© 2021 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 016/21 Zur Impfpflicht bei der Personenbeförderung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 016/21 Seite 2 Zur Impfpflicht bei der Personenbeförderung Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 016/21 Abschluss der Arbeit: 18. Februar 2021 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 016/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Beförderung 4 2.1. Praxis 4 2.2. Rechtsfolgen einer künftigen Impfpflicht 5 2.3. Handlungsspielraum der Bundesregierung 5 3. Einreise 6 3.1. Kontrolle der Einreiseerlaubnis („Visum“) 6 3.2. Kontrolle der Impfung 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 016/21 Seite 4 1. Fragestellung Personenbeförderungsunternehmen diskutieren, unter welchen Bedingungen Passagiere angesichts der Covid-19-Pandemie reisen könnten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie bislang etwaig notwendige Impfungen Bedingung einer Beförderung waren. 2. Beförderung 2.1. Praxis Soweit aus offen zugänglichen Quellen1 ersichtlich, haben es Flug-, Bahn- oder sonstige Personenbeförderungsunternehmen bislang nicht zur Bedingung der Beförderung gemacht, dass der Reisegast eine der bereits gängigen Impfungen nachweist (z. B. gegen Hepatitis oder Masern). Auch zu einer Covid-19-Schutzimpfung als Beförderungsbedingung haben sich die großen Personenbeförderungsunternehmen in Deutschland bislang wohl eher ablehnend geäußert. So schließen jedenfalls die Lufthansa2 und die Deutsche Bahn3 eine Impfpflicht derzeit aus. Eine australische Fluggesellschaft hat Medienberichten zufolge angekündigt, dass sie „künftig Passagiere um eine Impfung bittet, bevor sie in das Flugzeug steigen“.4 Auch erste Reedereien wollen in Zukunft nur noch geimpfte Gäste auf Kreuzfahrtschiffe lassen.5 1 Ergebnis einer Stichwortsuche über einen Netznavigator. Siehe auch Tagesspiegel, 8. Januar 2021, Mehrheit der Deutschen wünscht sich Impfpflicht für Fluggäste: „Trotzdem wäre es für die meisten Urlauber – vor allem innerhalb Europas – eine völlig neue Erfahrung, ihren Impfpass beim Check-in vorzulegen“, https://www.tagesspiegel .de/wirtschaft/mit-impfpass-zum-check-in-mehrheit-der-deutschen-wuenscht-sich-impfpflicht-fuer-fluggaeste /26780456.html. 2 https://www.welt.de/wirtschaft/article220882204/Qantas-Erste-grosse-Airline-verlangt-Corona-Impfung-von- Passagieren.html. 3 https://www.infranken.de/ueberregional/deutschland/impfpflicht-durch-die-hintertuer-veranstalter-hotels-undbahn -mit-klarer-botschaft-art-5140329. 4 CNN, 24. November 2020, Qantas boss says passengers will need to be vaccinated for international flights: „The airline's CEO Alan Joyce said in an interview with CNN […] the airline was looking at changing its terms and conditions to ‚ask people to have a vaccination before they get on the aircraft.‘ ‘Whether you need that domestically , we will have to see what happens with Covid-19 in the market. But certainly, for international visitors coming out and people leaving the country, we think that's a necessity,’ the Qantas chief said“, https://edition .cnn.com/travel/article/qantas-coronavirus-vaccination-intl-hnk-scli/index.html. Soweit ersichtlich sind die Nutzungsbedingungen bislang noch nicht angepasst (Stichwortsuche „Impfung“/„Covid“ in den im Netz veröffentlichten Bedingungen von Quantas (Stand 18. Februar 2021)), https://www.qantas.com/de/de/book-atrip /flights/conditions-of-carriage.html. 5 https://www.rnd.de/reise/corona-impfung-fur-kreuzfahrten-auf-diese-schiffen-sind-nur-geimpfte-passagiereerlaubt -2OHQ6AWYFJDRFCJPWEHUXPOTNM.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 016/21 Seite 5 2.2. Rechtsfolgen einer künftigen Impfpflicht Insoweit deutsches Recht auf die Beförderung anwendbar ist,6 gilt: Im Grundsatz steht es Unternehmen frei, wie sie ihre Verträge gestalten. Allerdings sieht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Einschränkungen vor. Dieses Gesetz „regelt den Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität durch private Akteure, wie bspw. Arbeitgeber, Vermieter , sowie Anbieter von Waren und Dienstleistungen. Allerdings dürfte der Impfstatus unter keines dieser Merkmale zu fassen sein. Es wird zum Teil erwogen, das Merkmal der Behinderung zumindest für solche Personen heranzuziehen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen . Zudem regelt § 20 Abs. 1 AGG, dass in bestimmten Fällen eine Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein kann. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient, § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AGG. Das von ungeimpften Personen ausgehende Infektionsrisiko könnte damit die Ungleichbehandlung als sachlichen Grund rechtfertigen.“7 Diese Argumentation gilt grundsätzlich auch, insoweit der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz (GG) auf öffentliche Beförderungsunternehmen Anwendung findet, z. B. beim öffentlichen Nahverkehr.8 Dies ist jedoch Frage der konkreten Ausgestaltung einer künftigen Regelung im Einzelfall, sowie Frage des Sachverhalts, insbesondere des Forschungsstandes zu den Wirkungen der betreffenden Impfung (Ansteckungsschutz versus Übertragungsschutz). Bei einer etwaigen Verletzung des AGG oder des Gleichbehandlungsgrundsatzes steht der Rechtsweg offen. Regelmäßig dürften im Hinblick auf Beförderungsverträge die Zivilgerichte zuständig sein. 2.3. Handlungsspielraum der Bundesregierung Die Bundesregierung kann Beförderungsunternehmen nur über Gesetze verbindliche Vorgaben machen. Dies gilt auch für Aktiengesellschaften, an denen der Bund beteiligt ist (z. B. Deutsche Bahn, Lufthansa). In diesen Fällen ist eine verbindliche Einflussnahme eher fernliegend: Gemäß 6 Siehe zu dieser komplexen Frage nur: BGH, Beschluss vom 17. November 2020, X ZR 3/19, http://juris.bundesgerichtshof .de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=113493&pos=0&anz=1 (vorgehend OLG Frankfurt, Urteil vom 13. Dezember 2018, 16 U 15/18, https://www.rv.hessenrecht.hessen .de/bshe/document/LARE190019790): Eine ausländische Fluggesellschaft kann in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen festlegen, dass auf in Deutschland geschlossene Beförderungsverträge englisches Recht anwendbar ist. 7 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 3 – 3000 – 001/21, https://www.bundestag.de/resource /blob/817546/f6116e700eff33433cb8123198852d11/WD-3-001-21-pdf-data.pdf (Fußnoten des Originals ausgelassen). 8 Vgl. BVerfGE 128, 226 (Leitsatz 1): „Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen , die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 016/21 Seite 6 § 76 Abs. 1 Aktiengesetz leitet der Vorstand die Aktiengesellschaft „unter eigener Verantwortung “ und insoweit unabhängig von konkreten Weisungen des Aufsichtsrats (oder der Aktionärsversammlung ).9 Die „International Air Transport Association“ (IATA) ist im Unterschied zur „International Civil Aviation Organization“ (ICAO) keine zwischenstaatliche Organisation. Die IATA ist vielmehr ein privater Dachverband der Fluggesellschaften. Soweit ersichtlich hat die IATA bislang keine Empfehlung an die Fluggesellschaften abgegeben, selbst eine Impfpflicht einzuführen. Die IATA unterstützt nur mit einem sogenannten „Travel Pass“ die Vereinheitlichung des Nachweises, insoweit in bestimmten Ländern Impfpflichten bestehen sollten.10 An diesem Vorhaben beteiligt sich auch die ICAO.11 3. Einreise Einreisebestimmungen in den Zielländern können sich auf die Kontrollen der Unternehmen vor Beginn der Reise auswirken. 3.1. Kontrolle der Einreiseerlaubnis („Visum“) Die Gesetzgebung verschiedener Länder legt grenzüberschreitend tätigen Personenbeförderungsunternehmen unterschiedliche Pflichten auf. Weit verbreitet ist die Pflicht „je nach [zu] Zielland kontrollieren, ob der Fluggast einreiseberechtigt ist. Hierzu ist notwendig zu prüfen, ob der Fluggast über einen gültigen Reisepass und ggf. über eine zusätzliche Einreiseerlaubnis (z. B. Visum) verfügt. Für Beförderungen nach Deutschland gilt hier § 63 AufenthG: ‚Ein Beförderungsunternehmer darf Ausländer nur in das Bundesgebiet be- 9 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 5 – 3000 – 148/20, „Variable Vorstandsvergütung bei staatlichen Kapitalhilfen“, https://www.bundestag.de/resource /blob/821424/6b1108d6af257e379a66bf440929bacb/WD-5-148-20-pdf-data.pdf. 10 https://www.iata.org/en/programs/passenger/travel-pass/; zu Privilegien bei der Einreise bei Nachweis einer Covid-19-Impfung: Tagesspiegel, 18. Februar 2021, Hier können Geimpfte und Genesene ohne Auflagen einreisen , https://www.tagesspiegel.de/politik/madeira-polen-seychellen-hier-koennen-geimpfte-und-genesene-ohneauflagen -einreisen/26927598.html. 11 ICAO, 21. Januar 2021, ICAO updates Global Tourism Crisis Committee on latest vaccine and testing developments in air transport: „Proper certification of vaccines may be required in the near future, but in the meantime the international acceptance of test results must be a key priority [...]. When and where they are required, ICAO is also recommending that COVID-19 test results and vaccination certificates should be provided in a timely and reliable manner, allowing for the rapid facilitation of travellers while ensuring equity in access. [...] ICAO is collaborating with the WHO, IATA and other travel sector stakeholders to standardize vaccination and testing certificates , thereby promoting mutual recognition leading to the possible reduction of quarantine measures“, https://www.icao.int/Newsroom/Pages/ICAO-updates-Global-Tourism-Crisis-Committee-on-latest-vaccine-andtesting -developments-in-air-transport-.aspx. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 016/21 Seite 7 fördern, wenn sie im Besitz eines erforderlichen Passes und eines erforderlichen Aufenthaltstitels sind.‘ Für Beförderungen aus Deutschland gelten vergleichbare Vorschriften in den Zielländern.“12 Diese Pflicht gilt nicht nur für Fluggesellschaften, sondern auch für andere Beförderungsunternehmen , wie z. B. grenzüberschreitend tätige Busunternehmer.13 Ein Verstoß kann Schadensersatzansprüche gegen die Fluggesellschaft nach sich ziehen oder die Pflicht zur Rückbeförderung des betreffenden Passagiers.14 3.2. Kontrolle der Impfung Eine der „Visumskontrolle“ entsprechende Praxis besteht eher nicht. Zwar sind bestimmte Impfungen vielfach Bedingung einer Einreise, z. B. die Impfung gegen Gelbfieber,15 und vereinzelt auch die Impfungen gegen Masern,16 Meningokokken17 und Poliomyelitis.18 Jedoch findet in der Praxis der Nachweis des Impfschutzes in der Regel erst bei der Ankunft im jeweiligen Land durch die dortigen Behörden statt. In wohl eher seltenen Einzelfällen kontrollieren zusätzlich zu den Behörden des Ziellandes auch schon die Transportunternehmen den 12 Giemulla/Hoppe, Blinde Passagierlisten – Identitätsprüfung von Fluggästen, GSZ 2018, 185 (188). 13 Siehe nur EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2018, C-412/17, C-474/17 (Bundesrepublik Deutschland/Touring Tours und Travel GmbH/Sociedad de Transportes SA), http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=208966&pageIndex=0&doclang =DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1. 14 Siehe nur: Dörig, Zwangsgelder gegen Fluggesellschaften wegen unberechtigter Beförderung von Ausländern, NVwZ 2006, 1337; BGH, Urteil vom 15. Mai 2018, X ZR 79/17, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung /document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=86449. 15 Einen vollständigen Überblick, welche Länder die Gelbfieberimpfung für die Einreise voraussetzen, bietet die Liste der WHO: https://www.who.int/publications/m/item/vaccination-requirements-and-recommendations-forinternational -travelers-and-malaria-situation-per-country-2019-edition. 16 Insbesondere Inselstaaten in der Südsee verlangen eine Masernimpfung, Reise-Impfempfehlungen des Auswärtigen Amts (08/2020), S. 6, https://www.auswaertigesamt .de/blob/2279420/ce0d24ccd788df0f59df8bf1af02740b/reise-impfempfehlungen-aa-data.pdf. 17 So z. B. erforderlich bei Pilgerreisen nach Saudi-Arabien, https://www.crm.de/transform.asp?Domain =CRM&Sprache=de&Bereich=laender&Klientel=laie&Auspraegung=kurz&HTMLfragmente =no&RGI=&NN=&land=168#:~:text=Eine%20Meningokokken%2DImpfung%20mit%20einem ,10%20Tage%20vor%20Einreise%20erfolgen. 18 So kann für die Einreise nach Saudi-Arabien eine Impfung erforderlich sein, Reise-Impfempfehlungen des Auswärtigen Amts (08/2020), S. 8, https://www.auswaertigesamt .de/blob/2279420/ce0d24ccd788df0f59df8bf1af02740b/reise-impfempfehlungen-aa-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 016/21 Seite 8 Impfstatus vor der Beförderungsleistung.19 Nach Auskunft des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) dürfte dies jedoch nicht der Regelfall sein.20 Im deutschen Recht besteht auch keine gesetzliche Verpflichtung der Transportunternehmen, einen Passagier ohne notwendige Schutzimpfung wieder zurück zu transportieren. Ausländische Fluggesellschaften weisen aber bei einigen Destinationen daraufhin, dass ein Passagier mit dem nächstmöglichen Flugzeug zurückreisen muss, wenn ihm das Ankunftsland die Einreise wegen fehlender Schutzimpfung verweigert.21 *** 19 So überprüft die kolumbianische Fluggesellschaft Avianca Airlines den Impfpass beim Check-In: „Der Impfpass muss beim Check-in vorgelegt werden“, https://www.avianca.com/eu/de/vor-ihrer-reise/reisedokumente/impfungen/. 20 Auskunft des BDL vom 12. Februar 2021. 21 So beispielsweise die Fluggesellschaft American Airlines: „Sollten Sie keinen gültigen Nachweis für eine Gelbfieberimpfung vorweisen können, wird Ihnen der Zutritt nach Nicaragua verwehrt und Sie müssen mit dem nächsten verfügbaren Flug in das Land, aus dem Sie angereist sind, zurückfliegen“, https://www.aa.com/i18n/travel-info/international-travel/international-travel.jsp?locale=de_DE&anchorEvent =false&from=Nav.