© 2017 Deutscher Bundestag WD 5 – 3000 – 039/17 Zulassung von Tierarzneimitteln mit dem importierten Wirkstoff PMSG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 2 Zulassung von Tierarzneimitteln mit dem importierten Wirkstoff PMSG Aktenzeichen: WD 5 - 3000 – 039/17 Abschluss der Arbeit: 19. Mai 2017 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Welche Bedingungen werden an die tierschutzrelevante Produktion eines (Tier-) Arzneimittels bei der Zulassung für den deutschen Markt gestellt? 5 3. Hat die Bundesregierung die Möglichkeit, ein (Tier-) Arzneimittel mit der Begründung zu verbieten, dass es nicht nach medizinischer Indikation eingesetzt wird, sondern der Optimierung des Betriebsablaufs dient? 7 4. Ist ein (Tier-) Arzneimittel, das der Optimierung des Betriebsablaufs dient als Hilfs- oder Betriebsstoff zu werten? Welche Bedingungen werden an die Zulassung von Hilfs- oder Betriebsstoffen für die Tierhaltung gestellt? 8 5. Ist es nach dem Tierarzneimittelrecht zulässig, dass Hormonpräparate nicht nur in medizinisch indizierten Einzelfällen, sondern „serienmäßig“ bei vielen Tieren eingesetzt werden, damit die Betriebsabläufe optimiert werden? 9 6. Exkurs: Reaktionen aus der Schweiz und den Niederlanden 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 4 1. Einleitung Hintergrund der nachfolgenden Fragen ist der Einsatz des aus dem Blutserum trächtiger Stuten zur Herstellung von Tierarzneimitteln gewonnene Hormon Pregnant Mare Serum Gonadotropin (PMSG) zur Tierzucht. Es wird zuweilen auch Pferdeserum genannt und in der Fachliteratur wegen der Ähnlichkeit zum Human Chorionic Gonadotropin (hCG) als Equines Chorionic Gonadotropin (eCG) bezeichnet. PMSG wird nach Medienberichten vor allem in Südamerika unter zum Teil tierschutzwidrigen Umständen gewonnen und in die Europäische Union importiert.1 PMSG ist ein Wirkstoff in Tierarzneimitteln, der u.a. zur Stimulation und Synchronisation des Brunstzyklus insbesondere bei Schweinen, aber auch bei Wiederkäuern eingesetzt wird.2 Nach aktuellen Angaben der Bundesregierung sind in Deutschland sechs Tierarzneimittel mit dem Wirkstoff PMSG zugelassen. Über den Zeitraum 1. Februar 2013 bis 31. Januar 2016 sollen – und hier beruft sich die Bundesregierung auf Angaben des BVL - „schätzungsweise 3,8 Millionen (3.798.998) Einzeldosen zur Behandlung von Schweinen eingesetzt“ worden sein.3 Während das Europäische Parlament (EP)4 sich für ein Importverbot von PMSG einsetzt, plant die EU-Kommission derzeit kein solches Verbot. Vytenis Andriukaitis äußerte im Namen der 1 http://www.mdr.de/fakt/pferdeblut-hormongewinnung-100.html; https://www.srf.ch/sendungen/kassensturzespresso /themen/umwelt-und-verkehr/neue-pferdequaelerei-stuten-leiden-fuer-unser-schweinefleisch 2 bpt-Stellungnahme zum Einsatz von PMSG in der Nutztierpraxis und der Gewinnung des Stutenhormons auf südamerikanischen Pferdefarmen. 14. April 2016. 3 Antwort der Bundesregierung vom 5. Mai 2017 auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Pregnant Mare Serum Gonadotropin (PMSG) – Produktion, Zulassung und Einsatz. BT-Drs. 18/12251 vom 5. Mai 2017. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/122/1812251.pdf 4 Siehe hierzu: Reporting the EU - Spring 2017. Import ban on hormone from ‘blood farms’ is yet to be addressed by the European Commission. http://eureporting2017.mediajungle.dk/2017/03/09/import-ban-on-hormonefrom -blood-farms-is-yet-to-be-addressed-by-the-european-commission/ Europäisches Parlament (2017). Verantwortliche Haltung und Pflege von Equiden Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 2017 zu der verantwortliche Haltung und Pflege von Equiden (2016/2078(INI)). P8_TA-PROV(2017)0065. http://www.europarl.europa.eu/RegData/seance_pleniere/textes_adoptes/provisoire /2017/0065/P8_TA-PROV(2017)0065_DE.pdf Siehe auch: Änderungsvorschlag des EP vom 10. März 2016 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Tierarzneimittel (COM(2014) 558 final): Abänderung 314. Erwägung 52 a (neu). Geänderter Text: „Um sicherzustellen, dass aus Drittstaaten eingeführte Tierarzneimittel, Wirkstoffe, Zwischenprodukte und als Ausgangsstoff verwendete Hilfsstoffe nach den in der Union geltenden Tierschutznormen hergestellt werden, was beispielsweise nicht auf die derzeit in Drittstaaten angewendete Methode zur Herstellung von „Pregnant Mare Serum Gonadotropin“ (PMSG) zutrifft, sollte die Kommission die Richtlinie 91/412/EWG überarbeiten und Tierschutznormen in die Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Tierarzneimittel aufnehmen.“ (P8_TA-PROV(2016)0087 Tierarzneimittel ***I Abänderungen des Europäischen Parlaments vom 10. März 2016 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Tierarzneimittel (COM(2014)0558 – C8-0164/2014 – 2014/0257(COD))1 (Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: erste Lesung). http://www.europarl.europa.eu/RegData/seance_pleniere/textes _adoptes/provisoire/2016/03-10/0087/P8_TA-PROV(2016)0087_DE.pdf) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 5 Kommission am 10. April 2017 Folgendes: „1. Die EU-Handelspolitik für Einfuhren in die Europäische Union entspricht den Vorschriften der Welthandelsorganisation (WTO). Sämtliche Tierschutzstandards, die den Handelspartnern von der EU auferlegt werden, müssen den WTO-Vorschriften entsprechen (z. B. Vorschriften über die Nichtdiskriminierung zwischen Ländern mit gleichen Voraussetzungen, Transparenz und Normen auf wissenschaftlicher Grundlage) und sich auf Kontrollen bzw. Zertifizierung im ausführenden Drittland stützen. Die Tierschutzstandards zum Einsatz von Tieren in Forschung und Bildung („Use of animals in research and education“) der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) umfassen zum Zwecke der Arzneimittelherstellung gehaltene Stuten und enthalten Anweisungen für die Mitgliedsländer der OIE.[5] 2. Die Aktualisierung des EU-Leitfadens für die gute Herstellungspraxis (GMP) wird im Rahmen der laufenden Gespräche über den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über Tierarzneimittel diskutiert. Jedoch bezieht sich der GMP-Leitfaden für Human- und Tierarzneimittel der EU bereits auf die derzeit geltende Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für experimentelle und wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. 3. Die Kommission plant derzeit kein Einfuhrverbot des Hormons PMSG.“6 2. Welche Bedingungen werden an die tierschutzrelevante Produktion eines (Tier-) Arzneimittels bei der Zulassung für den deutschen Markt gestellt? In Deutschland ist das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG)7 sowohl für Human- als auch für Veterinärarzneimittel einschlägig. Zweck des AMG ist die Sicherung der Qualität, der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit der Arzneimittel, § 1 AMG. 5 Der Tierschutzbund Zürich weist in diesem Zusammenhang auf Folgendes hin: „Die Richtlinien der OIE und der europäischen Behörde für Verbraucherschutz SANCO werden nur für die Fleischproduktion angewendet. Für die Herstellung eines tierischen Nebenproduktes, darunter fällt das Blutserum , gibt es keine Gesetze. (…) Die Herstellung von PMSG wäre in Europa aus rechtlichen und finanziellen Gründen kaum möglich.“ http://dossier.tierschutzbund-zuerich.ch/de/produktion-von-pmsg-in-argentinienund -uruguay.html 6 Anfrage zur schriftlichen Beantwortung E-000836/17 an die Kommission von Franz Obermayr (ENF) (6. Februar 2017). Antwort von Vytenis Andriukaitis im Namen der Kommission (10. April 2017)http://www.europarl.europa .eu/RegData/questions/reponses_qe/2017/000836/P8_RE(2017)000836_EN.pdf 7 In der jeweils geltenden Fassung. BGBl I 2005, 3394; zuletzt geändert durch Art. 45 des Gesetzes vom 29.3.2017 I 626. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 6 Die behördliche Zulassung für ein Tierarzneimittel erfolgt nach Prüfung der Wirksamkeit, der Unbedenklichkeit für das Zieltier, den Anwender und die Umwelt sowie nach Prüfung der Qualität .8 Die Zulassung eines Tierarzneimittels liegt in der Zuständigkeit des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), § 77 Abs. 3 AMG.9 Das AMG enthält für die Zulassung eines (Tier-) Arzneimittels keine tierschutzrelevanten Regelungen . Für die Gewinnung von Wirkstoffen in Deutschland gilt u. a. die nachfolgende nationale Regelung : Gemäß § 8 Abs. 1 der Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft – AMWHV (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung)10, die mehrere EU-Richtlinien umsetzt, ist der Gesundheitszustand von Tieren, die für die Herstellung von Arzneimitteln oder Wirkstoffen gehalten werden, von einem Tierarzt fortlaufend zu kontrollieren. § 8 Abs. 1 AMWHV lautet wie folgt: „(1) Der Gesundheitszustand von Tieren, die für die Herstellung oder Prüfung von Arzneimitteln oder Wirkstoffen gehalten werden, ist von einem Tierarzt fortlaufend zu kontrollieren.“11 Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) führt zur Thematik Folgendes aus: „In Deutschland ist die Herstellung von eCG für den Veterinärbereich in den Leitlinien zur Gewinnung, Lagerung, Transport und Verabreichung von Blut- und Blutprodukten geregelt. Hier sind unter anderem die Haltungsbedingungen für Pferde, die der Herstellung von Blutprodukte dienen, klar beschrieben. Eine Blutspende darf nur alle 4 Wochen vorgenommen werden. Im Gegensatz dazu sind die aktuell bekannt gewordenen Methoden im Zusammenhang mit der Gewinnung von eCG auf Pferdefarmen in Südamerika aus tierschutzrechtlicher und ethischer Sicht nicht tolerierbar. Tierärzte müssen sich darauf verlassen können, dass deutsche Pharmafirmen ihre Produkte auch nach deutschen Tierschutzregeln produzieren. 8 BVL. http://www.bvl.bund.de/DE/05_Tierarzneimittel/01_Aufgaben/02_ZulassungTAM/02_Nationale_Zulassung /tam_natZulassVerf_node.html 9 Für die Zulassung von Humanarzneimitteln ist das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) und für einen bestimmten Bereich, wie z.B. für Sera, Impfstoffe und Blutzubereitungen, ist das Paul-Ehrlich- Institut (PEI) zuständig, § 77 Abs. 1 und 2 AMG. Zentralisierte Zulassungen erfolgen durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA, European Medicines Agency). Vgl. https://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/Dokumente/Parlamentsdokumente/Drucksachen /6_Wahlperiode/D06-4000/Drs06-4557.pdf 10 BGBl I 2006, 2523; zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 20.12.2016 I 3048. 11 Ebenda. (Der Wortlaut des § 8 Abs. 1 AMWHV wurde von der Vorgängerregelung der Betriebsverordnung für pharmazeutische Unternehmer (BGBl. I 1985 S. 46) übernommen.) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 7 Der Bundesverband Praktizierender Tierärzte fordert deshalb die Pharmaindustrie auf, umgehend sicherzustellen, dass die Haltung der Stuten sowie Besamung bzw. Belegung und Blutentzug auf den südamerikanischen Pferdefarmen deutschen (europäischen) Tierschutzstandards entspricht und die Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Tiere auf ein Minimum reduziert wird. Die Einleitung von Aborten ist grundsätzlich nicht hinnehmbar. Grundsätzlich sollten jedoch synthetische Alternativen mit annähernd vergleichbarer Wirkung entwickelt und zugelassen werden, sodass künftig auf die Blutentnahme bei trächtigen Stuten verzichtet werden kann. Bis entsprechende Produkte verfügbar sind, sollte parallel geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine kontrollierte Gewinnung des Blutserums im Inland möglich wäre, um auf diese Weise die in Deutschland geltenden tierschutzrechtlichen Standards sichern zu können.“12 In den Leitlinien zur Gewinnung, Lagerung, Transport und Verabreichung von Blut- und Blutprodukten wird darauf hingewiesen, dass zwischen den Blutspenden „ein Zeitraum von mindestens 30 Tagen“ eingehalten werden soll. Zudem heißt es dort unter Punkt 2.1.2., dass Stuten, die als Blutspender eingesetzt werden, weder trächtig noch laktierend sein dürfen: „Das Pferd soll als Blutspender folgende Voraussetzungen erfüllen: (…) ● Stuten dürfen weder trächtig noch dürfen sie laktierend sein.“13 Die Gewinnung des Hormons PMSG setzt allerdings die Trächtigkeit der Stute voraus. Wie der oben zitierten Antwort der Bundesregierung entnommen werden kann, sind synthetische Alternativen mit annähernd vergleichbarer Wirkung bereits vorhanden und zugelassen.14 3. Hat die Bundesregierung die Möglichkeit, ein (Tier-) Arzneimittel mit der Begründung zu verbieten, dass es nicht nach medizinischer Indikation eingesetzt wird, sondern der Optimierung des Betriebsablaufs dient? Die aktuellen rechtlichen Regelungen sehen ein solches Verbot nicht vor. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit a) AMG fallen auch die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen unter den Arzneimittelbegriff, die einem Tier verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen des Tieres und in diesem Fall die Sexualfunktionen des Tieres zu beeinflussen: 12 bpt-Stellungnahme zum Einsatz von PMSG in der Nutztierpraxis und der Gewinnung des Stutenhormons auf südamerikanischen Pferdefarmen. 14. April 2016. 13 BVL. http://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/05_Tierarzneimittel /Leitlinien_blutprodukte.pdf?__blob=publicationFile&v=1 14 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Pregnant Mare Serum Gonadotropin (PMSG) – Produktion, Zulassung und Einsatz. BT-Drs. 18/12251 vom 5. Mai 2017. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/122/1812251.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 8 „(1) Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, 1. (…) 2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder b) (...).“15 Somit handelt es sich um Produkte, die unter den Arzneimittelbegriff fallen.16 Die Parlamentarische Staatssekretärin beim BMEL, Dr. Maria Flachsbarth, führte am 22. Oktober 2015 aus, alle derzeit in Deutschland zugelassenen Tierarzneimittel mit dem Wirkstoff PMSG dürften nur aufgrund einer durch den Tierarzt diagnostizierten Indikation anwendet werden, wozu auch die Brunststimulation zähle. Es sei nicht Aufgabe der Bundesregierung, die legale Anwendung zugelassener Tierarzneimittel zu bewerten, ausgenommen in Fällen, in denen mit weitreichenden und langfristigen Risiken für die öffentliche Gesundheit durch den häufigen Einsatz derartiger Mittel zu rechnen sei. Letzteres treffe nach derzeitiger Kenntnis der Bundesregierung im Fall der Anwendung von PMSG in der Ferkelerzeugung nicht zu.17 4. Ist ein (Tier-) Arzneimittel, das der Optimierung des Betriebsablaufs dient als Hilfs- oder Betriebsstoff zu werten? Welche Bedingungen werden an die Zulassung von Hilfs- oder Betriebsstoffen für die Tierhaltung gestellt? Arzneimittel für Tierarten, die zur Nahrungsmittelerzeugung dienen, unterliegen strengeren Regelungen als Arzneimittel für nicht Lebensmittel liefernde Tierarten, wie z.B. Heimtiere. Seit Ende 2007 sind alle Arzneimittel für zur Nahrungsmittelerzeugung genutzte Tiere verschreibungspflichtig - mit gewissen Ausnahmen.18 PMSG gehört nicht zu diesen Ausnahmen, denn ge- 15 BGBl I 2005, 3394, zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 9 des Gesetzes vom 13.4.2017 I 872. 16 Siehe hierzu auch Art. 1 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel: „Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der tierischen Körperfunktionen angewandt zu werden, gelten ebenfalls als Tierarzneimittel.“ (http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0082&from=DE). 17 BT-Drs. 18/6466. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/064/1806466.pdf 18 Vgl. auch Ziegler, Kornelia (2017). Tierarzneimittel: Rechtliche Situation und Probleme beim Einsatz in der Praxis . Institut für Pharmakologie und Toxikologie. Justus-Liebig-Universität Gießen. http://www.apothekerkammer .de/pdf/2017_bu_.pdfhbj_skripte_ziegler_2017_03_15.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 9 mäß Anlage 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (Arzneimittelverschreibungsverordnung )19 handelt es sich bei Gonadotropin (humanes und Pferdeserum)20 um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Die Wirkstoffe, die Arzneimittel für Lebensmittel liefernde Tierarten enthalten dürfen, sind im Anhang (Tabelle 1) der Verordnung (EU) Nr. 37/2010 der Kommission vom 22. Dezember 2009 über pharmakologisch wirksame Stoffe und ihre Einstufung hinsichtlich der Rückstandshöchstmengen in Lebensmitteln tierischen Ursprungs21 verzeichnet. In der Verordnung sind alle in der EU für Lebensmittel liefernde Tiere zugelassenen Wirkstoffe gelistet. PMSG ist in der Tabelle 1 des Anhangs als pharmakologisch wirksamer und in der EU zulässiger Wirkstoff aufgeführt, für den keine Rückstandshöchstmengen festgelegt sind. Hilfs- und Betriebsstoffe für die Tierhaltung sind in keiner Weise vergleichbar reglementiert. Wie bereits unter Punkt 3 ausgeführt, fallen PMSG-haltige Produkte unter den Arzneimittelbegriff . 5. Ist es nach dem Tierarzneimittelrecht zulässig, dass Hormonpräparate nicht nur in medizinisch indizierten Einzelfällen, sondern „serienmäßig“ bei vielen Tieren eingesetzt werden , damit die Betriebsabläufe optimiert werden? Hormonhaltige Tierarzneimittel „dürfen nur im Rahmen einer tierärztlichen Behandlung vom Tierarzt oder unter seiner Aufsicht angewendet werden. Verboten ist der Einsatz von Hormonen, zum Beispiel Schilddrüsenhormonen oder Steroidhormonen, zu Mastzwecken.“22 Es liegt letztlich in der Verantwortung des Tierarztes, das verschreibungspflichtige Arzneimittel mit dem Inhaltsstoff PMSG zu injizieren bzw. es unter seiner Aufsicht dem Tierhalter zur Verfügung zu stellen . Die Bundesregierung erläutert in ihrer aktuellen Antwort, eine auf das Einzeltier bezogene Indikation sei bei verschreibungspflichtigen Tierarzneimitteln nicht erforderlich.23 19 BGBl. I 2005, S. 3632; zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 27. September 2016 (BGBl. I 2016, S. 2178). https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/amvv/gesamt.pdf 20 Anlage 1 Gonadotropin (humanes und Pferdeserum); Durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. b V v. 18.6.2008 I 1067 mWv 1.7.2008 erfolgte die Differenzierung zwischen humanem Gonadotropin und equinem Chorionic Gonadotropin (eCG), Pferdeserum. http://www.bundesrat .de/SharedDocs/drucksachen/2008/0201-0300/300-08.pdf?__blob=publicationFile&v=1 21 VERORDNUNG (EU) Nr. 37/2010 DER KOMMISSION vom 22. Dezember 2009 über pharmakologisch wirksame Stoffe und ihre Einstufung hinsichtlich der Rückstandshöchstmengen in Lebensmitteln tierischen Ursprungs. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:015:0001:0072:DE:PDF 22 https://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/Dokumente/Parlamentsdokumente/Drucksachen/6_Wahlperiode /D06-4000/Drs06-4557.pdf 23 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Pregnant Mare Serum Gonadotropin (PMSG) – Produktion, Zulassung und Einsatz. BT-Drs. 18/12251 vom 5. Mai 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 10 Nur die sog. Öko-Verordnung, die Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91, verbietet die „serienmäßige “ Hormonbehandlung zur Züchtung. Sie erlaubt lediglich die hormonelle Behandlung zur Fortpflanzung im Rahmen einer therapeutischen tierärztlichen Behandlung eines einzelnen Tieres. Art. 14 Abs. 1 lit. c) ii) der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 lautet wie folgt: „Artikel 14 Vorschriften für die tierische Erzeugung (1) Neben den allgemeinen Vorschriften für die landwirtschaftliche Erzeugung des Artikels 11 gelten für die ökologische/ biologische tierische Erzeugung folgende Vorschriften: c) Züchtung: i) (…). ii) Die Fortpflanzung darf außer im Rahmen einer therapeutischen tierärztlichen Behandlung eines einzelnen Tieres nicht durch die Behandlung mit Hormonen oder ähnlichen Stoffen eingeleitet werden.“24 6. Exkurs: Reaktionen aus der Schweiz und den Niederlanden Am 23. November 2016 teilte der Schweizerische Bundesrat in einer Stellungnahme mit, dass einige Maßnahmen hinsichtlich der Gewinnung von PMSG zum Teil bereits Wirkung zeigen würden und führte hierzu Folgendes aus: „1. PMSG wird in der Schweiz zwar weiterhin eingesetzt, doch werden in erster Linie Lagerbestände aufgebraucht. Schätzungen der Tierärzteschaft gehen davon aus, dass der Einsatz von PMSG seit Bekanntwerden der tierschutzwidrigen Gewinnung in Uruguay und Argentinien um etwa 80 Prozent abgenommen hat. Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) und die Schweizerische Vereinigung für Schweinemedizin empfehlen ihren Mitgliedern auch weiterhin, PMSG-haltige Medikamente so lange nicht einzusetzen, als die Importfirma nicht mehr Transparenz zeigt und bis eine unabhängige Delegation aus Experten im Veterinärbereich die Produktion in Südamerika besichtigen kann. Auch Suisseporcs hält ihren Aufruf, PMSG aus tierschutzwidriger Produktion nicht einzusetzen, aufrecht. 24 ABl. 2007 L189 S.1, ber. ABl. 2014 L 300 S. 72); zuletzt geändert durch Art. 1 Abs. 1 lit. e) der Änderungsverordnung (EU) 517/2013 vom 13. 5. 2013 (ABl. 2013, L 158 S. 1). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 039/17 Seite 11 2. Beide Großverteiler distanzieren sich weiterhin von der Herstellung von Tierarzneimitteln unter tierschutzwidrigen Bedingungen. Der Einsatz von Präparaten mit dem Wirkstoff PMSG ist in den Labelproduktionen von Coop und Migros25 nicht zulässig. (…).“26 Auch in den Niederlanden wird der routinemäßige Einsatz von brunststimulierenden Hormonen kritisch gesehen.27 *** 25 Es handelt sich um das Label „Naturafarm“ von Coop und das Label „TerraSuisse“ von Migros. „Ab dem 1. Januar 2016 will Coop seinen Schweinezucht-Betrieben das Label «Naturafarm» entziehen, wenn sie Hormone aus Pferdeblut verwenden. Dies machte Suisseporcs-Präsident Pfister in der «Neuen Luzerner Zeitung » publik. Auf Nachfrage bestätigt dies Coop und präzisiert: «Die Brunstsynchronisation bleibt bei «Naturafarm» immer noch erlaubt. Allerdings nur mit synthetisch hergestellten Wirkstoffen», so Coop-Sprecher Urs Meier. Wie sieht es bei der Migros aus? Die Migros sieht vorerst die PMSG-produzierenden Firmen und die Schweinefleisch -Produzenten in der Pflicht. Dennoch ergreift der Großverteiler selber Maßnahmen: Die Migros verbietet ihren Zulieferern, welche Fleisch für das Migros-Label «TerraSuisse» produzieren ab dem 1. Januar den Einsatz von PMSG.“ (https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/themen/umwelt-und-verkehr/coop-und-migros -sanktionieren-schweinezucht-mit-quael-hormon) 26 https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20163699 27 Siehe hierzu u.a.: Vragen van het lid Thieme (PvdD) aan de Staatssecretaris van Economische Zaken over het mishandelen van merries en hun ongeboren veulens voor de productie van hormoonmiddelen voor de Europese en Nederlandse zuivel- en vleesindustrie (ingezonden 24 november 2015). Antwoord van Staatssecretaris van Dam (Economische Zaken) (ontvangen 2 februari 2016). Zie ook Aanhangsel Handelingen, vergaderjaar 2015–2016, nr. 793. https://zoek.officielebekendmakingen.nl/ah-tk-20152016- 1364.html