© 2021 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 013/21 Vorgaben zur Putenhaltung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 2 Vorgaben zur Putenhaltung Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 013/21 Abschluss der Arbeit: 12. Februar 2021 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Bestandsobergrenzen 4 2.1. Derzeitiger Stand 4 2.2. Selbstverpflichtung 5 2.3. Verordnungsentwurf 2015 6 3. Vorgaben zu Antibiotika 7 3.1. Derzeitiger Stand 7 3.2. Stand der Umsetzung 7 3.3. Ausblick 10 4. Weitere Vorgaben zur Haltung 12 5. Rechtslage in Österreich 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 4 1. Fragestellung In Deutschland werden rund 12 Millionen Puten (Truthühner)1 gehalten.2 In Ergänzung zu bestehenden Ausarbeitungen3 der Wissenschaftlichen Dienste stellen sich folgende Fragen: − Welche Tierzahlengrenzen bestehen bei der Genehmigung von Putenmast- und Putenaufzuchtanlagen ? − Welche Vorgaben gibt es zum Einsatz von Antibiotika in der Putenmast? − Wie unterscheiden sich die gesetzlichen Vorgaben zur Haltung von Puten zwischen Deutschland und Österreich? 2. Bestandsobergrenzen 2.1. Derzeitiger Stand Für die Errichtung oder Änderung von größeren Tierhaltungsanlagen für Puten bedarf es einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.4 Regelungen für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Tierhaltungsanlagen (§ 4 BImSchG5) finden sich in der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (4. BImSchV)6. Die Ausgestaltung der Genehmigung ist von der Zahl der Tiere abhängig. Laut 4. BImSchV ist für 40.000 oder mehr 1 Als Pute bzw. Truthuhn bezeichnet man das weibliche Tier und das männliche als Puter bzw. Truthahn, https://www.duden.de/rechtschreibung/Truthahn. 2 https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Tiere- Tierische-Erzeugung/Tabellen/betriebe-gefluegel-nutztiere.html. 3 Siehe insbesondere: WD 7 – 066/17, Besatzobergrenzen in der Tierhaltung, Rechtliche Steuerungsmöglichkeiten des Bundes, https://www.bundestag.de/resource/blob/514878/9e842ffb5b18b1dd1eee7efbba565db4/WD-7-066- 17-pdf-data.pdf; WD 7 – 133/16, Immissionsschutzrechtliche Genehmigung von Tierhaltungsanlagen – Bewertung nach der TA-Luft und dem Bundesnaturschutzgesetz, https://www.bundestag.de/resource /blob/459064/7d42ce852fa98204483504bcb291311b/WD-7-133-16-pdf-data.pdf; WD 7 – 145/16, Genehmigungsbedürftigkeit und Anzeigepflicht von Tierhaltungsanlagen bei Verringerung des Tierbestandes, https://www.bundestag.de/resource/blob/483600/78bea0adfde1397f198b14f8b73c6b06/WD-7-145-16-pdfdata .pdf. 4 Vgl. https://www.umwelt.nrw.de/umwelt/umwelt-und-ressourcenschutz/immissionsschutz-und-anlagen/anlagenbezogene -luftreinhaltung/tierhaltungsanlagen. 5 § 4 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche , Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG), https://www.gesetze -im-internet.de/bimschg/__4.html. 6 https://www.gesetze-im-internet.de/bimschv_4_2013/BJNR097310013.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 5 Truthühnermastplätze ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich, bei 15.000 bis weniger als 40.000 Truthühnermastplätzen erfolgt ein Genehmigungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung.7 Die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) besteht für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Truthühnern ab einer Anzahl von 60 000 oder mehr Plätzen.8 Bei 40.000 bis weniger als 60.000 Plätzen ist eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls vorgesehen.9 Bei 15.000 bis weniger als 40.000 Plätzen erfolgt eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls.10 Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV)11 enthält die Mindestanforderungen an die Haltungseinrichtungen für Schweine, Legehennen, Masthühner, Rinderkälber und Kaninchen . In der Verordnung finden sich keine spezifischen Regelungen für Puten. Somit gelten für Puten, abgesehen von den allgemeinen Anforderungen des Tierschutzgesetzes und der TierSchNutztV, keine spezifischen Regelungen für die Besatzdichte im Stall. 2.2. Selbstverpflichtung Darüber hinaus sind auch die „Bundeseinheitlichen Eckwerte für eine freiwillige Vereinbarung zur Haltung von Mastputen“ (2013) relevant. Sie gehen zurück auf eine Initiative des Verbands Deutscher Putenerzeuger12 und wurden gemeinsam mit Vertretern des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, der Länder, Wissenschaftlern, Tierschutzorganisationen und des 7 https://www.gesetze-im-internet.de/bimschv_4_2013/BJNR097310013.html. 8 Anlage 1 (Liste „UVP-pflichtige Vorhaben“) Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG), unter Punkt 7.4.ff. https://www.gesetze-im-internet.de/uvpg/UVPG.pdf. 9 Siehe § 7 Abs. 1 S. 1 UVPG, https://www.gesetze-im-internet.de/uvpg/UVPG.pdf. 10 Siehe § 7 Abs. 2 UVPG, https://www.gesetze-im-internet.de/uvpg/UVPG.pdf. 11 Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung (Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung – TierSchNutztV), BGBl. I 2006, S. 2043; zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 29. Januar 2021, BGBl. I 2021, S. 142 (Änderung durch Art. 2 der Verordnung vom 29. Januar 2021 I 146 (Nr. 5) mWv 9. Februar 2021 noch nicht berücksichtigt), https://www.gesetze-im-internet.de/tierschnutztv/TierSchNutztV.pdf. 12 Verband Deutscher Putenerzeuger, Bundeseinheitliche Eckwerte für eine freiwillige Vereinbarung zur Haltung von Mastputen, März 2013, https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tierschutz/ZDG-Eckwerte -Haltung-Mastputen.pdf;jsessionid=B54ECBD21268D65EC01DCBE7459D904C.intranet922?__blob=publication File&v=5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 6 Deutschen Bauernverbandes erstellt. Die Eckwerte sollen dazu beitragen, eine tierschutzkonforme Putenhaltung sicherzustellen.13 Nach diesen „Bundeseinheitlichen Eckwerten“ sind bei der verbindlichen Beteiligung am Gesundheitskontrollprogramm für Putenhennen bis zu 52 kg Lebendgewicht pro m² Stallfläche und bei Putenhähnen bis zu 58 kg Lebendgewicht pro m² Stallfläche zulässig.14 2.3. Verordnungsentwurf 2015 Der Bundesrat hat Ende 2015 einen Verordnungsentwurf (zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ) beschlossen und der Bundesregierung zugeleitet, der in § 52 eine Besatzdichte für Putenställe vorsieht („bei Mastputenhennen 47 kg Lebendgewicht pro m² nutzbarer Stallgrundfläche und bei Mastputenhähnen 52 kg Lebendgewicht pro m² nutzbarer Stallgrundfläche “).15 Eine Verordnung ist hierauf jedoch nicht in Kraft getreten.16 Eine Entschließung des Bundesrates von Juli 2020 fordert erneut eine Anpassung der TierSchNutztV: „Nachdem die sog. bundeseinheitlichen Eckwerte nunmehr seit 2013 Anwendung finden, liegen inzwischen ausreichende Erfahrungen vor, um Anforderungen an die Putenhaltung in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zu etablieren, um Rechtssicherheit für Tierhalter und die zuständigen Behörden zu schaffen. Auch die Etablierung eines Tierwohllabels, das von seinem Selbstverständnis über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen muss, setzt als Basis entsprechende Rechtsvorschriften voraus.“17 Am 8. Dezember 2020 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), bislang gebe es kein spezifisches EU-Recht zu den Haltungsanforderungen für Puten. Unter deutscher Ratspräsidentschaft sei die EU-Kommission u. a. aufgefordert worden, Vorschriften für Tiere vorzuschlagen, die noch nicht unter spezifische EU- 13 Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes 2019 (Tierschutzbericht 2019), BT-Drs. 19/15940, 12. Dezember 2019, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/159/1915940.pdf. 14 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tierschutz/ZDG-Eckwerte-Haltung-Mastputen .pdf;jsessionid=B54ECBD21268D65EC01DCBE7459D904C.intranet922?__blob=publicationFile&v=5; https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/nutztiere/gefluegel/gefluegel.html. 15 BR-Drs. 311/15 (Beschluss), https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2015/0301-0400/311- 15(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1. 16 Stellungnahme der Bundesregierung: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2015/0301- 0400/zu311-15(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1. 17 Beschluss des Bundesrats, Siebte Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0301-0400/302-20(B).pdf?__blob=publication- File&v=1 (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 7 Rechtsvorschriften fielen, wie die Puten. Im Rahmen des Bundesratsverfahrens zur Siebten Verordnung zur Änderung der TierSchNutztV habe die Bundesregierung in einer Protokollerklärung zugesichert, noch in dieser Legislaturperiode Vorschläge zum Erlass von Mindestanforderungen u. a. an das Halten von Mastputen vorzulegen.18 Diesbezügliche Beratungen mit den Ländern liefen derzeit.19 3. Vorgaben zu Antibiotika 3.1. Derzeitiger Stand Mit einer Novellierung des Arzneimittelgesetzes (AMG) hat der Gesetzgeber versucht, den Einsatz von Antibiotika bei der Haltung von Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten zu minimieren .20 Seit 2014 ist daher gem. § 58a AMG beim berufs- oder gewerbsmäßigen Halten von Puten den zuständigen Behörden das Halten dieser Tiere ab dem Zeitpunkt ihres Schlüpfens mitzuteilen .21 Die Mitteilungspflichten gelten nicht für Tierhaltungen mit weniger als 1.000 Mastputen.22 Gem. § 58b AMG ist für diese Tiere den zuständigen Behörden die Verwendung von Arzneimitteln , die antibakteriell wirksame Stoffe enthalten, halbjährlich mitzuteilen. Liegt die betriebliche halbjährliche Therapiehäufigkeit nach Auswertung der Daten durch die Behörden oberhalb der „bundesweiten halbjährlichen Therapiehäufigkeit“, hat der Tierhalter auf Grundlage einer tierärztlichen Beratung die Behandlung mit antibakteriell wirksamen Stoffen (bzw. diese enthaltenden Arzneimitteln) zu verringern, §§ 58c und 58d AMG. 3.2. Stand der Umsetzung Eine fünf Jahre später, im Jahr 2019 durchgeführte Evaluierung der Gesetzesumsetzung kam zu dem Ergebnis, dass insbesondere bei Mastputen die Verbrauchsmenge vom zweiten Halbjahr 18 Vgl. Bundesrat, 992. Sitzung, 3. Juli 2020, Anlage 31, Erklärung von Parl. Staatssekretär Uwe Feiler (BMEL) zu Punkt 76 der Tagesordnung, Protokollerklärung der Bundesregierung, S. 284, http://dip21.bundestag .btg/dip21/brp/992.pdf#P.245. 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Uwe Feiler vom 8. Dezember 2020, BT-Drs. 19/25159, http://dip21.bundestag .btg/dip21/btd/19/251/1925159.pdf. 20 Einfügung der §§ 58a bis 58d in das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG), BGBl. I 2005, S. 3394; zuletzt geändert durch Art. 16a Abs. 3 des Gesetzes vom 28. April 2020, BGBl. I 2020, S. 960), https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/AMG.pdf; hierzu https://www.bvl.bund.de/Shared- Docs/Fachmeldungen/05_tierarzneimittel/2014/2014_02_06_Fa_Arzneimittelgesetz.html. 21 http://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/AMG.pdf. 22 § 2 der Verordnung über die Durchführung von Mitteilungen nach §§ 58a und 58b des Arzneimittelgesetzes (Tierarzneimittel-Mitteilungendurchführungsverordnung – TAMMitDurchfV), BGBl. I 2014, S. 797, http://www.gesetze-im-internet.de/tammitdurchfv/TAMMitDurchfV.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 8 2014 bis zum zweiten Halbjahr 2017 an antibiotischen Wirkstoffen lediglich um 4 Prozent gesunken war.23 Die Bundesregierung äußerte im Mai 2020 zu den Evaluierungsergebnissen: „Die Evaluierung der 16. AMG-Novelle hat jedoch auch kritische Bereiche aufgezeigt, in denen dringender Handlungsbedarf besteht. Dazu gehört die Situation der Antibiotikaanwendung in der Geflügelmast. Diese ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht akzeptabel, weil im Beobachtungszeitraum der Evaluierung hier keine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes erfolgte und sich der Anteil an sog. Reserveantibiotika in der Größenordnung von 40 bis 50 Prozent der jeweils ermittelten Verbrauchsmenge bewegte. Die Bundesregierung hat die Verantwortlichen der Geflügelwirtschaft deshalb nachdrücklich aufgefordert, geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Tiergesundheit und zur Vermeidung bakterieller Infektionen in Geflügelbeständen systematisch und kontinuierlich zu ergreifen, um die Voraussetzungen für eine dauerhafte Reduktion des Antibiotikaeinsatzes zu schaffen. Dazu hat die Geflügelwirtschaft im Herbst 2019 einen Aktionsplan vorgelegt und im Frühjahr 2020 nochmals überarbeitet. Dieser Aktionsplan wird dem Anspruch der Bundesregierung jedoch nicht gerecht , da er keine Ansätze für wesentliche systemische und strukturelle Verbesserungen der Tiergesundheit und zur Reduktion des bakteriellen Infektionsdrucks in der Haltung von Masthühnern und Mastputen enthält. Die Bundesregierung prüft derzeit, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Ziel ist eine Verbesserung der Tiergesundheit als notwendige Voraussetzung für die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes. Die am 1. März 2018 in Kraft getretene Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über tierärztliche Hausapotheken verfolgt das Ziel, den verantwortungsvollen und gezielten Einsatz von Antibiotika bei Tieren mit restriktiven Vorschriften zur Umwidmung bestimmter Antibiotika und der Verpflichtung des Tierarztes zur Durchführung von Antibiogrammen zu stärken.“24 Seit März 2018 besteht die Verpflichtung des Tierarztes ein Antibiogramm zu erstellen, um die Empfindlichkeit der die Erkrankung verursachenden bakteriellen Erreger gegen antibakteriell wirksame Stoffe zu untersuchen. Sie bezieht sich auf Arzneimittel, die Cephalosporine der dritten oder vierten Generation oder Fluorchinolone enthalten (beides sog. Reserveantibiotika), § 12c Abs. 1 Nr. 5 der Verordnung über tierärztliche Hausapotheken (TÄHAV).25 23 Bericht über die Evaluierung des Antibiotikaminimierungskonzepts der 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes, 20. Juni 2019, BT-Drs. 19/11070, S. 8, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/110/1911070.pdf. 24 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage, Offene Fragen zur Antibiotikaminimierung bei Nutz-, Klein- und Heimtieren, 22. Mai 2020, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/193/1919397.pdf (Hervorhebung durch Autor dieses Sachstands). 25 § 12c Antibiogrammpflicht, BGBl. I 2009, S. 1760; zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 21. Februar 2018 (BGBl. I 2018, S. 213), https://www.gesetze-im-internet.de/t_hav/BJNR021150975.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 9 Auf der Agrarministerkonferenz (AMK) im September 2019 beobachteten die Teilnehmer „mit Sorge, dass der Antibiotikaeinsatz bei Masthühnern und Mastputen nahezu unverändert geblieben ist und gerade der Einsatz von Makroliden und Polymyxinen wie Colistin als ‚Highest Priority Critically Important Antimicrobial‘ [sog. Reserveantibiotika] gemäß WHO[26] seit 2016 wieder ansteigt. Sie fordern daher, die Makrolide und Colistin in der TÄHAV ebenfalls einer Antibiogrammpflicht zu unterwerfen.“27 Die bereits erwähnte Evaluierung der AMG-Novelle konstatiert zu den sog. Reserveantibiotika: „Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit liegt die Priorität bei Resistenzen gegen Wirkstoffe, die von der WHO als kritisch (HPCIA)[28] eingestuft wurden, also den Cephalosporinen der 3. und 4. Generation, den Fluorchinolonen, den Makroliden und den Polypeptidantibiotika. Letztere werden im Wesentlichen durch den Wirkstoff Colistin repräsentiert. Der Anteil gegen Colistin (Polypeptidantibiotikum) resistenter Isolate[29] verminderte sich nur bei Mastputen . Bei den Mastputen nahm hingegen die Resistenz gegen Ciprofloxacin (Fluorchinolon), das ebenfalls zu den Substanzen von kritischer Wichtigkeit gehört, signifikant zu. Hier werden bei den Isolaten von Masthühnern und Mastputen deutlich höhere Resistenzraten beobachtet als bei solchen von Mastkälbern und Mastschweinen.“30 Die folgende Tabelle entstammt dem Evaluierungsbericht und zeigt die Antibiotikaabgabemengen in Tonnen an Tierärzte in Deutschland gegliedert nach Wirkstoffklassen für die Jahre 2011 bis 2017: 26 Vgl. WHO (2019), Food safety, Highest Priority Critically Important Antimicrobials, latest version of the CIA list (6th revision, 2018), https://www.who.int/foodsafety/cia/en/#:~:text=In%20the%20latest%20version%20of,ketolides %2C%20glycopeptides%2C%20and%20polymyxins. Die EU Antimicrobial Advice ad hoc Expert Group (AMEG) nimmt derzeit hinsichtlich der Makrolide eine andere Kategorisierung vor als die WHO, siehe hierzu EMA, Sales of veterinary antimicrobial agents in 31 European countries in 2018, Annex 5 „Selection of antimicrobial classes of WHO CIAs and AMEG Category B highlighted in the report“, S. 79, https://www.ema.europa .eu/en/documents/report/sales-veterinary-antimicrobial-agents-31-european-countries-2018-trends-2010- 2018-tenth-esvac-report_en.pdf. 27 Agrarministerkonferenz vom 27. September 2019, TOP 33 Reserveantibiotika aus der Humanmedizin in der Nutztierhaltung konsequent und verbindlich reduzieren, https://www.agrarministerkonferenz .de/documents/endgueltiges-ergebnisprotokoll-amk-mainz_1570787484.pdf (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands). 28 HPCIA=Highest Priority Critically Important Antimicrobials. 29 „Mit dem Begriff Isolat bezeichnet man in der Mikrobiologie einen oder mehrere Mikroorganismen, die aus einer Probe, z. B. infiziertem Gewebe oder Körpermaterial, gewonnen bzw. abgetrennt (‚isoliert‘) wurden. Die Isolation ist eine wichtige Voraussetzung für die Erregerbestimmung“, https://flexikon.doccheck.com/de/Isolat. 30 Bericht über die Evaluierung des Antibiotikaminimierungskonzepts der 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes, 20. Juni 2019, BT-Drs. 19/11070, S. 46, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/110/1911070.pdf (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 10 Quelle: BT-Drs. 19/11070 (scheinbare Abweichungen sind rundungsbedingt)31 3.3. Ausblick Die Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG32 legt zum Schutz der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt Bestimmungen über Tierarzneimittel fest. Die Richtlinie räumt den EU-Staaten restriktive Möglichkeiten bei der Verwendung antimikrobieller Wirkstoffe ein. Art. 107 der VO (EU) 2019/6 regelt die Anwendung von antimikrobiell wirksamen Arznei- 31 Bericht über die Evaluierung des Antibiotikaminimierungskonzepts der 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes, 20. Juni 2019, BT-Drs. 19/11070, S. 29, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/110/1911070.pdf. 32 ABl. L 4 vom 7. Januar 2019, S. 43-167, https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019R0006&qid=1612878148176&from=DE. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 11 mitteln und gilt ab dem 28. Januar 2022. Abs. 7 Art. 107 der VO (EU) 2019/6 erlaubt es den Mitgliedstaaten , die Anwendung bestimmter antimikrobieller Wirkstoffe bei Tieren, wie z. B. Antibiotika , weiter einzuschränken oder zu verbieten: „Ein Mitgliedstaat kann die Anwendung bestimmter antimikrobieller Wirkstoffe bei Tieren auf seinem Hoheitsgebiet weiter einschränken oder verbieten, wenn die Verabreichung derartiger antimikrobieller Wirkstoffe einer einzelstaatlichen Strategie zur umsichtigen Verwendung von antimikrobiellen Wirkstoffen zuwiderläuft.“33 Nach wissenschaftlicher Beratung u. a. durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und andere einschlägige EU-Agenturen wird es der EU-Kommission ab dem 28. Januar 2022 möglich sein, „Kriterien für die Bestimmung der antimikrobiellen Wirkstoffe“ festzulegen sowie „antimikrobielle Wirkstoffe oder Gruppen derselben“ zu bestimmen, die für die Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten bleiben, Art. 37 Abs. 4 und 5 VO (EU) 2019/6. In einer Pressemitteilung vom Juli 2020 erklärt das BMEL: „Bis zum Jahr 2022 wird die Europäische Kommission per Durchführungsrechtsakt eine Liste der sogenannten Reserveantibiotika erstellen, die der Humanmedizin vorbehalten bleiben müssen.“34 Am 6. Juni 2020 hat das Bauernblatt eine weitere Selbstverpflichtung der deutschen Geflügelwirtschaft angekündigt. Sie wolle künftig in der Masthähnchen- und Putenhaltung „komplett auf den Einsatz des in der Humanmedizin als besonders relevant eingestuften Reserveantibiotikums Colistin verzichten. Daneben solle der Einsatz von Fluorchinolonen signifikant reduziert werden.“35 Der Entwurf einer 17. AMG-Novelle36 vom Oktober 2020, der sich derzeit in der Ausschussberatung befindet, sieht nun die Nutzung der Daten nach den §§ 58a bis 58c AMG zur Durchführung 33 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019R0006&qid=1612878148176&from=DE (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands). 34 Pressemitteilung Nr. 114/2020, 1. Juli 2020, Antibiotika in der Tiermast: Kabinett beschließt Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG), https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/114-arzneimittelgesetz .html;jsessionid=8D0815E993C4FB110B063F611CE18B96.internet2851 (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands). 35 Bauernblatt, 23. Ausgabe 74./170. Jahrgang, 6. Juni 2020, S. 7, Selbstverpflichtung der Geflügelwirtschaft, Freiwilliger Verzicht auf Colistin, https://www.bauernblatt.com/fileadmin/downloads/APO___Regionales/Gesamt PDF-2020-06-04_KA_rq.pdf (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands); siehe auch https://www.vetconsult .de/news/geflugelwirtschaft-verzichtet-auf-reserveantibiotikum-1987.html?utm_content. 36 BT-Drs. 19/23159, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/231/1923159.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 12 einer Risikobewertung auf dem Gebiet der Antibiotikaresistenz vor. Ferner sollen Veränderungen der Antibiotikaanwendung erfasst und ihre Bedeutung im Verhältnis zur Entwicklung des Resistenzgeschehens präziser eingeschätzt werden.37 4. Weitere Vorgaben zur Haltung Wie oben unter Abschnitt 2 bereits angedeutet, bestehen auch über das Thema der Bestandsobergrenzen hinaus für die Putenhaltung in Deutschland keine spezifischen Regeln. Im aktuellen Tierschutzbericht 2019 des BMEL heißt es: „Für die Haltung von Puten gelten die Regelungen des Tierschutzgesetzes und die allgemeinen Anforderungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Neben der im Tierschutzgesetz verankerten Grundforderung nach einer artgemäßen und verhaltensgerechten Unterbringung sind in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung weitere allgemein gehaltene Anforderungen an Haltungseinrichtungen und an die Überwachung, Fütterung und Pflege geregelt. Zusätzlich sind die einschlägigen Empfehlungen des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen[38] zu beachten.“39 5. Rechtslage in Österreich Neben den EU-rechtlichen Tierhaltungsvorgaben und dem Tierschutzgesetz enthält die österreichische Tierhaltungsverordnung40 seit ihrer Änderung41 im Jahr 2017 spezifische Regelungen zur Putenhaltung. Neben Regelungen zu Lüftung und Einstreu finden sich insbesondere Bestimmungen zur Besatzdichte. Die Höchstbesatzdichte beträgt für Puten 40 kg/m² und die Mindestauslauffläche 10 m² pro Tier. 37 BT-Drs. 19/23159, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/231/1923159.pdf. 38 https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/087. 39 Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes 2019 (Tierschutzbericht 2019), BT-Drs. 19/15940, 12. Dezember 2019, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/159/1915940.pdf (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands). 40 Bundesrecht konsolidiert: Gesamte Rechtsvorschrift für 1. Tierhaltungsverordnung, Fassung vom 9. Februar 2021, https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20003820. 41 Die Änderung erwähnt erstmals „Truthühner“ explizit, https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente /BgblAuth/BGBLA_2017_II_151/BGBLA_2017_II_151.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 13 Medienberichten zufolge soll Österreich damit international „Vorreiter“ sein.42 Auf der Netzseite eines österreichischen Interessenverbandes heißt es hierzu: „Die Besatzdichte ist die Anzahl an Tieren pro Quadratmeter. Dass diese gesetzlich limitiert ist, ist eine österreichische Besonderheit. Die Puten haben in Österreich mehr Platz als in ausländischen Ställen, der Bauer kann pro Mastdurchgang aber weniger Puten pro Quadratmeter verkaufen als die Konkurrenz im Ausland. In Österreich ist die Besatzdichte mit 40 Kilo pro Quadratmeter im konventionellen Bereich geregelt. Bis auf die Schweiz und Schweden hat sonst kein Land in Europa eine ähnliche Regelung für die Putenmast. In Deutschland gibt es eine freiwillige Beschränkung, dass 52 Kilo weibliche oder 58 Kilo männliche Puten pro Quadratmeter stehen dürfen. In Europa sind laut GGÖ-Obmann[43] Robert Wieser 60 bis 70 Kilo üblich. […]. Auswirkung auf die Puten Nutztierexperte Werner Zollitsch von der BOKU [Universität für Bodenkultur Wien] sieht hinsichtlich des Tierwohls klare Vorteile der in Österreich deutlich geringeren Besatzdichte: ‚Je mehr sich die Tiere bewegen, desto gesünder sind sie. Außerdem ist die Schadstoffbelastung im Stall mit weniger Tieren geringer.‘ Diesen Vorteil der österreichischen Besatzdichte bestätigt auch Bärbel Mägdefrau-Pollan, Fachtierärztin für Geflügel: ‚Unsere Puten haben ausreichend Platz und dementsprechend ist der Krankheitsdruck natürlich geringer als in ehemaligen Ostblockländern, wo der Stall voll ist und Pute an Pute steht.‘ GGÖ-Obmann und Putenmäster Robert Wieser sagt, ‚dass das Platzangebot, das die Puten jetzt zur Verfügung haben , schon sehr ausreichend ist. Wenn wir noch weniger Tiere einstallen, würde das Produkt so teuer werden, dass es niemand mehr kaufen würde‘. Beratung und Kontrolle der Einhaltung Die Brüterei plant mit dem Mäster, wie viele männliche oder weibliche Küken er einstallen darf, um die Besatzdichte einhalten zu können, wenn sie ausgewachsen sind. Der Amtstierarzt kann die Besatzdichte während der Mast am Betrieb kontrollieren. Am Schlachthof werden die Puten abgewogen. Je nach Stallfläche des Bauern darf nur eine entsprechende Summe an Lebendgewicht vorhanden sein.“ 44 42 Euronews (Dezember 2020), „Putenmast: Österreich will Vorreiter sein“, https://de.euronews .com/2020/12/22/putenmast-osterreich-will-eu-vorreiter-sein (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands ). 43 GGÖ=Geflügelmastgenossenschaft, https://www.gefluegelmast.at/ziele-and-aktivitaeten/die-ggoe-stellt-sichvor /. 44 Land schafft Leben e.V., https://www.landschafftleben.at/lebensmittel/pute/landwirtschaft/haltungssystemetiergesundheit -und-wohl (Hervorhebung durch Verfasser des Sachstands); Vereinszweck ist die „Bewusstseinsbildung durch transparente Informationen, um den Stellenwert der in Österreich produzierten Lebensmittel innerhalb der Bevölkerung auszubauen“. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 013/21 Seite 14 ***