© 2021 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 010/21 Vereinbarkeit der Änderung des Bundesjagdgesetzes mit dem Staatsziel des Tierschutzes gemäß Art. 20a GG Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Der am 20.01.2021 von der Bundesregierung beschlossene „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes, des Bundesnaturschutzgesetzes und des Waffengesetzes“1 sieht unter anderem eine Erweiterung des § 1 Abs. 2 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG)2 um folgenden Satz vor: „Sie [die Hege] soll insbesondere eine Verjüngung des Waldes im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen ermöglichen.“3 Ziel dieser Gesetzesänderung ist die Umsetzung einer an den Klimawandel angepassten Waldbewirtschaftung . Notwendiger Waldumbau soll möglichst ohne Schutzmaßnahmen, wie etwa Wildschutzzäune oder Einzelschutz von Pflanzen, durchgeführt werden können. Wo zu hohe Wildbestände eine Verjüngung des Waldes behindern, soll daher verstärkt durch jagdliche Maßnahmen ein angemessener Ausgleich zwischen Wald und Wild gefunden werden.4 Gefragt wird nach der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem in Art. 20a Grundgesetz (GG)5 verankerten Staatsziel des Tierschutzes. 2. Gewährleistung des verfassungsrechtlichen Tierschutzes nach Art. 20a GG Gemäß Art. 20a GG schützt der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere. Als eine Staatszielbestimmung wendet sich die Vorschrift vorrangig an den parlamentarischen Gesetzgeber, der die Aufgabe hat, den darin enthaltenen Schutzauftrag zu konkretisieren.6 Hierbei steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu.7 Als Belang von Verfassungsrang ist der Tierschutz zwar im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens angemessen zu berücksichtigen und kann geeignet sein, ein Zurücksetzen konkurrierender Belange zu rechtfertigen, setzt sich diesen gegenüber aber nicht notwendigerweise durch.8 Der Gesetzgeber hat die Belange des Tierschutzes mit etwaigen widerstreitenden Belangen in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Seine 1 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes, des Bundesnaturschutzgesetzes und des Waffengesetzes, BT-Drs. 19/26024, https://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/19/260/1926024.pdf. 2 https://www.gesetze-im-internet.de/bjagdg/BJNR007800952.html. 3 BT-Drs. 19/26024, S. 7. 4 BT-Drs. 19/26024, S. 15 f., 21. 5 https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html. 6 Huster/Rux in Epping/Hillgruber: BeckOK Grundgesetz, 45. Edition 2020, Art. 20a, Rn. 27. 7 BVerfGE 127, 296 (328); Murswiek in Sachs: Grundgesetz Kommentar, 8. Auflage 2018, Art. 20a GG, Rn. 17. 8 BVerwG, Urteil vom 23.11.2006, 3 C 30/05, Rn. 12; Murswiek (a.a.O.), Rn. 55. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 010/21 Seite 5 ihm hierbei zustehende Einschätzungsprärogative darf er nur nicht zulasten des Tierschutzes überdehnen.9 Eingriffe in die Schutzgüter des Art. 20a GG muss der Gesetzgeber ausreichend begründen. Die Gesetzgebungsmaterialien müssen die hierzu angestellten Überlegungen und Untersuchungen erkennen lassen.10 3. Vereinbarkeit des Gesetzentwurfs mit Art. 20a GG Gemessen an diesen Anforderungen dürften der beabsichtigten Gesetzesänderung im Hinblick auf die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG eher keine Bedenken begegnen. Die Hege ist bereits nach der aktuellen Fassung des § 1 Abs. 2 BJagdG so durchzuführen, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen Forstwirtschaft, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden. Dieser Grundsatz wird durch die beabsichtigte Gesetzesänderung in seiner Ratio lediglich gestärkt.11 Auch dürften die Belange des Tierschutzes gemäß Art. 20a GG ausreichende Berücksichtigung gefunden haben, wenngleich sie hinter den Belangen des ebenfalls von Art. 20a GG erfassten Umwelt- und Klimaschutzes leicht zurückgestellt werden. So heißt es im Gesetzentwurf: „Die Ergänzung des § 1 Absatz 2 BJagdG […] ist vor dem Hintergrund eines nachhaltigen Waldumbaus geboten. Wo zu hohe Schalenwilddichten eine Verjüngung […], oder die verstärkte Anpassung der Wälder durch Waldumbau gefährden, besteht Handlungsbedarf. Waldbauliche Maßnahmen, die zum notwendigen Waldumbau ergriffen werden, dürfen durch die Folgen zu hoher Schalenwildbestände ihren Zweck nicht verfehlen.“12 Auf waldbauliche Schutzmaßnahmen gegen Wildschäden soll ferner nicht gänzlich, sondern nur „im Wesentlichen“ verzichtet werden können. Schutzzäune und andere Schutzmaßnahmen bleiben ausweislich des Gesetzentwurfs weiterhin förderfähig.13 Mildere Maßnahmen zur Ermöglichung einer Verjüngung des Waldes berücksichtigt der Gesetzentwurf damit. *** 9 Murswiek (a.a.O.), Rn. 53; Schulze-Fielitz in Dreier: Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Rn. 71. 10 Murswiek (a.a.O.), Rn. 76; Schulze-Fielitz (a.a.O.), Rn. 73. 11 Vgl. hierzu auch: Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuss ) zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes , BT-Drs. 7/4285, S. 3, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/07/054/0705471.pdf. 12 BT-Drs. 19/26024, S. 21. 13 BT-Drs. 19/26024, S. 21.