenden Becken in Kohleflözen in absorbierter Form oder in Mikroklüften und Mikroporen vorkommt. Es wird ebenfalls mittels Bohrungen erschlossen und die Zuflüsse werden durch Aufbrechen der Kohleflöze mittels künstlicher Risse (Fracs) stimuliert. Als Aquifergas wird im Grundwasser gelöstes und dispers verteiltes Erdgas bezeichnet, das bei Förderung des Wassers an die Erdoberfläche durch Druckentlastung freigesetzt werden kann. Gashydrat ist eine eisförmige, feste Verbindung aus Methan und Wasser, die sich unter niedrigen Temperaturund hohen Druckbedingungen (Stabilitätszone) bilden kann. Gashydrat tritt in polaren Permafrostgebieten und in bestimmten Wassertiefen an den Kontinenträndern der Weltmeere auf.“ (BGR 2009: 20). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 5 3. Technische Aspekte 3.1. Erdgas aus dichten Gesteinen So genanntes „Tight Gas“ ist in sehr gering durchlässigem Gestein eingelagert. Dazu zählen Sandstein und Karbonat sowie vor allem Tonstein („Shale“). Aufgrund seiner Bedeutung wird „Shale Gas“ in manchen Beiträgen synonym für „unkonventionelles Gas“ insgesamt verwendet. Die Abgrenzung zu konventionellen Vorkommen erfolgt über die Durchlässigkeit („Permeabilität “) des Gesteins. International wird Gestein mit einer Permeabilität von weniger als 0,1 milli- Darcy (mD) als „dicht“ bezeichnet, in Deutschland ist ein Grenzwert von 0,6 mD gebräuchlich (vgl. BGR 2009: 92). „Tight Gas“ tritt normalerweise in großen Tiefen (> 4500 m) auf. Vorkommen aus Tonsteinen sind aber auch in flacher Lagerung verbreitet. Das Gas ist in den Tonsteinen noch gebunden und nie heraus migriert. Typische Eigenschaften von „Tight Gas“ sind seine hohe Verbreitung, ein hoher Lagerstättendruck und eine vergleichsweise schwierige und aufwändige Gewinnbarkeit. Vorkommen mit den besten Lagerstätteneigenschaften werden als „Sweet Spots“ bezeichnet. Generell wird aufgrund der niedrigen Durchlässigkeit der Zustrom der Gase in das Bohrloch behindert und die Produktionsraten sind gering. Ziel neuer Entwicklungen der Fördertechnik ist die Erhöhung der Permeabilität z.B. durch die Erzeugung künstlicher Riss-Systeme (Fracs) und die Optimierung der Produktionsbohrungen z.B. durch horizontale und multilaterale Bohrtechniken. Staatlich geförderte Forschungsprogramme auf diesem Gebiet haben in den USA seit 2005 bereits zu deutlich höheren Fördermengen von „Tight Gas“ geführt (vgl. BGR 2009: 93). 3.2. Kohleflözgas Als Kohleflözgas werden alle Gase bezeichnet, die in Verbindung mit Kohle vorkommen. Man unterscheidet Gas aus unausgebeuteten („unverritzten“) Kohleflözen, das durch Bohrungen gewonnen wird (CBM), von Grubengas als Nebenprodukt der Bergbautätigkeit. Grubengas wiederum kann in Gas aus aktivem Kohlebergbau (CSM) und Gas aus stillgelegten Bergwerken (CMM) unterteilt werden. Die drei Gastypen unterscheiden sich in der Regel in ihrer chemischen Zusammensetzung (vgl. BGR 2009: 96). Kohleflözgas ist seit Jahrhunderten als ungewünschtes, weil gefährliches Nebenprodukt des Kohlebergbaus bekannt. In den vergangenen Jahrzehnten wurde abgesaugtes Grubengas zunehmend energetisch genutzt. Kohleflözgasvorkommen sind generell in allen Kohlevorkommen zu erwarten , die das Reifestadium von so genannter Flammkohle erreicht oder überschritten haben (bei Weichbraunkohle ist dies nicht der Fall). Während CBM-Vorkommen in unverritzten Kohleflözen durch Bohrungen mit Riss-Systemen abgebaut werden können, erfolgt die Gewinnung von Grubengas aus stillgelegten Schächten, das unter geringerem Druck steht, über eine Bohrung bzw. einen existierenden Schacht durch Absaugen. Bei aktiven Bergwerken werden primär aus Sicherheitsgründen untertägige Bohrungen zur Vorentgasung durchgeführt. Aus den Kohleflözen ist beim gegenwärtigen Stand der Technik nur ein geringer Teil des Gasinhaltes tatsächlich zu erschließen. Die Fördertechniken haben sich allerdings in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt (vgl. BGR 2009: 97-101). 3.3. Aquifergas Aquifergas ist im Grundwasser gelöst und stammt aus den porösen Gesteinen unterhalb des Grundwasserspiegels. Aufgrund der geringen Wasserlöslichkeit von Methan sind die Konzentrationen im Wasser allerdings normalerweise gering. Mit zunehmender Tiefe erhöht sich die Lös- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 6 lichkeit aber wegen des Drucks, so dass erhebliche Mengen vorhanden sein können. Die ökonomisch sinnvollen Fördermöglichkeiten von Aquifergas sind begrenzt. Im Gegensatz zur Förderung aller anderen Gasvorkommen, muss beim Aquifergas der Träger, also das Wasser, mit gefördert werden, um das Gas zu gewinnen. Der dafür notwendige Aufwand kann sich erst lohnen, wenn neben dem Gasgehalt auch die hydraulische und geothermische Energie des Grundwassers genutzt werden kann. Gasvorkommen in heißen Grundwässern, die unter starkem Überdruck stehen, gelten deshalb als potentiell lohnenswerte Förderziele. Solche „geopressuredgeothermale “ Aquifere stehen im Vergleich zu ihrer Tiefenlage unter ungewöhnlich hohem Druck. Sie kommen in der Erdkruste in zwischen 3000 und 7000 m Tiefe vor. Bereits 1989 wurde in Texas (USA) ein hybrides Kraftwerk erfolgreich getestet, das die Energie jeweils zur Hälfte aus heißem Wasser und dem gelösten Gas gewann. Allerdings wurde die hydraulische Energie nicht genutzt und angesichts der damals niedrigen Energiepreise blieb das Projekt unwirtschaftlich. Neben der Identifizierung geeigneter Vorkommen und der Entwicklung entsprechender Hybridkraftwerke wird vor allem die Verbesserung der technischen Möglichkeit, das gelöste Gas aus dem Wasser zu extrahieren, über das zukünftige Potential der Aquifergasgewinnung entscheiden (vgl. BGR 2009: 102-105). 3.4. Gashydrat Gashydrat ist im Eis gebundenes Erdgas. Wasser und Gas können bei hohem Druck und niedrigen Temperaturen eine kristalline Substanz bilden. Die meisten bekannten Vorkommen von Gashydrat sind nur schwer zugänglich. Gashydrat kann in maritimen Segmenten unter hoher Wasserbedeckung sowie in Permafrostgebieten der Arktis angetroffen werden. Unter Wasser kommt es in Meerestiefen größer als 400 m in Zonen bis zu 1000 m unter dem Meeresboden vor. Kontinentales Gashydrat findet sich in Permafrostzonen in Tiefen zwischen 200 und 2000 m. Die Bildung von Gashydrat hat hohen Druck, niedrige Temperatur und ausreichende Verfügbarkeit von Methan sowie von Wasser zur Voraussetzung. Der limitierende Faktor ist in der Regel das Methan. Gashydratvorkommen sind zumeinst unregelmäßig verteilt und nicht klar abgegrenzt, so dass eine Reservoirabschätzung schwierig ist (vgl. BGR 2009: 107). Die Überlegungen zur Förderung von Gas aus Gashydrat gehen in allen realistisch erscheinenden Szenarien von einer „Schmelzung“ des Hydrats bereits im Gestein aus. Berg- oder Tagebauliche Verfahren wären ungeeignet, da sowohl der Aufwand als auch die Umweltrisiken hoch wären und freigesetztes Gas nur schwer aufzufangen wäre. Das durch „Schmelzung“ im Gestein freigesetzte Gas könnte mit konventionellen, bereits erprobten Techniken gefördert werden. Die technische Herausforderung besteht in der kontinuierlichen Mobilisierung von Gas aus dem Hydrat durch Temperaturerhöhungen und/oder Druckabfall. Im Rahmen von internationalen Forschungsprogrammen wurden entsprechende Techniken bereits erfolgreich erprobt. Besonders vielversprechend könnte die Gewinnung von Gashydrat aus Lagerstätten sein, bei denen freies Gas unterhalb des Gashydrats vorhanden ist. Durch die mit konventionellen Methoden mögliche Förderung des freien Gases könnte die notwendige Drucksenkung im Hydrat erreicht werden, so dass das Gas in das Reservoir der Erdgaslagerstätte nachströmen könnte. In Nordalaska laufen derzeit Vorbereitungen für einen ersten Langzeitproduktionstest durch die amerikanische Regierung in Zusammenarbeit mit BP (vgl. BGR 2009: 108-110). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 7 4. Ressourcen, Reserven und Förderung Im Folgenden soll ein Überblick über die Vorkommen von UG gegeben werden. Zunächst wird mit Hilfe der Darstellung der BGR die weltweite Perspektive eingenommen und anschließend die Situation in Deutschland und Europa noch einmal vertieft. Für den zweiten Aspekt wird neben der Darstellung der BGR ergänzend auf zwei Beiträge von Schulz/Horsfield zurückgegriffen (Anlage 2). Davor wird zunächst eine begriffliche Abgrenzung wiedergegeben: „Die potentielle Nutzungsdauer von Rohstoffen wird bestimmt durch die Größe des jeweiligen Ressourcenpotentials sowie die Intensität und Produktivität der Nutzung. Wichtig ist dabei insbesondere die Unterscheidung der Begriffe "Reserven" und "Ressourcen": Reserven umfassen die sicher nachgewiesenen und mit bekannter Technologie wirtschaftlich gewinnbaren Vorkommen in der Erdkruste. Ressourcen sind Vorkommen, die noch nicht wirtschaftlich zu fördern sind oder die noch nicht sicher ausgewiesen sind, aber aufgrund geologischer Indikatoren erwartet werden. Preissteigerungen an den Weltrohstoffmärkten und neue Explorationsergebnisse können Ressourcen in Reserven überführen.“ Quelle: http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Energie/energiestatistiken,did=177112.html [Stand: 25.03.2010] Reserven und Ressourcen zusammengenommen werden als „Potential“ bezeichnet. Bei der Einschätzung der Bedeutung von Ressourcen und Reserven von UG ist insbesondere der Vergleich zu den entsprechenden Werten für konventionelles Gas interessant. Deshalb wird hier als Referenz ein Überblick über die entsprechenden Werte gegeben. Weltweite konventionelle Erdgasressourcen 2007 (insgesamt 239 Bill. m3) Quelle: BGR 2009: 78. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 8 Weltweite konventionelle Erdgasreserven 2007 (insgesamt 183 Bill. m3) Quelle: BGR 2009: 77. Das Gesamtpotential (Reserven plus Ressourcen) an konventionellem Erdgas beträgt also ca. 422 Bill. m3. 4.1. Welt 4.1.1. Erdgas aus dichten Gesteinen Bedeutende Vorkommen an „Tight Gas“ finden sich in Nordamerika, Süd- und Mittelamerika (Mexiko, Venezuela, Argentinien), Afrika (Ägypten, Nigeria), Saudi-Arabien, Australien, Europa (Deutschland, Frankreich, Niederlande, Großbritannien), der GUS, China und Indien. Bislang wird allerdings erst in wenigen Ländern Erdgas aus dichten Lagerstätten produziert. Wie in den anderen Bereichen des UG sind auch beim „Tight Gas“ die USA führend in der systematischen Exploration und Förderung. Das BGR stellt die dynamische Entwicklung des UG-Sektors und die damit verbundenen Unsicherheiten am Beispiel der USA folgendermaßen dar: „In den USA stieg die jährliche Produktion von Erdgas aus nicht-konventionellen Lagerstätten von 140 Mrd. m³ im Jahr 1996 auf 244 Mrd. m³ im Jahr 2006. Dies stellt 43 % der Gesamtförderung an Erdgas in den USA dar (Kuuskraa, 2007a). Die Förderung aus dichten Sandsteinen lieferte mit einem Einsatz von 13 000 Bohrungen pro Jahr den größten Beitrag zum Produktionsanstieg von 102 Mrd. m³ im Jahr 1996 auf 161 Mrd. m³ 2006. Die Produktion von Gas aus Tonsteinen befindet sich auf einem niedrigeren Niveau, hat sich aber im gleichen Zeitraum von 8,5 Mrd. m³ auf 31 Mrd. m³ mehr als verdreifacht (Kuuskraa, 2007a). Auch für die Zukunft wird für die USA ein weiterer Anstieg der jährlichen Förderung aus nicht-konventionellen Lagerstätten auf 250 Mrd. m³ pro Jahr bis 2015 und 288 Mrd. m³ bis 2030 prognostiziert (EIA, 2007). Diese Zahlen sind dabei noch als konservativ anzusehen, da bisherige Vorhersagen zur Gewinnung von Gas aus nicht-konventionellen Lagerstätten in den letzten Jahren immer zu niedrig waren (Reeves et al., 2007b). Der Anteil der US-Gasförderung aus nichtkonventionellen Lagerstätten wird damit bis 2020 voraussichtlich auf 60 bis 70 % steigen (Moritis, 2008).“ Quelle: BGR 2009: 94. Die im Zitat genannten Literaturverweise sind in Anlage 1 auf den Seiten 112-115 aufzufinden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 9 Die Abschätzung von gewinnbaren Reserven aus Erdgasvorkommen in dichtem Gestein ist äußerst schwierig. Bereits kleine Unterschiede in den Ausgangsannahmen bezüglich von Faktoren wie dem Bohrabstand, der Erfolgsrate und dem Gesamtpotential können die Ergebnisse um den Faktor 10 schwanken lassen. Z. B. führten Fortschritte in der Explorations- und Produktionstechnik beim bislang bedeutendsten nordamerikanischen „Shale Gas“-Feld Barnett Shales in Texas zu einem Anstieg der geschätzten gewinnbaren Reserven von 85 Mrd. m3 im Jahr 1996 auf 736-1388 Mrd. m3 im Jahr 2006 (vgl. BGR 2009: 95). Im Jahr 2008 wurden die nachgewiesenen Reserven an „Tight Gas“ in den USA auf 2265 Mrd. m3 beziffert (vgl. BGR 2009: 95). Zum Vergleich: Die konventionellen Erdgasreserven der USA werden mit ca. 6000 Mrd. m3 angegeben (vgl. oben). Während die Reserven von „Tight Gas“ außer in den USA bislang im Vergleich zum konventionellen Gas noch so gut wie keine Rolle spielen, legen unterschiedliche Schätzungen ein weltweit hohes Ressourcenpotential nahe. Allerdings sind nach Angaben der BGR die Werte bislang lediglich für die USA wirklich belastbar. Dennoch lässt sich sagen: Das Potential von „Tight Gas“, insbesondere aufgrund der „Shale Gas“-Vorkommen, übersteigt die Summe aus Ressourcen und Reserven (=Potential) von konventionellem Gas deutlich. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick . Gesamtpotential „Tight Gas“ Quelle: BGR 2009: 95. Tatsächliche Vorkommen von „Tight Gas“ müssen durch eine entsprechende Explorationstätigkeit nachgewiesen werden. Deshalb spiegelt die letzte Tabelle noch mehr als eine tatsächliche Aussage über geologische Gegebenheiten die bisherige Intensität der Exploration in verschiedenen Regionen der Welt wider (vgl. BGR 2009: 96). 4.1.2. Kohleflözgase Prinzipiell verfügen alle Länder mit Hartkohlevorkommen über Kohleflözgas. Gegenwärtig liegen nur zu 23 Ländern und damit zu einem Viertel aller Länder mit Hartkohle Informationen zu Flözgasressourcen vor. Die weltweiten Flözgasressourcen dieser Länder werden auf 135,5- 372,5 Bill. m3 geschätzt. Die Spannbreite der Zahlen zeigt die Unsicherheit, die mit der genauen Abgrenzung und Bestimmung dieser Ressourcen verbunden ist. Nur acht Länder liefern Informa- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 10 tionen über Flözgasreserven in Höhe von 1,7-2,6 Bill. m3. Die geringe Höhe der Reserven gemessen an den Ressourcen liegt an der bislang unzureichenden Untersuchung vieler Lagerstätten und die Beschränkung auf bergbaulich erschlossene Areale. Die regionale Verteilung der Ressourcen stellt sich wie folgt dar: Flözgasressourcen, 23 Länder Quelle: BGR 2009: 99. Bislang wird nur in den USA Flözgas in nennenswertem Umfang gefördert (mehr als drei Viertel der Weltförderung). Der weltweite Anteil von Flözgas an der Erdgasförderung lag 2007 bei 2,1 % (63,3 Mrd. m3). Gegenüber 1997 hat er sich damit in etwa verdreifacht. Die starken Zuwächse gehen vor allem auf Gas aus unverritzten Kohleflözen zurück. Künftig dürfte vor allem in China, Kanada und Australien die Gewinnung von Kohleflözgas stark ansteigen (vgl. BGR 2009: 100- 102). Sowohl beim Potential als auch beim aktuellen Stand der Nutzung bleibt Flözgas derzeit in der Bedeutung hinter „Tight Gas“ zurück. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 11 4.1.3. Aquifergas Das theoretische Potential von Aquifergas wird von der BGR folgendermaßen beschrieben: „Die weltweit im Grundwasser gelösten Gasvolumen sind immens und übersteigen die bekannten konventionellen Erdgasvorkommen um ein Mehrfaches. Das gesamte im Grundwasser der Erde gelöste Aquifergas wurde auf die gewaltige Menge von 10 000 000 Bill. m³ geschätzt (Kortsenshtejn , 1979) und würde unter Normaldruck etwa das doppelte Volumen der Erdatmosphäre einnehmen. Ähnlich wie bei dem im Gashydrat enthaltenen Erdgas dürfte aber nur eine sehr geringe Menge technisch überhaupt förderbar und ein noch kleinerer Anteil letztlich auch wirtschaftlich gewinnbar sein. Dennoch besitzt Aquifergas ein nicht zu unterschätzendes Potenzial, besonders wenn es gelingt durch verbesserte Technologie die Extraktion des gelösten Erdgases zu erleichtern.“ Quelle: BGR 2009: 105. Die viel versprechendsten Vorkommen, bei denen sich prinzipiell Hybridkraftwerke zu Nutzung der geothermischen, hydraulischen und chemischen Energie nutzen lassen, sind die so genannten „geopressured-geothermalen“ Aquiferen. Weltweit sind bislang ca. 60 solcher Gebiete bekannt , deren Gasgehalt zusammen auf 2500 Bill m3 geschätzt worden ist. Außer in einigen Testanlagen hat bisher noch keine nennenswerte Produktion von Aquifergas stattgefunden. Die USA haben seit 1979 die notwendigen Technologien systematisch erforscht. Die US-amerikanischen Vorkommen in der Region am Golf von Mexiko zählen zu den aussichtsreichsten Stellen, an denen eine kommerzielle Produktion beginnen könnte. Neben einem entsprechend hohen Preis für konventionelles Gas sind auch weitere Innovationen insbesondere im Zusammenspiel mit der Geothermie-Nutzung notwendig, um Aquiferengas mittelfristig kommerziell nutzbar zu machen (vgl. BGR 2009: 102-105). 4.1.4. Gashydrat Die insgesamt vorhandene Menge Gas, die in Gashydrat gebunden ist, liegt ein Vielfaches über den Vorkommen von konventionellem Gas. Da die Analyse der Mengen sehr schwierig ist, schwanken die Schätzungen vom Zwei- bis zum Zehnfachen des konventionellen Gaspotentials. Bis heute wurden weltweit etwa 100 größere Fundstellen von Gashydrat geowissenschaftlich untersucht und bei 20 davon wurden Proben genommen. Die hohe Gesamtmenge an Gashydrat ist allerdings unerheblich für die Abschätzung der tatsächlich technisch und ökonomisch nutzbaren Vorkommen. Die besten Perspektiven bieten Lagerstätten, die leicht zugänglich und in der Nähe von bereits vorhandener Infrastruktur liegen, so z. B. in Nordalaska. Die amerikanischen Behörden haben für dieses Gebiet im Jahr 2008 erstmals eine Abschätzung des nach heutigem Stand technisch gewinnbaren Gasvolumens vorgelegt. Demnach wäre die Förderung von 2,4 Bill. m3 Gas aus Gashydrat in diesem Gebiet möglich (vgl. BGR 2009: 107). Trotz der Prognose, dass sich im Laufe der Zeit die Möglichkeiten der Gewinnung verbessern werden, wird ein großer Teil des Gashydrats, insbesondere unter dem Meeresboden, langfristig nicht erschlossen werden können. Im marinen Bereich werden weitaus größere Vorkommen vermutet als in den arktischen Permafrostgebieten. Eine kommerzielle Produktion von Erdgas aus Gashydrat hat bis heute noch nicht begonnen. Allerdings laufen weltweit Test- und Forschungsprojekte . Insbesondere die USA, Japan, Südkorea, China und Indien forcieren gegenwärtig die Entwicklung kommerziell nutzbarer Techniken zur Gewinnung von Gas aus Gashydrat. In den Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 12 USA wird damit gerechnet, dass die Nutzung von nur einem Prozent der Gashydratressourcen zu einer Verdoppelung der Reserven des Landes führen würde . 4.2. Deutschland/Europa Deutschland besitzt keine eigenen Gashydratvorkommen. Die Nutzung des Energiepotentials von „geopressured-geothermalen“ Aquiferen wurde im Sommer 1982 an der Thermalwasserlagerstätte Bad Endorf beispielhaft getestet. Die BGR gibt in ihrer Darstellung keine weitere Einschätzung des Potentials der kommerziellen Gewinnung von in Grundwasser gelöstem Gas für Deutschland. Derzeit scheinen keine entsprechenden Möglichkeiten zu bestehen. Grubengas als Sonderform von Kohleflözgas wird in regional bedeutenden Kleinkraftwerken zur Stromerzeugung und zur Kraft-Wärme-Kopplung genutzt. Die meisten Standorte befinden sich in den Kohlebaugebieten von Nordrhein-Westfalen und dem Saarland. Die Untersuchungen zur Förderung von Kohleflözgas aus unverritzten Vorkommen in Deutschland ließen bisher aufgrund der komplizierten geologischen Verhältnisse keine wirtschaftliche Förderung erwarten (vgl. BGR 2009: 206-207). Die momentan für Deutschland und Europa viel versprechendste Perspektive der Nutzung von UG liegt im Bereich des Gas aus dichten Gesteinen. Die weiteren Ausführungen in diesem Abschnitt beziehen sich deshalb auf das Potential von „Tight Gas“ bzw. „Shale Gas“ in Deutschland und Europa. Im Gegensatz zum internationalen Sprachgebrauch wird in Deutschland Erdgas, das noch im Muttergestein gespeichert ist, nicht unter dem Oberbegriff „Tight Gas“ subsumiert, sondern gesondert als „Shale Gas“ bezeichnet (vgl. BGR 2009: 206). Im Januar 2009 begann die Arbeit eines breit angelegten Projektes zur Erforschung der Europäischen „Shale Gas“ (SG) -Vorkommen. Unter dem Namen GASH (Gas Shales in Europe) hat sich eine Reihe von multinationalen Forschungseinrichtungen zur Aufgabe gemacht, eine Datenbank über die SG-Lagerstätten in Europa zu erstellen und die Grundlagenforschung zu Schlüsselfragen der Thematik voran zu treiben (vgl. Anlage 3). Projektkoordinator ist das GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). Im Rahmen des Projektes GeoEn fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Beteiligung des GFZ an der Erforschung von „Shale Gas“.1 Zwei der beteiligten Wissenschaftler des GFZ haben im Jahr 2009 zwei Beiträge veröffentlicht, die einen Überblick zur Thematik bieten (vgl. Schulz/Horsfield 2009a und 2009b, Anlage 2). Schulz und Horsfield beschreiben ausführlich die geologischen Eigenschaften und die technischen Voraussetzungen der Förderung von „Shale Gas“ (vgl. Schulz/Horsfield 2009a: 23-24. 2009b: 50-51.) Die Autoren geben dann einen Überblick über die Exploration und Gewinnung von SG in den USA, wo bereits 5-6 % der Gasproduktion aus dieser Quelle stammen und hohe Wachstumsraten erwartet werden (vgl. Schulz/Horsfield 2009a: 24-25, 2009b: 51-52). Schließlich umreißen Schulz und Horsfield das Potential von SG in Europa (vgl. Schulz/Horsfield 2009a: 25- 26, 2009b: 52-55). Im Vergleich zu den USA liegen die „Shale Gas“-Lagerstätten in Europa in jeweils kleineren Größenordnungen vor. Hier sind nach Ansicht der Wissenschaftler des GFZ vor allem die organisch reichen Schichten des Altpaläozoikums, des Mittel- bis Oberdevons sowie des Unterkarbons vielversprechende Ziele der Erforschung. Die vermuteten Vorkommen unter der norddeutschen 1 Vgl. http://dc-app3-13.gfz-potsdam.de/ [Stand: 26.03.2010]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 13 Tiefenebene gehören in die dritte Kategorie. Zur Verifizierung und Potentialabschätzung der europäischen SG-Vorkommen sind weitere umfangreiche Forschungen notwendig. Neben dem genannten Verbund von europäischen Forschungseinrichtungen haben international agierende Energiefirmen in den vergangenen Jahren begonnen, in Europa nach lukrativen Abbaumöglichkeiten zu suchen. Das GASH-Projekt, an dessen Finanzierung mehrere Energiefirmen beteiligt sind, entstand auch in Folge dieses offenkundigen kommerziellen Interesses an der Exploration der europäischen SG-Lagerstätten. Ein Artikel von Ken Chew aus dem US-amerikanischen Energiemagazin E&P beschreibt den gegenwärtigen „Rausch“ der Erkundung von „Shale Gas“- Vorkommen in Europa (Anlage 4). Eine Tabelle im Anhang zu diesem Artikel gibt einen Überblick über die bereits begonnenen Expolorationsprojekte in Europa und die beteiligten Firmen mit Stand März 2010. Demnach wird in 10 europäischen Ländern bereits kommerziell nach verwertbaren SG-Vorkommen gesucht. Sowohl internationale Großkonzerne wie ExxonMobil und Shell, die auch in Deutschland aktiv sind, als auch größere Firmen wie Chevron oder OMV sind neben kleineren Unternehmen daran beteiligt. Anlage 4 gibt einen Überblick über die derzeitigen Aktivitäten der Unternehmen. Neben den Probebohrungen von ExxonMobil in der norddeutschen Tiefebene sind in jüngster Zeit vor allem Projekte in Polen, Österreich, Großbritannien, den Niederlanden und Dänemark Gegenstand von vermehrter öffentlicher Aufmerksamkeit geworden .2 Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) schätzt in ihrem Bericht aus dem Jahr 2009 das Potential von Erdgas in dichten Gesteinen in Deutschland als gering ein. Für das Norddeutsche Becken liegen Ressourcenschätzungen in einer Größenordnung von 100 bis 150 Mrd. m3 vor. Diese Beurteilung berücksichtigt allerdings noch nicht die möglichen zukünftigen Ergebnisse des GASH-Projektes und der Explorationstätigkeit der Energieunternehmen (vgl. BGR 2009: 206-207). 5. Prognostizierte Auswirkungen auf den Gasmarkt Die Auswirkungen der Erschließung unkonventioneller Gasquellen auf den Gasmarkt lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer abschätzen. Insbesondere in Europa stehen geowissenschaftliche Diskussionen von UG im Vordergrund. Erst gesicherte Erkenntnisse über nutzbare Potentiale und Abschätzungen der Förderkosten werden genauere ökonomische Analysen zu dieser Thematik entstehen lassen. Insbesondere Fragen wie diejenige nach der Versorgungsinfrastruktur , den Auswirkungen auf Mobilität und Stromerzeugung lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt kaum anders als spekulativ beantworten. Dennoch lassen sich einige Grundaussagen treffen : Unkonventionelles Gas ist ein perfektes Substitut für konventionelles Gas. Deshalb werden die regionalen und weltweiten Märkte von konventionellem und unkonventionellen Gas zusammenwachsen , da es aus Sicht der Gasverbraucher unerheblich ist, aus welcher Quelle das Gas stammt. Theoretisch gibt es für jedes Vorkommen an unkonventionellem Gas einen Gaspreis, ab dem sich die Förderung des jeweiligen Vorkommens lohnt. Die Entwicklung von UG wird also 2 Vgl. z. B. http://www.faz.net/s/RubD16E1F55D21144C4AE3F9DDF52B6E1D9/Doc~EB21A9E76DBFC46078489B2D3 323470EE~ATpl~Ecommon~Scontent.html [Stand: 29.03.2010]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 14 von zwei Faktoren bestimmt: dem Gaspreis und den verfügbaren Fördertechnologien. Steigende Gaspreise und voranschreitende Fördertechnologien führen beide zu einer wachsenden Wirtschaftlichkeit von unkonventionellem Gas. Jedes neu erschlossene Vorkommen von unkonventionellem Gas wirkt als Angebotserhöhung auf dem Gasmarkt. Damit wirkt unkonventionelles Gas prinzipiell preisdämpfend. Wenn der Gaspreis auf eine Höhe ansteigt, zu der ein bisher noch nicht erschlossenes Vorkommen auf den Markt kommt, verhindert dieses zusätzliche Angebot zunächst ein weiteres Ansteigen des Gaspreises. Es ist aber auch der Fall denkbar, dass der technologische Fortschritt dazu führt, dass die Förderkosten für bestimmte UG-Vorkommen so weit sinken, dass sich eine zusätzliche Produktion lohnt. Unter diesen Umständen können neue Mengen von unkonventionellem Gas sogar zu Preissenkungen auf dem Gasmarkt führen. Die Auswirkungen von UG auf Bereiche wie Mobilität oder Stromerzeugung sind analog zur Analyse dieser Bereiche in Bezug auf das konventionelle Gasangebot zu sehen: Je mehr und je günstiger Gas zur Verfügung stehen wird, desto größer wird die Rolle dieses Energieträgers in beiden Bereichen sein. Die ökonomischen Auswirkungen der zunehmenden Erschließung von unkonventionellem Gas lassen sich für die mittlere und längere Frist nur mit Simulationsmodellen für den gesamten Gasmarkt abschätzen. Für diese Ausarbeitung konnten zwei solcher Modellrechnungen gefunden werden, deren Ergebnisse im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen. 5.1. DIW 2009 Eine Gruppe von Wissenschaftlern vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und anderen Einrichtungen hat im Jahr 2009 eine Simulationsstudie vorgelegt. Darin beschreiben die Forscher ein „World Gas Model“, mit dem der weltweite Gasmarkt bis zum Jahr 2030 dargestellt wird. In diesem Modell können die Reaktionen der primären Akteure auf dem Gasmarkt abgebildet werden: Produzenten, Händler, Infrastrukturbetreiber, Verflüssiger, Betreiber von Speicherkapazitäten und Konsumenten in drei Sektoren (Privater Sektor, Industrie und Stromerzeuger). Neben den üblichen Profitmaximierungsannahmen ist im Modell die Veränderung von Kapazitäten (Investitionen) berücksichtigt. Ebenso sind die Möglichkeiten des Transports von Gas durch Pipelines und in Form von verflüssigten Gas (LNG) Teil des Modells. Das Modell wurde von den Wissenschaftlern so kalibriert, dass das Basisszenario den Ergebnissen der Vorhersage der Europäischen Kommission für Europa (PRIMES) und für den Rest der Welt (POLES) entspricht (vgl. DIW 2009: 1-6, Anlage 5). Im Basisszenario, das im in Einklang mit den Prognosen der EU Kommission steht, wird der weltweite Gasverbrauch von 2368 Mrd. m3 im Jahr 2005 bis zum Jahr 2030 auf 3757 Mrd. m3 ansteigen . Weiterhin wird von einem jährlichen Preisanstieg von 3 % ausgegangen, so dass im Jahr 2030 $375 für 1000 m3 Gas zu bezahlen sein werden. Die Entwicklung des Verbrauchs, des LNG- Handels und des Preises für das Basisszenario sind in der folgenden Grafik dargestellt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 15 Quelle: DIW 2009: 7. bcm = Mrd. m3, y = Jahr, kcm = 1000 m3. Die weltweiten Handelsströme prognostiziert das Basisszenario für das Jahr 2030 wie folgt: Quelle: DIW 2009: 8. Für die Fragestellung dieser Ausarbeitung ist nun sehr interessant, dass die DIW-Forscher als erstes „neues“ Szenario, das über die Prognosen der EU-Kommission in aus den Jahren 2006 und 2007 hinaus geht, den Fall „Barnett Shale“ modellieren (DIW 2009: 9-10). Darin werden die aktu- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 16 ellen Prognosen zur zunehmenden Gewinnung von unkonventionellem Gas in Nordamerika berücksichtigt . Die Autoren gehen im Szenario „Barnett Shale“ von einer Eigenbedarfsdeckung Nordamerikas im Jahr 2030 von mehr als 80 % aus, wogegen diese Quote im Referenzszenario noch unter 60 % lag. Die Effekte dieser veränderten Annahmen, die nach heutigem Stand tatsächlich realistischer erscheinen als die Prognose der EU Kommission, sind signifikant: Der Gasverbrauch in Nordamerika liegt 2030 8 % höher als im Basisszenario. 2010 liegen die Gaspreise in dieser Region 20 % unter dem Wert von 2005. Im Vergleich zum Basisszenario sind sie im Jahr 2030 15 % niedriger. Der Preiseffekt auf andere Regionen ist weniger stark ausgeprägt: die Preise liegen um 9 % (Lateinamerika), 6 % (Naher Osten) und 2 % (Europa) niedriger als im Basisszenario . Quelle: DIW 2009: 10. Insbesondere der Anstieg der Lieferung von Gas in Form von LNG wird im Fall „Barnett Shale“ gegenüber dem Referenzszenario zurück bleiben, da der Hauptabnehmer von verflüssigtem Gas zunehmend zum Eigenversorger wird. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 17 Quelle: DIW 2009: 10. Die vorgestellte Szenariorechnung des DIW gibt einen Einblick über die wahrscheinlichen Hauptfolgen der zunehmenden Gewinnung von UG in Nordamerika. Die Gaspreise werden sinken, bzw. weniger stark ansteigen. Dies wird insbesondere in der Region der Fall sein, in der das unkonventionelle Gas produziert wird. Gleichzeitig werden die internationalen Handelsströme von dieser Region abgelenkt mit entsprechenden Folgen insbesondere für den LNG-Markt. Aus Presseberichten ist bekannt, dass große Gasexporteure wie z. B. Russland und Katar sich bereits heute gezwungen sehen, ihre mittelfristigen Exportstrategien den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Versorgung des nordamerikanischen Marktes mit verflüssigtem Gas sollte neben dem Pipeline gebundenem Geschäft mit Asien und Europa das dritte Standbein der Gasexporteure dieser Länder werden.3 Falls sich die Hoffnung auf nennenswerte Vorkommen von UG in Europa erfüllen sollte, sind mittelfristig entsprechende Folgen für den Gasmarkt in dieser Region zu erwarten. 5.2. Mohr/Evans 2007 Die beiden US-amerikanischen Forscher Mohr und Evans haben im Jahr 2007 ein ähnliches Vorgehen wie die Wissenschaftler am DIW gewählt. Sie haben zwei existierende Schätzungen für den weltweiten konventionellen Gasmarkt mit Hilfe von in der Literatur zu findenden Abschätzungen des weltweiten unkonventionellen Gaspotentials erweitert und daraus ein Modell zur Vorhersage der Produktion im Zeitverlauf entwickelt. 3 Vgl. z. B. „Amerikas unkonventionelles Gas bremst Gasexporte“. In EID (Energieinformationsdienst) 52- 2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 18 Quelle: Mohr/Evans 2007. Aus dieser aggregierten Betrachtung der beiden Wissenschaftler wird deutlich, wie die Einbeziehung von UG den weltweiten Gasmarkt bis zu seinem prognostizierten Ende im 22. Jahrhundert beeinflussen wird: Die Verfügbarkeit von Erdgas wird deutlich erweitert, die „Peak Produktion“ kann zeitlich nach hinten verschoben werden und noch zur Mitte dieses Jahrhunderts wird die Produktion über derjenigen von heute liegen können. Neue Erkenntnisse über Vorkommen, z.B. in Europa, und verbesserte Technologien könnten diese Kurve noch verändern. 6. Diskussion in den USA „Shale Gas“ weist in den USA von allen unkonventionellen Gasarten die größten Wachstumsraten der letzten Jahre auf. Obwohl sein Beitrag zur Gasversorgung des Landes im Jahr 2008 erst 10 % betrug, wird dem Abbau von „Shale Gas“ zukünftig eine noch größere Rolle prognostiziert. Als Beispiel für die aktuell in den USA geführte Diskussion um unkonventionelles Gas ist dieser Ausarbeitung als Anlage eine Arbeit der California Energy Commission vom Mai 2009 mit dem Titel „Shale-deposited natural gas: a review of potential“ beigefügt (Brathwaite 2009, Anlage 6). Vor dem Hintergrund des starken Anstiegs der „Shale Gas“-Förderung und der Reserven seit den 1990er Jahren beschreibt der Autor von Anlage 8 zunächst die geologischen Charakteristika des Shale-Gesteins und die daraus folgenden Produktionsanforderungen. Anschließend umreißt er die Fortschritte, die im Bereich der Exploration, der Bohrverfahren und der Bohrlochtechnik („Well completion and stimulation“) zum Ansteigen der ökonomisch gewinnbaren Ressourcen geführt haben. Insbesondere die Möglichkeit, horizontale Bohrungen vorzunehmen und die Verbesserung der hydraulischen Rissstimulierung hat den Ertrag der Lagerstätten erhöht. Das Papier liefert im Weiteren einen Überblick über die US-amerikanischen Lagerstätten und die Gasgewinnungsaktivitäten in den fünf Regionen „Mid-Continent“, „Eastern US“, „Rocky Mountain“, „Gulf Coast“ und „San Juan Basin“. Das bisher prominenteste und ergiebigste Fördergebiet von „Shale Gas“ auf der ganzen Welt ist der Barnett Shale in Texas, der auf den Seiten 10-11 von Anlage 8 näher charakterisiert wird (vgl. Brathwaite 2009: 1-18). Im nächsten Abschnitt der Arbeit geht der Autor auf drei Faktoren ein, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die weitere Entwicklung von SG als „Unsicherheiten“ gelten können: die Wirtschaftlichkeit der Gewinnung, das Potential der Reserven und die möglichen Umwelteinwirkungen der Shalegasgewinnung. Brathwaite betont, dass jegliche kommerzielle Perspektive von den Erlösen und Kosten abhängt, die entsprechenden Investitionsentscheidungen zugrunde liegen . Die beschriebenen technologischen Entwicklungen haben die Erschließungskosten für „Sha- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 19 le Gas“ gesenkt. Trotzdem besteht weiterhin ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Marktpreis für Gas und den Erschließungsaktivitäten. Rückgänge im Gaspreis schlagen sich nahezu unmittelbar in Rückgängen der zur Erschließung notwendigen Investitionen in Form von horizontalen Bohrungen nieder. Die notwendige Tiefe und horizontale Länge der Bohrungen bestimmt die Kosten. Steigen diese mit zunehmendem Abbau vom „Shale Gas“ einer Lagerstätte an, müssen entsprechende Steigerungen des Gaspreises vorliegen, damit neue Bohrungen tatsächlich unternommen werden. Niedrigere Gaspreise und höhere Investitionskosten können die Entwicklung der SG-Gewinnung behindern. Die Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 hat durch höhere Kreditkosten und niedrigere Rohstoffpreise bereits den erwarteten Anstieg der Gewinnungsaktivitäten gedämpft (vgl. Brathwaite 2009: 19-22). Der Autor beschreibt die zweite „Unsicherheit“ für den „Shale Gas“-Markt, indem er die große Spannbreite der existierenden Abschätzungen zu den nordamerikanischen Reserven verdeutlicht . Für einzelne Formationen liegen Schätzungen vor, die um den Faktor 10 voneinander abweichen . Sichere Prognosen über zukünftige Produktionsmöglichkeiten bleiben so mit großen Schwankungsbreiten behaftet (vgl. Brathwaite 2009: 22-24). Die dritte Unsicherheit der weiteren Entwicklung des SG in Nordamerika liegt in den (möglichen ) Umweltauswirkungen der Gasgewinnung. Zunächst werden Schäden an der Oberfläche von Bohrstellen beklagt, insbesondere in ökologisch sensiblen Regionen. Einige Umweltverbände beziffern die Schäden an der Oberfläche auf ein Mehrfaches des Wertes des gewonnenen Gases. Eine weitere Gefahr besteht im Entweichen von Treibhausgasen. Insbesondere das unkontrollierte Entweichen von Methan in die Atmosphäre während des Abbauprozesses verursacht potentiell hohe Klimaschäden. Allerdings kann der Autor in dieser Beziehung bei den horizontalen Bohrungen der SG-Gewinnung keinen prinzipiellen Unterschied zu den konventionellen, vertikalen Bohrungen ausmachen. Allerdings ist die Gewinnung von SG deutlich energieintensiver als diejenige von konventionellem Gas und weist somit eine schlechtere Klimabilanz auf. Dieser Effekt wird durch eine geringere Zahl der benötigten horizontalen Bohrungen im Vergleich zu den vertikalen Bohrungen der konventionellen Gasgewinnung aber nahezu ausgeglichen. Als letzte Gefahr für die natürliche Umwelt diskutiert der Autor die Verschmutzung des Grundwassers. Für die hydraulische Risserstellung werden sehr große Mengen von Wasser verwendet, die mit Chemikalien versetzt sind. Obwohl das meiste von diesem Wasser wieder abgepumpt wird, verbleiben signifikante Mengen im Gestein. Insbesondere in der Nähe von bewohnten Gebieten besteht prinzipiell die Möglichkeit der Verunreinigung von als Trinkwasser genutztem Grundwasser, obwohl die Bohrungen zumeist unterhalb der Grundwasserschichten durchgeführt werden (vgl. Brathwaite 2009: 25-29). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 – 3000 - 044/10 Seite 20 7. Anlagen 1. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe [BGR] (2009): Energierohstoffe 2009. http://www.bgr.bund.de/nn_322848/DE/Themen/Energie/Produkte/energierohstoffe__2009.html? __nnn=true [Stand: 30.03.2010]. 288 S. Hier: S. 20; S.92-115; S. 206-207. 2a.Schulz, Hans-Martin / Horsfield, Brian (2009a): „Shale Gas“: eine unkonventionelle Gas- Ressource. In: Energie-, Wasser-Praxis, 2009/6, S. 22-26. 2b.Schulz, Hans-Martin / Horsfield, Brian (2009b): Shale Gas in Europa: eine unkonventionelle Gasressource wie in Nordamerika? In: Erdöl, Erdgas, Kohle 125, 2. S. 50-55. 3. GASH (2009): Gas Shales in Europe. http://www.gfz-potsdam.de/portal/gfz/Struktur/Departments/Department+4/sec43 /ressourcen/Dokumente/GASH-Introduction.pdf [Stand 30.03.2010]. 4. Chew, Ken (2010): The shale gas frenzy comes to Europe. In: E & P Onlineausgabe. 1. März 2010. http://www.epmag.com/Magazine/2010/3/item53280.php [Stand: 30.03.2010]. 5. Huppmann, Daniel et al. [DIW] (2009): The World Gas Market in 2030 – Development Scenarios Using the World Gas Model. 25 S. http://diw-berlin.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.342120.de/dp931.pdf [Stand: 30.03.2010] 6. Brathwaite, Leon D. (2009): Shale-deposited natural gas: a review of potential. 30 S. http://www.energy.ca.gov/2009publications/CEC-200-2009-005/CEC-200-2009-005-SD.PDF [Stand: 30.03.2010]. Zusätzlich verwendete Quellen: - Mohr Steve Hendrik / Evans Geoffrey Michael (2007): Model proposed for world conventional, unconventional gas. In: Oil & Gas Journal 105, S. 46-51. Literaturhinweis (lag für diese Ausarbeitung nicht vor): - Kuuskraa, V.A. (2007a): Unconventional Gas-1: Reserves, production grew greatly during last decade. – Oil and Gas Journal 105/33, September 03, 2007, 33-36, 38-39. - Kuuskraa, V.A (2007b): Unconventional Gas-2: Resource potential estimates likely to change. – Oil and Gas Journal 105/35, September 17, 2007, 64, 66-71. - Kuuskraa, V.A., Riestenberg, D. & Ferguson, R. (2007): Unconventional GAS-3: New plays, prospects , resources continue to emerge. – Oil and Gas Journal 105/36, September 24, 2007, 48-55.