© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 041/20 Zur Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen im Luftverkehrsrecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 2 Zur Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen im Luftverkehrsrecht Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 041/20 Abschluss der Arbeit: 15.06.2020 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Planungsrechtliche Grundlagen für den Ausbau eines Flughafens 4 3. Geltungsdauer eines Planfeststellungsbeschlusses 5 3.1. Zeitablauf 5 3.2. Unwirksamkeit durch Funktionslosigkeit 7 3.3. Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses 8 3.3.1. Endgültige Aufgabe des Vorhabens 8 3.3.2. Rücknahme und Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses 9 3.4. Exkurs: Bürgerentscheid gegen ein planfestgestelltes Vorhaben 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Wissenschaftlichen Dienste sind nach der Geltungsdauer eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses im Rahmen des Ausbaus eines Flughafens gefragt worden. Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang ist, ob und wie sich das Nichterreichen der Luftverkehrsprognose , ein Moratorium sowie ein Bürgerentscheid auf die Geltungsdauer auswirken. Da den Fragen ein konkreter Einzelfall zugrunde liegt, der nicht Gegenstand der Begutachtung der Wissenschaftlichen Dienste sein kann, erfolgt die kursorische Beantwortung der Fragen abstrakt anhand der Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen im Luftverkehrsrecht. 2. Planungsrechtliche Grundlagen für den Ausbau eines Flughafens Der Bau sowie die Änderung von Flugplätzen (darunter fallen Flughäfen, Landeplätze und Segelfluggelände ) richten sich nach dem Luftverkehrsgesetz (LuftVG)1. Gemäß § 8 Abs. 1 LuftVG dürfen Flughäfen grundsätzlich nur angelegt bzw. bestehende nur geändert werden, wenn der Plan vorher festgestellt worden ist. Damit ist Voraussetzung die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens . Bei dem Planfeststellungsverfahren handelt es sich um ein besonderes förmliches Verwaltungsverfahren , das auf Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses (kurz: Plan) gerichtet ist.2 Es wird für raumbedeutsame Vorhaben, etwa im Infrastrukturbereich, durchgeführt3, da sie regelmäßig vielfältige und zahlreiche öffentliche und private Belange betreffen.4 Durch das Planfeststellungsverfahren wird über das Vorhaben einheitlich durch eine Sachentscheidung entschieden.5 Bei dem Planfeststellungsbeschluss handelt es sich um einen Verwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung .6 Durch den Planfeststellungsbeschluss wird zum einen die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm be- 1 Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 698), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. April 2020 (BGBl. I S. 840) geändert worden ist, Link: https://www.gesetze-im-internet.de/luftvg/BJNR006810922.html#BJNR006810922BJNG000302301 (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020). 2 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 72 Rn. 1-2. 3 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, , 47. Edition, Stand: 01.04.2020, § 72 Rn. 2. 4 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 72 Rn. 5. 5 Ebd. 6 Ebd., § 74 Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 5 rührten öffentlichen Belange festgestellt (Genehmigungswirkung). Gleichzeitig umfasst der Planfeststellungsbeschluss grundsätzlich auch alle weiteren erforderlichen behördlichen Entscheidungen , die für das Vorhaben eingeholt werden müssten (Konzentrationswirkung).7 8 Des Weiteren regelt er rechtsgestaltend alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vorhabenträger und den durch den Plan Betroffenen (Gestaltungswirkung).9 In der Luftverkehrsverwaltung nehmen die Länder und innerhalb dieser die zuständigen Planfeststellungsbehörden die Aufgaben der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung gemäß Art. 87 d Abs. 2 Grundgesetz (GG)10 i. V. m. § 10 Abs. 1 LuftVG im Auftrag des Bundes wahr (Bundesauftragsverwaltung ). Das LuftVG enthält spezielle Vorschriften für das Planfeststellungsverfahren für Flughäfen, darüber hinaus finden die allgemeinen Vorschriften zum Planfeststellungsverfahren der §§ 72 bis 78 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG)11 nach Maßgabe des LuftVG Anwendung (§ 8 Abs. 1 S. LuftVG). Im Übrigen sind die jeweiligen Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder gemäß § 1 Abs. 3 VwVfG einschlägig. Einige Länder haben vollumfängliche eigene Verwaltungsverfahrensgesetze erlassen, die jedoch weitestgehend mit dem VwVfG des Bundes identisch sind (z.B. Bayern). Andere Länder hingegen verweisen auf das VwVfG des Bundes (z.B. Berlin). Der Einfachheit halber erfolgen die nachfolgenden Ausführungen zum VwVfG des Bundes. 3. Geltungsdauer eines Planfeststellungsbeschlusses 3.1. Zeitablauf Ein Planfeststellungsbeschluss besitzt keine unbegrenzte Geltungsdauer. Grundsätzlich tritt er gemäß § 75 Abs. 4 VwVfG außer Kraft, wenn mit der Durchführung des Plans nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen wird. Im Luftverkehrsrecht gilt jedoch gemäß § 9 Abs. 3 LuftVG eine Spezialregelung, die für Planfeststellungsbescheide für Flughäfen 7 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 10. 8 In der Fachplanung sind jedoch auch Genehmigungen vorgesehen, die nicht vom Planfeststellungsbeschluss umfasst werden und ein entsprechendes Genehmigungsverfahren zusätzlich zum Planfeststellungsverfahren durchzuführen ist. Ein Beispiel ist die luftverkehrsrechtliche Genehmigung für die Anlage und den Betrieb von Flugplätzen nach § 6 LuftVG. 9 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 20 ff. 10 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist, Link: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020). 11 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 25 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846) geändert worden ist, Link: https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/BJNR012530976.html#BJNR012530976BJNG001302301 (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 6 eine Frist von zehn Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit bestimmt.12 Unanfechtbar und damit bestandskräftig wird ein Planfeststellungsbeschluss dann, wenn die Frist zur Einlegung von Rechtsbehelfen abgelaufen oder ein Rechtsbehelf in letzter Instanz erfolglos geblieben ist.13 Dabei muss die Bestandskraft gegenüber allen Betroffenen sowie dem Vorhabenträger eingetreten sein.14 Entscheidend für den Beginn der Frist ist also, dass kein Betroffener mehr eine Anfechtungsmöglichkeit hat. Das kann im Einzelfall nicht immer ganz einfach zu ermitteln sein, da oft eine große Anzahl vom Vorhaben betroffen ist. Nicht berücksichtigt werden jedoch solche Betroffene, denen der Planfeststellungsbeschluss nicht oder fehlerhaft bekannt gegeben worden ist.15 Nach Ablauf der Frist tritt Erledigung i. S. v. § 43 Abs. 2 VwVfG durch Zeitablauf ein.16 Der Plan tritt dann automatisch außer Kraft, eine Entscheidung darüber ist nicht erforderlich, hätte nur deklaratorischen Charakter.17 Der Begriff des „Beginns der Durchführung des Plans“ ist in § 75 Abs. 4 S. 2 VwVfG näher definiert. Als Beginn der Durchführung des Plans gilt jede erstmals nach außen erkennbare Tätigkeit von mehr als nur geringfügiger Bedeutung zur plangemäßen Verwirklichung des Vorhabens. Dadurch wird die Frist aus § 9 Abs. 3 LuftVG unterbrochen. Eine Unterbrechung der Durchführungstätigkeiten führt allerding nicht dazu, dass die Frist erneut zu laufen beginnt.18 Zweck der Befristung ist zum einen, den von der Planungsentscheidung möglichen Betroffenen Rechtssicherheit zu geben und zum anderen eine Vorratsplanung zu verhindern.19 Im Luftverkehrsrecht besteht gemäß § 9 Abs. 3 LuftVG die Möglichkeit einer Verlängerung der Gültigkeit des Planfeststellungsbeschlusses von höchstens fünf Jahren. Der Antrag muss vom Vorhabenträger vor Ablauf der Zehnjahresfrist bei der Planfeststellungsbehörde gestellt werden. 12 Die zeitliche Geltungsdauer im LuftVG wurde 2006 mit dem „Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben“ vom 9.12.2006 (BGBL. I 2833) eingeführt. 13 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 94. 14 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK, Verwaltungsverfahrensgesetz, 47. Edition Stand 01.04.2020, § 75 Rn. 55. 15 Stoermer, Die Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen, NZV 2002, 303, 306, Link: https://beck-online .beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fnzv%2F2002%2Fcont%2Fnzv.2002.303.1.htm&pos=4&hlwords=on (zuletzt aufgerufen am 15.6.2020). 16 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 98. 17 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK Verwaltungsverfahrensgesetz, 47. Edition Stand 01.04.2020, § 75 Rn. 56. 18 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 75 Rn. 96. 19 Hermanns, Die Wirksamkeit von Planfeststellungsbeschlüssen als Maßstab ihrer Geltungsdauer, DÖV 2003, S. 714, Link: https://beck-onli-ne.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fdoev%2F2003%2Fcont%2Fdoev.2003.714.1.htm&pos=6&hlwords=on (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 7 Eine wiederholte Verlängerung von kürzeren Zeiträumen ist zulässig, soweit die Höchstdauer von fünf Jahren nicht überschritten wird.20 Die Entscheidung über den Antrag steht im Ermessen der Behörde. Diese prüft jedoch nicht den materiellen Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses und nimmt auch keine neue Abwägung vor. Maßgeblich allein ist, ob der Plan weitere fünf Jahre wirksam sein soll. Voraussetzung für eine Verlängerung ist zudem, dass das Vorhaben nicht aufgegeben worden ist, und dass es in der neuerlichen Frist von fünf Jahren verwirklicht werden kann. Vor der Entscheidung über die Verlängerung sind die durch die Planentscheidung Betroffenen anzuhören.21 3.2. Unwirksamkeit durch Funktionslosigkeit Die Regelungen zur zeitlichen Befristung von Planfeststellungsbeschlüssen schließen nicht aus, dass ein Plan auch wegen Funktionslosigkeit als unwirksam anzusehen sein kann.22 Jedoch gilt ein solcher Fall in der Fachplanung als selten.23 Ausreichend ist dafür nämlich nicht schon ein bloßes Untätigbleiben des Vorhabenträgers, sondern Funktionslosigkeit kommt nur dann in Betracht , „wenn aufgrund der tatsächlichen Entwicklung die Verwirklichung des Vorhabens auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen werden kann.“24 Wird ein Planfeststellungsbeschluss funktionslos , so verliert er seine Wirksamkeit kraft Gesetzes, hat sich i. S. v. § 43 Abs. 2 „auf andere Weise erledigt“.25 Ein luftverkehrsrechtlicher Planfeststellungsbeschluss kann durch den Widerruf der luftrechtlichen Betriebsgenehmigung und der dadurch erfolgten Entwidmung der Verkehrsanlage funktionslos werden.26 20 Vgl. Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz, 19. Auflage 2018, § 75 Rn. 62. 21 Hermanns, Die Wirksamkeit von Planfeststellungsbeschlüssen als Maßstab ihrer Geltungsdauer, DÖV 2003, S. 714, Link: https://beck-onli-ne.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fdoev%2F2003%2Fcont%2Fdoev.2003.714.1.htm&pos=6&hlwords=on (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020). 22 Vgl. Wysk, in: Kopp/Ramsauer (Hrsg.), VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz, 19. Auflage 2018, § 75 Rn. 60. 23 Hermanns, Die Wirksamkeit von Planfeststellungsbeschlüssen als Maßstab ihrer Geltungsdauer, DÖV 2003, S. 714, Link: https://beck-onli-ne.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fdoev%2F2003%2Fcont%2Fdoev.2003.714.1.htm&pos=6&hlwords=on (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020). 24 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, 47. Edition Stand 01.04.2020, § 75 Rn. 58 sowie BVerwG, Beschluss vom 26.06.1998 – 11 VR 4/98. 25 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 77 Rn. 8. 26 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, 47. Edition Stand 01.04.2020, § 77 Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 8 Wird die im Planfeststellungsverfahren zugrunde gelegte Verkehrsprognose nicht erreicht, so hat dies grundsätzliche keine Auswirkung auf die Wirksamkeit eines (bestandskräftigen) Planfeststellungsbeschlusses .27 Nach dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) kommt es nämlich nicht darauf an, ob sich die Prognose aus heutiger Sicht als richtig erweist, „sondern allein auf die Frage, ob die Prognose mit den seinerzeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln unter Berücksichtigung aller erheblichen Umstände einwandfrei erstellt wurde.“28 Denn wie bei allen planerischen Entscheidungen, die aufgrund von Prognosen getroffen werden, liegt es in der Natur der Sache, dass die zukünftige tatsächliche Entwicklung auf einer Einschätzung beruht. Mithin ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass die Prognose in einer der jeweiligen Materie angemessenen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet wurde. Auch nur dieser Aspekt ist letztlich von den Gerichten zu überprüfen, nicht aber derjenige, ob die Prognose die spätere tatsächliche Entwicklung bestätigt oder widerlegt.29 Das Bundesverwaltungsgericht hat lediglich in einer Entscheidung angemerkt, dass sich die Frage nach einem Funktionsloswerden ausnahmsweise dann stellen kann, wenn die tatsächliche Entwicklung von der in der Planfeststellung zugrunde gelegten Prognose in extremer Weise abweicht .30 3.3. Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses 3.3.1. Endgültige Aufgabe des Vorhabens Gemäß § 77 S.1 VwVfG hat die Planfeststellungsbehörde einen Planfeststellungsbeschluss aufzuheben , wenn ein Vorhaben, mit dessen Durchführung bereits begonnen wurde, endgültig aufgegeben wird. Damit findet die Regelung unmittelbar nur auf Vorhaben Anwendung, mit denen bereits begonnen wurde (sog. steckengebliebene Vorhaben). Jedoch wendet das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Vorschrift auch auf Fälle an, in denen mit der Durchführung des Vorhabens noch nicht begonnen wurde.31 Einer Aufhebung geht ein entsprechendes Verwaltungsverfahren voraus, dieses kann vom Vorhabenträger selbst oder aber durch die Behörde von Amts wegen eingeleitet werden. Möglich ist auch ein Anspruch Dritter auf Aufhebung.32 27 Hermanns, Die Wirksamkeit von Planfeststellungsbeschlüssen als Maßstab ihrer Geltungsdauer, DÖV 2003, S. 714, Link: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fdoev%2F2003%2Fcont%2Fdoev.2003.714.1.htm&pos=3&hlwords=on (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020). 28 BVerwG, Beschluss vom 17.12.2019 – 4 B 53.17. 29 BVerwG, Beschluss vom 17.12.2019 – 4 B 53.17. 30 BVerwG, Urteil vom 7.7.1978 - 4 C 79/76 u.a.. 31 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, 47. Edition Stand 01.04.2020, § 77 Rn. 1. 32 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 77 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 9 Maßgeblich für eine endgültige Aufgabe des Vorhabens ist der Wille des Vorhabenträgers, nicht, ob das Vorhaben objektiv unmöglich ist.33 Allein subjektive Aussagen des Vorhabenträgers genügen dabei nicht, vielmehr ist eine objektive Betrachtung und verständige Würdigung aller Umstände zugrunde zu legen.34 Bleiben Zweifel über den Aufgabewillen des Vorhabenträgers, so darf der Planfeststellungsbeschluss nicht aufgehoben werden35, bei Vorliegen der Voraussetzungen ist die Behörde aber zur Aufhebung verpflichtet (gebundene Entscheidung).36 Ein im Koalitionsvertrag einer Regierung beschlossenes und festgehaltenes Moratorium mit dem Inhalt, man werde den Ausbau eines Flughafens für die Dauer der Legislaturperiode nicht weiter verfolgen, dürfte keine endgültige Aufgabe des Vorhabens im Sinne von § 77 S.1 VwVfG darstellen , denn es wird gerade nur für einen begrenzten Zeitraum von der Durchführung des Vorhabens Abstand genommen.37 3.3.2. Rücknahme und Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses Neben der Aufhebung nach § 77 VwVfG kann ein Planfeststellungsbeschluss auch nach den allgemeinen Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten gemäß §§ 48,49 VwVfG, die eine Aufhebung auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit vorsehen, erfolgen. Der Anwendung steht dabei nicht § 77 VwVfG als Spezialvorschrift entgegen.38 Sie sind aber zurückhaltend und nur als „Ultima Ratio“ anzuwenden. Die Rücknahme nach § 48 VwVfG kommt von vorneherein nur in Betracht, wenn der Planfeststellungsbeschluss bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen ist.39 Ein Widerruf eines rechtmäßigen und bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses wäre gemäß § 49 VwVfG denkbar, unterliegt jedoch strengen Voraussetzungen. Gegenstand von Gerichtsentscheidungen ist insbesondere ein Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses nach § 49 Abs. 2 33 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 77 Rn. 6. 34 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, 47. Edition Stand 01.04.2020 § 77 Rn. 3. 35 Vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 77 Rn. 6. 36 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, 47. Edition Stand 01.04.2020, § 77 Rn. 4. 37 Anzumerken ist darüber hinaus, dass ein Moratorium in einem Koalitionsvertrag keine rechtliche Bindungswirkung haben dürfte, da es sich nach h.M. bei dem Inhalt eines Koalitionsvertrages lediglich um politische Absichtserklärungen handelt, die keinerlei Rechtswirkungen entfalten. Vgl. Leisner, Rechtswirkungen von Reformankündigungen im Koalitionsvertrag?, NJW 2010, 823 sowie Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG Kommentar, 9. Auflage 2018, § 1 Rn. 173. 38 BVerwG, Urteil vom 31.07.2012 - 4 A 7001/11, 4 A 7002/11, 4 A 7003/11; BVerwG, Urteil vom 21.05.1997 - 11 C 1/96. 39 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, 47. Edition Stand 01.04.2020, § 72 Rn. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 041/20 Seite 10 Nr. 3 VwVfG. Danach kann ein Widerruf erfolgen, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Das BVerwG lässt einen solchen Widerruf von Planfeststellungsbeschlüssen nur als „Ultima Ratio “ zu, wenn Schutzmaßnahmen nach § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG nicht ausreichend sind.40 Denn § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG ermöglicht gerade die Anordnung von entsprechenden Auflagen nachdem ein Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig geworden ist, darin liegt die erhöhte Bestandskraft eines Planfeststellungsbeschlusses.41 Darüber hinaus wäre auch ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG wegen Nichterfüllung einer Planauflage oder nach Nr. 5 zur Verhütung oder Beseitigung von schweren Nachteilen für das Gemeinwohl denkbar. Aber auch im Falle einer Rücknahme oder eines Widerrufes bedarf es einer behördlichen Entscheidung als Aufhebungsakt. Gemäß § 72 Abs. 1 VwVfG sind die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 51 VwVfG ausdrücklich nicht auf das Planfeststellungsverfahren anwendbar. Eine Aufhebung des Plans auf diesem Wege scheidet daher in jedem Fall aus. 3.4. Exkurs: Bürgerentscheid gegen ein planfestgestelltes Vorhaben Ein gegen das Vorhaben gerichteter, erfolgreicher Bürgerentscheid ändert zunächst nichts an der Wirksamkeit und Geltungsdauer eines Planfeststellungsbeschlusses, da er keinen rechtsgestaltenden Charakter hat. Verfahren und Auswirkungen von Bürgerentscheiden sind Gegenstand des Kommunalrechts und in den jeweiligen Gemeindeordnungen der Länder geregelt.42 Anzumerken ist jedoch, dass Bürgerentscheide in der Regel Bindungsfristen unterliegen. Nach Ablauf der Frist entfällt die Bindung und die Kommunalparlamente können neu oder anders über den Gegenstand des Bürgerentscheids entscheiden.43 *** 40 BVerwG, Urteil vom 28.04.2016 – 4 A 2/15. 41 BVerwG, Urteil vom 28.04.2016 – 4 A 2/15. 42 Siehe hierzu z.B.: Dziallas/Jäger, Der Bürgerentscheid in der kommunalen Praxis, KommJur 2016, 6, Link: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fkommjur%2F2016%2Fcont%2Fkommjur.2016.6.1.htm&pos=19&hlwords=on (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020). 43 Salaw-Hanslmaier/Möller, Direkte und repräsentative Demokratie, ZRP 2020, 77, Link: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fzrp%2F2020%2Fcont%2Fzrp.2020.77.1.htm&pos=4&hlwords=on (zuletzt aufgerufen am 15.06.2020).