© 2021 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 027/21 Öffentliche Beschaffung von Straßenfahrzeugen Branchenvereinbarungen zur Umsetzung einer EU-Richtlinie Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 027/21 Seite 2 Öffentliche Beschaffung von Straßenfahrzeugen Branchenvereinbarungen zur Umsetzung einer EU-Richtlinie Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 027/21 Abschluss der Arbeit: 19. März 2021 WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 027/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 1.1. Hintergrund 4 1.2. Fragestellung 4 2. Ebene Mitgliedstaat 5 3. Ebene Bundesländer 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 027/21 Seite 4 1. Einleitung 1.1. Hintergrund Durch die Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer Straßenfahrzeuge zur Unterstützung einer emissionsarmen Mobilität1 soll der Markt für saubere und energieeffiziente Fahrzeuge gefördert werden. Die Richtlinie wurde durch die Richtlinie (EU) 2019/1161 vom 20. Juni 20192 geändert. Durch diese Änderung wurden insbesondere Mindestziele eingeführt, welche die Mitgliedstaaten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge für die Beschaffung von Straßenfahrzeugen einzuhalten haben. Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2019/1161 muss ein Mindestprozentsatz sauberer Fahrzeuge an der Gesamtzahl der beschafften Fahrzeuge eingehalten werden. Die Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis zum 2. August 2021 umzusetzen (Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie). Im Januar hat die Bundesregierung dazu einen Gesetzentwurf3 vorgelegt, der insbesondere in § 5 auf Mindestziele eingeht. In seiner Stellungnahme4 vom 5. März 2021 fordert der Bundesrat u. a., den Gesetzgebungsentwurf durch Einfügung eines § 5a zu ergänzen. § 5a enthält Sonderregelungen für die Beschaffung schwerer Nutzfahrzeuge der Klasse M3 (Linienbusse). Danach soll die Erreichung der Mindestziele in erster Linie über eine bundesweite Branchenvereinbarung erfolgen . Diese ist zwischen dem zuständigen Bundesministerium, den zuständigen Ministerien der Länder, den kommunalen Spitzenverbänden und den Verbänden der Verkehrsunternehmen zu schließen. Das zuständige Bundesministerium überwacht die Einhaltung der Mindestziele. Wird eine solche Branchenvereinbarung nicht bis zum 31. Dezember 2021 geschlossen oder wird die Verfehlung der Ziele prognostiziert, legt das zuständige Bundesministerium der Bundesregierung innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vor, unter Einbindung aller Beteiligten der Branchenvereinbarung. Dieses stellt die Einhaltung der Mindestziele für den jeweiligen Referenzzeitraum nach § 6 sicher. Die Bundesregierung berät und beschließt die zu ergreifenden Maßnahmen schnellstmöglich. 1.2. Fragestellung Es stellen sich folgende Fragen: 1 Richtlinie 2009/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Förderung sauberer Straßenfahrzeuge zur Unterstützung einer emissionsarmen Mobilität (ABl. L 120 vom 15. Mai 2009, S. 5), konsolidierte Fassung unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009L0033- 20190801&qid=1610443112360&from=DE. 2 Richtlinie (EU) 2019/1161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge (ABl. L 188 vom 12. Juli 2019, S. 166), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L1161&qid=- 1610613572225&from=DE. 3 Bundesrats-Drs. 66/21 vom 22. Januar 2021, http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2021/0066-21.pdf. 4 Bundesrats-Beschluss-Drs. 66/21 vom 5. März 2021, S. 3ff., http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2021/0066- 21B.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 027/21 Seite 5 − Würde Deutschland als EU-Mitgliedstaat mit dem Vorschlag des Bundesrates („§ 5a“) zu Branchenvereinbarungen die Richtlinie unionsrechtskonform umsetzen? − Können die Bundesländer auf Grundlage des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs („§ 5“) Branchenvereinbarungen abschließen bzw. könnte der Gesetzgeber dies so vorsehen? 2. Ebene Mitgliedstaat Nach Art. 288 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)5 ist die Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel . Grundsätzlich setzt die Umsetzung den Erlass von Rechtsnormen voraus (sogenannter Rechtsnormvorbehalt ), es sei denn, das bestehende nationale Recht entspricht bereits den Vorgaben der Richtlinie. Verwaltungsvorschriften stellen hingegen keine ausreichende Umsetzung dar. Sie wenden sich lediglich an Behörden und sind keine verbindlichen Außenrechtsnormen.6 Hier sollen die Vorgaben mittels gesetzlicher Vorschriften umgesetzt werden. Das umsetzende Gesetz kann für die Erreichung der Ziele der Richtlinie auch Vereinbarungen zwischen Hoheitsträgern und Privaten vorsehen. Dies kommt in Betracht, wenn diese Vereinbarungen hinreichend verbindlich sind und die vorhandenen subjektiven Rechte im innerstaatlichen Bereich sicher gewährleisten.7 Die EU-Kommission hat den Rückgriff auf Umweltvereinbarungen zur Umsetzung von Richtlinien in einer Mitteilung von 19968 dem Grundsatz nach anerkannt. Die Vereinbarungen sollten einen gesetzlichen Rückhalt haben und in der Regel mit der formellen Umsetzung einer Richtlinie in nationale Vorschriften kombiniert werden. Selbstverpflichtungen der Wirtschaftsbeteiligten ohne gesetzlichen Rückhalt reichten nicht. In Ergänzung zu ihrer Mitteilung hat die Kommission eine Empfehlung9 veröffentlicht. Darin empfiehlt sie, dass Umweltvereinbarungen verbindlichen Charakter haben und Anforderungen hinsichtlich Transparenz, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit genügen sollten. Die Mitgliedstaaten müssten jederzeit in der Lage sein, die Erreichung der in der Richtlinie festgelegten Ergebnisse zu gewährleisten. 5 https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:12012E/TXT:de:PDF. 6 Schröder, in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV, Rn. 79f. 7 Ruffert, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 AEUV, Rn. 34. 8 https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:51996DC0561&qid=1616042370780&from=DE. 9 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31996H0733&qid=1616042517201&from=DE. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 027/21 Seite 6 Der Vorschlag aus dem Bundesrat scheint in dieser Hinsicht eine hinreichend verbindliche Umsetzung der Richtlinie im Sinne der Kommissionsempfehlung sein. In der Form der vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung bestünde zunächst ein „gesetzlicher Rückhalt“ für die Vereinbarung zwischen dem Staat und den Verbänden der Verkehrsunternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs und des Schulbusverkehrs. Auch wenn der Terminus „freiwillige Selbstverpflichtung “ verwendet wird, soll die Einhaltung der Mindestziele nach § 6 durch das zuständige Bundesministerium überwacht werden. Ergibt dieses Monitoring, dass die Ziele verfehlt werden, ist ein Sofortprogramm zu entwickeln und die Bundesregierung hat die entsprechenden Maßnahmen zur Einhaltung der Mindestziele in Kraft zu setzen. Für die Zielerreichung kommt es nach der Richtlinie auch nur darauf an, dass die Bundesregierung die Einhaltung der Mindestziele auf der Grundlage des gesamten Bezugszeitraumes (2. August 2021 bis 31. Dezember 2025) sicherstellt. Eine jährliche Einhaltung von (nationalen) Zielen ist nicht vorgesehen. Die Begründung der Richtlinie spricht insoweit von Reaktionsmöglichkeiten finanzieller, administrativer oder auch gesetzlicher Art. Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Bundesregierung nach § 5a Abs. 3 des Entwurfs (gemäß Ergänzung Bundesrat) auch dann handeln kann, wenn es zu keiner Einigung mit den Branchenverbänden über den Vorschlag über ein Sofortprogramm kommt. Der Wortlaut des Vorschlags für einen § 5a lässt dies jedoch zu. Unerheblich ist der Passus in der Begründung „abweichend von der alleinigen Verantwortung des zuständigen Bundesministeriums“. Dieser Passus ist bislang noch nicht Teil einer für die Beschlussfassung im Bundestag genutzten Gesetzesbegründung . Ferner würde eine richtlinienkonforme Auslegung in jedem Fall vorgehen. Im Übrigen ließe sich dieser Passus auch so verstehen, dass das Bundesministerium weiterhin kumulativ zuständig ist. 3. Ebene Bundesländer Nach § 5 Abs. 1 S. 1 Gesetzentwurf der Bundesregierung haben die Auftraggeber die nach § 6 festgelegten Mindestziele insgesamt einzuhalten. Dies haben die Länder nach § 5 Abs. 2 S. 1 Gesetzentwurf zu überwachen. Ferner können sie gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 für ihren Zuständigkeitsbereich zulassen, dass die Auftraggeber die Mindestziele nicht einhalten müssen, soweit innerhalb des Landes eine Übererfüllung durch andere Auftraggeber vorliegt. Dabei dürfte den Ländern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ein eher weiter Spielraum zustehen, wie sie innerhalb ihres Verwaltungsvollzugs handeln.10 Dies ergibt sich unter anderem aus Art. 83 Grundgesetz, wonach die Länder „die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit“ aus- 10 Zur Autonomie der Bundesländer bei der Umsetzung von EU-Recht siehe auch Hölscheidt, DÖV 2009, 341 (343). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 027/21 Seite 7 führen. Der Gesetzentwurf spiegelt dies in § 7 Abs. 1 und Abs. 2 wider, wonach der Bund Verwaltungsvorschriften nur für Stellen des Bundes erlässt bzw. erlassen kann.11 Insoweit dürften Branchenvereinbarungen der Länder mit den Verbänden der Verkehrsunternehmen grundsätzlich eine zulässige Handlungsform sein, auch wenn § 5 Gesetzentwurf diese so nicht ausdrücklich erwähnt. Einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf es auch deshalb nicht, weil Branchenvereinbarungen freiwilliger Natur sind und insoweit dem Grundsatz nach nicht in Grundrechte eingreifen. Es ist dem Gesetzgeber aber unbenommen, im Gesetz ausdrücklich darauf Bezug zu nehmen, dass für alle öffentlichen Auftraggeber und Sektorenauftraggeber, einschließlich der Länder, die Möglichkeit einer Branchenvereinbarung besteht. *** 11 Zu Verwaltungsvorschriften der Länder für eine umweltfreundliche Vergabe siehe Umweltbundesamt, Regelungen der Bundesländer auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Beschaffung (Stand: 2020), https://www.umweltbundesamt .de/publikationen/regelungen-der-bundeslaender-beschaffung-2020; zu der komplexen Gemengelage zwischen Bund und Ländern bei der Beschaffung siehe nur OECD, Öffentliche Vergabe in Deutschland (2019), https://www.oecd.org/gov/offentliche-vergabe-in-deutschland-48df1474-de.htm, 2.1.1.: „Aufgrund der starken Subsidiarität haben Kommunen und Länder jedoch die Befugnis, das Vergaberecht bei der Umsetzung von Bundesrecht zu gestalten. Darüber hinaus können sowohl Kommunen als auch Länder eigenes Recht erlassen. Die Kommunen haben außerdem eine gewisse Autonomie, die ihnen in der Verfassung zugeschrieben wird.“