Privatisierung der Deutschen Bahn AG - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 022/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Privatisierung der Deutschen Bahn AG Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 022/08 Abschluss der Arbeit: 31.3.2008 Fachbereich WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 4 2. Die drei Stufen der Bahnreform 4 3. Gutachten 5 3.1. PRIMON-Gutachten 5 3.2. Sondergutachten der Monopolkommission 6 4. Argumentation 7 4.1. Finanzierung 8 4.2. Haushalts- und Vermögenseffekte, künftige Finanzierung 9 4.3. Infrastrukturauftrag des Bundes 10 4.3.1. Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung 11 4.3.2. Risiken für den Bund 11 4.4. Wettbewerb und Regulierung 12 4.4.1. Regulierung 13 4.4.2. Intermodaler und intramodaler Wettbewerb 14 4.4.3. Beschäftigung 14 5. Fazit 15 6. Anlagen 18 7. Quellen 18 - 4 - 1. Einleitung Seit dem Jahr 1999 existiert die Deutsche Bahn AG (DB AG) in der heutigen Organisationsstruktur einer Konzern-Holding. Jetzt steht der Börsengang der DB AG auf der politischen Agenda. In diesem Zusammenhang wird – insbesondere von den Kritikern eines Börsengangs – die Frage nach den ökonomischen Vor- und Nachteilen der materiellen Privatisierung der DB AG aufgeworfen. Beschreibt man die Vor- und Nachteile der Privatisierung eines Staatsunternehmens, so sind zwei Aspekte zu untersuchen: Erstens stellt sich die generelle Frage nach den ökonomischen Vor- und Nachteilen der Privatisierung. Die zweite Frage bezieht sich auf die so genannte Börsenreife eines Staatsunternehmens, also auf ökonomische Erfolgskennzahlen wie Umsatz, Liquidität, Rentabilität oder Return on Investment (ROI).1 Die Arbeit konzentriert sich nicht auf die Bewertung ökonomischer Kennzahlen der verschiedenen Privatisierungsvarianten für die DB AG bzw. deren Kapitalmarktfähigkeit und den daraus resultierenden Erfolg oder Misserfolg des Börsengangs. Hierzu liegen das umfangreiche, so genannte PRIMON-Gutachten2 (Anlage 1) sowie das Sondergutachten der Monopolkommission (Anlage 2) vor. Auch die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin hat gemeinsam mit dem Unternehmen KCW GmbH einen bilanziellen Vergleich verschiedener Privatisierungsvarianten als Arbeitspapier verfasst (Böttger3/Holzhey 2006). Hinzu kommt eine Vielzahl von Kommentierungen der Privatisierung und des PRIMON-Gutachtens. 2. Die drei Stufen der Bahnreform Die zum 1.1.1994 durch die Bundesregierung eingeleitete Bahnreform verfolgte ursprünglich die drei Absichten: 1. Stärkere Verlagerung des Verkehrsaufkommens auf die Schiene; 2. Entlastung des Bundeshaushaltes; 3. Fusion der bis 1994 getrennten Unternehmen „Deutsche Bundesbahn“ und „Deutsche Reichsbahn“ zu einem effizienten und wettbewerbsfähigen Bahnunternehmen. 1 Die Erfüllung juristischer Kriterien sowie die Vereinbarkeit eines Börsengangs der DB AG mit EU- Recht sind nicht Gegenstand dieser Arbeit. Vgl. hierzu die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste WD 3. 2 Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG „mit und ohne Netz“; Gutachten des Strategieund Technologie-Beratungsunternehmens Booz Allen Hamilton aus dem Jahr 2006. 3 Prof. Dr. Christian Böttger, Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW Berlin) war Sachverständiger bei der öffentlichen Anhörung „Kapitalprivatisierung der Deutsche Bahn AG“ des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. - 5 - Die Reform vollzog sich bisher in zwei Schritten: 1994 wurden die beiden Bahnunternehmen als Sondervermögen des Bundes in die neu gegründete Deutsche Bahn Aktiengesellschaft überführt und privatwirtschaftlich organisiert (formelle Privatisierung). In der 2. Stufe der Bahnreform im Jahr 1999 wurde die DB AG gesellschaftsrechtlich in einen mehrstufigen Konzern aufgespalten, den die DB AG als Holding führt.4 Das Aktienkapital der ausgegliederten Tochtergesellschaften hält die DB AG, deren Aktien wiederum befinden sich zu 100 Prozent im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. In einem dritten Schritt soll nun mit dem Börsengang der DB AG die Bahnreform vollendet werden. Mit der Bahnprivatisierung verbindet die Bundesregierung die Stärkung des nationalen sowie des internationalen Wettbewerbs u.a. durch verbesserte Rahmenbedingungen für den Schienenverkehr (Bundesregierung 2008: 86). 3. Gutachten Zur Vorbereitung hat die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) gemeinsam mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) Gutachten5 in Auftrag gegeben, die die verschiedensten Aspekte eines Börsengangs der DB AG beleuchten, analysieren und bewerten. Das bekannteste und umfangreichste Gutachten ist das PRIMON-Gutachten, das der Fragestellung nachgeht: „Welche Konsequenzen haben unterschiedliche Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn, insbesondere welche Auswirkungen ergeben sich, wenn die Bahn mit bzw. ohne Netzinfrastruktur privatisiert wird?“ (Anlage 1: 9) Die Monopolkommission kommentiert in ihrem Sondergutachten aus dem Jahr 2006 die Analysen des PRIMON- Gutachtens. 3.1. PRIMON-Gutachten Das PRIMON-Gutachten stellt fünf verschiedene Privatisierungsalternativen vor, die u.a. im Hinblick auf die Kriterien: Kapitalmarktfähigkeit, Markt- und Wettbewerbsentwicklung , Haushalts- und Vermögenseffekte bei Bund und Ländern sowie Einhaltung der institutionellen Rahmenbedingungen untersucht und verglichen werden (Anlage 3): 1. Integriertes Modell (Infrastruktur-6 und Verkehrsgesellschaften7 bleiben im Konzern über Beherrschungsverträge verbunden), 4 Die bis dahin als Geschäftsbereiche geführten Sparten Fern-, Nah- und Ladungsverkehr sowie Fahrweg und der (gesetzlich nicht vorgesehene) Geschäftsbereich Personenbahnhöfe wurden als Einzelaktiengesellschaften ausgegliedert. Die neuen Gesellschaften waren 1999: DB Netz AG, DB Cargo AG, DB Regio AG, DB Reise und Touristik AG, DB Station und Service AG. 5 Vgl. BT-Drs. 16/6659, S. 16-17. 6 Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) - 6 - 2. Eigentumsmodell (Eigentum an Eisenbahninfrastruktur wird aus dem Konzern herausgelöst und auf eine vom Bund gehaltene Gesellschaft übertragen), 3. Eigentumsmodell – Gestaltungsvariante (Eigentum an Eisenbahninfrastruktur und Betrieb der Infrastruktur gehen auf eine vom Bund gehaltene Gesellschaft über; DB-Konzern übernimmt nur operative Abwicklung), 4. Finanzholding-Modell (DB AG steuert das Unternehmen mit den Mitteln einer Finanzholding), 5. Trennungsmodell (Eisenbahninfrastrukturunternehmen werden aus dem Konzern herausgelöst). Das Fazit der Analyse ist eine Bewertungsmatrix, die keine Rangfolge der fünf verschiedenen Privatisierungsmodelle ausdrückt, sondern nur die verschiedenen Bewertungsdimensionen und deren Effekte quantifiziert (Anlage 1: 42; PRIMON 2006: 454ff.). „Der Politik bleibt es vorbehalten, eine abschließende Würdigung der Effekte im Vergleich und eine Gewichtung der einzelnen Aspekte vorzunehmen.“ (Anlage 1: 44) 3.2. Sondergutachten der Monopolkommission Da mit der Bahnreform u.a. eine Erhöhung des Anteils der Schiene am Modalsplit angestrebt wird und dieses Ziel nach Auffassung der Monopolkommission durch eine stärkere Wettbewerbssituation im Eisenbahnsektor erreicht werden kann, befürwortet sie eine Privatisierungsvariante, die sich wettbewerbsstimulierend in diesem Teil des Transportbereichs auswirkt. In ihrem Sondergutachten spricht sie sich für eine komplette Privatisierung der Transportgesellschaften aus. Dagegen solle aber die Netzinfrastruktur (DB Netz AG) als eigenständige Aktiengesellschaft im Eigentum des Bundes bleiben. Eine neutrale, noch zu gründende Infrastrukturgesellschaft hätte in dieser Variante die Aufgabe, die Eisenbahntrassen zu verwalten und zu vergeben (Monopolkommission 2006: 27). Maßgebend für ihre Entscheidung waren wettbewerbspolitische Gründe, aber auch europarechtliche und finanzpolitische Aspekte. Zu diesem Vorschlag führt die Kommmission in ihrem Gutachten aus: „Die Monopolkommission sieht es aber nicht als ihre Aufgabe an, die haushaltspolitischen, umweltpolitischen oder verkehrspolitischen Ziele der Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG, soweit diese nicht wettbewerbspolitisch relevant sind, in ihrem Gutachten zu bewerten.“ (Anlage 2: 4) 7 Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) - 7 - 4. Argumentation Die politischen Entscheidungsträger und die verschiedenen Interessensgruppen diskutieren zurzeit, in welcher Form der Bahn-Konzern an die Börse gebracht werden soll. Dabei fokussiert sich die teilweise sehr kontrovers geführte Debatte insbesondere auf die Zukunft des Streckennetzes der Bahn und die Kernfrage: Kann der Bund seinem verfassungsmäßigen Infrastrukturauftrag (Artikel 87e GG) gerecht werden, wenn das Streckennetz (egal in welcher Form) privatisiert ist und Gewinnmaximierung oder Rentabilitätskriterien statt sozialpolitischer oder verkehrspolitischer Gesichtspunkte im Vordergrund der unternehmerischen Entscheidungsfindung stehen? Auch die Idee einer (stimmrechtslosen) Volksaktie wurde zwischenzeitlich neu in die Diskussion eingebracht . Verschiedene Kritiker der Bahnprivatisierung werfen in diesem Zusammenhang die generelle Frage auf, ob die dritte Stufe der Bahnreform überhaupt notwendig sei, und stellen damit die Privatisierung grundsätzlich in Frage. Der Bahnbörsengang muss sowohl unter unternehmerischen Gesichtspunkten – wirtschaftliche Vor- und Nachteile für den Konzern – als auch unter gesamtwirtschaftlichen und sozialpolitischen Gesichtspunkten wie öffentliche Daseinsvorsorge in Verbindung mit Mobilität, Wettbewerbsintensivierung, finanz- und haushaltspolitische Effekte für den Bund, umweltpolitische sowie verbraucherpolitische Aspekte beleuchtet werden. Bei der Auswahl der optimalen Privatisierungsvariante „(…) stellt sich die grundlegende Problematik, ob nun die finanzpolitischen oder die wettbewerbs- und verbraucherpolitischen respektive umweltpolitischen Argumente favorisiert werden sollen.“ (Elsenbast 2006: 257) Je nach Gewichtung dieser Kriterien kann die Privatisierungsentscheidung eine andere sein. Für die unternehmerischen Entscheidungsprozesse und die Entwicklung des Wettbewerbs ist der ordnungspolitische Rahmen (Steuern und Mautsätze oder die Öffnung der Eisenbahnmärkte in Europa) allerdings wichtiger als das gewählte Privatisierungsmodell (PRIMON 2006: 13). Die Bundesregierung präferiert inzwischen die Trennung von Netz und Betrieb, wobei das Netz im Eigentum des Bundes verbleibt und nur für das operative Geschäft für einen bestimmten Zeitraum der DB AG übertragen wird.8 8 Vgl. hierzu Entwurf eines Gesetzes Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG), BT-Drs. 16/6383. - 8 - 4.1. Finanzierung Öffentliche Unternehmen oder Staatsunternehmen9 haben im Allgemeinen eine gemeinwirtschaftliche Zielstellung (öffentliches Gemeinwesen) und befinden sich ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand. Der Bahn-Konzern ist, trotz privatwirtschaftlicher Organisation als Aktiengesellschaft, ein Unternehmen im Eigentum des Bundes. Der Konzern finanziert sich einerseits aus den erwirtschafteten Gewinnen des Personen- und des Gütertransportgeschäfts und den Entgelten, der Länder für den öffentlichen Personennahverkehr und andererseits aus den Baukostenzuschüssen des Bundes. Diese Subventionen ergeben sich aus dem verfassungsmäßigen Infrastrukturauftrag des Bundes (Hellwig 2006). Diese Ausgaben werden aus dem Bundeshaushalt gemäß den Vorschriften des BSWAG10 finanziert. Die Investitionsverpflichtungen des Bundes umfassen dabei den Bau und Ausbau der Schienenwege sowie Ersatzinvestitionen (§ 8 Abs. 1 BSWAG); als Eisenbahn des Bundes ist die DB AG für den Unterhalt und die Instandsetzung der Schienenwege finanziell verantwortlich (§ 8 Abs. 4 BSWAG). 1998 wurde das Finanzierungsverfahren allerdings umgestellt, und ab 2001 werden zusätzliche Finanzierungsvereinbarungen zwischen BMVBS, BMF und DB AG geschlossen, die nach Auffassung des Bundesrechnungshofs (BRH) nicht den Vorschriften des BSWAG entsprachen und der DB AG finanzielle Vorteile gegenüber der Gesetzeslage in Höhe von 6,977 Mrd. Euro brachten (BRH 2006: 9).11 „Ohne die Baukostenzuschüsse des Bundes könnte die Deutsche Bahn AG als Unternehmen nicht überleben.“ (Hellwig 2006: 5) Würden diese Zuschüsse und die damit finanzierten Investitionen bilanziert, so wäre die Ertragsrate auf das von der DB AG eingesetzte Kapital in jedem Jahr seit der Bahnreform negativ. Die Bahn passiviere aber weder die Zuschüsse noch aktiviere sie die damit finanzierten (Hellwig 2006: 5). 9 Schramm/Eberl identifizieren auf wirtschaftlicher Ebene drei Gruppen von Staatsunternehmen: „Erstens existieren Erwerbsbetriebe, die der öffentlichen Hand als Einnahmequelle dienen und wie privatwirtschaftliche Unternehmen arbeiten. Zweitens gibt es lediglich kostendeckend arbeitende Betriebe; diese haben eine gemeinwirtschaftliche Aufgabe, aber die Unkosten sollen durch sie selbst gedeckt bzw. die Verluste minimiert werden. Hierzu zählten bis vor einigen Jahren vor allem Betriebe des Transportwesens, der Nachrichtenübermittlung sowie der Elektrizitäts-, Gas- und Wassererzeugung und -verteilung. Eine dritte Gruppe bilden die Zuschussbetriebe. Diese dienen zwar der Lösung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben, ihre Leistungen werden aber unentgeltlich oder gegen eine (meist geringe, nicht kostendeckende) Schutzgebühr erbracht. Zu ihnen zählen u.a. die Hochschulen.“ (Schramm/Eberl 2001: 7) 10 Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetz; auch BSchwAG); § 8 BSWAG regelt die Investitionsverpflichtungen des Bundes. 11 Zu der Umstellung der Finanzierung vgl. ausführlich Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH 2006). - 9 - 4.2. Haushalts- und Vermögenseffekte, künftige Finanzierung Je nachdem, wie die Neuemission der Bahnaktie angenommen würde und der weitere Kursverlauf wäre, könnte der Bahn-Konzern seinen Unternehmenswert steigern. Dies ist stärker von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des (Teil)-Konzerns, der an die Börse gebracht wird, abhängig als vom gewählten Privatisierungsmodell. Auch die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen fallen stärker ins Gewicht als das letztendlich realisierte Strukturmodell (Elsenbast: 257). Nach den Berechnungen im PRIMON-Gutachten bewegen sich die vom Privatisierungsmodell abhängigen Haushalts- und Vermögenseffekte12 zwischen dem Maximum von 23,3 Mrd. Euro und dem Minimum von 7,8 Mrd. Euro. Der Unternehmenswert in Abhängigkeit vom Privatisierungsmodell pendelt zwischen 4 Mrd. Euro und 10,4 Mrd. Euro im Minimalfall (Worst Case) und zwischen 6,5 Mrd. Euro und 14,6 Mrd. Euro im Maximalfall (Best Case). Aus kameralistischer Sicht bewegen sich die Haushaltswirkungen zwischen 13,7 Mrd. Euro in der Minimalfallbetrachtung und 33,9 Mrd. Euro im Maximalfall. Haushalterisch kann sich ein Barwerteffekt (einschließlich Vermögenseffekt ) von bis zu 23 Mrd. Euro ergeben, der Unternehmenswerte, Dividendenwerte und Ersparnisse bei den Regionalisierungsmitteln umfasst. Auf den Privatisierungserlös wirken sich die Kosten der Konzerntrennung von ca. 1,5 Mrd. Euro zwischen 2006 und 2009 negativ aus. Die Synergieeffekte, d.h. die Verbundvorteile zwischen Netz und Betrieb, betragen im gleichen Zeitraum kumuliert ca. 1,1 Mrd. Euro. Würde die DB AG nur als Transportbetrieb an die Börse gehen und das Netz im Eigentum des Bundes – in einer Infrastrukturgesellschaft – bleiben, so würde der Schuldenstand der bisherigen DB Netz AG von rund 15 Mrd. Euro auf die neue Netzgesellschaft übergehen und damit auf den Steuerzahler. Dadurch wäre der reine Transportbetrieb für Investoren wesentlich attraktiver, da sich durch die Entschuldung und der damit verbundenen Reduzierung des Verlusts die Unternehmenskennzahlen13 deutlich verbessern würden. Auf der anderen Seite würde durch diese Verlustreduzierung der Verlustvortrag des privatisierten Konzerns gesenkt, somit würden wahrscheinlich zeitlich früher Steuern abgeführt und Dividenden ausgeschüttet werden (Aberle 2006: 499). Das Gesetz zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) sieht u.a. vor, dass die privatisierte DB AG das Schienennetz über einen Zeitraum von 15 Jahren in Eigenverantwortung betreiben soll und dass zur Sicherung der Netzqualität eine 12 Zusammengesetzt aus: Unternehmenswert, Dividendenerwartung, Eigenkapitalwert der Infrastrukturgesellschaft , Barwert der Haushaltsersparnis (PRIMON 2006: 444). 13 Free Cashflow, EBIT - 10 - Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen Bund und DB AG geschlossen werden soll. Danach werden aus dem Bundeshaushalt bis zu 2,5 Mrd. Euro jährlich für Ersatzinvestitionen in das Bestandsnetz als Baukostenzuschüsse der DB AG zur Verfügung gestellt. Kritisch merkt hierzu der BRH an, aus dieser Regelung würde sich für die DB AG ein finanzieller Vorteil von jährlich 750 Mio. Euro ergeben (BRH 2006: 13). 4.3. Infrastrukturauftrag des Bundes Die Entscheidung, ob die Bahn mit oder ohne Netz privatisiert werden soll, steht im Konfliktfeld zwischen einer rein betriebswirtschaftlichen und einer rein gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise. Aberle14 ist der Ansicht: „Eine Separation des Netzes würde aus betriebswirtschaftlicher Sicht weit reichende technische und ökonomische Folgeprobleme bereiten.“ (Aberle 2006: 496) Dies liege darin begründet, dass Deutschland den europaweit höchsten Grad an Komplexität bei Planungs-, Steuerungs- und Sicherungsaufgaben habe, was vor allem an der hohen Vernetzungsintensität und den unterschiedlichen Verkehren liege (Aberle 2006: 496). Viele Kritiker eines Börsengangs befürchten generell, dass der Bund seinem verfassungsmäßigen Infrastrukturauftrag15 nicht im vollen Umfange gerecht werden könne, da er nur geringeren oder gar keinen Einfluss auf die Geschäftsführung einer privatisierten Bahn hätte. Denn würde die Bahn zusammen mit dem Netz privatisiert (integriertes Modell), könnten die erforderlichen Infrastrukturinvestitionen in das Bestandsnetz unterbleiben, insbesondere wenn es sich um aus Unternehmenssicht nicht rentable Strecken handele. In letzter Konsequenz würde dies bedeuten, dass insbesondere im Personentransportgeschäft nur die rentablen und damit die finanziell attraktiven Strecken bedient würden, dadurch die Mobilität eingeschränkt und die Leistungsfähigkeit des Schienennetzes insgesamt leiden würde. Grund für diese vermuteten negativen Folgen ist, dass nach einer Infrastrukturprivatisierung rein ökonomische Unternehmensziele gelten und gemeinwirtschaftliche oder verkehrspolitische Aspekte in den Hintergrund treten bzw. gar keine Rolle spielen. Oft wird auch die Befürchtung formuliert, dass eine privatisierte Bahn generell ihr Angebot insbesondere im Regionalverkehr einschränken würde, weil dieser weniger attraktiv sei. Allerdings sind die Bundesländer im Allgemeinen für Art und Umfang des Schienen- 14 Vgl. hierzu auch Kapitel 5: Positionen 15 Dieser Infrastrukturauftrag verpflichtet den Bund, die Verkehrsbedürfnisse bei Ausbau und Erhalt der Schieneninfrastruktur sowie bei Schienenverkehrsangeboten zu beachten. Jährlich finanziert der Bund Investitionen in das Schienennetz in Höhe von bis zu 4 Mrd. Euro (BT-Drs. 16/3493). - 11 - personennahverkehrs (SPNV) zuständig, da sie die Leistung bei der DB AG oder bei einem der schon vielfach etablierten Konkurrenzunternehmen einkaufen. Finanziert wird der SPNV u.a. durch die Regionalisierungsmittel des Bundes16. 4.3.1. Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Der Einfluss auf die Netzqualität bleibt dann erhalten, wenn die Infrastruktur – wie im Gesetzentwurf zur Neuordnung der Eisenbahnen (EBNeuOG) geplant – als Bundeseigentum erhalten bleibt und nur für eine bestimmte Zeit der DB AG zum Betrieb überlassen wird. Zur Sicherung des Bestandsnetzes soll dann eine Lieferungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen dem Bund und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) geschlossen werden. Neu ist in diesem Zusammenhang, dass die EIU künftig eine umfassende Eigenverantwortlichkeit hinsichtlich des Erhalts der Schienenwege bekommen sollen und, dass der Bund lediglich finanzielle Unterstützung in Höhe von maximal 2,5 Mrd. Euro leisten wird.17 4.3.2. Risiken für den Bund Entsprechend seines Strukturauftrags hätte der Bund bei einer Gefährdung der Bereitstellung von Infrastruktur, z.B. bei einer Unternehmenskrise, im Rahmen seiner haushalterischen Möglichkeiten Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Deshalb ist es für den Bund von Bedeutung, wie sich die Eigentumsverhältnisse am Netz künftig gestalten und wie der Auftrag des Bundes bei Schlechtleistung oder Insolvenz des Infrastrukturbetreibers abgesichert ist (PRIMON 2006: 452). Befürworter eines integrierten Börsenganges argumentieren dagegen, „dass ein privatwirtschaftliches Unternehmen durch den Druck von privaten Investoren getrieben, die Aufgabe des Infrastrukturmanagers ‚effizienter’ erfüllen kann, als dies mit einer ‚behördlichen Organisation’ möglich wäre.“ (PRIMON 2006a: 1) Eine andere Auffassung vertritt Elsenbast18 in seiner Kommentierung des PRIMON- Gutachtens. Seiner Ansicht nach werden die Effizienzanreize bei integriertem Börsen- 16 Der Nahverkehr wird zu rund zwei Dritteln staatlich finanziert (Wolf 2007: 5). 17 „Mit der LuFV wird das Finanzierungsverfahren für das Bestandsnetz umgestellt. Der Bund stellt jährlich einen Betrag von bis zu 2,5 Mrd. Euro für Bestandsnetzinvestitionen bereit. Als Gegenleistung gewährleisten die EIU die betriebsbereite und qualitativ hochwertige Vorhaltung eines fest definierten Netzes. Hinsichtlich der dabei zu Grunde zu legenden fachlichen Kriterien wird die Bundesregierung die aus ihrer Sicht notwendigen Anforderungen an die LuFV in den Gesetzentwurf zur Teilprivatisierung der DB AG aufnehmen.“ (BT-Drs. 16/5827: 3) Im Gegensatz zu dieser geplanten Regelung verlangt das geltende Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG) eine auf die Einzelmaßnahmen bezogene Finanzvereinbarung und damit verbunden auch eine Einzelfallkontrolle (Input-Kontrolle im Sinne eines Verwendungsnachweises). Diese soll künftig durch eine Erfolgskontrolle u.a. orientiert an der Qualität des Gesamtschienennetzes ersetzt werden (Output-Kontrolle). Näher spezifiziert sollen in der LuFV auch die buchhalterischen Anforderungen, um Ersatzinvestitionen und Instandhaltungsausgaben von der üblichen Geschäftstätigkeit zu trennen. 18 Vgl. hierzu auch Kapitel 5: Positionen. - 12 - gang weiterhin verzerrt sein, eben weil Gewinnmaximierung im Vordergrund der Unternehmenspolitik stehen wird und sich das Management nicht an den „gesamtwirtschaftlichen Vorteilen aus dem Betrieb eines Schienennetzes“ orientiert (Elsenbast 2006: 258). Ein Argument für einen getrennten Börsengang wäre, dass wenn das Netz als eigenständiges Unternehmen betrieben wird, die Interessen aller am Markt befindlichen Transportunternehmen von Bedeutung wären. Strategiefehler im Betrieb und bei der Netzentwicklung würden bei einer getrennten Lösung schneller korrigiert werden als bei einer integrierten Lösung. So habe die Bahn als integrierter Konzern „den Unterhalt eines größeren Teils des Bestandsnetzes deutlich vernachlässigt, da die Investitionsmittel zu einem hohen Anteil in Neubauvorhaben geflossen sind.“ (Elsenbast 2006: 258) Da die Bahn aber auch nach einem Börsengang im Wettbewerb eine große Marktmacht darstellen wird, ist es fraglich, inwieweit sich Konkurrenzunternehmen hinsichtlich der Netzfragen durchsetzen könnten – zumal diese Konkurrenten zurzeit oftmals nur regional am Markt vertreten sind. Gegen eine Privatisierung des Konzerns mit dem Schienennetz spricht sich der Bundesrechnungshof (BRH) aus. Er befürchtet, dass die steuerfinanzierten Zuschüsse in Höhe von 2,5 Mrd. Euro – wie es die LuFV vorsieht – die Basis des Konzerngewinns und damit die Rendite privater Investoren wären. „Hieraus besteht durchaus die Gefahr einer Sozialisierung der Kosten im Verbund mit einer Privatisierung der Gewinne.“ (Elsenbast 2006: 259) Oder anders formuliert können diese garantierte Zahlungen eine „Subventionierung von Gewinnen für die Investoren“ darstellen, zumal nicht sichergestellt werden könne, dass diese Baukostenzuschüsse nicht für andere Zwecke als zum Erhalt des Bestandsnetzes verwendet werden könnten. Eine sachfremde Verwendung der Zuschüsse ließe sich aber durch die Vertragsgestaltung sowie durch laufende Überwachung und Kontrolle verhindern (Aberle 2006: 499). 4.4. Wettbewerb und Regulierung Grundsätzlich gilt, je mehr Unternehmen am gleichen Markt in Konkurrenz miteinander stehen, desto mehr Wettbewerb entsteht. Problematisch ist dies, wenn kein funktionierender Markt existiert, weil es sich um ein Monopol handelt. Diese Märkte können nicht allein durch die Privatisierung des Monopolisten in einen funktionierenden Wettbewerb gewandelt werden, sondern bedürfen einer zeitlich befristeten Regulierung durch eine neutrale Organisation, die ihre Aufgabe erfüllt hat, wenn die Marktmechanismen greifen. Das Schienennetz hat den Charakter eines so genannten natürlichen Monopols im Eigentum des Bundes wegen des hohen Grads an Spezifizität und Irreversibilität. Der Eigentümer hat ohne staatliche Aufsicht bzw. Regulierung die Möglichkeit, Konkur- - 13 - renzunternehmen am Zugang zum Schienennetz zu hindern. Diese Diskriminierungsgefahr besteht insbesondere dann, wenn die DB AG als vertikal integriertes Unternehmen an die Börse geht. Um diese auszuschließen, ist es aus wirtschaftspolitischer Sicht notwendig, das Unternehmen aufzuspalten in Netz und Betrieb, wodurch allerdings Trennungskosten entstehen und Synergien verloren gehen. 4.4.1. Regulierung Um Diskriminierungen bzw. ein Marktversagen zu vermeiden oder – positiv formuliert – um eine Wettbewerbsituation herzustellen, wird der Eisenbahnverkehrssektor seit dem 1.1.2006 durch die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) reguliert. Sie „übernimmt die Aufsicht über den Wettbewerb auf der Schiene und ist somit verantwortlich für die Gewährung eines diskriminierungsfreien Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur.“ (BNetzA 2008) Bei dieser symmetrischen Regulierung unterliegen alle Infrastrukturbetreiber unabhängig von ihrer Marktstellung der Aufsicht durch die BNetzA.19 Diese Regulierung wird auch nach einer wie auch immer gestalteten Privatisierung des Bahn-Konzerns erforderlich sein. Da bei allen diskutierten Strukturmodellen der Einsatz von Haushaltsmitteln zur Finanzierung des Infrastrukturbetreibers vorgesehen ist, wird der Bund nach wie vor eine Kontroll- und Steuerungsfunktion übernehmen müssen, um einen diskriminierungsfreien Wettbewerb und einen effektiven Mitteleinsatz sicherzustellen und um die Umsetzung von EU-Vorgaben sowie die beihilferechtlich konforme Mittelverwendung zu kontrollieren. Dabei erfordert das integrierte Privatisierungsmodell einen sehr hohen Kontrollaufwand: „Eine Kontrolle des Konzerns über die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde genügt nicht.“ (PRIMON 2006: 452) Trotz der Regulierungsverantwortung der BNetzA wird in diesem Zusammenhang angeführt , dass die Bahn, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Netz privatisiert wird, nach den Vorgaben des EBNeuOG über Jahre das Netz nutzen kann. „Der grundsätzliche Fehler liegt darin, dass die DB AG Schienen und Bahnhöfe behalten darf und so echte Konkurrenz verhindern kann. (…) Sie wird ihr Monopol verteidigen. Wer das Netz kontrolliert, der kann an der Schraube für die Nutzungsentgelte drehen – und so Konkurrenten einfach auf das Abstellgleis schieben.“ (Rhiel 2007) Auch Elsenbast sieht die Gefahr, dass trotz Regulierung durch die BNetzA kein wirklicher Wettbewerb entstehen wird. Wenn „die Transportgesellschaften der Deutschen Bahn AG weiterhin zu einem relevanten Teil in Bundeseigentum sind, wird sich die Politik vergleichsweise überproportional an den Interessen der Deutschen Bahn AG 19 Vgl. hierzu Monopolkommission (2007) - 14 - orientieren und gegebenenfalls Einfluss auf den Regulierer nehmen.“ (Elsenbast 2006: 258) 4.4.2. Intermodaler und intramodaler Wettbewerb Hinsichtlich der Marktattraktivität und des intermodalen und intramodalen Wettbewerbs stellt das PRIMON-Gutachten fest, dass sich der Modalsplit nicht wesentlich zu Gunsten des Schienenverkehrs ändern wird. Lediglich sei bei einer Privatisierung nach dem Trennungsmodell eine Verbesserung im Gütertransportsektor zu erwarten. Allerdings hänge dies von entsprechenden Rahmenbedingungen ab. Der intramodale Wettbewerb wird sich allerdings erheblich verstärken, je wettbewerbsfreundlicher das Strukturmodell, ist und damit die privatisierte Bahn unter einen verstärkten Effizienzdruck setzen. Insbesondere im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) könnte durch eine Wettbewerbsintensivierung die Umsatz- und Ergebnisentwicklung der DB AG belastet werden. Verstärkte Konkurrenz führt zu Wettbewerb, und mehr Wettbewerb ist in der Regel verbraucherfreundlich. Allerdings besteht bei einer integrierten Lösung die Gefahr von Reibungsverlusten „da sie vielfältige Interessenskonflikte zwischen Sparten- und Konzerninteressen generiert.“ Die Infrastrukturgesellschaft ist an der Trassenvermietung auch an Transportkonkurrenten interessiert; dies kann und wird sich negativ auf Umsatz und Gewinn der konzerneigenen Transportgesellschaft auswirken (Elsenbast 2006:258). Andererseits können konzerninterne Konkurrenzen sich in der Summe positiv für das Gesamtkonzernergebnis auswirken. Einen anderen, sozialistischeren Ansatz vertritt Wolf20. Er glaubt, dass es nur einen intermodalen, nicht aber einen intramodalen Wettbewerb gebe. „Innerhalb des Systems Schiene gibt es von der Sache her gesehen einen solchen Wettbewerb nur begrenzt.“ (Wolf 2007: 5). Ein Transportunternehmen bekomme für einen bestimmten Zeitraum für eine bestimmte Strecke eine Lizenz zur Nutzung. Damit finde per Definition das Gegenteil von Wettbewerb statt, denn: „Vereinbart wird, dass in dem Zeitraum für den die Konzession vergeben wird, Konkurrenz ausgeschlossen wird. Es werden zunächst regionale Monopole oder Streckenmonopole oder Monopole für spezifische Verkehre vereinbart.“ (Wolf 2007: 5) 4.4.3. Beschäftigung Negative Beschäftigungseffekte innerhalb des DB-Konzerns werden bei einer Privatisierung unausweichlich sein. Die Trennung des Infrastrukturbetriebs von der Transport- 20 Winfried Wolf war in der 15. Wahlperiode Mitglied des Deutschen Bundestags und verkehrspolitischer Sprecher der PDS; Wolf ist Mitglied der Initiativen „Bürgerbahn statt Börsenbahn“ und „Bündnis Bahn für Alle“. - 15 - gesellschaft und die stärkere Konkurrenz werden zu Personalanpassungen führen. Andererseits werden aber bei den Wettbewerbern, die sich neu auf dem Markt etablieren, auch neue Stellen geschaffen. Zusätzlich werden die zu erwartenden Preissenkungen das Marktvolumen voraussichtlich steigern, und damit wird die „beschäftigungspolitische Prognose doch nicht unbedingt ungünstiger ausfallen als bei einer Perpetuierung des Status quo“ (Elsenbast 2006: 258). 5. Fazit Abschließend kann festgestellt werden, dass die meisten Wirtschaftswissenschaftler und Juristen den ökonomischen Nutzen einer Bahnprivatisierung nicht generell in Frage stellen. Sie diskutieren deshalb nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ eines Börsengangs: Soll das Unternehmen integriert – also mit Netz – privatisiert werden, aber weiterhin mehrheitlich im Eigentum des Bundes bleiben, oder ist eine Trennung von Netz und Betrieb – dieser wird dann nur börsennotiert sein – die bessere Lösung? Die Monopolkommission favorisiert in ihrem Sondergutachten eine Trennung von Netz und Betrieb. Die Infrastruktur solle als natürliches Monopol zunächst im Eigentum des Bundes bleiben und durch eine Verwaltungsgesellschaft geführt werden, während der Transportbetrieb privatisiert werden soll (Monopolkommission 2006: 27. Elsenbast21 kommt in seiner Analyse des PRIMON-Gutachtens zu dem Ergebnis, dass diejenigen Privatisierungsalternativen nicht geeignet sind, die nur kurzfristig auf die finanziellen Vorteile des Bundes ausgerichtet sind. Für ihn ist es wichtiger, „ (…) die Bahn zu einer attraktiveren verkehrspolitischen Alternative zu machen und dabei die Entwicklung des Schienenverkehrs unabhängiger von den Interessen der Deutschen Bahn AG werden zu lassen.“ (Elsenbast 2006: 259) Deshalb lehnt er das integrierte Modell und das Eigentumsmodell ab. Rothengatter22 sagt schon in der Überschrift eines Diskussionsbeitrages, welches Strukturmodell er präferiert: „Das Eigentumsmodell enthält die klareren Optionen für eine gestaltungswillige Bahnpolitik“ (Rothengatter 2006: 499). Er begründet dies damit, dass es aus Sicht der Wettbewerbs- und Ordnungspolitik nicht primär um den Erfolg eines einzelnen Unternehmens gehen könne; vielmehr gehe es um die erfolgreiche 21 Dr. Wolfgang Elsenbast ist Lehrbeauftragter für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Köln und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim BMVBS. 22 Prof. Dr. Rothengatter ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Universität Karlsruhe (TH) und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim BMVBS. - 16 - Strukturreform des Eisenbahnmarktes, wofür das Eigentumsmodell die besseren Gestaltungsoptionen biete. Kirchner23 entscheidet sich aus ökonomischer Sicht für das integrierte Modell, da für ihn die Synergieeffekte einen wichtigen Vorteil darstellen, der Bundeshaushalt entlastet wird und Wettbewerb entsteht. „Allein im Integrierten Modell ist sichergestellt, dass die Deutsche Bahn AG als starker Wettbewerber beim Strukturwandel auf den sich öffnenden europäischen Eisenbahnmärkten dank des Zugangs zum Markt für Eigenkapital einen bedeutsamen Part spielen kann (Kirchner 2006: 494). Aberle24 diskutiert die Vor- und Nachteile der verschiedenen Strukturmodelle des PRIMON-Gutachtens, entscheidet sich allerdings nicht eindeutig für eine Variante. Hellwig25 stellt in seinem Aufsatz die Börsenfähigkeit des Konzerns in Frage: „Wiese ein anderes Unternehmen solche Geschäftszahlen auf, so würde sich die Frage eines Börsengangs nicht stellen. Das Unternehmen müsste erst einmal unter Beweis stellen, dass sein Geschäftsmodell nachhaltig Erfolg hat, dass kurzfristig positive Ertragsentwicklungen nicht auf Sonderkonjunkturen zurückzuführen sind oder auf unechten Sparanstrengungen und Bilanzkosmetik beruhen, bei denen bestimmte Aufwendungen tatsächlich oder buchhalterisch auf spätere Perioden verlagert werden.“ (Hellwig 2006: 5) Die BAG-SPNV (Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr) sieht in der Privatisierung der DB AG erhebliche Vorteile; dies allerdings nur, wenn der Betrieb und nicht die Infrastruktur börsennotiert ist. „Nur das Trennungsmodell sichert nach Auffassung der BAG-SPNV einen diskriminierungsfreien Netzzugang, eine effiziente Infrastruktur und weiteren Wettbewerb im SPNV.“ (BAG-SPNV 2006: 2) Die Initiativen „Bündnis Bahn für Alle“ und „Bürgerbahn statt Börsenbahn“ sowie das isw26 lehnen eine Privatisierung der DB AG in welcher Form auch immer generell ab, während die Gewerkschaft Transnet die Ausgabe von Volksaktien favorisiert. Die DB AG selbst setzt sich für einen integrierten Börsengang ein. 23 Prof. Dr. Dr. Kirchner ist Inhaber des Lehrstuhls für deutsches, europäisches und internationales Zivil- und Wirtschaftsrecht und Institutionenökonomik an der Humboldt-Universität zu Berlin. 24 Prof. Dr. Aberle ist Direktor des Lehrstuhls für Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik und Transportwirtschaft an der Universität Giessen und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim BMVBS. 25 Prof. Dr. Hellwig ist Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim BMWi und war Vorsitzender der Monopolkommission . 26 institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung münchen e.V. - 17 - Letztendlich liegt es an der Zielsetzung der Privatisierung, an der sich die Entscheidung für eine Privatisierungsvariante orientieren muss. Aus betriebswirtschaftlicher und ordnungspolitischer aber auch aus Unternehmenssicht ist der Börsengang der DB AG von Vorteil, denn zum einen wird durch einen Börsengang dem Konzern neues Kapital zufließen und damit Investitionen ermöglichen, zum anderen wird Wettbewerb im Eisenbahntransportsektor generiert, wenn auch anfänglich durch die BNetzA reguliert. Dies ist umso wichtiger, weil sich der DB Konzern ab dem Jahr 2010 dem internationalen Wettbewerb im Personentransport stellen muss. Schon heute werden verschiedene Eisenbahnstrecken von Mitwettbewerber insbesondere im Personentransportgeschäft aber auch beim Güterverkehr von Konkurrenzunternehmen bedient. Damit die Bahn gegen diese Konkurrenz bestehen kann, so die Argumentation u.a. auch von Verkehrsminister Tiefensee, benötigt sie dringend Investoren. Ob der Börsengang der Deutschen Bahn AG – mit welchem Strukturmodell auch immer – erfolgreich sein wird, hängt einerseits davon ab, wie die Bahn-Aktie von privaten Investoren akzeptiert werden wird – dies insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklung der Telekom-Aktie. Ob andererseits die Bahnprivatisierung den Bundeshaushalt wirklich entlastet und mehr Verkehr auf die Schiene bringt, ist von der wirtschaftlichen Entwicklung auf nationaler und internationaler Ebene abhängig. Zudem wird es darauf ankommen, wie sich der privatisierte DB-Konzern als „global Player“ positioniert und im Wettbewerb behaupten kann. - 18 - 6. Anlagen Anlage 1: Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG „mit und ohne Netz“. Management Zusammenfassung (PRIMON 2006: 9-44). Anlage 2: Die Privatisierung der Deutschen Bahn AG (Monopolkommission 2006). Anlage 3: Tabelle: Fünf Privatisierungsvarianten und deren Ausgestaltung. 7. Quellen Aberle, Gerd (2006). 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