© 2017 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 020/17 Informationen zur Erdgas-Pipeline Nord Stream Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 2 Informationen zur Erdgas-Pipeline Nord Stream Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 020/17 Abschluss der Arbeit: 15.03.2017 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkungen 4 2. Erdgas-Pipeline Nord Stream 4 2.1. Bestehende Pipeline 4 2.2. Projekt Pipeline Nord Stream 2 5 3. Interessenkonflikte 7 3.1. Derzeitige Pipeline Nord Stream 7 3.2. Nord Stream 2 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 4 1. Vorbemerkungen Der nachfolgende Sachstand befasst sich mit der Erdgas-Pipeline Nord Stream. Gemäß dem Auftragsschreiben werden zunächst Informationen zur bestehenden Pipeline sowie deren geplanter Erweiterung vermittelt. Hieran schließen sich Aufführungen zu den Kontroversen um die Pipeline an. 2. Erdgas-Pipeline Nord Stream 2.1. Bestehende Pipeline Die Nord Stream – Pipeline ist eine am Meeresboden der Ostsee verlegte Offshore-Pipeline, die Erdgas vom russischen Wyborg nach Lubmin nahe Greifswald transportiert. Sie besteht aus zwei Strängen von je 1.224 Kilometer Länge. Ihre jährliche Transportkapazität beträgt insgesamt 55 Milliarden Kubikmeter (je Pipeline-Strang 27,5 Milliarden Kubikmeter). Der erste Strang wurde im November 2011, der zweite im Oktober 2012 in Betrieb genommen. Beide Stränge weisen einen Leitungsdurchmesser von jeweils 1.220 Millimetern auf, der Innendurchmesser liegt jeweils konstant bei 1.153 Millimetern.1 „Die Pipeline verläuft durch die ausschließlichen Wirtschaftszonen von Russland, Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland sowie durch die Territorialgewässer von Dänemark, Russland und Deutschland.“2 Sie ist über die Anschlussleitungen OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungs-Leitung) und NEL (Nordeuropäische-Erdgasleitung) an das europäische Erdgasversorgungsnetz angeschlossen.3 Betreibergesellschaft der Nord Stream – Pipeline ist die Nord Stream AG mit Sitz in Zug (Schweiz). Hauptanteilseigner der Nord Stream AG ist die russische PAO Gazprom mit einem Anteil von 51 Prozent; weitere Anteilseigner sind die Wintershall Holding GmbH (BASF-Tochtergesellschaft , Deutschland, 15,5 Prozent), die PEG Infrastruktur AG (PEGI/E.ON-Tochtergesellschaft , Deutschland, 15,5 Prozent), die N.V. Nederlandse Gasunie (Niederlande, 9 Prozent) und die ENGIE (Frankreich, 9 Prozent).4 Ausweislich einer Pressemitteilung der Nord Stream AG vom 10. Januar 2017 war die Transportkapazität der Nord Stream – Pipeline (55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr) im Jahr 2016 zu 1 Vgl. Nord Stream AG (2016). Fact Sheet. Das Nord Stream Pipeline-Projekt. Zug (Schweiz). August 2016. Link: http://www.nord-stream.com/de/presse-info/infothek/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017) (Anlage 1). 2 Nord Stream AG (2017). Die Pipeline. Zug (Schweiz). Link: https://www.nord-stream.com/de/das-projekt/diepipeline / (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Vgl. auch Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2017). Themenseite Konventionelle Energieträger. Gas. Abschnitt „Diversifikation der ausländischen Bezugsquellen und Transportwege“. Berlin. Link: http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Textsammlungen/Energie/gas.html?cms_artId=218216 (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). 3 Vgl. Nord Stream AG (2017). Betrieb. Zug (Schweiz). Link: https://www.nord-stream.com/de/betrieb/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). 4 Vgl. Nord Stream AG (2017). Wer wir sind. Zug (Schweiz). Link: http://www.nord-stream.com/de/wer-wir-sind/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 5 80 Prozent ausgelastet. „Damit lieferte Nord Stream 43,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die Europäische Union. Dies ist eine weitere Steigerung verglichen mit den Vorjahreswerten: 2015 wurden 39,1 Milliarden Kubikmeter geliefert (71 Prozent der Jahreskapazität). 2014 waren es noch 35,5 Milliarden Kubikmeter (65 Prozent), im Jahr 2013 etwa 23,8 Milliarden Kubikmeter (43 Prozent ) gewesen.“5 Details zur bestehenden Nord Stream – Pipeline erschließen sich über den Internet-Auftritt der Nord Stream AG (http://www.nord-stream.com/de/, zuletzt aufgerufen am 15. März 2017), über den auch die folgenden, als Anlage beigefügten Informationsunterlagen abgerufen werden können : Nord Stream AG (2016). Hintergrundinformation. Die Nord Stream-Pipeline: Langfristiger Garant für Energiesicherheit in Europa. Zug. August 2016. Link: http://www.nordstream .com/de/presse-info/infothek/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Anlage 1 Nord Stream AG (2016). Fact Sheet. Das Nord Stream Pipeline-Projekt. Zug (Schweiz). August 2016. Link: http://www.nord-stream.com/de/presse-info/infothek/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Anlage 2 2.2. Projekt Pipeline Nord Stream 2 Zur langfristigen Sicherung des Erdgasbedarfs in Europa ist geplant, die bestehende Nord Stream – Pipeline um eine zusätzliche Offshore-Pipeline gleicher Dimension zu erweitern. Diese als Nord Stream 2 bezeichnete Pipeline soll ebenfalls aus zwei gleichen Strängen bestehen, eine Transportkapazität von insgesamt 55 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr aufweisen und über ihre Gesamtlänge von gut 1.200 Kilometern weitgehend parallel zur bestehenden Nord 5 Nord Stream AG (2017). Pressemitteilung vom 10. Januar 2017. Durchschnittliche Auslastung der Nord Stream- Pipeline im Jahr 2016 bei 80% – 43,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas erreichten die Europäische Union. Zug (Schweiz). Link: http://www.nord-stream.com/de/presse-info/pressemitteilungen/durchschnittliche-auslastungder -nord-stream-pipeline-im-jahr-2016-bei-80-438-milliarden-kubikmeter-erdgas-erreichten-die-europaeischeunion -490/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 6 Stream – Pipeline verlaufen.6 Als Ausgangspunkt ist ein Terminal an der Narwa-Bucht in der Region St. Petersburg, als Endpunkt Lubmin bei Greifswald vorgesehen.7 Der Bau der Pipeline wird von einer eigenen Projektgesellschaft, der Nord Stream 2 AG,8 vorbereitet . Die Gesellschaft wurde gegründet, um die Pipeline zu planen, zu bauen und nach ihrer Fertigstellung zu betreiben. Sie hat ihren Sitz in Zug (Schweiz), ihre Unternehmensanteile werden von der PJSC Gazprom gehalten.9 Die Pipeline soll in den Jahren 2018/2019 gebaut werden, ihre Inbetriebnahme ist bis Ende 2019 vorgesehen.10 Weitere Einzelheiten zum Pipeline-Projekt Nord Stream 2 erschließen sich über die Homepage der Nord Stream 2 AG unter dem Link https://www.nord-stream2.com/de/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Einen Überblick über das Bauprojekt vermitteln folgende Veröffentlichungen aus ihrem elektronischen Informationsangebot: Nord Stream 2 (2016). Hintergrundinformation. Nord Stream 2: Die neue Pipeline für Europas Energiezukunft. Zug (Schweiz). Oktober 2016. Link: https://www.nord-stream2.com/media /documents/pdf/de/2016/10/nsp2_new-pipeline-for-europes-energy-future _ger_2016_10_25.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Anlage 3 Nord Stream 2 (2016). Fact Sheet. Das Nord Stream 2 Pipeline-Projekt. Zug (Schweiz). Oktober 2016. Link: https://www.nord-stream2.com/media/documents/pdf/de/2016/10/nsp2_projectfact -sheet_ger_2016_10_25.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Anlage 4 6 Vgl. Nord Stream 2 AG (2017). Bau der Pipeline. Zug (Schweiz). Link: https://www.nord-stream2.com/de/projekt /bauphase/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017); Nord Stream 2 (2016). Fact Sheet. Das Nord Stream 2 Pipeline-Projekt. Zug (Schweiz). Oktober 2016. Link: https://www.nord-stream2.com/media/documents/pdf/de/2016/10/nsp2_project-fact-sheet_ger_2016_10_25.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017) (Anlage 4). 7 Vgl. Nord Stream 2 (2016). Infografik. Vorläufige Route. Zug (Schweiz). Link: https://www.nordstream 2.com/media/documents/pdf/de/2017/01/nsp2_karte-2d_rgb_baltic_nsp1-nsp2_de_2017_01_04.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017) (Anlage 5). 8 Homepage der Nord Stream 2 AG: https://www.nord-stream2.com/de/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). 9 Vgl. Nord Stream 2 AG (2017). Anteilseigner und Unterstützer. Zug (Schweiz). Link: https://www.nordstream 2.com/de/unternehmen/anteilseigner-und-unterstutzer (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). 10 Vgl. Nord Stream 2 (2016). Fact Sheet. Das Nord Stream 2 Pipeline-Projekt. Zug (Schweiz). Oktober 2016. Link: https://www.nord-stream2.com/media/documents/pdf/de/2016/10/nsp2_project-fact-sheet_ger_2016_10_25.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017) (Anlage 4). Vgl. auch: Nord Stream 2 AG (2017). Rückblick und Zeitplan. Zug (Schweiz). Link: https://www.nordstream 2.com/de/projekt/rueckblick-und-zeitplan/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 7 Nord Stream 2 (2016). Infografik. Vorläufige Route. Zug (Schweiz). Link: https://www.nordstream 2.com/media/documents/pdf/de/2017/01/nsp2_karte-2d_rgb_baltic_nsp1- nsp2_de_2017_01_04.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Anlage 5 3. Interessenkonflikte 3.1. Derzeitige Pipeline Nord Stream Die Errichtung der Nord Stream –Pipeline war politisch, ökonomisch und ökologisch umstritten. Deutschland stand ihr vor allem aus ökonomischen Gründen überwiegend positiv gegenüber. Die Pipeline diene der langfristigen Sicherung der Erdgasversorgung. Sie trage zur Diversifizierung der Erdgastransportwege bei und mindere als Offshore – Pipeline im Vergleich zu landgebundenen Pipelines das Risiko von Lieferstörungen aufgrund von politischen Konflikten. Dem standen von Anfang an kritische Stimmen gegenüber, die davor warnten, die Nord Stream – Pipeline werde die Abhängigkeit der Erdgasversorgung von russischen Erdgaslieferungen erhöhen und die EU tendenziell spalten. Darüber hinaus befürchteten Transitländer landgestützter Pipelines, dass der Bau der Nord Stream - Pipeline ihre Transiteinnahmen mindern werde. Hinzu traten ökologische Bedenken. Innerhalb der EU haben sich vor allem Polen, die baltischen Staaten und Schweden gegen den Bau der Pipeline ausgesprochen. Einen Überblick über die unterschiedlichen Interessenlagen vor der Inbetriebnahme der Pipeline vermittelt eine von der Stiftung Wissenschaft und Politik herausgegebene Studie von 2010, aus der nachfolgend auszugsweise zitiert wird. ‚„Während in Deutschland und Russland – den Ländern, aus denen die Hauptanteilseigner kommen – eine positive Grundeinstellung dem Projekt gegenüber herrscht, traf Nord Stream von Anfang an auf den Widerstand der meisten anderen Ostsee-Anrainer. Besonders heftig opponierten Polen und Schweden. Die Projektbefürworter argumentieren, dass mit der neuen Pipeline eine unmittelbare Anknüpfung zwischen dem Gasproduzenten Russland und den Märkten in Mittel- und Westeuropa geschaffen werde. Angesichts der regelmäßigen Querelen in Moskaus Beziehungen zu den Transitländern Belarus und Ukraine sei Nord Stream ein wichtiger Beitrag zur Routendiversifizierung, denn „das sicherste Transitland ist die Ostsee“.(---) Die Projektfirmen behaupten überdies, dass die neue Leitung langfristig eine kostengünstigere Lösung biete als der landgebundene Transport, da keine Transitgebühren anfielen . Auch sei aufgrund der physikalischen Druckverhältnisse ein effizienter und umweltschonender Betrieb der Pumpstationen möglich. Die Argumente der Gegner lassen sich vier Bereichen zuordnen.(---) Erstens geht es um Fragen der europäischen Integration. Durch das Projekt, so dieser Einwand, werde die EU gespalten – mit Blick auf den Grad an Versorgungssicherheit, aber auch politisch und strategisch. Russland intensiviere die Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern, insbesondere Deutschland, während es gleichzeitig seine Machtposition gegenüber anderen Transit- und Abnehmerländern ausbaue und damit noch bessere Möglichkeiten erhalte, ihnen gegenüber die „Energiewaffe “ einzusetzen. Mit Nord Stream entstehe nicht nur symbolisch ein neuer Eiserner Vorhang , so ein polnischer Energieexperte, sondern „ein realer ‚Vorhang aus Gas‘, der den Kontinent spaltet – in ein altes, unter dem Einfluss Deutschlands stehendes Europa und das frühere Ostmitteleuropa, das in den Schoß der Mutter Russland zurückkehrt“.(---)Vor allem Polen sieht sich als großer Verlierer der Nord Stream – Pipeline, denn ihretwegen droht es den Status als Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 8 Transitland einzubüßen. Da sowohl an der künftigen Lieferfähigkeit Russlands als auch an der vorhergesagten Nachfragezunahme in der EU Zweifel bestünden, sei ein wichtiges Argument der Befürworter hinfällig, mit dem man Polen beruhigt habe – dass nämlich aufgrund eines massiven Anstiegs russischer Gasexporte nach Europa sämtliche Transportmagistralen notwendig seien, also Nord Stream, die Route über die Ukraine und die Jamal-Pipeline (zumindest deren erster Strang). Dies bedeute aber, so die Schlussfolgerung der Projektgegner, dass Russland im Falle einer ernsten Krise etwa mit Belarus – oder mit Polen selbst – Westeuropa versorgen und gleichzeitig die Belieferung Polens aussetzen könnte. Die Diskussion über Nord Stream war phasenweise extrem aufgeladen – im Frühjahr 2006 etwa stellte der damalige polnische Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski das Projekt in die Tradition des Hitler-Stalin-Paktes.(---) Angebote seitens Nord Stream, Polen an die neue Pipeline anzuschließen, stießen bisher meist auf Ablehnung. Mit der Umsetzung des Projekts werden in Polen zunehmend die regulatorischen Modalitäten der Pipeline und ihrer Abzweige kritisiert – etwa die Ausnahmegenehmigung der Bundesnetzagentur für die OPAL-Pipeline hinsichtlich Netzzugang und Durchleitungsentgelte. In Polen erhob man auch Einwände, die sich auf die Entwicklung der Seeschifffahrt beziehen . Durch die Verlegung der Pipeline, so das Argument, werde die Zufahrt zum Hafen und zum geplanten LNG-Terminal in Swinemünde erschwert. An der Stelle, an der sich Schifffahrtsweg und Pipeline treffen würden, könnten Tanker mit großem Tiefgang nicht mehr verkehren , weil der ohnehin niedrige Wasserstand der Ostsee durch die Leitung weiter reduziert werde. Nicht zuletzt, um polnische Befürchtungen zu entkräften, entschloss sich Nord Stream im Frühjahr 2010, eine Umtrassierung bzw. Tieferlegung der Pipeline vorzunehmen, so dass die Hafennutzung in Swinemünde nicht beeinträchtigt wird. Während man damit die Vorbehalte hinsichtlich der Zufahrt von LNG-Tankern weitgehend ausräumen konnte, wurden von polnischer Seite weitere Maßnahmen gefordert, um die Wassertiefe in der sogenannten Nordansteuerung auf den Handelshafen zu erhöhen ( … ). Die dritte Gruppe von Gegenargumenten resultiert aus ökologischen Bedenken. Da die Ostsee ein in dieser Hinsicht hochsensibles maritimes Areal darstelle, ziehe der Bau der Pipeline unangemessene Schäden für die Umwelt nach sich, so die Kritiker. Ein besonderes Risiko stellten bereits die Verlegungsarbeiten dar, etwa weil sich dabei Sediment bilden könne, das Flora und Fauna schade.(---) Zudem wurde mehrfach auf das Problem hingewiesen, dass in der Ostsee Munitionslasten, darunter Giftgas, lagern. Nord Stream hält dem entgegen, man habe den Meeresboden entlang der kompletten Strecke über mehrere Jahre hinweg komplett untersucht .(---) Überdies sei das Vorhaben von vornherein so angelegt gewesen, dass Auswirkungen auf die Umwelt minimiert würden. Diese seien ohnehin meist „nur von kurzer Dauer und örtlich auf einen kleinen Bereich beschränkt“.(---) Ein viertes Bündel von Gegenargumenten zielt auf sicherheitspolitische und militärische Aspekte . Derlei Bedenken wurden nicht zuletzt durch eine Äußerung Putins vom Herbst 2006 entfacht. Damals noch Präsident, sprach er davon, dass die russische Marine wirtschaftliche Interessen des Landes in der Ostsee zu schützen habe und ihre Fähigkeiten auch zur Lösung etwa ökologischer Probleme im Zusammenhang mit Nord Stream einsetzen könnte.(---) Diese Worte lösten in mehreren Anrainerstaaten die Befürchtung aus, dass russische Kriegsschiffe künftig entlang der Pipeline-Route patrouillieren würden und eine Militarisierung der Ostsee bevorstehen könnte.(---) Vor allem in Schweden häuften sich kritische Stimmen. Baupläne für eine Wartungsplattform vor der schwedischen Küste ließen Ängste aufkommen, dass diese Anlage für nachrichtendienstliche Zwecke missbraucht werden könnte. Sowohl russische Stellen als auch die Nord Stream AG versuchten solchen Vorbehalten entgegenzuwirken, doch gerade Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 9 im schwedischen Diskurs tauchen weiterhin militärische und im klassischen Sinne sicherheitspolitische Elemente auf.(---)“‘11 Einen Einblick in die Auseinandersetzungen um die Nord Stream – Pipeline vermittelt darüber hinaus ein ausführlicher Artikel in den Auslandsinformationen der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2009: Raabe, Stephan (2009). Der Streit um die Ostsee-Gaspipeline: Bedrohung oder notwendiges Versorgungsprojekt? In: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.). Auslandsinformationen. Jg. 25 (2009). Heft 2. S. 67 – 94. Link: http://www.kas.de/wf/doc/kas_16137-544-1- 30.pdf?090406130249 (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Standnummer in der Bibliothek des Deutschen Bundestages: R 73286|25.2009.1. Anlage 6 Ferner wird auf folgende Veröffentlichungen aufmerksam gemacht: Hubert, Franz/Suleimanowa, Irin (2009). Ostsee-Pipeline: die Gewinne werden neu verteilt. In: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.). Wochenbericht. Jg. 76 (2009). Nr. 7. S. 114 – 120. Berlin. Link: http://www.diw.de/documents/publikationen /73/diw_01.c.94771.de/09-7-1.pdf . Der Beitrag kann im Katalog der Bibliothek des Deutschen Bundestages elektronisch aufgerufen werden. Bouzarovski, Stefan (2011). Energy transit in Central and Eastern Europe: interpreting Polish reactions to the Nord Stream pipeline through a spatial-political lens. In: Gawrich, Andrea /Franke, Anja/Windwehr, Jana (Hrsg.) (2011). Are resources a curse? Rentierism and energy policy in post-Soviet states. Opladen [u.a.]. S. 201 - 213. Standnummer in der Bibliothek des Deutschen Bundestages: M 592028. 3.2. Nord Stream 2 Auch das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 ist politisch und ökonomisch umstritten. Während die Bundesregierung vor allem den privatwirtschaftlichen Charakter des Projekts sowie dessen Bei- 11 Lang, Kai-Olaf (2010). Problemzone und Vorreiterregion. Der Ostseeraum im Spannungsfeld energiepolitischer Kontroversen und Kooperationsvorhaben. In: Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.). SWP-Studie S 26. Berlin . Oktober 2010. S. 19 – 22 (Abschnitt „Nord Stream“). Link: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents /products/studien/2010_S26_lng_ks.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Die Studie ist über die Bibliothek des Deutschen Bundestages elektronisch verfügbar. Die hochgestellten Klammern innerhalb des zitierten Textes markieren im Originaltext Quellenangaben in Form von Fußnoten; vgl. ebenda. Die inhaltlichen Hervorhebungen durch die Fettung einzelner Wörter wurden vom Verfasser des Sachstandes vorgenommen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 10 trag zu einer weiteren Diversifizierung der Erdgas-Lieferwege und der Sicherung der Erdgasversorgung betont,12 stößt das Projekt vor allem bei mittelost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten der EU, aber auch bei der EU-Kommission auf Kritik. Im Laufe der letzten Jahre sind eine Vielzahl von Beiträgen veröffentlicht worden, in denen einzelne Aspekte der unterschiedlichen Beurteilungen des Projekts Nord Stream 2 abgehandelt werden . Im Dezember 2016 hat die Stiftung Wissenschaft und Politik eine Untersuchung zum Projekt North Stream 2 vorgelegt, in der der Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Einordnung dieses Vorhabens unternommen wird. Hierin wird North Stream 2 als ein kommerzielles Projekt mit politischen Dimensionen beschrieben und im Lichte betriebswirtschaftlicher Erwägungen , unter dem Aspekt der Regulierung im EU-Binnenmarkt, im Hinblick auf Marktentwicklungen , Markt(macht)verhältnisse und Versorgungssicherheit sowie hinsichtlich seiner politischen Dimensionen untersucht. Vgl. Lang, Kai-Olaf/Westphal, Kirsten (2016). Nord Stream 2 – Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Einordnung. Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). SWP-Studien 2016/S 21. Berlin. Dezember 2016. Links: https://www.swp-berlin.org/publikation/nord-stream-2-versuch -einer-einordnung/ (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017); https://www.swp-berlin .org/fileadmin/contents/products/studien/2016S21_lng_wep.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Anlage 7 Im Rahmen des einleitenden Abschnitts dieser Studie („Problemstellung und Empfehlungen“) wird u. a. ausgeführt: „Die Planungen für den Bau eines dritten und vierten Strangs der Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee haben in der Europäischen Union erhebliche Kontroversen ausgelöst. Während der russische Energiekonzern Gazprom, aber auch die am Projekt interessierten europäischen Firmen argumentieren, das »Nord Stream 2«-Vorhaben und die damit geschaffene zusätzliche Direktanbindung der EU-Energiemärkte an den Produzenten Russland erhöhten die Energiesicherheit in Europa, sehen insbesondere die Kommission und einige Mitgliedstaaten das Projekt kritisch. Sie befürchten unter anderem einen weiteren Ausbau der Vormachtstellung 12 Vgl. u. a. Deutscher Bundestag (2016). 18. Wahlperiode. Drucksache 18/7956 vom 22.03.2016. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Thomas Lutze, Herbert Behrens, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/7789 – Das Nordstream-2-Projekt vor dem Hintergrund der Energiesicherheit und Sanktionspolitik gegen Russland. Berlin. Link: http://dip21.bundestag .btg/dip21/btd/18/079/1807956.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017); Deutscher Bundestag (2016). 18. Wahlperiode. Drucksache 18/8047 vom 07.04.2016. Antwort der Bundesregierung auf die auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/7952 –. Mögliche Folgekosten durch die Erweiterung der Erdgas-Ostseepipeline. Berlin. Link: http://dip21.bundestag .btg/dip21/btd/18/080/1808047.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017); Deutscher Bundestag (2016). 18. Wahlperiode. Drucksache 18/10433 vom 23.11.2016. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN– Drucksache 18/10127 – Erweiterung der Ostseepipeline Nord Stream 2. Berlin. Link: http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/104/1810433.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 11 Gazproms auf EU-Märkten und die Schwächung der bisherigen Transitländer, die im Extremfall künftig nicht mehr für die Verbringung von russischem Erdgas nach Mittel- und Westeuropa benötigt würden. Vor allem im östlichen Teil der EU gibt es überdies Sorgen, dass das Projekt negative Folgen für die eigene Versorgungssicherheit und politische Konsequenzen in Gestalt einer Revitalisierung der deutsch-russischen Kooperation haben könnte, die sich dann über den Energiesektor hinaus europa- und außenpolitisch niederschlägt. Die intensiven Auseinandersetzungen um das Pipeline-Projekt spielen sich in einem mehrdimensionalen Kontext ab. Für die EU stellt sich im Zusammenhang mit Nord Stream 2 nicht zuletzt die Frage, ob sie im Falle des Baus der Leitung in der Lage sein wird, einen dreifachen Konsistenz- und Kohärenztest zu bestehen: erstens mit Blick auf die Anwendung ihrer für den Energiebinnenmarkt geltenden Regeln, die weder aufgeweicht noch aus politischen Gründen gebeugt werden sollten; zweitens hinsichtlich ihrer außen- und sicherheitspolitischen Ziele, konkret gegenüber der Ukraine, die ja durch Entscheidungen in der Energiepolitik nicht unterlaufen werden sollten; und drittens bezüglich ihres inneren Zusammenhalts, der durch Nord Stream 2 leiden könnte – politisch, weil sich die Kluft zwischen den Mitgliedstaaten in Sachen Russland- oder Energiepolitik vergrößern könnte, und wirtschaftlich, weil der Bau der Pipeline möglicherweise dazu führt, dass Mitgliedstaaten stärker auf nationale Energie- und vor allem Energiesicherheitspolitik setzen und die Marktfragmentierung damit zunimmt. Einerseits könnte das Projekt Nord Stream 2 nach der dramatischen Verschlechterung der EU- Russland-Beziehungen infolge der Krise um die Ukraine 2014 dazu dienen, gemeinsamen Interessen wieder mehr Raum und Gewicht zu verschaffen. Andererseits lässt sich die geopolitische Dimension des Vorhabens nicht ignorieren, denn es ist darauf angelegt, den Transit durch die Ukraine zu umgehen. Zudem ist die Idee, eine weitere Pipeline durch die Ostsee zu bauen, im politischen Diskurs stark aufgeladen worden. Die Gegner des Projekts argumentieren , eine solche zusätzliche Rohrleitung führe die Energieunion ad absurdum und laufe all ihren Zielen zuwider. Der Pipeline-Plan zieht also hohe politische Kosten nach sich und das fast unabhängig davon, ob er scheitert oder implementiert wird. Nord Stream ist eine kommerzielle Unternehmung, hat aber weit über das Betriebs- und Energiewirtschaftliche hinausreichende Folgen. In jedem Fall also stellt das Vorhaben eine Herausforderung für die Energiediplomatie nach innen und nach außen dar.“13 Bei der Analyse der politischen Dimensionen des Nord Stream 2 – Projekts widmet sich die Studie u. a. der Kritik der mittelost- und südosteuropäischen Staaten. Sie führt hierzu aus: „Während die Nord Stream 2 die Gasmärkte in den nordwestlichen und westlichen Gasmärkten mit ihren liquiden Hubs stärkt, sind ihre Auswirkungen auf die ostmittel- und südosteuropäischen Länder wesentlich ambivalenter zu beurteilen. Deswegen hat das Projekt Konsequenzen für die Beziehungen unter den EU-Mitgliedstaaten. Bereits die Phase der Planungen für die ersten beiden Leitungen hatte zwischenzeitlich zu größeren Verwerfungen geführt, insbesondere zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn, zum Teil auch mit Ländern 13 Lang, Kai-Olaf/Westphal, Kirsten (2016). Nord Stream 2 – Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Einordnung . Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). SWP-Studien 2016/S 21. Berlin. Dezember 2016. S. 5 f. Link: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2016S21_lng_wep.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 12 Nordeuropas. Die partizipierenden Firmen und jene politischen Akteure, die sich für das Projekt aussprachen, argumentierten unter anderem mit den Vorteilen stabilerer Lieferbeziehungen dank Routendiversifizierung und einer direkten Anbindung an den Produzenten Russland . Bedenken der ostmitteleuropäischen Staaten sollten unter Verweis darauf zerstreut werden , dass durch das neue Leitungssystem lediglich zusätzliche Mengen verbracht würden und sich an bestehenden Transitflüssen nur wenig ändere. Dieser Argumentation folgten die meisten Länder der Region allerdings nicht. Für sie waren gerade auch vermeintlich sekundäre außenpolitische Konsequenzen ausschlaggebend für ihre Bewertung. Sie befürchteten nicht nur ungünstige Entwicklungen im eigenen Energiebereich, sondern eine deutsch-russische Annäherung mit strategischen und geopolitischen Folgen. Dass sich die bilateralen Spannungen nach dem Bau und der Inbetriebnahme von Nord Stream 1 nicht verschärften, hing damit zusammen , dass die skeptisch eingestellten Länder Fortschritte bei ihrer Diversifizierungspolitik machten und Deutschland durch sein Verhalten im Ukraine-Russland-Konflikt Vertrauen gewinnen konnte. Allerdings unterscheiden sich die Rahmenbedingungen für Nord Stream 2 erheblich von denen des Vorgängerprojekts, insbesondere was die Beweggründe für das Vorhaben und dessen Rechtfertigung angeht. Die ostmitteleuropäischen Länder befürchten, dass Nord Stream 2 ihre Handlungsoptionen zur Verbesserung ihrer Versorgungssicherheit und zur Reduktion ihrer Abhängigkeit von russischen Lieferungen einschränkt und gleichzeitig die außenpolitische Position der Ukraine in der Auseinandersetzung mit Russland unterminiert. Überdies unterstellen sie dem Projekt entgegen den Beteuerungen seitens der deutschen Politik, bei Nord Stream 2 handele es sich um eine rein betriebswirtschaftliche Unternehmung, eine politische Absicht. Vor diesem Hintergrund sehen sie in Nord Stream 2 in erster Linie ein egoistisches Vorhaben zu Lasten Dritter. Deutschland werfen sie vor, dass es die Unterstützung seiner Partner in der EU etwa in der Flüchtlingspolitik anmahne, den Begriff der Solidarität aber immer nur dann hervorziehe, wenn es seinem Eigeninteresse entspreche. Nicht vergessen werden dürfen auch die möglichen Konsequenzen einer weiteren Nord- Stream-Pipeline für die EU-Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten in Südosteuropa. Die Transportinfrastruktur einiger dieser Länder ist bislang einseitig auf Bezugswege aus der Ukraine ausgerichtet. Sollte diese Route marginalisiert werden oder gar wegfallen, so wären sie dazu gezwungen, ihre Gastransportnetze rasch um entsprechende Verbindungsleitungen zu ergänzen, was ihre bisherigen Infrastrukturplanungen möglicherweise verändert und sie zu zusätzlichen Investitionen zwingt. Die Ankündigung von Nord Stream 2 stieß insbesondere im östlichen Mitteleuropa auf zum Teil heftige Kritik – sowohl an dem Vorhaben selbst als auch an der Politik Deutschlands. Dabei wurden und werden sowohl energiepolitische als auch außen- und europapolitische Argumente ins Feld geführt. Das Projekt Nord Stream 2, so formulierten es die für Energiefragen zuständigen Minister aus sieben ostmittel- und südosteuropäischen Ländern (Estland, Lettland , Litauen, Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien) in einem gemeinsamen Brief an den für die Energieunion zuständigen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, beinhalte »alarmierende Aspekte«, die sich negativ auf die »Energiegeopolitik in Europa« auswirken könnten.(---) Auch wird bemängelt, dass das Projekt gegen den Geist der europäischen Energiepolitik und insbesondere gegen den Gedanken der Energiesolidarität verstoße. Nord Stream 2 komme geradezu einer »Demontage der Energieunion« gleich.(---) Denn die mittel- bis langfristige Ausschaltung der Ukraine als Durchgangsland werde auch negative Folgen für diejenigen EU-Mitgliedstaaten haben, die bislang an die ukrainische Ost-West-Transportroute angeschlossen sind. Diese würden entweder selbst als Transitländer verschwinden (allen voran die Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 13 Slowakei) oder als Endverbraucher neue Infrastrukturen für den Bezug russischer Lieferungen aufbauen müssen (dies gilt etwa für Staaten in Südosteuropa). Damit würden die betroffenen Regierungen im Verhältnis zu Moskau, etwa bei der Neuaushandlung von Lieferverträgen, geschwächt . Überdies bestehe die Gefahr, dass (anfangs) günstiges russisches Gas aus dem künftig dominanten deutschen Hub die Märkte in Mitteleuropa überströme, so dass die Rentabilität der dort initiierten Diversifizierungsprojekte (z.B. der Bau von Flüssiggasterminals oder Verbindungsleitungen ) in Frage gestellt werde. Außerdem sei es möglich, dass die in der Region im Rahmen des sogenannten Nord-Süd-Korridors entstehende Transportinfrastruktur nicht zur Einfuhr und Verbringung von Gas aus alternativen Bezugsquellen, sondern mehrheitlich für russisches Gas genutzt werde.(---) Auch sah man die Gefahr, dass sich die Firmen des Nord- Stream-2-Konsortiums politische Unterstützung in wichtigen Mitgliedstaaten sichern würden, damit diese auf die Kommission Druck ausüben mit dem Ziel, bedeutende Prinzipien der europäischen Energiepolitik, vor allem im Regelungsbereich des Dritten Binnenmarktpakets, auszuhebeln. Konkret geht es darum, dass sich Gazprom mit seiner Forderung nach weitgehenden oder voll-umfänglichen Ausnahmen vom Gebot des diskriminierungsfreien Netzzugangs Dritter zu den Anbindungsleitungen in Mitgliedstaaten – vor allem OPAL und Gazela (eine Pipeline, die von Sachsen über tschechisches Territorium nach Bayern führt) – durchsetzen könnte. Folglich ist der Beschluss der Europäischen Kommission von Ende Oktober 2016, dem zufolge Gazprom künftig bis zu 80 Prozent der OPAL-Pipeline nutzen kann, in östlichen EU-Ländern recht kritisch aufgenommen worden, da man in dieser Entscheidung die Bestätigung bislang gehegter Befürchtungen sieht. Insgesamt, so die Gegner, verschlechtere sich die Versorgungsicherheit der EU, denn Nord Stream 2 bringe nicht nur keine Diversifizierung von Bezugsquellen, sondern reduziere die Anzahl bestehender Transportrouten, so dass die Anbindung an Russland im ungünstigsten Fall in Zukunft ausschließlich über einen Weg führe. Damit werde der europäische Gasmarkt anfälliger als bisher für Lieferunterbrechungen – von technisch bedingten bis zu politisch motivierten . Zu diesen im engeren Sinne energiepolitischen Befürchtungen gesellen sich außen- und sicherheitspolitische Erwägungen. Zum einen sehen die Kritiker in den Plänen für Nord Stream 2 ein politisches oder gar strategisches Flaggschiffprojekt, das in einer schwierigen Phase der Beziehungen des Westens zu Russland eine Vertiefung der Kooperation signalisiere und gleichzeitig ein deutsch-russisches Bündnis revitalisiere, welches man in den letzten Jahren überwunden glaubte. Zum anderen wird auf die außen- und sicherheitspolitischen Implikationen für die Ukraine und damit für die europäische Ostpolitik insgesamt verwiesen. Nord Stream 2 nehme der Ukraine nicht nur Einnahmen aus der Verbringung von Gas von Osten nach Westen, sondern entreiße ihr auch Gegenmacht aus ihrem Status als wichtiges Bindeglied im Transitverkehr, also einen der wenigen Trümpfe, über die Kiew im asymmetrischen Verhältnis zu Russland verfüge.“14 14 Lang, Kai-Olaf/Westphal, Kirsten (2016). Nord Stream 2 – Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Einordnung . Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). SWP-Studien 2016/S 21. Berlin. Dezember 2016. S. 31 – 33. Link: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2016S21_lng_wep.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Die hochgestellten Klammern innerhalb des zitierten Textes markieren im Originaltext Quellenangaben in Form von Fußnoten; vgl. ebenda. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 020/17 Seite 14 An diese Ausführungen schließt eine länderspezifische Analyse der Interessenlagen in den einzelnen mittelost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten der EU an (Slowakei, Polen, die baltischen Staaten, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien).15 Einen Einblick in unterschiedliche Sichtweisen zum Projekt Nord Stream 2 vermittelt darüber hinaus eine Veröffentlichung des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments (EPRS) zur Sicherung der Erdgasversorgung der EU durch Gasfernleitungen. Hierin werden im Abschnitt 2.3 die Auswirkungen von Nord Stream 2 auf die Sicherheit der Energieversorgung der EU sowohl unter politischen als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten analysiert. Europäisches Parlament (2016). Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments und Generaldirektion Externe Politikbereiche. Kocak, Konur Alp/De Micco, Pasquale/Felici, Faustine . Auf der Suche nach Gasfernleitungen. Energiepolitik der EU und der östlichen Partnerländer : Die Sicherheit im Vergleich zu den Vorteilen der Transitleistungen. Brüssel. Juli 2016. S. 14 – 22. Link: http://bookshop.europa.eu/is-bin/INTERSHOP.enfinity/WFS/EU-Bookshop- Site/en_GB/-/EUR/ViewPublication-Start?PublicationKey=QA0416606 (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Die Studie kann über diesen Link in ihrer deutschsprachigen Fassung aufgerufen werden.16 Ferner wird auf folgende Veröffentlichungen hingewiesen: Gawlikowska-Fyk, Aleksandra/Lang, Kai-Olaf/Neuhoff, Karsten/Scholl, Ellen/Westphal, Kirsten (2017). Energy in the German-Polish Relationship. Acknowledging Controversies – Pursuing Shared Interests. In: Stiftung Wissenschaft und Politik. SWP Comments. Berlin. 04. Februar 2017. Link: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/comments /2017C04_wep_lng_et_al.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Janczak, Adam, Deputy Director of the EU Economic Department, Polish Ministry of Foreign Affairs (2015). Gas Supply Security in the Energy Union. Berlin. 6. Oktober 2015. S. 13 f. Link: https://www.diw.de/documents/dokumentenarchiv/17/diw_01.c.516598.de/bsec_janczak.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). Westphal, Kirsten (2016). Der Spaltkeil Nord Stream 2?. Zur Zukunft der EU-Energiepolitik. In: Energie. Markt. Wettbewerb. Auszug aus Ausgabe 5 vom Oktober 2016 (Special: Power for Gas - Gasmarkt im Umbruch.). Essen. Link: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents /products/fachpublikationen/Westphal_Der_Spaltkeil_Nord_Stream_2.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). *** 15 Vgl. Lang, Kai-Olaf/Westphal, Kirsten (2016). Nord Stream 2 – Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Einordnung. Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). SWP-Studien 2016/S 21. Berlin. Dezember 2016. S. 33 – 38. Link: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2016S21_lng_wep.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. März 2017). 16 Im Katalog der Bibliothek des Deutschen Bundestages wird die Studie in ihrer englischsprachigen Fassung geführt („The quest for natural gas pipelines“).