© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 039/19 Chinas „Neue Seidenstraße“ Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 2 Chinas „Neue Seidenstraße“ Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 039/19 Abschluss der Arbeit: 28.03.2019 Fachbereich: WD 5 Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Quellenlage 4 2.1. Germany Trade & Invest (GTAI) 4 2.2. Bundesregierung 8 2.3. Friedrich Naumann Stiftung 8 2.4. Universität Heidelberg 11 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 4 1. Einleitung Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick zu Kooperationen von EU-Mitgliedsländern sowie potenziellen EU-Kandidatenländern im Rahmen des von China avisierten Projekts der „Neuen Seidenstraße“ (One Belt One Road-Initiative), einem Mammutprojekt, das Ost und West über massiven Infrastrukturausbau miteinander verbinden und zu einer riesigen Wirtschaftszone zwischen Asien und Europa führen soll1. Die folgenden Ausführungen stützen sich hierbei auf diverse Quellen, insbesondere auf umfangreiche Informationen der Germany Trade & Invest (GTAI) Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik Deutschland, die im Weiteren dargestellt werden. Weiterhin hat sich der Fachbereich PE 6 in einer Kurzinformation zur Haltung der Europäischen Union zum chinesischen Investitionsprojekt gesondert geäußert (PE 6 - 3000 - 032/19). 2. Quellenlage 2.1. Germany Trade & Invest (GTAI) Germany Trade & Invest (GTAI) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK) haben eine gemeinsame Studie2 mit dem Titel „Neue Seidenstraße – Chinas massives Investitionsprogramm “ 2018 erstellt. Die Studie führt einleitend wie folgt aus: „Das Konzept der Chinesen („Belt and Road Initiative“ – BRI) sieht eine riesige Wirtschaftszone zwischen Asien und Europa vor. Mehr als 60 Staaten in Asien, Afrika und Europa und damit fast zwei Drittel der Weltbevölkerung sind hieran beteiligt. Der Plan besteht aus zwei Haupttransportrouten von China nach Europa: Zum einen dem Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel („Belt“) über den Landweg; zum anderen die maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts („Road“) über den Seeweg. Genau wie bei der traditionellen Seidenstraße handelt es sich um ein Netzwerk von Routen, über das Waren per Straße, Eisenbahn oder Schiff zwischen Asien, Afrika und Europa transportiert werden können. Hierfür werden Gelder vor allem für den Ausbau der Transport- und Energieinfrastruktur bereitgestellt – die chinesische Regierung spricht bereits von 900 Milliarden US- Dollar für Projekte in Detailplanung oder Umsetzung. Auch für deutsche Firmen bieten sich hieraus kurz- bis langfristig Chancen für eine Beteiligung. China baut sein Netzwerk internationaler Verflechtungen in Form von Freihandels- und Investitionsschutzabkommen aus. Dabei stehen die Interessen der eigenen Industrie im Vordergrund. Seit ihrem Beitritt in die Welthandelsorganisation im Jahr 2001 hat die Volksrepublik mit 16 Ländern Freihandelsabkommen geschlossen. (…) Mit der Europäischen Union (EU) gibt es kein Freihandelsabkommen (und deshalb auch nicht mit Deutschland). Die Europäer wollen zuerst mit China ein Investitionsabkommen vereinbaren. Von dessen Zustandekommen machen sie die Aufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen abhängig. Dieses Investitionsabkommen soll sowohl den 1 Patrick Bessler, 2015, Chinas „neue Seidenstraße“: Zentralasien im Visier. https://www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_dok_pdf_43841_1.pdf/c7d8f97c-be3e-bd86-a4aa- 288a7222d42c?version=1.0&t=1539651393533 (letzter Abruf: 28.03.2019) 2 Germany Trade & Invest (GTAI), 2018, Neue Seidenstraße – Chinas massives Investitionsprogramm. https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/Specials/special-neue-seidenstrasse.html (letzter Abruf : 28.03.2019) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 5 Themenbereich Investitionsschutz (wie Sicherung des Unternehmensvermögens, des Gewinntransfers , Vereinbarung eines Streitschlichtungsmechanismus) umfassen als auch den Bereich Marktzugang für Investitionen. Mit einem baldigen Abschluss ist nicht zu rechnen, zu viele Fragen sind kontrovers. Deutsche Firmen behelfen sich deshalb zunehmend damit, dass sie, wenn sie im Rahmen einer "China plus 1"-Strategie außerhalb Chinas in anderen asiatischen Ländern zusätzliche Produktionskapazitäten aufgebaut haben, Waren zollfrei oder -vergünstigt von den Unternehmensstandorten dort nach China einführen. Voraussetzung ist dabei natürlich, dass diese Länder bereits ein Freihandelsabkommen mit China abgeschlossen haben. Dies sei besonders in Vietnam, Thailand und Malaysia zu beobachten sowie mit Abstrichen in den Philippinen, weiß Jens Hildebrandt, Delegierter der Deutschen Auslandshandelskammer Beijing. Umgekehrt zeigt allerdings das Beispiel Deutschland, dass sich auch ohne Freihandelsabkommen eifrig Handel treiben lässt. Tatsächlich ist auch das deutsch-chinesische Außenhandelsvolumen zwischen 2008 und 2018 nominell um fast 80 Prozent gewachsen ; China nahm wertmäßig 2018 fast 90 Prozent mehr Waren ab als 2008. Offensichtlich erleichtert ein Freihandelsabkommen manches - doch es geht auch ohne.“ Entwicklung des Außenhandels zwischen China und Deutschland (in Mrd. US$) 2008 2015 2016 2017 2018 Importe aus Deutschland 55,8 87,6 86,1 96,9 106,3 Exporte nach Deutschland 59,2 69,2 65,3 71,1 77,5 Gesamthandel 115,0 156,8 151,4 168,0 183,8 Quelle: Chinesische Zollstatistik https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Recht-Zoll/Zoll/freihandelsabkommen,t=china-setzt-weiterauf -freihandelsabkommen,did=2235582.html (letzter Abruf: 28.03.2019) GTAI benennt und beziffert im Rahmen der Seidenstraßeninitiative Projekte in den folgenden EU-Mitgliedsstaaten: Griechenland Die chinesische Seidenstraße nach Europa führt über Griechenland, Hafengesellschaften , Flughäfen und Energieprojekte im Fokus chinesischer Firmen (Anlage 1) https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche,t=die-chinesischeseidenstrasse -nach-europa-fuehrt-ueber-griechenland,did=1809486.html (letzter Abruf: 28.03.2019) Ungarn Ungarn will von Chinas Seidenstraßeninitiative profitieren, Bahnstrecke Belgrad- Budapest soll modernisiert werden. Ungarn schreibt Bahnstrecke Richtung Belgrad aus, Finanzierung durch Kredit Chinas (Anlage 2). https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche,t=ungarn-willvon -chinas-seidenstrasseninitiative-profitieren,did=1815456.html (letzter Abruf: 28.03.2019) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 6 Polen Zentralpolen will von neuer Seidenstraße profitieren, Verkehrsknoten soll Hub für den Handel mit der VR China werden / Sonderwirtschaftszone von Lodz plant Verladestation (Anlage 3). https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche,t=zentralpolenwill -von-neuer-seidenstrasse-profitieren,did=1780162.html (letzter Abruf: 28.03.2019) Slowenien Investitionen für Flughafen Maribor angekündigt, Vorvertrag mit einer chinesischen Baufirma unterzeichnet (Anlage 4). https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche,t=investitionenfuer -flughafen-maribor-angekuendigt,did=1828424.html (letzter Abruf: 28.03.2019) Ein in der Zeit Online 2017 erschienener Artikel verweist in diesem Zusammenhang auf einzelne Direktinvestitionen chinesischer Firmen in der Europäischen Union in Verbindung mit dem im Jahre 2012 in Warschau ins Leben gerufenen Forum 16+1 wie folgt: „Im Jahr 2012 wurde das Forum 16+13 in Warschau ins Leben gerufen. Ihm gehören 16 europäische Staaten an, alle aus Ost- und Südosteuropa, plus China. Es gibt jährliche Gipfeltreffen, ein Sekretariat, jedes Land hat einen Vertreter im Forum. Ein gar nicht so loses Bündnis also, mit einer klaren informellen Hierarchie: China ist der Chef. In Brüssel ist man darüber durchaus besorgt, nicht zuletzt weil das 16+1-Forum für die EU ein schwierig zu handhabendes Gebilde ist. >Es hat einen hybriden Charakter <, sagt ein Beamter des Auswärtigen Dienstes der EU, >denn es sind Mitglieder der EU dabei sowie Nichtmitglieder. Das ist schwer zu fassen.< Von den 16 europäischen Staaten sind elf EU-Mitglieder, fünf sind nicht Teil der EU, namentlich die Westbalkanstaaten, die seit vielen Jahren schon im Wartesaal der Union verharren. Natürlich sei man froh über Investitionen, so der EU-Diplomat. Solange sich die chinesischen Investoren an die in der EU geltenden Regeln hielten, könne man nichts beanstanden. (…) Die Herausforderung des 16+1-Forums ist für die EU auch deshalb besonders groß, weil China ein völlig anderes politisches System hat, das für manche autoritäre Regierung in Osteuropa durchaus eine Versuchung darstellen könnte.“4 3 Anmerkung des Verfassers der Dokumentation: EU-Mitgliedsländer: Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen , Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn sowie den Nicht-EU-Mitgliedsländer : Albanien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Serbien. http://ceec-china-latvia.org/ (letzter Abruf: 28.03.2019) 4 Zeit Online, 20.09.2017, China: Habe Geld, suche Einfluss. https://www.zeit.de/2017/39/china-investitionen-einfluss-europa/komplettansicht (letzter Abruf: 28.03.2019) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 7 Drei weitere Presseartikel beschäftigen sich explizit mit der aktuell beschlossenen Teilnahme Italiens , dem ersten Gründungsmitglied der EU und erstem G-7-Staat, an der Seidenstraßeninitiative : FAZ, 25.03.2019, Xi auf Staatsbesuch: Europas Drahtseilakt im Umgang mit China. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/umgang-mit-china-europa-balanciert-16106058.html (letzter Abruf: 28.03.2019) Zeit Online, 23.03.2019, EU und China: Italien schließt sich Vertrag zur Neuen Seidenstraße an. https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-03/italien-china-neue-seidenstrasse-vertrag (letzter Abruf: 28.03.2019) Zeit Online, 22.03.2019, EU und China: Italien will die Seidenstraße. https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/eu-china-italien-xi-jinping-rahmenabkommen-seidenstrasse (letzter Abruf: 28.03.2019) Ergänzende GTAI-Beiträge zur „Neuen Seidenstraße“ sind den folgenden Anlagen zu entnehmen: GTAI, 2018, China im Fokus - Neue Seidenstraße (Anlage 5). https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/im-fokus,t=china-im-fokus-- neue-seidenstrasse,did=1860390.html (letzter Abruf: 28.03.2019) GTAI, 2017, Eurasische Transportkorridore - Ausbau der Transitwege zwischen China und Europa (Anlage 6). https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/im-fokus,t=eurasische-transportkorridore --ausbau-der-transitwege-zwischen-china-und-europa,did=1734844.html (letzter Abruf: 28.03.2019) GTAI, 2017, Eurasische Transportkorridore – Infrastrukturprojekte in der Region – Chancen für deutsche Unternehmen, Webinar, 11. Oktober 2017 (Anlage 7). https://www.gtai.de/GTAI/Content/DE/Trade/Maerkte/Special/Eurasische-Transportkorridore /praesentation-webinar.pdf?v=2 (letzter Abruf: 28.03.2019) GTAI, 2018, Studie: China in Afrika - Perspektiven, Strategien und Kooperationspotenziale für deutsche Unternehmen (Anlage 8). https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/allgemeine-broschueren,t=studie -china-in-afrika--perspektiven-strategien-und-kooperationspotenziale-fuer-deutscheunternehmen ,did=2167494.html (letzter Abruf: 28.03.2019) Weitere Projekte im asiatischen und afrikanischen Raum können der GTAI-Projektdatenbank entnommen werden: Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 8 GTAI Projektdatenbank https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Meta/Formulare/suche.html?alertSearch =false&boost=&dateFrom=&dateTo=&facets%5BbusinessArea%5D=contentbean %3A240&conjunctionbusinessArea=&facets%5Brubric%5D=contentbean%3A204772&conjunctionrubric =&formId=412&hitsPerPage=10&searchTerm=seidenstra %C3%9Fe*&sort=date_desc (letzter Abruf: 28.03.2019) Abschließend wird auf das aktuelle Webinar (Webseminar) "Chinas neue Seidenstraße - Welche Chancen bieten die Projekte der Initiative?" von Germany Trade & Invest am Donnerstag, 4. April 2019, 16-17 Uhr, verwiesen, bei dem Geschäftschancen aus den geplanten Projekten für deutsche Unternehmen analysiert und Beteiligungsmöglichkeiten dargelegt werden. https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/Webinar/webinar,t=chinas-neue-seidenstrasse --welche-chancen-bieten-die-projekte-der-initiative,did=2222584.html (letzter Abruf: 28.03.2019) 2.2. Bundesregierung Aktuelle Positionen der Bundesregierung zur Thematik sind u.a. folgenden Antworten auf Kleine Anfragen zu entnehmen: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Carl-Julius Cronenberg, Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP –BT- Drucksache 19/6759 – Einfluss Chinas auf EU-Beitrittskandidaten in Südosteuropa, BT- Drucksache 19/7371 v. 25.01.2019 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/073/1907371.pdf (letzter Abruf: 28.03.2019) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Renata Alt, Alexander Graf Lambsdorff, Nicole Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – BT-Drucksache 19/7107 – Modernisierung europäischer Infrastruktur im Rahmen der One-Belt- One-Road- Initiative, BT-Drucksache 19/7707 v. 13.02.2019 https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/077/1907707.pdf (letzter Abruf: 28.03.2019) 2.3. Friedrich Naumann Stiftung Die Friedrich Naumann Stiftung schildert in einer 2018 erschienenen Analyse die Festigung des chinesischen Einflusses im Kontext des 16+1 Gipfels zwischen China und den Staaten Mittelund Osteuropas in Sofia und bemerkt hierzu: „Seit 2012 nutzt China dieses Forum, um einen alternativen Kommunikationsweg zum stark westeuropäisch geprägten und in Teilen deutlich chinakritischen Kurs innerhalb Europas zu eröffnen. In einigen teilnehmenden Mitgliedsstaaten wird es als Aufwertung zu einem ebenbürtigen Partner Chinas gesehen, der in westeuropäischen Staaten als gegeben angesehen wird. Hinzu kommen die enormen Finanzmittel, die China den 16 Staaten in Aussicht stellt. Allein 2016 und 2017 beliefen sich die Investitionen Chinas auf etwa 9,4 Mrd. $, wovon etwas mehr als die Hälfte den Staaten des westlichen Balkans zugutekam . Besonders attraktiv sind dabei Infrastrukturprojekte und Kredite, die ohne die lang- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 9 wierigen Ausschreibungsverfahren der EU-Mittel auskommen. Die großzügig gehandhabten Vergabekriterien ermöglichen eine Art „strategische Korruption“, die direkt oder indirekt ein Stützinstrument von Regimen sein können. Dieser Verdacht kommt vielen Beobachtern etwa bei einem Kredit für ein Eisenbahnprojekt in Höhe von 1,7 Mrd. € in Ungarn von der chinesischen Bank für Entwicklungsländer. Mit diesem Mitteln schafft China sich einen Gürtel von wohlgesonnenen Ländern, mit deren Hilfe Einfluss auf die EU genommen werden kann und die Union intern weiter zu spalten vermag. Insbesondere die fragile politische Lage in Osteuropa und insbesondere auf dem Westlichen Balkan lädt dazu ein, die neue Seidenstraße ohne Umleitung über Brüssel zu planen. Auch in Mitteleuropa baut China seine Position aus. Neben Krediten für größere Infrastrukturprojekte in Ungarn, wo unter Viktor Orbán ein besonders günstiges Klima herrscht, ist vor allem Tschechien das Hauptziel strategischer Investitionen und Einflussnahme . 2015 versprach China ein Investitionsprogramm von 3,5 Milliarden Euro. Dank China würde das Land nun gegenüber anderen, nicht postkommunistischen EU- Ländern wirtschaftlich aufholen. Heute wissen wir: Einen Aufschwung durch chinesisches Geld gab es nie. Die Investitionen beschränkten sich im Wesentlichen darauf, Anteile bestehender Firmen aufzukaufen und keine neuen zu gründen. Darunter waren auffallend viele Medienunternehmen, etwa die „Médea Group“ und die „Empresa Media“, zu der der Fernsehsender TV Barrandov gehört, der besonders gerne chinafreundlichen und populistischen Politikern aller Couleur das Wort gibt - allen voran Staatspräsident Miloš Zeman, der sogar eine eigene Sendung hat. China und das tschechische Wirtschaftsministerium haben ein gemeinsames chinesisch-tschechisches Zentrum gebildet, das von tschechischer Seite fast ausschließlich von Lobbyisten chinesischer Konzerne besetzt ist. Viele von ihnen stammen aus dem Umfeld des populistischen Präsidenten Zeman. China geht es bei seinen groß angelegten Aktivitäten nicht nur um bloße wirtschaftsexpansive, sondern auch um politische Ziele. In der tschechischen Tibetpolitik bewirkte das Investititonspaket eine radikale Umkehr, die über das hinausgeht, was sonst in der EU üblich ist. Die Regierung machte sich aber gleich die aggressive Haltung der Volksrepublik, der Dalai Lama sei Sezessionist und Verräter, zu eigen. Außenminister Lubomír Zaorálek verglich ihn sogar mit dem Nazi-Sudetenführer Konrad Henlein. Bei der schwierigen Regierungsbildung seit den Parlamentswahlen Ende 2017 versuchte Präsident Zeman vor kurzem aggressiv, „seinen“ Kandidaten für das Amt des Außenministers , Jan Kohout, durchzusetzen, der als Präsident des New Silk Road Institutes primär ein Chinalobbyist ist. Dies konnte vom amtierenden Ministerpräsidenten Andrej Babiš gerade noch verhindert werden. Auf den ersten Blick erscheint der Westbalkan als nicht sonderlich attraktiv für chinesische Investments. Zu klein sind die Märkte der Staaten, zu gering die hiesige Kaufkraft. Wie man aber 2015 auch in der EU feststellen musste, sind die hiesigen Staaten ein wichtiger Transitkorridor, der das Mittelmeer mit Zentral- und Westeuropa verbindet und daher auch wichtig als Endpunkt für Chinas OBOR-Initiative. Im Westen Belgrads befindet sich Chinas erstes großes Infrastrukturprojekt in Europa: die 2014 für 170 Millionen Euro durch die staatliche Exim Bank finanzierte Pupinbrücke über die Donau. Das Bauwerk spiegelt die typische Vorgehensweise Pekings bei Investitionen im Westbalkan wider. Im Unterschied zur Europäischen Union vergibt China über staatliche Banken direkte Kredite zum Bau von Infrastrukturprojekten – hauptsächlich im Bereich Transport und Energie. Unter anderen finanziert Peking die Zugstrecke zwischen Budapest und Belgrad, die Autobahn von der montenegrinischen Küste nach Serbien und Kohlekraftwerke in Bosnien. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 10 Die benötigten Kredite finanzieren in der Regel ca. 85 Prozent der Gesamtkosten und kommen mit einer langen Laufzeit (ca. 20 Jahre) und geringen Zinsen von um die zwei Prozent . Auf öffentliche Vergabeverfahren, wie von der EU vorgeschrieben, wird dabei verzichtet . Da können es die Entscheidungsträger auch verschmerzen, dass chinesisches Equipment und Arbeitskraft als Auflage des Kreditgebers gleich mit eingekauft werden. Mit der Verschuldung kommen auch erste Anzeichen, dass sich Staaten der Region mit allzu harscher Kritik am Regime in Peking zurückhalten. Das Handelsvolumen zwischen China und den einzelnen Staaten wächst rapide. Für Bosnien -Herzegowina und Montenegro ist China bereits drittgrößter Handelspartner. Der politische Einfluss Pekings dürfte in der Region höher sein als je zuvor. Dennoch bleibt die EU der mit Abstand größte Wirtschaftspartner (ca. 75 Prozent des Handelsvolumens) und Quelle ausländischer Direktinvestitionen. Die sozialen und kulturellen Verbindungen sind ungleich stärker, was die EU zum attraktivsten Auswanderungsziel macht. Einige Analysen besagen, dass der chinesische Einfluss ohnehin nur so stark - von einem geringen Niveau - wachsen konnte, weil Europa sich lange Zeit mit sich selbst, statt mit der unmittelbaren Nachbarschaft beschäftigt hat. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die neue Brüsseler Westbalkan-Strategie zu einer Trendwende führen kann. China ist aber auch kein politischer Spoiler in der Region, der die Länder vom Pfad in Richtung EU abbringen möchte. Es existieren keine hochrangigen strategischen und sicherheitspolitischen Interessen seitens Peking. China schafft keine Fakten wie im Südchinesischen Meer und betrachtet den Westbalkan auch nicht als Einflusssphäre wie den Indischen Ozean. Auf lange Sicht könnten die Kredite den Staaten der Region allerdings auf die Füße fallen, wenn diese nicht bedient werden können. Damit bekäme China einen politischen Hebel in die Hand, den es in anderen Ländern Asiens bereits zu nutzen wusste. (…) Daneben sind große Investitionsprojekte bisher nur Wunschdenken. Das könnte sich jedoch nach dem 16+1-Gipfel ändern. Laut Wirtschaftsminister Emil Karanikolov hat die Bulgarische Entwicklungsbank mit chinesischen Finanzinstituten 2017 Kreditverträge im Wert von mehr als 100 Millionen Euro unterzeichnet. So habe man mit der China Development Bank im Jahr 2017 einen Kreditvertrag in Höhe von 80 Millionen Euro unterzeichnet, der Projekte in Bulgarien in den Bereichen Verkehr, erneuerbare Energien, Bauwesen, Landwirtschaft, Industrie und andere Sektoren unterstützen soll. Das Ministerium für regionale Entwicklung und öffentliche Arbeiten verhandelt mit potenziellen chinesischen Investoren , die an Investitionen in Straßeninfrastrukturprojekte auf dem Territorium Bulgariens interessiert sind. Grundlage hierfür ist ein von der bulgarischen Regierung genehmigtes Rahmenabkommen. Hinzu kommen Gespräche über Investitionen in der Landwirtschaft Bulgariens, zu denen im Zuge des Gipfels eine neue Vereinbarung erwartet wird. Für die regelmäßig wegen der schlechten Performance in den Bereichen Justiz und Korruptionsbekämpfung in der Kritik stehende bulgarische Regierung sind chinesische Investitionen – insbesondere in der Infrastruktur – eine willkommene Alternative zu den EU- Strukturmitteln. Um sich dem wachsamen Blick der europäischen Institutionen zu entziehen , könnten chinesische Kredite den mutmaßlich wenig wirtschaftlichen und in zweifelhaften Vergabeverfahren vergebenen Infrastrukturprojekten zu neuer Blüte verhelfen. Das würde wiederum dem stark oligarchisierten System nutzen, es weiter zementieren. Für Rumänien ist China bereits jetzt der achtgrößte Handelspartner. Das Land investiert insbesondere in den Bereichen Energie, Informationstechnologie und in der Automobilindustrie . Zwar ist der chinesische Anteil an ausländischen Direktinvestitionen im niedrigen einstelligen Prozentbereich, dennoch sind auch hier deutliche Veränderungen zu erwar- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 11 ten, etwa durch die Unterzeichnung des Kooperationsabkommens des Schwarzmeerhafens von Constanta mit dem chinesischen Hafen Ningbo Zhoushan. Dies wird als möglicher erster Schritt gesehen, die neue Seidenstraße über das Schwarze Meer zu leiten. Der Handyhersteller Huawei hat unlängst zehn Millionen € in sein Global Service Centre investiert . Darüber hinaus ist China an der Übernahme und am Bau von Kernreaktoren in Rumänien und Bulgarien interessiert. Während Europa in einer tiefen Krise über seine Zukunft diskutiert, schafft China in Osteuropa mit Milliardeninvestitionen Fakten. Insbesondere mit der frühesten Beitrittsperspektive für Serbien und andere Staaten 2025 wächst dort die Frustration und damit die Offenheit für Alternativen, die China für sich zu nutzen weiß. Dabei wird China in Osteuropa , wie auch in Zentralasien zu sehen, stärker in Konkurrenz mit Moskau treten und hat dabei wirtschaftlich deutlich mehr zu bieten. Seine bedingungslose Kreditpolitik, ohne Rücksicht auf demokratische oder rechtsstaatliche Rahmenbedingungen, macht es dabei besonders für die lokalen Korruptions- und Oligarchennetzwerke interessant. Der weiteren Demokratisierung würde damit ein weiterer Stein in den Weg gelegt. Zeitgleich hat das klassische „Divide et Impera“ ein chinesisches Pendant und Tradition in der traditionellen chinesischen Außenpolitik. Ein Europa mit einer Stimme in der Chinapolitik wird mit Blick auf die Milliardeninvestitionen immer unwahrscheinlicher. Dem gegenüber scheint Trumps Chinapolitik, die hart die eigenen Interessen vertritt, erfolgreicher. Auch die Erfahrungen vieler anderer Länder und Unternehmen in China belegen deutlich: In Peking wird Stärke honoriert. Wollen die EU-Staaten von China ernst genommen werden, müssen sie selbstbewusst eigene Interessen gegenüber Peking verfolgen und dies gemeinsam als gewichtige Europäische Union tun.“5 2.4. Universität Heidelberg Sebastian Harnisch bemerkt in einem 2017 der Zeitschrift „Asien“ der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde, e.V. veröffentlichten Beitrag: „ - Erstens ertüchtigen chinesische Infrastrukturkredite politische Akteure innerhalb der EU und ihrer Nachbarschaft, die, wie der serbisch-bosnische Politiker Dodik, EU-Normen oder EU Beitrittsanforderungen nach einer verbesserten Regierungsführung abwehren wollen . Die unmittelbare Folge ist, dass die chinesische Investitionstätigkeit in direkten Widerspruch zu EU-Normen und bspw. auch der EU-Beitrittsstrategie für die Balkanstaaten geraten kann bzw. geraten ist (Karnitschnig 2017). - Zweitens führt die auf Kredit basierte chinesische Infrastruktursanierung in vielen mittelosteuropäischen Staaten dazu, dass günstigere EU-finanzierte Programme (aufgrund des Schenkungsanteils) mit strengeren Implementationsregeln nicht mehr so nachgefragt werden. Auf diese Weise geraten chinesische kreditbasierte Programme kurzfristig in einen direkten regulatorischen Wettbewerb mit EU-Programmen. Langfristig führt die höhere Verschuldung dieser zentral- und osteuropäischen Staaten aber auch dazu, dass die 5 Friedrich Naumann Stiftung, 2018, China: Pekings Griff nach Osteuropa, Wie China seinen Einfluss auf Europa ausweitet. https://www.freiheit.org/pekings-griff-nach-osteuropa (letzter Abruf: 28.03.2019) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 039/19 Seite 12 Volksrepublik China einen wirtschaftlichen Hebel besitzt, um einzelne Staaten oder Staatengruppen in außenpolitischen Fragen gefügig zu machen. - Schließlich werden drittens durch chinesische Investitionen auch innerhalb der EU neue politikökonomische Verteilungskonflikte ausgelöst. So wurde in Berlin aufmerksam im Jahre 2017 beobachtet, wie sich einige von der Eurokrise betroffenen südlichen Mitgliedsländer (u.a. Griechenland, Portugal, Malta), die zur Konsolidierung ihrer Ökonomien umfänglich chinesische Investitionen nutzten, europapolitisch Positionen vertraten und Entscheidungen im chinesischen Interesse blockierten, sodass eine gemeinsame kritischere Haltung der EU gegenüber der Volksrepublik in wichtigen Einzelfragen nicht zustande kam (Cerulus/Hanke 2017). Die Folge dieser Wahrnehmung einer „Teile-und-Herrsche -Strategie“ durch die chinesische Regierung war, dass der deutsche Außenminister Ende August 2017 in ungewöhnlich deutlichen Worten China aufforderte, Europa nicht zu spalten und eine „Ein-Europa-Politik zu praktizieren“, schließlich habe die EU sich ja auch bereitgefunden, eine „Ein-China-Politik“ zu verfolgen (Euractiv 2017).“ 6 Ein bereits 2015 erschienener Beitrag des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) verdeutlicht nochmals die Konkurrenzsituation zwischen der Seidenstraßeninitiative Chinas und der transeuropäischen Infrastrukturpolitik: Margot Schüller/Yun Schüler-Zhou, 2015, Chinas Seidenstraßen-Initiative trifft auf transeuropäische Infrastrukturpolitik, German Institute of Global and Area Studies (GIGA), GIGA Focus Nr. 8/2015 https://www.giga-hamburg.de/en/system/files/publications/gf_asien_1508_0.pdf (letzter Abruf: 28.03.2019) *** 6 Sebastian Harnisch, 2017, Deutschlands Politik gegenüber der Belt-and-Road-Initiative der Volksrepublik China 2013-2018, Beitrag für die Zeitschrift „Asien“ der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde, e.V. https://www.uni-heidelberg.de/md/politik/harnisch/person/publikationen/harnisch_deutschlands_reaktion _auf_die_seidenstrasseninitiativen_zeitschrift_asien.pdf (letzter Abruf: 28.03.2019)