© 2015 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 020/15 Einzelfragen zu Agrarstandards und Verbraucherschutz in TTIP und CETA Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 2 Einzelfragen zu Agrarstandards und Verbraucherschutz in TTIP und CETA Verfasserin: Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 020/15 Abschluss der Arbeit: 17. Februar 2015 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Technologie; Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Tourismus Telefon: Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Welche Standards stehen bei den Verhandlungsteilnehmern (USA und Kanada) und Deutschland in den Bereichen Landwirtschaft und Verbraucherschutz als nicht verhandelbar gegenüber (Stichwort: Chlorhuhn) 4 1.1. Kanada 4 1.2. USA 5 2. Gibt es ein EU-Land, in dem Lebensmittel gechlort werden in einem dem U.S.-Hühnchen-Chloren ähnlichen Verfahren, e.g. Salat? 7 2.1. In welchem Land, bei welchem Produkt? 7 2.2. Wie (welche) Konzentrationen etc. erfolgt das Verfahren in den USA konkret? 10 2.3. Vergleich der Hygieneverfahren von USA und EU 10 3. Beispiele für höhere U.S.-amerikanische Lebensmittelstandards 12 3.1. Rohmilch 12 3.2. Cumarin 12 3.3. Antibiotika-Biofleisch 12 3.4. BSE 12 3.5. Äpfel 13 3.6. Exkurs: Medizintechnik 13 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 4 1. Welche Standards stehen bei den Verhandlungsteilnehmern (USA und Kanada) und Deutschland in den Bereichen Landwirtschaft und Verbraucherschutz als nicht verhandelbar gegenüber (Stichwort: Chlorhuhn) 1.1. Kanada Das Verhandlungsergebnis des kanadischen Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Trade and Economic Agreement) liegt bereits in einer konsolidierten Fassung vom 26. September 2014 als englischsprachiger Text vor (1634 Seiten) und ist unter folgendem Link abrufbar: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september/tradoc_152806.pdf . Der Text ist keine endgültige Fassung, sondern wird derzeit einer rechtlichen Überprüfung unterzogen und danach in alle Amtssprachen der EU übersetzt. Erst dann wird er dem Rat und dem Europäischen Parlament zur Genehmigung vorgelegt.1 Die deutschsprachige 21seitige Zusammenfassung der abschließenden Verhandlungsergebnisse ist unter dem Link http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/february/tradoc_153081.pdf abrufbar . Hier wird konstatiert, dass durch die Senkung und Abschaffung der Zölle nicht die Vorschriften berührt werden, „die von den betreffenden Erzeugnissen auf dem jeweiligen Einfuhrmarkt einzuhalten sind (technische, Gesundheits- oder Pflanzenschutzvorschriften für die Sicherheit und den Schutz des Verbrauchers, des Anwenders oder der Umwelt, darunter vor allem Anforderungen an die Sicherheit und Kennzeichnung von Lebensmitteln). Diese Vorschriften bleiben vom CETA unberührt.“2 Auf den Seiten der Europäischen Kommission Generaldirektion Handel finden sich weitere ausführliche Informationen zu CETA unter dem Link http://ec.europa.eu/trade/policy/infocus /ceta/. Auch dort wird betont, dass CETA keine Auswirkungen auf den Lebensmittelbereich und auf den Umweltschutz in der EU haben wird: “CETA will not affect food-related or environmental regulations in the EU. Canadian products can only be imported and sold in the EU if they fully respect the relevant European regulations - without any exemption. For example, CETA does not affect the EU restrictions on beef containing growth hormones or GMOs. Nor does CETA put specific restrictions on future rulemaking. Both the EU and Canada will keep the right to regulate freely in areas of public interest such as environment, health and safety.”3 Die Bundesregierung antwortete auf eine Kleine Anfrage zu CETA u.a., dass das Abkommen keine Regelungen bezüglich der Behandlung von Tieren mit Wachstumshormonen enthalte und 1 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/february/tradoc_153081.pdf 2 Europäische Kommission (2014). CETA – Zusammenfassung der abschließenden Verhandlungsergebnisse. AN- LAGE 1. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/february/tradoc_153081.pdf 3 Unter dem Punkt „What is CETA about?“ “Protecting democracy, consumers and environment”http://ec.europa .eu/trade/policy/in-focus/ceta/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 5 so dementsprechend weiterhin innerhalb der EU die EU-Regeln und in Kanada die kanadischen Regeln gelten.4 In der Stellungnahme des Deutschen Bauernverbands e.V. heißt es, Kanada habe die europäische Gesetzgebung im Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen akzeptiert. Ferner respektiere Kanada das europäische Verbot des Einsatzes von Hormonen und Wachstumsförderern in der Fleischproduktion. Zudem habe Kanada den Schutz geographischer Ursprungsbezeichnungen gemäß der eingetragenen geschützten Bezeichnung akzeptiert. Damit sei die Befürchtung, europäische Standards würden ausgehöhlt, nicht gerechtfertigt.5 1.2. USA Anfang Februar 2015 fand die achte TTIP-Verhandlungsrunde statt. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Auch bei den Verhandlungen zum TTIP sind wie beim CETA bestehende EU-Standards nicht Gegenstand der Verhandlungen. Verbraucherschutzniveau und Regelungsfreiheit sollen erhalten bleiben. Die Europäische Kommission erläutert, dass gewährleistet sein muss, dass die „hohen Standards in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und Sicherheit, Schutz der Privatsphäre sowie Rechte der Arbeitnehmer und der Verbraucher gewahrt bleiben.“6 Die hohen Schutzniveaus seien nicht verhandelbar .7 Von der Europäischen Kommission Generaldirektion Handel wird die Frage, ob man sich um bestehende EU-Normen zum Schutz der Verbraucher, der Umwelt oder der Gesundheit sorgen müsse, wie folgt beantwortet: „Es geht nicht darum, uns gegenseitig zu unterbieten. Die jeweiligen Regelungen sollen kompatibler werden, dies bedeutet jedoch nicht die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern das Ermitteln unnötiger Unterschiede. Kompromisse in Sachen Sicherheit, Verbraucherschutz oder Umwelt wird es nicht geben. Geben wird es aber eine Bereitschaft, pragmatisch zu erkunden, ob wir nicht besser und koordinierter handeln können . Selbstverständlich behält jede Seite das Recht, Umwelt-, Sicherheits- und Gesundheitsangelegenheiten so zu regeln, wie sie es für angebracht hält.“8 Des Weiteren wird die Frage, ob Normen zwischen den USA und der EU harmonisiert werden, verneint: „Sowohl die EU als auch die USA verfügen über zahlreiche Normen und Regelungen. Wo diese voneinander abweichen, entstehen für Hersteller zusätzliche Kosten, weil sie beispielsweise getrennte Produktionslinien betreiben müssen. Diese Kosten werden letztlich an den Verbraucher weitergegeben. In der TTIP 4 Antwort der Bundesregierung vom 21. März 2014 auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN. Agrar-, umwelt-, und verbraucherpolitische Auswirkungen des geplanten Freihandelsabkommens der Europäischen Union mit Kanada. BT-Drs. 18/892. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/008/1800892.pdf 5 http://www.bundestag.de/blob/281956/d4d8a44ef1fe0fbce64ba1bb6375d6cc/a_drs--18-10-103-e-data.pdf 6 http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-564_de.htm 7 http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-564_de.htm 8 Europäischen Kommission Generaldirektion Handel. Häufig gestellte Fragen. http://ec.europa.eu/trade/policy /in-focus/ttip/about-ttip/questions-and-answers/index_de.htm Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 6 geht es nicht darum, die andere Seite von einer Änderung ihres Systems zu überzeugen, sondern darum, wie unsere Systeme reibungsloser funktionieren können. Insbesondere bei Fahrzeugen, medizinischen Geräten und Arzneimitteln besteht Spielraum für eine Annäherung der Regelungen .“9 Zum Verhandlungstext wurden Erläuterungen in englischer Sprache zu sensiblen Verhandlungspunkten zur Lebensmittelsicherheit sowie zu tier- und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen veröffentlicht. Die EU entkräftet hierin die Befürchtungen, dass existierende Regelungen zur Lebensmittelsicherheit geändert werden. (Siehe ANLAGE 2 Factsheet on Food Safety and Animal and Plant Health (SPS).10). Auch in den Leitlinien für die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten des Rates heißt es wie folgt: „In dem Abkommen sollte anerkannt werden, dass die nachhaltige Entwicklung ein vorrangiges Ziel der Vertragsparteien ist und dass sie anstreben, die Einhaltung internationaler Übereinkünfte und Normen in den Bereichen Umwelt und Arbeit zu gewährleisten und zu erleichtern , wobei ein hohes Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzniveau im Einklang mit dem Besitzstand der EU und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gefördert werden soll. In dem Abkommen sollte anerkannt werden, dass die Vertragsparteien den Handel oder ausländische Direktinvestitionen nicht dadurch fördern werden, dass sie das Niveau der internen Rechtsvorschriften und Normen in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitsrecht oder Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz senken oder die Kernarbeitsnormen oder die Politik und die Rechtsvorschriften zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt lockern .“11 Des Weiteren wird in einem Arbeitsdokument des Ausschusses für internationalen Handel des Europäischen Parlaments zum TTIP vom 9. Januar 2015 betont, der Landwirtschaftssektor in der EU unterscheide sich in vielerlei Hinsicht erheblich von dem der USA, etwa hinsichtlich Verbraucherschutzbelangen , GVO und hormonbehandeltem Fleisch. Bei allen Verhandlungsergebnissen müssten die Befindlichkeiten und grundlegenden Werte beider Parteien, wie etwa das Vorsorgeprinzip der EU, respektiert und gewahrt werden. Der Ausgang der CETA-Verhandlungen zeige, dass ein ausgewogenes und für beide Seiten vorteilhaftes Ergebnis in diesem Bereich der Verhandlungen zwischen Ländern mit unterschiedlichen Vorstellungen von Lebensmittelsicherheitsstandards möglich sei.12 9 Europäischen Kommission Generaldirektion Handel. Häufig gestellte Fragen. http://ec.europa.eu/trade/policy /in-focus/ttip/about-ttip/questions-and-answers/index_de.htm 10 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/january/tradoc_153004.3%20Food%20safety ,%20a+p%20health%20(SPS).pdf 11 http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11103-2013-DCL-1/de/pdf 12 http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE- 546.593+01+DOC+PDF+V0//DE&language=DE Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 7 Weitere aktuelle englischsprachige Dokumente zur Regulierungskooperation im Rahmen der TTIP-Verhandlungen finden sich unter den folgenden Links: Regulatory cooperation in TTIP. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/january/tradoc _153002.1%20RegCo.pdf TTIP and Regulation: An Overview. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/february/tradoc _153121.1.2%20TTIP%20and%20regulation%20overview.pdf 2. Gibt es ein EU-Land, in dem Lebensmittel gechlort werden in einem dem U.S.-Hühnchen- Chloren ähnlichen Verfahren, e.g. Salat? 2.1. In welchem Land, bei welchem Produkt? In der Presse wurde mehrfach von der Verwendung chlorhaltiger Substanzen bei verzehrfertigen Tütensalaten berichtet.13 Die Wirtschaftswoche veröffentlichte am 26. Mai 2014 folgenden Artikel und beschreibt hierin die gesamte Problematik: „Tatsächlich ist Tütensalat mindestens so empfindlich wie rohes Hackfleisch, was den Befall mit Keimen angeht, bestätigt Bernhard Trierweiler. Er ist Fachmann für die sogenannte Nacherntebehandlung am Max Rubner-Institut - dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel - in Karlsruhe. Dass Tütensalat allerdings mit Chlorwasser gewaschen werde, sei ihm neu: ‘In Deutschland ist das nicht gestattet.‘ Und für den Rest von Europa ist ihm nicht bekannt, dass dies eine übliche Methode sei. Zwar sei in vielen EU-Ländern eine milde Chlorbehandlung des Trinkwassers erlaubt. Doch ist der Chlorgehalt laut Trierweiler dann sehr gering. Den Widerspruch aufzulösen und die tatsächliche Rechtslage herauszufinden ist eine Sisyphusaufgabe - wie so oft im europäischen Lebensmittelrecht. So verweisen bei der vermeintlich simplen Frage ‘wird Salat in der EU mit Chlorwasser gewaschen‘ verschiedenste Behörden und Forschungsinstitute aufeinander, erklären sich für unkundig oder nicht zuständig - oder schicken seitenweise nichtssagendes Info-Material, etwa über Lebensmittelsicherheit im Allgemeinen. Die Vertretung der EU-Kommission in Berlin wird schließlich fündig: Der Einsatz von Chlor zur Desinfizierung von Obst und Gemüse muss in der EU genehmigt werden, wofür jedes Land selbst zuständig ist. So verbieten Österreich und Dänemark das Chlorieren des Salat- Waschwassers. Belgien und Frankreich gestatten es in sehr geringem Maße. Die Dosis sei aber viel niedriger als bei der US-Chlordusche für Hühnchen, ordnet ein Mitarbeiter der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie ein. Auf Nachfrage in De Guchts Büro heißt es nun: Es gehe nur um das Auswaschen der Tüten mit Chlor. Da war wohl selbst der EU- Kommissar nicht ganz korrekt informiert. 13 http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/presse/Media- Coverage/deutsch/2014/ifo_Presse_Echo_2014_Apr_Juni/medienecho_echo-wiwo-27-05-2014.html Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 8 Die Frage, ob die Chlordusche von Fleisch oder Salat aber sinnvoll - oder im Gegenteil gesundheitsschädlich ist - bleibt offen. Die meisten Verbraucher wünschen sich jedoch eine Kennzeichnung. Denn anders als die Amerikaner fürchten sich Europäer weniger vor Keimen als vor Chemikalien im Essen.“14 Nach Angaben des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) handelt es sich beim "Chlorhühnchen" um eine direkte Desinfektion von Lebensmitteln. Das BLL erläutert, davon zu unterscheiden sei das Waschen z.B. von Obst und Gemüse in Wasser, dem – analog zur normalen Chlorierung von Trinkwasser (= gechlortes Trinkwasser) - geringe Mengen chlorhaltiger Mittel (z.B. Natriumhypochlorit) zugesetzt würden. Das Hygienerecht fordere die Lebensmittelunternehmen auf, zum Waschen von Obst und Gemüse sauberes Wasser zu verwenden. Die Zusätze zum Waschwasser würden dazu dienen, die Keimlast des Wassers zu begrenzen, so dass die mikrobiologische Qualität des Wassers akzeptabel bleibe. (Im Rahmen der Trinkwasserdesinfektion sei die Chlorierung von Trinkwasser mit Natriumhypochlorit, Calciumhypochlorit, Chlordioxid oder Chlorgas übrigens auch in Deutschland zugelassen.) Ein weiterer Fall sei die Behandlung z.B. von Salat mit chlorhaltigen Mitteln und anschließendem Abspülen mit Trinkwasser. Dieser zweistufige Prozess komme in der EU bekanntermaßen in Frankreich zum Einsatz. Dort sei die Behandlung von Obst und Gemüse mit einer wässrigen Natriumhypochlorit-Lösung und anschließendem Nachspülen mit Trinkwasser ausdrücklich erlaubt. Der BLL wies zudem darauf hin, dass die Praktiken und Verfahren zum Waschen, Behandeln und/oder Desinfizieren von Lebensmitteln und auch die Trinkwasserdesinfektion in jedem Land der EU und weltweit unterschiedlich und nicht harmonisiert seien. Zum „Chlorhühnchen“ führte der BLL noch aus, dass Desinfektion bedeute, dass eine sterile Oberfläche geschaffen werden solle (Keimfreiheit). Dies könnten Waschprozesse nicht schaffen, zumal Wasser selbst nicht "keimfrei" sei.15 In den USA wird geschlachtetes Geflügel zur Dekontamination unter anderem mit Chlordioxid, Natriumchlorid, Trinatriumphosphat oder Peroxysäure16 besprüht oder in Tauchkühlbäder eingebracht . Chemische Dekontaminationsverfahren sind in der EU bislang nicht zugelassen. Die Vorschläge der EU-Kommission, diese vier antimikrobiellen Stoffe für die Dekontaminierung von Geflügelschlachtkörpern zuzulassen, wurden bislang von den Mitgliedstaaten abgelehnt.17 Diese Stoffe könnten jedoch gemäß den EU-Rechtsvorschriften (Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004)18 erlaubt werden, sofern eine eingehende wissenschaftliche Bewertung vorausgeht.19 14 Kutter, Susanne (2014). Nahrungsmittel. Die Schlacht ums gute Essen. http://www.wiwo.de/politik/ausland /nahrungsmittel-die-schlacht-ums-gute-essen/9938040.html 15 Die Informationen wurden per E-Mail vom BLL zur Verfügung gestellt und sind nur für die Weitergabe an MdB bestimmt. 16 BT-Drs. 16/9525. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/16/095/1609525.pdf 17 BfR. http://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2012/19/sicheres_fleisch_durch_chemische_behandlung _und_bestrahlung_-130552.html 18 Abl. 2004 L 139, 55. Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs. http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32004R0853&from=DE 19 BT-Drs. 16/9525. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/16/095/1609525.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 9 Liegt keine Stellungnahme der EFSA bezüglich der Verwendung von Chlor bei Geflügelfleisch vor, ist dessen Verwendung sowohl innerhalb der EU als auch bei importiertem Geflügelfleisch verboten.20 Bereits im Jahr 2005 erstellte ein Gremium der EFSA für die Europäische Kommission ein Gutachten über die Behandlung von Geflügelschlachtkörpern mit Chlordioxid, Natriumchlorid, Trinatriumphosphat oder Peroxysäure. Die Experten kamen zu folgendem Ergebnis: „Auf der Grundlage der verfügbaren Daten und unter Berücksichtigung, dass das Geflügel vor dem Verzehr gewaschen und gekocht wird, hält das Gremium die Behandlung mit Trinatriumphosphat , mit saurem Natriumchlorit, Chlordioxid oder mit Peroxysäure-Lösungen unter den beschriebenen Bedingungen für unbedenklich.“21 Im März 2014 bewertete die EFSA Peressigsäure (peroxyacetic acid) zur Reduzierung von Erregern auf Geflügelschlachtkörpern und –fleisch als unbedenklich.22 Sollte die EU beschließen, die derzeit verbotene Chloranwendung am Ende der Verarbeitungskette oder gleichwertige Behandlungen zu erlauben, könnten die USA Geflügel im Wert von 200 20 Am 20. Juni 2014 antwortet De Gucht im Namen der Kommission auf eine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung (E-003358/14). http://www.europarl.europa.eu/RegData/questions/reponses _qe/2014/003358/P7_RE(2014)003358_DE.pdf 21 Übersetzt von Verfasserin. „On the basis of available data and taking into account that processing of poultry carcasses (washing, cooking) would take place before consumption, the Panel considers that treatment with trisodium phosphate, acidified sodium chlorite, chlorine dioxide, or peroxyacid solutions, under the described conditions of use, would be of no safety concern. The Panel notes that spraying of poultry carcasses with antimicrobials, by comparison to dipping and immersion treatments, will reduce the exposure to residues and by-products that might arise. The Panel stresses that the use of antimicrobial solutions does not replace the need for good hygienic practices during processing of poultry carcasses, particularly during handling, and also stresses the need to replace regularly the water of chiller baths.” EFSA (2005). Opinion of the Scientific Panel on food additives, flavourings, processing aids and materials in contact with food (AFC) on a request from the Commission related to Treatment of poultry carcasses with chlorine dioxide, acidified sodium chlorite, trisodium phosphate and peroxyacids. Question Nº EFSA Q-2005-002. http://www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/doc/297.pdf 22 EFSA. Pressemeldung vom 26. März 2014. „Peressigsäure: EFSA bewertet Sicherheit und Wirksamkeit bei Reduzierung von Erregern auf Geflügelschlachtkörpern und –fleisch“. http://www.efsa.europa .eu/de/press/news/140326.htm Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 10 und 300 Mio. US-Dollar in die EU exportieren.23 Eine Entscheidung zugunsten der Chloranwendung hätte große Bedeutung für den Lebensmittelsektor, da hierdurch Arbeitsplatzverluste in der EU befürchtet werden.24 2.2. Wie und in welchen Konzentrationen erfolgt das Verfahren in den USA konkret? Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) beschreibt die Lebensmittelkontaktsubstanz als eine wässrige Lösung von Natriumchlorit und Chlordioxid, die bis zu 1200 mg/kg Natriumchlorit und bis zu 30 mg/kg Chlordioxid enthält. Sie wird für den Einsatz auf Geflügelschlachtkörpern, Schlachtkörperteilen, Geflügelfleisch, Organen oder zugehörigen Teilen oder als antimikrobielles Mittel in Geflügelverarbeitungswasser, als Bestandteil eines Karkassensprays oder einer Tauchlösung verwendet.25 Weitere Informationen hierzu können unter den folgenden Links abgerufen werden: Safe and Suitable Ingredients Used in the Production of Meat and Poultry Products. http://www.fsis.usda.gov/OPPDE/rdad/FSISDirectives/7120.1Amend13.pdf Proprietary Substances. http://www.fsis.usda.gov/Frame/FrameRedirect .asp?main=http://www.fsis.usda.gov/OPPDE/larc/ProprietarySubstances.htm 2.3. Vergleich der Hygieneverfahren von USA und EU Aufgrund der zahlreichen Möglichkeiten von Kontaminationen mit krankmachenden Keimen stehen die derzeitigen Hygienekonzepte in der EU insgesamt zur Diskussion.26 Bei Geflügel ist die Behandlung mit dem sog. Pathogen Reduction Treatment (PRT)27 immer noch streitig. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) führt aus, die Diskussionen um die Dekontamination von Geflügelfleisch mit Hilfe von Chlor oder anderen Substanzen zeige, dass es verschiedene Herangehensweisen an dieses Thema in den USA und in Europa gebe.28 23 Bureau, Jean-Christophe et al. (2014). Risks and Opportunities for the EU Agri-food Sector in a possible EU-US Trade Agreement. http://www.europarl.europa.eu/Reg- Data/etudes/STUD/2014/514007/AGRI_IPOL_STU%282014%29514007_EN.pdf 24 Ecorys (2014). Trade Sustainability Impact Assessment on the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) between the European Union and the United States of America. Final Inception Report. Im Auftrag der Europäischen Kommission. DG Trade. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/may/tradoc_152512.pdf 25 FDA. http://www.accessdata.fda.gov/scripts/fcn/fcnDetailNavigation.cfm?rpt=fcsListing&id=739 26 BfR (2012). http://www.bfr.bund.de/cm/343/verbesserung-der-lebensmittelhygiene-durch-dekontaminationstatement -vzbv.pdf 27 Keimreduzierungsbehandlung. 28 http://www.vetmed.uni-giessen.de/food-science/dvg/GarmischVortraege/Dekontaminationgefluegel2009.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 11 Anlässlich des BfR-Symposiums am 10. und 11. November 2014 wird Lüppo Ellerbroek wie folgt zitiert: „Ohne die Hygienemaßnahmen auf den vorangehenden Stufen29 zu vernachlässigen, kann eine Dekontamination bei der Schlachtung eine sinnvolle zusätzliche hygienische Maßnahme der Lebensmittelunternehmer sein – wenn der Verbraucher einverstanden ist.“30 Siehe hierzu auch ausführlich ANLAGE 4: Lüppo Ellerbroek (2009). Geflügel mit Chemikalien dekontaminiert. Wie viel Milchsäure verträgt der Verbraucher? Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). http://www.vetmed.unigiessen .de/food-science/dvg/GarmischVortraege/Dekontaminationgefluegel2009.pdf Die folgende Tabelle stellt die Anzahl der Erkrankungen dar, die in den USA und in der EU durch die vier Lebensmittelkeime (Campylobacter, Salmonellen, Listerien und pathogene Escherichia coli) hervorgerufen wurden. (Wie viele Menschen von einer Menge von 100.000 Menschen wurden krank?): Quelle: The Acheson Group.31 29 In der EU wird das Hygienekonzept von „Farm to Fork“ praktiziert. 30 Lüppo Ellerbroek (2014). Chlorhühnchen und Lebensmittelsicherheit. In: Zoonosen und Lebensmittelsicherheit anlässlich des BfR-Symposiums am 10. und 11. November 2014. (ANLAGE 3) http://www.bfr.bund.de/cm/343/zoonosen-und-lebensmittelsicherheit-abstracts.pdf 31 The Acheson Group. Die Acheson Group beschäftigt sich mit der Forschung zur Medizin- und Lebensmittelsicherheit und gibt ihr Wissen an Firmen weiter. http://achesongroup.com/2014/03/foodborne-illness-us-eu-compare / Die Daten wurden den folgenden Links entnommen http://www.cdc.gov/mmwr/preview /mmwrhtml/mm6215a2.htm?s_cid=mm6215a2_w und http://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal /pub/3547.htm Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 12 3. Beispiele für höhere U.S.-amerikanische Lebensmittelstandards 3.1. Rohmilch In den USA gelten strengere Regelungen für Lebensmittel, die Listeriose-Bakterien enthalten können, als in der EU. 32 Rohmilchprodukte, die noch keine 60 Tage gereift sind, dürfen deshalb in den USA nicht verkauft werden. 3.2. Cumarin Laut Heinrich Böll Stiftung sind in den USA einige der in der EU üblichen Stoffe wie z. B. Cumarin , verboten, da Tierversuche nahegelegt hätten, dass Cumarin krebserregend sei. In Europa wird Cumarin als Duftstoff genutzt oder kommt u.a. in Zimtprodukten vor.33 3.3. Antibiotika-Biofleisch Bei Lebensmitteln aus ökologischem Anbau gibt es bereits seit längerem ein Äquivalenzabkommen („Organic Equivalence Arrangement“) mit den USA. Hier gelten folgende Einschränkungen: EU-Bio-Produkte von Tieren, die mit Antibiotika behandelt wurden, dürfen nicht in die USA exportiert werden.34 In der EU ist die Antibiotikagabe in der ökologischen Tierhaltung per Gesetz zwar begrenzt, aber nicht verboten. In den USA ist dies bei Bioprodukten gänzlich verboten. 3.4. BSE Die Vereinigten Staaten lockerten im März 2014 die Einfuhrverbote von EU-Rindfleischprodukten im Einklang mit den international geltenden Standards für BSE. Die Herkunftsländer der Fleischprodukte werden nun nach einem mit den Richtlinien der World Organization for Animal Health (OIE) kompatiblen Risikosystem klassifiziert. Einige EU-Staaten zählen zu den Ländern mit vernachlässigbarem BSE-Risiko. Deutschland gilt als Land mit einem kontrollierbaren BSE- 32 Listeriosen beim Menschen kommen zwar sehr selten vor, haben in den vergangen Jahren in der EU aber durchaus zu Todesfällen geführt. Siehe hierzu: Deutsches Ärzteblatt-Online vom 13. August 2014. “Todesfälle durch Listeriose in Dänemark”. http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/59721/Todesfaelle-durch-Listeriose-in-Daenemark . Aus diesem Grund gilt in den USA das „Nulltoleranz“-Prinzip. (Ecorys (2014). Trade Sustainability Impact Assessment on the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) between the European Union and the United States of America. Final Inception Report. Im Auftrag der Europäischen Kommission. DG Trade. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/may/tradoc_152512.pdf) 33 Heinrich Böll Stiftung (2014). Um welche Regulierungsbereiche geht es genau? 21. Mai 2014. http://www.boell.de/de/2014/05/12/7-um-welche-regulierungsbereiche-geht-es-genau 34 National Organic Program. http://www.ams.usda.gov/AMSv1.0/ams.fetchTemplateData.do?template=Template N&leftNav=NationalOrganicProgram&page=NOPTradeEuropeanUnion&description=International %20Trade%20Policies:%20European%20Union Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 020/15 Seite 13 Risiko („controlled risk“).35 Die EU-Exporteure müssen sicherstellen, dass die nationalen Inspektionssysteme für Rindfleischverarbeitungsanlagen in der EU ein "gleichwertiges" Schutzniveau hinsichtlich des Gesundheitsschutzes wie in den USA bieten. 36 3.5. Äpfel Während einer öffentlichen Anhörung im Bundestag erläuterte ein Sachverständiger, dass der europäische Apfelanbau bestimmte Pflanzenschutzmittel zulasse, die in den USA verboten seien. Ein Export von Äpfeln aus der EU in die USA sei daher nahezu unmöglich.37 3.6. Exkurs: Medizintechnik In den USA werden Medizinprodukte in die drei Risikoklassen I, II und III eingeteilt, in der EU in die vier Risikoklassen I, IIa, IIb und III. In der EU ist die CE-Kennzeichnung einfacher zu erhalten und das europäische System erfordert im Gegensatz zum US-amerikanischen System keine staatliche Prüfung, bevor eine Firma ihr Produkt vermarkten kann. Auch verlangen die EU-Aufsichtsbehörden keinen speziellen Nachweis über die Wirksamkeit des Produkts.38 35 Vgl. GTAI (2013). http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Recht-Zoll/Zoll/_zoll_aktuell ,did=924026.html Bureau, Jean-Christophe et al. (2014). Risks and Opportunities for the EU Agri-food Sector in a possible EU-US Trade Agreement. http://www.europarl.europa.eu/Reg- Data/etudes/STUD/2014/514007/AGRI_IPOL_STU%282014%29514007_EN.pdf 36 Bureau, Jean-Christophe et al. (2014). Risks and Opportunities for the EU Agri-food Sector in a possible EU-US Trade Agreement. http://www.europarl.europa.eu/Reg- Data/etudes/STUD/2014/514007/AGRI_IPOL_STU%282014%29514007_EN.pdf 37 Öffentliche Anhörung im Bundestag (2014). Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. (BVE) Geplantes Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP). 30. Juni 2014. http://www.bundestag .de/blob/285534/cf88ae95303ad70f1c066aa610b96377/stellungnahme_bve-data.pdf 38 Höflinger, Oliver. Demographische Trends favorisieren US-Medizintechnikbranche. Einfuhren decken ein Drittel des Binnenbedarfs. TTIP soll Harmonisierung von Vorschriften bewirken. GTAI http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Recht-Zoll/zoll,did=1093770.html