© 2021 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 025/21 Zum Handlungsspielraum bei der Umsetzung der Verordnung (EU) 2019/6 über Tierarzneimittel Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 025/21 Seite 2 Zum Handlungsspielraum bei der Umsetzung der Verordnung (EU) 2019/6 über Tierarzneimittel Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 025/21 Abschluss der Arbeit: 19. März 2021 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 025/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Gesetzestechnischer Spielraum 4 3. Zeitlicher Spielraum 5 4. Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 025/21 Seite 4 1. Einleitung Regelungen zu Tierarzneimitteln sind in Deutschland bislang gemeinsam mit den Vorschriften zu Arzneimitteln, die zur Anwendung beim Menschen bestimmt sind, im Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG)1 enthalten. Mit der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG2 hat die Europäische Union einen neuen Regelungsrahmen für den Bereich der Tierarzneimittel geschaffen. Dazu liegt ein gemeinsamer Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zum Erlass eines Tierarzneimittelgesetzes und zur Anpassung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vor.3 In der Begründung des Entwurfs heißt es, dass eine Neuregelung des Bereichs der Tierarzneimittel in einem neuen gesonderten Regelungswerk erforderlich sei aufgrund der künftig bestehenden Unterschiede zwischen den Regelungsbereichen. Ein Verbleiben der Vorschriften zu Tierarzneimitteln im AMG komme daher nicht in Betracht.4 Die separate Neuregelung bewirke außerdem eine Rechts- und Verwaltungsvereinfachung.5 Es stellt sich daher die Frage, welchen Handlungsspielraum der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Verordnung hat. 2. Gesetzestechnischer Spielraum Im Gegensatz zu EU-Richtlinien gelten EU-Verordnungen unmittelbar, d.h. sie erfordern keinen Umsetzungsrechtsakt in den Mitgliedsstaaten.6 Es können aber weitere Regelungen auf nationaler Ebene erforderlich sein, um die uneingeschränkte Anwendbarkeit der Verordnung zu gewährleisten .7 Dazu sind die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Durchführungsverpflichtung (Art. 291 AEUV) 1 https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/BJNR024480976.html. 2 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32019R0006. 3 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Referentenentwuerfe/TierArzeneimittel G.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 4 Ebd., S. 1. 5 Ebd., S. 107. 6 Vgl. Nettesheim, in; Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand: 71. EL August 2020, AEUV Art. 288 Rn. 98, 101. 7 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, AEUV Art. 288 Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 025/21 Seite 5 sogar angehalten.8 So erlassen die Staaten beispielsweise konkrete Vorschriften zu (behördlichen) Zuständigkeiten, Fristen oder Strafnormen.9 Im Falle der Verordnung (EU) 2019/6 bestehen im Grundsatz zwei Möglichkeiten: – Der Gesetzgeber ändert das AMG und passt es an die Vorschriften der Verordnung an oder – der Bereich der Tierarzneimittel wird aus dem AMG herausgenommen und in einem eigenständigen Gesetz geregelt. Im Grundsatz ist der Gesetzgeber frei, für welche Option er sich entscheidet. Der vorliegende Referentenentwurf deutet aber daraufhin, dass der Umfang an erforderlichen Neuregelungen enorm ist. So enthält der Referentenentwurf zum neuen Tierarzneimittelgesetz rund 20.000 Wörter, der Abschnitt zu Tierarzneimittel im AMG derzeit lediglich rund 7.000 Wörter. Die VO (EU) 2019/6 besteht sogar aus rund 30.000 Wörtern. Eine Anpassung und Änderung des AMG an die Verordnung scheint daher jedenfalls aus dieser Sicht komplexer und aufwändiger als eine Neuregelung .10 In jedem Fall muss aber der Grundsatz der Normenklarheit berücksichtigt werden, wonach Voraussetzungen und Inhalt von gesetzlichen Regelungen so formuliert sein müssen, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können.11 3. Zeitlicher Spielraum Die Verordnung (EU) 2019/6 gilt ab dem 28. Januar 2022, Art. 160. Eine strikte Vorgabe, bis wann die Mitgliedstaaten evtl. notwendige Anpassungen des nationalen Rechts vorgenommen haben müssen, besteht nicht. Eine rechtzeitige Befassung dürfte jedoch sinnvoll und notwendig sein, damit die von den Neuregelungen Betroffenen (z.B. Pharmaindustrie, Tierärzte) den notwendigen Vorlauf haben, um sich auf die neue Rechtslage einstellen zu können. Auch könnte zu berücksichtigen sein, dass wegen der im September 2021 stattfindenden Bundestagswahl unter Umständen eine rechtzeitige Befassung und Verabschiedung nicht gewährleistet 8 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, AEUV Art. 291 Rn. 3 f. 9 Vgl. Hölscheidt, Probleme bei der Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten, DÖV 2009, 341 (343). 10 Siehe auch die politische Forderung aus dem Jahr 2013 in BT-Drs. 17/12385 S. 2, http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/17/123/1712385.pdf: „Ein eigenständiges Tierarzneimittelrecht ist deshalb notwendig.“ 11 Siehe dazu „Zum Grundsatz der Normenklarheit“ (WD 3 – 3000 – 290/20), https://www.bundestag.de/resource /blob/822430/731fb9782ae96f8f6bdbccce38782b29/WD-3-290-20-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 025/21 Seite 6 ist. Der Bundestag ist jedoch sowohl vor als auch nach der Wahl rechtlich gesehen jederzeit handlungsfähig und könnte damit auch über einen Gesetzentwurf abstimmen.12 4. Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten Bislang lassen sich öffentlich zugänglichen Quellen nur wenig Informationen zum Stand der Umsetzung in anderen EU-Staaten entnehmen. In Frankreich sind weite Teile des Tierarzneimittelrechts bislang als Unterabschnitt des „Gesetzes über öffentliche Gesundheit“ geregelt.13 Ein im Senat vorliegender Gesetzentwurf sieht vor, dass die Verordnung (EU) 2019/6 im Wesentlichen über eine Ermächtigung der Regierung umgesetzt werden soll: „Mit diesem Artikel [22] sollen die 2019 verabschiedeten europäischen Vorschriften, die zum Bereich ‚Tierarzneimittel‘ gehören, in französisches Recht umgesetzt werden. Der Ausschuss schlägt vor, die Regierung zu ermächtigen, diese technischen Elemente umzusetzen, die eine Überarbeitung wesentlicher Teile mehrerer Gesetze [‚codes‘] erfordern, und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Umsetzungsfristen den europäischen Fristen entsprechen.“14 In Irland fand Mitte 2020 eine öffentliche Konsultation durch das Ministerium für Landwirtschaft , Ernährung und Meeresangelegenheiten (Department of Agriculture, Food and the Marine) zur Umsetzung der Regelungen der Verordnung statt.15 Am 9. Juni 2021 führte der Gemeinsame Ausschuss für Landwirtschaft und Meeresangelegenheiten (Joint Committee on Agriculture and the Marine) des irischen Parlaments hierzu eine Anhörung durch.16 12 Zur Diskontinuität beim Übergang von Wahlperioden siehe Hölscheidt, in: Bonner Kommentar, GG, 204. Akt. Juni 2020, Art. 39 Rn. 1 ff. 13 Code de la santé publique, Partie législative (Articles L1110-1 à L6441-1), Cinquième partie : Produits de santé (Articles L5111-1 à L5542-2), Livre Ier : Produits pharmaceutiques (Articles L5111-1 à L5161-1), Titre IV : Médicaments vétérinaires (Articles L5141-1 à L5146-5), https://www.legifrance.gouv.fr/codes/section_lc/LE- GITEXT000006072665/LEGISCTA000006155087/#LEGISCTA000006155087. 14 Sénat, N° 548, Session Ordinaire de 2019-2020, Enregistré à la Présidence du Sénat le 24 juin 2020, S. 133, Artikel 22, http://www.senat.fr/rap/a19-548/a19-5481.pdf (inoffizielle Übersetzung durch Autor). 15 https://www.gov.ie/en/consultation/a484f-public-consultation-on-eu-reg0ulation-20196-on-veterinary-medicinal -products/. 16 https://www.oireachtas.ie/en/debates/debate/joint_committee_on_agriculture_and_the_marine/2021-02- 09/4/?highlight%5B0%5D=mr&highlight%5B1%5D=cons. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 025/21 Seite 7 Darüber hinaus sollen bereits einige EU-Mitgliedstaaten über ein eigenständiges Tierarzneimittelgesetz verfügen,17 so dass eine Umsetzung der neuen Vorschriften innerhalb des jeweiligen Regelungswerks naheliegen dürfte.18 Die Ukraine ist nicht Mitglied der EU. Dennoch ist sie unter anderem aufgrund des Assoziierungsabkommens mit der EU19 um Rechtsannäherung bemüht. Die Regierung hat einen Entwurf für ein Gesetz über Tierarzneimittel und Tierschutz vorgelegt. Das Gesetz soll der Umsetzung der neuen Regelungen der Verordnung (EU) 2019/6 dienen.20 *** 17 Vgl. https://www.landundforst.de/landwirtschaft/tier/streit-um-nationales-tierarzneimittelgesetz-564125: „eigenständiges Tierarzneimittelgesetz [...] in vielen anderen EU-Ländern schon Brauch“. 18 In Österreich beispielsweise besteht seit 2002 das Tierarzneimittelkontrollgesetz (TAKG), https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer =20001741#:~:text=(1)%20Als%20Tierarzneimittel%20d%C3%BCrfen %20%E2%80%93,ist%20f%C3%BCr%20den%20Tierarzt%20verbindlich; der Stand der Anpassung des Gesetzes an die neuen Vorschriften der Verordnung ist jedoch aus offenen Quellen nicht ersichtlich. 19 https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eastern-partnership/ukraine/. 20 https://www.agroberichtenbuitenland.nl/actueel/nieuws/2021/02/05/ukraine-new-veterinary-law.