© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 – 010/19 Zur Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU in deutsches Recht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 2 Zur Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU in deutsches Recht Aktenzeichen: WD 5 - 3000 – 010/19 Abschluss der Arbeit: 27.2.2019 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Die Definition des Tierversuchs 4 3. Grundsätze bei Tierversuchen 5 4. Einstufung von Schweregraden nach der Tierversuchsrichtlinie 5 5. Umsetzung der Richtlinie 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages sind gefragt worden, ob die EU-Tierversuchsrichtlinie (Richtlinie 2010/63/EU)1 von Deutschland richtlinienkonform umgesetzt wurde und ob diese Richtlinie es zulässt, dass Versuche, die nach der Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere als Schweregrad "schwer" definiert sind, ausnahmslos verboten werden können. Hintergrund ist eine öffentliche Petition, bei deren öffentlicher Beratung2 im Petitionsausschuss rechtlich unterschiedliche Auffassungen deutlich wurden.3 Die europarechtliche Frage, ob es mit der Tierversuchsrichtlinie vereinbar wäre, wenn die Mitgliedstaaten Versuche, die nach dieser Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere mit dem Schweregrad „schwer“ definiert sind, ausnahmslos verbieten würden , ist mit der Arbeit des Fachbereichs Europa PE 6 – 023/19 beantwortet worden. Im Übrigen kann eine umfassende Würdigung der Umsetzung der Tierversuchsrichtlinie hier nicht erfolgen. Angesichts des Schwerpunkts der Fragestellung wird ausschließlich auf die Frage der Umsetzung der Regelungen des Art. 15 der Richtlinie eingegangen. 2. Die Definition des Tierversuchs Was ein Tierversuch ist, wird in § 7 des Tierschutzgesetzes (TierSchG)4 bestimmt. Tierversuche sind gemäß § 7 II, Satz 1, Nr. 1- 3 TierSchG „Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken 1. an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere verbunden sein können, 2. an Tieren, die dazu führen können, dass Tiere geboren werden oder schlüpfen, die Schmerzen, Leiden oder Schäden erleiden, oder 3. am Erbgut von Tieren wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertiere verbunden sein können.“ Nach § 7 II, Satz 2, Nr. 1- 3 TierSchG gelten ferner auch solche Eingriffe oder Behandlungen als Tierversuche, „die nicht Versuchszwecken dienen, und 1. die zur Herstellung, Gewinnung, Aufbewahrung oder Vermehrung von Stoffen, Produkten oder Organismen vorgenommen werden, 1 https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:276:0033:0079:DE:PDF (abgerufen am 14.2.2019). 2 https://www.bundestag.de/hib#url=L3ByZXNzZS9oaWIvLS81NzI0MTQ=&mod=mod454590 . 3 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw41-pa-petitionen/571416; https://www.bundestag .de/presse/hib/-/572414 (abgerufen am 12.2.2019). 4 Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2586), https://www.gesetze-im-internet .de/tierschg/BJNR012770972.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 5 2. durch die Organe oder Gewebe ganz oder teilwiese entnommen werden, um zu wissenschaftlichen Zwecken a) die Organe oder Gewebe zu transplantieren, b) Kulturen anzulegen, oder c) isolierte Organe, Gewebe oder Zellen zu untersuchen oder 3. die zu Aus-, Fort- oder Weiterbildungszwecken vorgenommen werden,“ soweit zusätzlich eine der vorgenannten Voraussetzungen des § 7 II, Satz 1, Nr. 1-Nr. 3 TierSchG gegeben ist. Nach § 7 II S. 3 TierSchG gilt das Töten eines Tieres nicht als Tierversuch, soweit dies ausschließlich erfolgt, um dessen Organe oder Gewebe zu wissenschaftlichen Zwecken zu verwenden. 3. Grundsätze bei Tierversuchen Durch das Tierschutzgesetz werden Tierversuche „auf das unerlässliche Maß“ beschränkt (§ 7 I S. 2 TierSchG) und verschiedenen Vorschriften zum Schutz der Versuchstiere unterworfen. Die Voraussetzungen, unter denen Tierversuche möglich sind, sind in § 7a TierSchG geregelt. Weitere Regelungen trifft das TierSchG in den §§ 8 bis 9. Umsetzungsregelungen sind ferner mit der Verordnung zum Schutz von zu Versuchszwecken oder zu anderen wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren (Tierschutz-Versuchstierverordnung – TierSchVersV)5 getroffen worden. 4. Einstufung von Schweregraden nach der Tierversuchsrichtlinie Die RL 2010/63/EU des Europäischen Parlamentes vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (kurz „EU-Tierversuchsrichtlinie“) wurde am 22. September 2010 durch das EU-Parlament und den Ministerrat beschlossen, trat am 9. November 2010 in Kraft und hat den primären Zweck, das größtmögliche Maß an rechtlichen Problemfällen mit Tierversuchen zu berücksichtigen und so die bislang immer noch stark divergierenden rechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten europarechtlich zu harmonisieren, weil die Unterschiede Hindernisse für den Handel mit Erzeugnissen und Stoffen darstellen können, bei deren Entwicklung Tierversuche durchgeführt werden.6 Die Richtlinie 2010/63/EU begrenzt Tierversuche in puncto Schweregrad.7 Art. 15 der Richtlinie lautet: 5 Vom 1. August 2013 (BGBl. I S. 3125), geändert durch Art. 394 der10. Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31. 8. 2015 (BGBl. I S. 1474, 1532), http://www.gesetze-im-internet.de/tierschversv/. 6 https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:276:0033:0079:DE:PDF (abgerufen am 14.2.2019). 7 Hildermann, Lena, Die EU-Tierversuchsrichtlinie und ihre Umsetzung in nationales Recht: unions- und verfassungsrechtliche Aspekte, Diss., Hamburg 2016, S. 129 ff.; Pröbst, Katja, Das Recht der Tierversuche unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben, Diss., München 2016, S. 170 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 6 „Einstufung des Schweregrads der Verfahren (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Verfahren im Einzelfall unter Verwendung der in Anhang VIII aufgeführten Zuordnungskriterien als „keine Wiederherstellung der Lebensfunktion“, „gering“, „mittel“ oder „schwer“ eingestuft werden. (2) Vorbehaltlich der Anwendung der Schutzklausel nach Artikel 55 Absatz 3 gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass ein Verfahren nicht durchgeführt wird, wenn es starke Schmerzen, schwere Leiden oder schwere Ängste verursacht, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können.“ Die Einstufung eines Verfahrens als „schwer“ im Sinne des Anhangs VIII der Richtlinie erfolgt schon bei niederschwelligeren Verfahren als der in Art. 15 II der Richtlinie bezeichneten. Im Anhang VIII heißt es hierzu: „Verfahren, bei denen zu erwarten ist, dass sie bei den Tieren starke Schmerzen, schwere Leiden oder Ängste oder lang anhaltende mittelstarke Schmerzen, mittelschwere Leiden oder Ängste verursachen sowie Verfahren, bei denen zu erwarten ist, dass sie eine schwere Beeinträchtigung des Wohlergehens oder des Allgemeinzustands der Tiere verursachen, werden als „schwer“ eingestuft .“ Die Schutzklausel in Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie lautet: „(3) Hält es ein Mitgliedstaat in Ausnahmefällen aus wissenschaftlich berechtigten Gründen für erforderlich, die Verwendung eines Verfahrens zu genehmigen, das im Sinne von Artikel 15 Absatz 2 starke Schmerzen, schwere Leiden oder Ängste verursacht, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können, so kann er eine vorläufige Maßnahme zur Genehmigung dieses Verfahrens beschließen. Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Verwendung nichtmenschlicher Primaten in solchen Verfahren nicht zuzulassen.“ 5. Umsetzung der Richtlinie Die Umsetzung der Tierversuchsrichtlinie ist mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes 8 in das TierSchG eingefügt worden. Der Bundestagsausschuss für Ernährung. Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat mit Beschlussempfehlung und Bericht Stellung genommen .9 Im Plenum des Bundestages wurde der Entwurf am 13. Dezember 2012 ausgiebig debattiert .10 Im Ergebnis wurde in § 9 III TierSchG „das Bundesministerium ermächtigt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und, soweit artenschutzrechtliche Belange 8 Drittes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 4. Juli 2013 (BGBl. I S. 2182, 3911). Gesetzentwurf auf BT-Drs. 17/10572, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/105/1710572.pdf 9 BT-Drucksache 17/11811, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/118/1711811.pdf . 10 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 214. Sitzung, Plenarprotokoll 17/214, S. 26357 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 7 berührt sind, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Union Versuche (…) 3. die besonders belastend sind11, zu verbieten oder zu beschränken (…).“ In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es: „Absatz 3 Nummer 3 betrifft Verbote und Beschränkungen hinsichtlich des Grades der mit Tierversuchen einhergehenden Belastungen (Schmerzen, Leiden, Schäden) für die verwendeten Tiere. Hierauf gestützt sollen die bislang in § 7 Absatz 3 Satz 2 vorgesehene Regelung sowie Regelungen zur Umsetzung der Artikel 15 Absatz 2 und Artikel 55 Absatz 3 der Richtlinie 2010/63/EU erlassen werden.“12 § 25 der TierSchVersV regelt die Durchführung besonders belastender Tierversuche: „(1) Tierversuche an Wirbeltieren oder Kopffüßern, die bei den verwendeten Tieren zu voraussichtlich länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen oder Leiden führen , dürfen nur durchgeführt werden, wenn die angestrebten Ergebnisse vermuten lassen, dass sie für wesentliche Bedürfnisse von Mensch oder Tier einschließlich der Lösung wissenschaftlicher Probleme von hervorragender Bedeutung sein werden. (2) Tierversuche nach Absatz 1 dürfen nicht durchgeführt werden, wenn die erheblichen Schmerzen oder Leiden länger anhalten und nicht gelindert werden können. Abweichend von Satz 1 kann die zuständige Behörde die Durchführung eines Tierversuchs nach Satz 1 genehmigen, soweit die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und wissenschaftlich begründet dargelegt ist, dass die Durchführung des Tierversuchs wegen der Bedeutung der angestrebten Erkenntnisse unerlässlich ist.“ Schon bei der abschließenden Plenardebatte des Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes war umstritten, ob diese Umsetzung vollständig erfolgte oder defizitär.13 11 Fettung durch Verfasser der Ausarbeitung. 12 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/105/1710572.pdf S. 28. 13 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 214. Sitzung, Plenarprotokoll 17/214, S. 26358 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 8 Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Richtlinie vollständig umgesetzt wurde14 und hat dies auch in der erwähnten Anhörung im Petitionsausschuss im Oktober 2018 erklärt.15 Zur Richtlinie und ihrer Umsetzung gibt es verschiedene Stimmen. Wolfgang Loewer schreibt in seiner „Einführung zum Tierschutzrecht“ u.a. „Der parlamentarische Gesetzgeber wie der Unionsgesetzgeber müssen in dem Wertedreieck von Forschungsfreiheit, Freiheitsrecht im Grundgesetz wie in der Europäischen Grundrechtecharta, Gesundheitsschutz und Tierschutz den Weg finden, diese Belange zur praktischen Konkordanz zu bringen.“16 Anne Peters und Saskia Stucki kritisieren die Umsetzung in ihrem „Rechtsgutachten zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der EU-Tierversuchsrichtlinie insb. zur Unionsrechts- und Verfassungskonformität des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes sowie des Entwurfs einer Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU“ vom 25. April 2012 und kritisieren „er- 14 S. hierzu die Position der Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/10643 – Umsetzung der Tierversuchsrichtlinie, BT-Drs. 18/10778 vom 27.12.2016, http://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/107/1810778.pdf, S. 10: „Das Staatsziel Tierschutz verpflichtet den Staat, im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung, zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere. Sind weitere Verfassungsgüter betroffen, hat eine Abwägung dergestalt zu erfolgen, dass alle betroffenen Verfassungsgüter bestmöglich zur Geltung kommen. Im Rahmen der Umsetzung der Artikel 15 und 55 Nummer 3 der Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere durch Änderung des Tierschutzgesetzes und Erlass der Tierschutz-Versuchstierverordnung konnten Regelungen gefunden werden, die eine angemessene Berücksichtigung von hohen Tierschutzstandards einerseits sowie insbesondere der Belange von Forschung und menschlichem Gesundheitsschutz andererseits sicherstellen.“ (…) „Artikel 15 der Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere gibt vor, dass die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Anwendung der Schutzklausel nach Artikel 55 Absatz 3 der Richtlinie 2010/63/EU gewährleisten , dass ein Verfahren nicht durchgeführt wird, wenn es starke Schmerzen, schwere Leiden oder schwere Ängste verursacht, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können. Nach Artikel 55 Absatz 3 der Richtlinie 2010/63/EU kann die Verwendung eines derartigen Verfahrens ausnahmeweise genehmigt werden, wenn dies aus wissenschaftlich berechtigten Gründen für erforderlich gehalten wird. Die richtlinienkonforme Umsetzung dieser Vorgaben in nationales Recht erfolgte durch die §§ 25, 26 Absatz 1 der Tierschutz- Versuchstierverordnung. Aus § 25 Absatz 2 Satz 2 der Tierschutz-Versuchstierverordnung ergibt sich, dass für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für Versuchsvorhaben, die für die betroffenen Versuchstiere mit besonders schweren Belastungen verbunden sind, zum einen die Voraussetzungen des § 25 Absatz 1 Tierschutz -Versuchstierverordnung vorliegen müssen, zum anderen aber auch wissenschaftlich begründet dargelegt werden muss, dass die Durchführung des Tierversuchs wegen der Bedeutung der angestrebten Erkenntnisse unerlässlich ist. Diese zusätzliche Voraussetzung entspricht dem Erfordernis des Vorliegens der wissenschaftlich berechtigten Gründe in Artikel 55 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie 2010/63/EU. Zudem müssen die angestrebten Ergebnisse vermuten lassen, dass sie für die Lösung wissenschaftlicher Probleme von hervorragender Bedeutung sein werden. Damit ist der von Artikel 55 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie geforderte Ausnahmefall beschrieben .“ 15 Nach Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Hans-Joachim Fuchtel (CDU) ist die EU-Tierversuchsrichtlinie in Deutschland beim Thema Verbot von Tierversuchen mit dem Schweregrad „schwer“ „eins zu eins" umgesetzt worden. Die EU habe die Umsetzung durch die Bundesregierung vollständig akzeptiert, sagte Fuchtel während der öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses , https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw41-pa-petitionen/571416 (abgerufen am 13.2.2019). 16 https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_magazin/forschungspolitik/tierschutz2015/tierschutz_recht_loewer.pdf . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 9 hebliche begriffliche Unterschiede“ zwischen Art. 15 II der Richtlinie und der nationalen Umsetzung .17 Dabei bezieht sich dies Gutachten noch auf die Entwurfsfassungen der deutschen Richtlinienumsetzung . Davina Bruhn von der Rechtsanwälte Günther Partnerschaft hat sich in einem „Rechtsgutachten zum Verbot schwerstbelastender Tierversuche“ für ein höheres Tierschutzniveau bei der nationalen Umsetzung ausgesprochen und verschiedene rechtliche Bedenken gegen die geltende Regelung geäußert.18 Auch Christoph Maisack äußert sich kritisch.19 Der eingetragene Verein Ärzte gegen Tierversuche ist der Ansicht, dass nicht nur die Richtlinie unzureichend war, sondern sie auch noch in Deutschland unzureichend umgesetzt wurde.20 Die Europäische Kommission hat gegen Deutschland und weitere Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren wegen offener Fragen zur Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere eingeleitet und schreibt in ihrem Memo vom 19.7.2018, mit dem sie das Verfahren ankündigt: „Tierschutz: Kommission fordert sechs Mitgliedstaaten zur ordnungsgemäßen Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz von Labortieren auf Die Europäische Kommission hat beschlossen, sechs Mitgliedstaaten (Estland, Deutschland, Portugal, Rumänien, die Slowakei und Spanien) Aufforderungsschreiben zu übermitteln, weil sie die EU-Vorschriften über den Schutz von für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tieren (Richtlinie 2010/63/EU) unzureichend in innerstaatliches Recht umgesetzt haben. Die Richtlinie, die bis zum 10. November 2012 umgesetzt werden musste, sorgt für einen hohen Tierschutzstandard und gewährleistet gleichzeitig das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Außerdem soll die Zahl der für Versuche verwendeten Tiere auf ein Minimum reduziert und soweit möglich auf alternative Methoden zurückgegriffen werden. In allen sechs Mitgliedstaaten wurden zahlreiche Unzulänglichkeiten ihres innerstaatlichen Rechts festgestellt. (…) Das deutsche Recht weist Defizite in Bezug auf Inspektionen, die Sachkunde des Personals und die Anwesenheit von Tierärzten auf.“21 17 Rechtsgutachten im Auftrag von Deutscher Tierschutzbund e.V., Bund gegen Missbrauch der Tiere, Bundesverband Tierschutz e.V., Ärzte gegen Tierversuche e.V., Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V. und der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. S. 58. https://bmt-tierschutz .bmtev.de/lib_dateien/tierschutzthemen_tierversuche/Rechtsgutachten_Tierversuche.pdf. 18 Gutachten im Auftrag von Ärzte gegen Tierversuche, Tasso e.V. und Bund gegen den Missbrauch der Tiere e.V. vom 13.10.2017 https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/images/stories/kampagnen/verzweiflung/gutachten _bruhn_zus.PDF . 19 Gutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, „Gutachten zu der Frage, ob und ggf. welche Bestimmungen der Richtlinie 2010/63/EU (EU-Tierversuchs-Richtlinie) durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes und die Tierschutz-Versuchstierverordnung nicht oder nicht ausreichend in deutsches Recht umgesetzt worden sind“ vom 18. Januar 2016, https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin /media/gruenebundestag_de/themen_az/tierschutz/PDF/Gutachten_Umsetzung_Tierversuche.pdf . 20 https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/infos/eu/550-eu-tierversuchsrichtlinie-hintergrundinfos (abgerufen am 26.2.2019). 21 http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-18-4486_de.htm. Fettungen im Original. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 5 - 3000 – 010/19 Seite 10 Das Mahnschreiben der Europäischen Kommission vom 20. Juli 2018 wurde gemäß § 4 Absatz 6 Nummer 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) dem Deutschen Bundestag zugeleitet .22 Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft hat am 19. Juli 2018 erklärt: "Sollte es Mängel geben, müssen sie natürlich behoben werden. Wir werden das intensiv prüfen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ist für alle Tiere zuständig , und deshalb ist es mir mit dem Tierschutz ernst. Mein Ministerium setzt sich schon seit langem dafür ein, die Zahl der Versuchstiere auf das absolut notwendige Minimum zu reduzieren. So initiiert und unterstützt mein Ministerium beispielsweise verschiedene Projekte, die zum Ziel haben, Tierversuche möglichst schnell durch alternative Methoden zu ersetzen. Dazu gehören unter anderem die Errichtung und der Betrieb des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren und die jährliche Vergabe des Tierschutzforschungspreises . Obwohl heute schon viele Fragen der Wissenschaft durch den Einsatz von Zellkulturen, computergestützte Verfahren und weiteren Alternativmethoden beantwortet werden können, kann auf den Einsatz von Tieren für wissenschaftliche Zwecke leider noch nicht verzichtet werden. Oft geht es da um Forschung, die für die medizinische Entwicklung und die Gesundheit der Menschen unverzichtbar ist. Aber es ist unsere ethische Pflicht, die Entwicklung von Alternativen für Tierversuche zu beschleunigen ." 23 Am Ende des noch laufenden Verfahrens wird sich zeigen, ob es ein Gebot geben wird, die deutsche Umsetzung der Richtlinie in den in diesem Sachstand erörterten Punkten nachzubessern. *** 22 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Michael Stübgen vom 3. September 2018, Bundestagsdrucksache 19/4173, S. 62. 23 https://www.bmel.de/DE/Tier/Tierschutz/_texte/TierschutzTierforschung.html;jsessionid =1B94D99CE46D71FC1E6F52B15179F037.1_cid367?docId=11272814 (abgerufen am 14.2.2019.)