© 2021 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 018/21 Zur Investitionsprüfung im Bereich der Kritischen Infrastrukturen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 2 Zur Investitionsprüfung im Bereich der Kritischen Infrastrukturen Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 018/21 Abschluss der Arbeit: 25. Februar 2021 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Investitionsprüfung 4 3. Kritische Infrastrukturen - Grundsätze 5 3.1. Meldepflicht 6 3.2. Niedrigere Prüfeintrittsschwelle 6 4. Prüfverfahren und Untersagung 6 4.1. Vorprüfung 6 4.2. Hauptprüfverfahren 7 4.2.1. Beteiligte Stellen und Behörden 7 4.2.2. Untersagungsverfügung 8 5. Handlungsverbote 8 6. Genehmigung und Genehmigungsfiktion 9 6.1. Unbedenklichkeitsbescheinigung 9 6.2. Fiktion der Unbedenklichkeitsbescheinigung 10 6.3. Aufhebung und nachträgliche Untersagung 10 6.3.1. Unbedenklichkeitsbescheinigung vor Eröffnung des Hauptprüfverfahrens 10 6.3.2. Unbedenklichkeitsbescheinigung im Hauptprüfverfahren 11 6.3.3. Aufhebung einer Fiktion der Unbedenklichkeitsbescheinigung 11 6.4. Kritik an der Genehmigungsfiktion 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 4 1. Fragestellung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages sind nach einer Darstellung der außenwirtschaftsrechtlichen Investitionsprüfung im Bereich Kritischer Infrastrukturen anhand Einzelfragen zur Ausgestaltung, zum Prüfungsverfahren und der Untersagung sowie zu Handlungsverboten gefragt worden. 2. Investitionsprüfung Bei der Investitionsprüfung (auch Investitionskontrolle) handelt es sich um ein Instrument des Außenwirtschaftsrechts, geregelt im Außenwirtschaftsgesetz (AWG)1 und in der Außenwirtschaftsverordnung (AWV)2. Damit kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bei Vorliegen der Voraussetzungen ausländische Investitionen in inländische Unternehmen im Hinblick auf Sicherheitsrisiken für die Bundesrepublik Deutschland prüfen und gegebenenfalls die Transaktion beschränken oder gar untersagen.3 Dabei unterscheidet man zwischen der sektorspezifischen und sektorübergreifenden Investitionsprüfung . Das sektorspezifische Verfahren ist in den §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 3 AWG i. V. m. §§ 60 bis 62 AWV geregelt und findet dann Anwendung, wenn das betroffene inländische Unternehmen einer der § 60 Abs. 1 AWV genannten Sektoren (beispielsweise Rüstungsgüterindustrie) zugeordnet werden kann und der Erwerber seinen Sitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland hat. Alle anderen Erwerbe unterliegen der sektorübergreifenden Investitionsprüfung, geregelt in §§ 55 bis 59 AWV. Voraussetzung hier ist jedoch, dass der Erwerber seinen Sitz außerhalb der Europäischen Union bzw. des EFTA-Raumes hat.4 Die Investitionsprüfung umfasst sowohl den (vollständigen) Unternehmenserwerb als auch den Beteiligungserwerb. Letzteren jedoch nur, wenn der Erwerb bestimmte Schwellenwerte hinsichtlich der Erlangung der Stimmrechte erreicht. 1 https://www.gesetze-im-internet.de/awg_2013/BJNR148210013.html. 2 https://www.gesetze-im-internet.de/awv_2013/BJNR286500013.html. 3 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/investitionspruefung.html. 4 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/investitionspruefung.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 5 Einen grundsätzlichen Überblick über die beiden Verfahren der Investitionsprüfung bietet die nicht mehr ganz aktuelle Grafik von der Internetseite des BMWi: Quelle: BMWi5 3. Kritische Infrastrukturen - Grundsätze Handelt es sich bei dem betroffenen inländischen Unternehmen um einen Betreiber Kritischer Infrastrukturen so findet grundsätzlich das sektorübergreifende Verfahren Anwendung. § 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AWV enthält als Regelbeispiele inländische Unternehmen, die aus Sicht 5 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/investitionspruefung.html; Die Grafik berücksichtigt noch nicht die mit der AWG/AWV-Novelle einhergehenden Änderungen. So wurden die Fristen beider Verfahren vereinheitlicht, so dass nun die Frist, innerhalb derer das BMWi ein Prüfverfahren eröffnen muss, stets zwei Monate und die Frist, binnen das BMWi eine Untersagung oder Anordnung erlassen kann, stets vier Monate beträgt. Im Rahmen des sektorübergreifenden Verfahrens bedarf zudem nur noch die Untersagung der Zustimmung der Bundesregierung, Anordnungen bedürfen lediglich dem Einvernehmen und Benehmen bestimmter Bundesministerien. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 6 des Verordnungsgebers besonders sicherheitsrelevant und damit prüfrelevant sind.6 Darunter fallen auch Unternehmen, die Betreiber einer Kritischen Infrastruktur7 i. S. d. Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG)8 i. V. m. der Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (BSI-Kritisverordnung)9 sind. Dadurch bestehen einige Besonderheiten im Vergleich zu Sektoren, die nicht in den Katalog des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV fallen. 3.1. Meldepflicht Der Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrags über den Erwerb eines in § 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 11 AWV bezeichneten inländischen Unternehmens oder einer mittelbaren Beteiligung ist dem BMWi schriftlich zu melden, § 55 Abs. 4 S. 1 AWV.10 Die Meldepflicht entsteht unmittelbar mit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages, § 55 Abs. 4 S. 3 AWV. 3.2. Niedrigere Prüfeintrittsschwelle Das BMWi kann eine Prüfung nach § 55 Abs. 1 S. 1 AWV beim Erwerb im Bereich Kritischer Infrastrukturen bereits bei einem Beteiligungserwerb von 10% der Stimmrechte einleiten, vgl. § 56 Abs. 1 Nr. 1 AWV. Für alle anderen Sektoren, die nicht im Katalog des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV aufgelistet sind, gilt der Schwellenwert von 25 % der Stimmrechte, § 56 Abs. 1 Nr. 2 AWV. 4. Prüfverfahren und Untersagung Das Verfahren der Investitionsprüfung bei einem Erwerb im Bereich der Kritischen Infrastrukturen lässt sich zunächst in die Vorprüfung und das Hauptprüfverfahren untergliedern. 4.1. Vorprüfung Die Vorprüfung dient der Entscheidung des BMWi, ob es ein Investitionsprüfverfahren eröffnet. Entscheidend dafür ist zunächst die Kenntniserlangung über den Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrags über den Erwerb. Dies geschieht durch den Antrag auf Unbedenklichkeitsbescheinigung gemäß § 58 Abs. 1 AWV, die Meldung des Erwerbs nach § 55 Abs. 4 AWV oder durch sonstige Kenntniserlangung des BMWi. 6 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 55 Rn. 64. 7 Ebenfalls sind Unternehmen, die Software besonders entwickeln oder ändern, die branchenspezifisch zum Betrieb von Kritischen Infrastrukturen dient, erfasst, vgl. § 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AWV. 8 https://www.gesetze-im-internet.de/bsig_2009/BJNR282110009.html. 9 https://www.gesetze-im-internet.de/bsi-kritisv/BJNR095800016.html. 10 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Aussenwirtschaftsrecht/faq-aussenwirtschaftsrecht.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 7 Das BMWi entscheidet über die Eröffnung des Hauptprüfverfahrens nach pflichtgemäßen Ermessen 11 und in Abstimmung mit den jeweiligen Bundesministerien, deren Geschäftsbereich betroffen ist.12 Gemäß § 14a Abs. 1 Nr. 1 AWG muss ein Prüfverfahren innerhalb von zwei Monaten eröffnet werden. 4.2. Hauptprüfverfahren Nach Eröffnung prüft das BMWi, ob der Erwerb die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, eines anderen Mitgliedstaates der EU oder in Bezug auf Projekte oder Programme von Unionsinteresse im Sinne des Artikels 8 der Verordnung (EU) 2019/452 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union („Screening-VO“)13 voraussichtlich beeinträchtigt, vgl. § 55 Abs. 1 S. 1 AWV. Die von den Beteiligten einzureichenden, erforderlichen Unterlagen ergeben sich aus § 14a Abs. 2 AWG und aus einer Allgemeinverfügung des BMWi vom 22. März 2019.14 4.2.1. Beteiligte Stellen und Behörden Im Rahmen des Hauptprüfverfahrens beteiligt das BMWi andere, im konkreten Einzelfall betroffene Ministerien im Rahmen ihrer Zuständigkeiten.15 Daneben regelt § 13 AWG Zuständigkeiten und Behördenbeteiligungen für den Erlass von Verwaltungsakten und die Entgegennahme von Meldungen. So kann das BMWi Anordnungen gemäß § 59 Abs. 1 Var. 2 AWV nur im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und dem Bundesministerium der Verteidigung sowie im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen, erlassen, vgl. § 13 Abs. 3 S. 2 AWG. Ist ein Erwerb Gegenstand eines sektorübergreifenden Prüfverfahrens, der die Sicherheit eines anderen EU-Mitgliedstaates oder eines Projektes bzw. Programms der EU gefährden könnte, so ist 11 Enders, Weitere Verschärfungen der deutschen Investitionskontrolle – ein kritischer Überblick und Ausblick, RIW 2020, 652 (655). 12 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Aussenwirtschaftsrecht/faq-aussenwirtschaftsrecht.html unter „Schließt sich eine schriftliche Meldung des Erwerbs in der Regel die Einleitung eines Investitionsprüfverfahrens an?“ sowie Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWG § 14a Rn. 3 sowie AWV § 55 Rn. 183 und § 59 Rn. 2. 13 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019R0452&from=EN. 14 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Aussenwirtschaftsrecht/faq-aussenwirtschaftsrecht.html unter „Verfahren bei Investitionsprüfungen. 15 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/investitionspruefung.html unter „Rechtsrahmen sektorübergreifende Investitionsprüfung“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 8 unter Umständen eine Stellungnahme der Europäischen Kommission oder von betroffenen Mitgliedstaaten im Rahmen des mit der Screening-Verordnung eingeführten EU-weiten Kooperationsmechanismus einzuholen.16 4.2.2. Untersagungsverfügung Nach Vorliegen aller vollständigen Unterlagen kann das BMWi den Erwerb nur innerhalb von vier Monaten untersagen, § 14a Abs. 1 Nr. 2 AWG. In Ausnahmefällen kann die Frist verlängert werden.17 Vor Erlass einer Untersagungsverfügung ist der betroffene Erwerber gemäß § 28 VwVfG anzuhören.18 Die Untersagung bedarf gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 AWG der Zustimmung der Bundesregierung in Form eines Kabinettsbeschlusses.19 Sie ist jedoch wegen der Schwere ihres Eingriffs in die Grundfreiheiten „ultima ratio“.20 5. Handlungsverbote Damit Sinn und Zweck der Investitionsprüfung nicht durch einen vor Unbedenklichkeitsbescheinigung erfolgenden Vollzug der Transaktion oder durch den zuvor erfolgenden Abfluss sicherheitsrelevanter Information vereitelt werden21, wurden mit der Außenwirtschaftsgesetz-Novelle 2020 sogenannte Handlungsverbote für meldepflichtige schuldrechtliche Rechtsgeschäfte eingeführt . Danach ist gemäß § 15 Abs. 4 AWG verboten: – Dem Erwerber die Ausübung von Stimmrechten unmittelbar oder mittelbar zu ermöglichen, insbesondere durch Übergabe von Inhaberpapieren, durch Indossament von Namenpapieren , durch Übertragung nach den Bestimmungen des Depotgesetzes oder des Effektengiroverkehrs , durch Stimmrechtsvereinbarungen, Annahme von Weisungen zur Stimmrechtsausübung oder vergleichbare Handlungen (Nr. 1). – Dem Erwerber den Bezug von Gewinnauszahlungsansprüchen, die mit dem Erwerb einhergehen , oder eines wirtschaftlichen Äquivalents zu gewähren (Nr. 2). 16 Vgl. Bendlin Spür, Die Außenwirtschaftsrechtsnovelle 2020: Effektiver Schutz von Sicherheitsinteressen zulasten ausländischer Investoren und deutscher Zielunternehmen?, COVuR 2020, 516 (518). 17 Enders, Weitere Verschärfungen der deutschen Investitionskontrolle – ein kritischer Überblick und Ausblick, RIW 2020, 652 (658). 18 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 59 Rn. 13. 19 Ebd., Rn. 11. 20 Ebd. Rn. 25. 21 BT-Drs. 19/18700, S. 19 f. sowie Enders, Verschärfungen der deutschen Investitionskontrolle – ein kritischer Überblick und Ausblick, RIW 2020, 652 (657). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 9 – Dem Erwerber unternehmensbezogene Informationen, einschließlich elektronisch oder auf sonstige Weise gespeicherte Daten, des inländischen Unternehmens zu überlassen oder anderweitig offenzulegen, soweit sich diese Informationen auf Unternehmensbereiche oder Unternehmensgegenstände beziehen, die auf Grund von § 4 Absatz 1 Nummer 4 und 4a und § 5 Absatz 2 oder von § 4 Absatz 1 Nummer 1 und § 5 Absatz 3 AWG jeweils in Verbindung mit einer auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Rechtsverordnung die Prüfung im Hinblick auf das Gewährleisten der wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland auslösen oder im Rahmen der Prüfung einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland besonders zu berücksichtigen sind (Nr. 3). – Dem Erwerber unternehmensbezogene Informationen, einschließlich elektronisch oder auf sonstige Weise gespeicherte Daten, des inländischen Unternehmens zu überlassen oder anderweitig offenzulegen, die in einer Anordnung nach § 15 Abs. 4 S. 2 AWG als bedeutsam bezeichnet sind (Nr. 4). Die Handlungsverbote gelten wohl ab dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages über den Erwerb bis zum Abschluss des Prüfverfahrens.22 Verstöße dagegen sind bei vorsätzlicher Begehung gemäß § 18 Abs. 1b AWG strafbar und stellen bei fahrlässiger Begehung eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 19 AWG dar. Daneben sind nun auch Rechtsgeschäfte aller meldepflichtigen Erwerbe, die den Vollzug des schuldrechtlichen Erwerbrechtsgeschäfts zum Ziel haben, schwebend unwirksam (Vollzugsverbot 23), § 15 Abs. 3 AWG.24 6. Genehmigung und Genehmigungsfiktion 6.1. Unbedenklichkeitsbescheinigung Zwar sieht das Außenwirtschaftsrecht im Bereich Kritischer Infrastrukturen (und auch in anderen Fällen der sektorübergreifenden Investitionsprüfung) kein Genehmigungserfordernis im engen Sinne für den Unternehmens- bzw. Beteiligungserwerb vor. Das BMWi hat jedoch auf Antrag des Erwerbers gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 AWV eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen, wenn dem Erwerb keine Bedenken im Hinblick auf die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen. 22 Enders, Weitere Verschärfungen der deutschen Investitionskontrolle – ein kritischer Überblick und Ausblick, RIW 2020, 652 (657). 23 Enders, Weitere Verschärfungen der deutschen Investitionskontrolle – ein kritischer Überblick und Ausblick, RIW 2020, 652 (656 f.). 24 Das zugrundeliegende schuldrechtliche Erwerbsrechtsgeschäft bleibt wirksam, steht jedoch unter der auflösenden Bedingung einer fristgemäßen Untersagung durch das BMWi, vgl. Sachs, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht , 2. Auflage 2020, AWG § 15 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 10 6.2. Fiktion der Unbedenklichkeitsbescheinigung Gemäß § 58 Abs. 2 gilt die Unbedenklichkeitsbescheinigung als erteilt (Fiktion25), wenn das BMWi nicht innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Antrags ein Prüfverfahren nach § 55 AWV eröffnet. Dies gilt unabhängig vom Sektor für alle Transaktionen, die unter die sektorübergreifende Investitionsprüfung fallen.26 Voraussetzung für den Eintritt der Fiktion ist aber, dass der Antrag nach § 58 Abs. 1 AWV vollständig eingereicht worden ist.27 6.3. Aufhebung und nachträgliche Untersagung Sowohl bei der Unbedenklichkeitsbescheinigung als auch bei der Fiktion handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt28, der grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 48, 49 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)29 aufgehoben werden kann.30 Ob eine nachträgliche Untersagung möglich ist, hängt von den Rechtsfolgen der Aufhebung ab. 6.3.1. Unbedenklichkeitsbescheinigung vor Eröffnung des Hauptprüfverfahrens Eine rechtswidrige Unbedenklichkeitsbescheinigung, die noch vor Eröffnung eines Hauptprüfverfahrens ergangen ist, kann gemäß § 48 VwVfG mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden.31 Die Rücknahme ist hierbei wohl eher an geringe Voraussetzungen geknüpft.32 25 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 58 Rn. 14. 26 Im Falle der sektorspezifischen Investitionsprüfung besteht die Möglichkeit der Freigabe durch das BMWI und der Fiktion der Freigabe, vgl. § 61 AWV. 27 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 58 Rn. 17. 28 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 58 Rn. 13 sowie Flaßhoff/Glasmacher, Wankende Verwaltungsakte im Außenwirtschaftsrecht bei Unternehmenskäufen , NZG 2017, 489 (490). 29 https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/BJNR012530976.html. 30 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 58 Rn. 19 ff. sowie Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, 50. Edition Stand: 01. Januar 2021, VwVfG § 42a Rn. 8. 31 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 58 Rn. 20. 32 Flaßhoff/Glasmacher, Wankende Verwaltungsakte im Außenwirtschaftsrecht bei Unternehmenskäufen, NZG 2017, 489 (491). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 11 Als Rechtsfolge wird das Verfahren in den Zeitpunkt der Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung zurückversetzt.33 War die Unbedenklichkeitsbescheinigung rechtmäßig, kann sie zwar unter den Voraussetzungen des § 49 VwVfG widerrufen werden, jedoch sind die Hürden dafür naturgemäß größer. Zwar kann eine Änderung der Tatsachengrundlage zu einem Widerruf führen, nicht aber wohl die bloße Änderung der Bewertung bereits vorliegender Tatsachen.34 Der Widerruf erfolgt auch nur mit Wirkung für die Zukunft. Anders als bei der Rücknahme nach § 48 VwVfG findet eine zeitliche Rückversetzung des Verfahrens in den Zeitpunkt der Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht statt. Eine Untersagung in diesem Fall dürfte nur noch möglich sein, wenn die Frist zur Eröffnung des Hauptprüfverfahren (zwei Monate) im Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht verstrichen ist.35 6.3.2. Unbedenklichkeitsbescheinigung im Hauptprüfverfahren Hat das BMWi das Hauptprüfverfahren fristgemäß eröffnet und erlässt im Wege dessen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung , so beginnt bei ihrer Aufhebung gemäß § 14a Abs. 7 Nr. 1 AWG die Frist nach § 14a Abs. 1 Nr. 2 AWG (vier Monate), innerhalb derer das BMWi über eine Untersagung entscheiden kann, von Neuem. 6.3.3. Aufhebung einer Fiktion der Unbedenklichkeitsbescheinigung Zwar kann das BMWi grundsätzlich auch eine Fiktion der Unbedenklichkeitsbescheinigung nach den §§ 48, 49 VwVfG aufheben, eine Untersagungsmöglichkeit besteht dennoch nicht mehr. Denn zeitgleich mit dem Eintritt der Fiktion gemäß § 58 Abs. 2 AWV ist auch die Frist gemäß § 14a Abs. 1 Nr. 1 AWG (zwei Monate), innerhalb derer das BMWi über die Eröffnung des Hauptprüfverfahrens entscheiden kann, abgelaufen. Eine Aufhebung der Fiktion liefe daher ins Leere. 33 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 58 Rn. 20. 34 Flaßhoff/Glasmacher, Wankende Verwaltungsakte im Außenwirtschaftsrecht bei Unternehmenskäufen, NZG 2017, 489 (491). 35 Vgl. Mausch-Liotta/Sattler, in: Hocke/Sachs/Pelz (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht, 2. Auflage 2020, AWV § 58 Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 - 018/21 Seite 12 6.4. Kritik an der Genehmigungsfiktion In der Literatur finden sich Stimmen, die dem Institut der Genehmigungsfiktion im Allgemeinen – nicht speziell im Außenwirtschaftsrecht - kritisch gegenüber stehen.36 Als Gründe werden u.a. aufgeführt: – Der Zweck einer Genehmigungsfiktion, nämlich die Verfahrensbeschleunigung, werde nicht zwangsweise erreicht. Im Gegenteil, eine „drohende“ Fiktion könne dazu führen, dass ein Antrag „vorsorglich“ abgelehnt werde37. Im Außenwirtschaftsrecht würde das unter Umständen bedeuten, dass das Prüfverfahren „vorsorglich“ eröffnet würde. – Eine Genehmigungsfiktion könne grundsätzlich keine materielle Rechtssicherheit gewähren , da sie keine Rechtsmäßigkeitsfiktion sei. Die fiktive Genehmigung könne insofern keine bessere Rechtsposition einräumen als eine möglicherweise rechtswidrige Genehmigung .38 Diese Problematik scheint im Fall der fingierten Unbedenklichkeitsbescheinigung kein Gewicht zu haben. Mit Eintritt der Fiktion ist eine (nachträgliche) Untersagung des Erwerbs nicht mehr möglich, (siehe Punkt 4.3.2.). – Die Genehmigungsfiktion wird in multipolaren Rechtsverhältnissen und bei komplexen Verwaltungsverfahren kritisch betrachtet, da sie insbesondere bei Entscheidungen mit größeren Auswirkungen für die Umwelt und Allgemeinheit als untaugliches Instrument erachtet wird. Denn im Fall der Genehmigungsfiktion entfalle das Verwaltungserfahren und damit auch die damit verbundenen spezifischen Leistungen für Dritte und die Allgemeinheit (beispielsweise die Gefahrenanalyse und der Interessenausgleich mit Dritten).39 Im Hinblick auf die Unbedenklichkeitsbescheinigungsfiktion nach dem Außenwirtschaftsrecht könnte diese unter dem Aspekt des Allgemeinwohlinteresses (öffentliche Ordnung und Sicherheit) problematisch sein. Allerdings hat der Gesetzgeber dem BMWi die Möglichkeit eingeräumt, rechtzeitig das Hauptprüfverfahren einzuleiten und damit den Eintritt der Fiktion zu verhindern . *** 36 Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Genehmigungsfiktion bestehen in der Literatur jedoch nicht. Insbesondere darin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung zu sehen, weil bei Genehmigungsfiktionen der Gesetzgeber statt der Verwaltung handelt, sei eher abwegig. Vgl. Stelkens, in Stelkens /Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 42a Rn. 13. 37 Vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 42a Rn. 11. 38 Vgl. ebd., Rn. 11 und 14. 39 Vgl. ebd., Rn. 12.