© 2020 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 006/20 Strukturmaßnahmen zum Kohleausstieg der Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 2 Strukturmaßnahmen zum Kohleausstieg der Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 006/20 Abschluss der Arbeit: 22.01.2020 Fachbereich: WD 5 Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB) 4 3. Umsetzung der KWSB-Empfehlungen seitens der Bundesregierung 6 4. Bestehende Förderung 7 5. Studien 9 5.1. Prognos AG 9 5.2. DIW 14 5.3. IFOK GmbH/Deutsche WindGuard GmbH/Solarpraxis Engineering GmbH u.a. 18 5.4. Ifo-Institut 19 5.5. RWI 19 5.6. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)/Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH/Ecologic Institut gemeinnützige GmbH 20 6. Stilllegungspfad für die Braunkohlekraftwerke 23 7. Ergänzende Quellen 25 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 4 1. Einleitung Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über die im Rahmen des Kohleausstiegs in Aussicht gestellten Strukturhilfemaßnahmen für die Regionen Lausitz (Brandenburg, Sachsen) sowie Mitteldeutschland (Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen) basierend auf dem Abschlussbericht der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung “(KWSB) und dem seitens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) darauf aufbauenden Eckpunktepapier zur Umsetzung der strukturpolitischen Empfehlungen der Kommission. Dabei werden bestehende und ergänzende Strukturhilfen vorgestellt. Es schließt eine Ausweitung einschlägiger Studien zum Strukturwandel der Regionen an. Die im Auftrag erwähnten wirtschaftspolitischen Instrumente, wie z.B. Einführung einer Sonderwirtschaftszone, werden in den recherchierten aktuellen Studien nicht erörtert. 2. Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB) Am 6. Juni 2018 wurde seitens der Bundesregierung die Einsetzung der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB)" beschlossen. Aufgabe der WSB-Kommission war es, konkrete Vorschläge für eine in die Zukunft gerichtete, nachhaltige Strukturentwicklung und damit für zukunftssichere Arbeitsplätze in den vom Strukturwandel betroffenen Braunkohleregionen zu erarbeiten. Am 31.Januar 2019 hat die KWSB ihren Abschlussbericht der Bundesregierung vorgelegt.1 Das BMWi verweist auf die Empfehlungen des Abschlussberichts der KWSB wie folgt: „Die Empfehlungen der Kommission bestehen aus einem strukturpolitischen sowie einem klimaund energiepolitischen Teil. Die Kommission betont, dass die empfohlenen Maßnahmen einander bedingen. Zu den strukturpolitischen Vorschlägen zählen insbesondere: in einem Gesetz über einen Zeitraum von 20 Jahren 1,3 Milliarden Euro pro Jahr für projektbezogene strukturpolitische Maßnahmen in den betroffenen Regionen zu gewähren; zusätzlich sollen im gleichen Zeitraum 0,7 Milliarden Euro pro Jahr projektoffen fließen. Sofortprogramme bis zum Jahr 2021, mit denen strukturpolitische Projekte und private Investitionsanreize in den betroffenen Regionen finanziert werden. weitere Maßnahmen: Anpassungsgeld-Braunkohle für Beschäftigte ab 58 Jahre zur Überbrückung bis zur Rente zu entwickeln; neue Behörden von Bund und Ländern in den betroffenen Revieren anzusiedeln zur Schaffung von mindestens 5.000 Arbeitsplätzen; Verkehrsinfrastrukturprojekte durch Einführung eines „Revierbonus“ dort schneller umzusetzen ; 5G-Modellregionen einzurichten. 1 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/kohleausstieg-und-strukturwandel.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 5 Zu den klima- und energiepolitischen Vorschlägen zählen insbesondere: die installierte Kohlekraftwerksleistung in Deutschland von 42,5 GW im Jahr 2017 (20 GW Braun- und 22,5 GW Steinkohle) bis zum Jahr 2038 auf null zu reduzieren. Als Zwischenschritte sind installierte Kohlekraftwerksleistungen von 30 GW im Jahr 2022 (je 15 GW Braun- und Steinkohle) und 17 GW im Jahr 2030 (9 GW Braun- und 8 GW Steinkohle) vorgesehen . Im Jahr 2032 sei zu überprüfen, ob bereits im Jahr 2035 (oder 2036 oder 2037) auf die Kohleverstromung in Deutschland verzichtet werden kann. mit den Braunkohlekraftwerksbetreibern eine Lösung zu verhandeln und anschließend gesetzlich umzusetzen. Bei einem Scheitern der Verhandlung empfiehlt sie für den Zeitraum der Jahre 2023-2030 eine ordnungsrechtliche Lösung mit Entschädigung soweit rechtlich erforderlich. den Steinkohlekraftwerksbetreibern degressive freiwillige Stilllegungsprämien bis zum Jahr 2030 anzubieten. weitere Maßnahmen (Auswahl): erneuerbare Energien bis zum Jahr 2030 auf 65 Prozent des Stromverbrauchs systemdienlich und marktkonform sowie Übertragungs- und Verteilnetze konsequent auszubauen; Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger von möglichen Strompreisanstiegen zu entlasten; bei Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) den Umstieg von Kohle auf Gas attraktiver auszugestalten und KWK zu flexiblen Strom- Wärme-System weiterzuentwickeln; Versorgungssicherheit notfalls über einen systematischen Investitionsrahmen für neue Kraftwerkskapazitäten sicherzustellen, sofern die notwendigen Investitionen ausbleiben; im Rahmen des Europäischen Emissionshandels (EU- ETS) durch den Kohleausstieg nicht mehr benötigte Zertifikate zu löschen. Die Kommission schlägt eine umfassende Beobachtung der Maßnahmen vor: In den Jahren 2023, 2026 und 2029 soll die Bundesregierung Fortschrittsberichte zum Stand der Umsetzungen vorlegen . Ein unabhängiges Expertengremium, bestehend unter anderem aus Expertinnen und Experten für Strukturentwicklung und Regionalpolitik, Beschäftigung, Energiewirtschaft, Industrie und Klimaschutz, soll diese Berichte prüfen, bewerten und eventuellen Handlungsbedarf ableiten.“2 Um die betroffenen Regionen beim Strukturwandel zu unterstützen, sieht der Bericht Mittel in Höhe von über 40 Milliarden Euro vor, wobei der Kohleausstieg zudem weder Stromkunden zusätzlich belasten noch Energieunternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit nehmen soll.3 Der komplette Abschlussbericht ist dem folgenden Link zu entnehmen: 2 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Kohlekommission/faq-kohlekommission.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) 3 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/kohleausstieg-und-strukturwandel.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 6 Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ Abschlussbericht https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/abschlussbericht-kommission -wachstum-strukturwandel-und-beschaeftigung.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Letzter Abruf: 21.01.2020) Eine Zusammenfassung der Bundesregierung verdeutlicht nochmals wesentliche Punkte des Abschlussberichts der KWSB: Bundesregierung, 31.01.2019, Abschlussbericht der Kohlekommission. Der Einstieg in den Kohleausstieg. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/der-einstieg-in-den-kohleausstieg- 1574264 (Letzter Abruf: 21.01.2020) 3. Umsetzung der KWSB-Empfehlungen seitens der Bundesregierung Die Umsetzung der strukturpolitischen Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ für ein „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ nebst der auf die einzelnen Länder bezogenen Vorhaben sind dem folgenden Eckpunktepapier, das am 22.05.2019 vom Bundeskabinett beschlossen wurde, zu entnehmen: BMWi, Eckpunkte zur Umsetzung der strukturpolitischen Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ für ein „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen “ . https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/eckpunkte-strukturwandel .pdf?__blob=publicationFile&v=18 (Letzter Abruf: 21.01.2020) Am 21.08.2019 hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Verbändebeteiligung für den Referentenentwurf für das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (StStG) eingeleitet. Das Bundeskabinett hatte am 28.08.2019 den vom Bundesminister für Wirtschaft und Energie vorgelegten Entwurf für ein „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ beschlossen.4 Der Gesetzentwurf sowie die Stellungnahmen der Verbände sind den folgenden Links zu entnehmen : Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie Entwurf eines Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/entwurf-eines-strukturstaerkungsgesetzes -kohleregionen.pdf?__blob=publicationFile&v=12 (Letzter Abruf: 21.01.2020) Stellungnahmen zum Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen https://www.bmwi.de/Navigation/DE/Service/Stellungnahmen/Strukturstaerkungsgesetz- Kohleregionen/stellungnahmen-strukturstaerkungsgesetz-kohleregionen.html (Letzter Abruf : 21.01.2020) 4 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/kohleausstieg-und-strukturwandel.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 7 Weiterhin wird auf folgende Stellungnahmen der Bundesregierung verwiesen: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Sven-Christian Kindler, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/8120 – Projektvorschläge der Kohlekommission zur Strukturentwicklung für den Freistaat Sachsen – Schwerpunkt Infrastruktur, Drucksache 19/8628 v. 21.03.2019. https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/086/1908628.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Lisa Badum, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/8205 – Umsetzung der Ergebnisse der Kohlekommission, Drucksache 19/8916 v. 29.03.2019. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/089/1908916.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christian Dürr, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/10270 – Herkunft und Verwendung der Strukturhilfen für die vom Kohleausstieg betroffenen Länder, Drucksache 19/10557 v. 03.06.2019 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/105/1910557.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) 4. Bestehende Förderung Die Regionen profitieren bereits von zahlreichen Maßnahmen des Bundes und der Länder, beispielsweise durch Innovationsprogramme und die Europäischen Strukturfonds. Da es sich bei den Braunkohleregionen überwiegend um strukturschwache Regionen handelt, stehen ihnen auch die Fördermöglichkeiten der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) zur Verfügung. Damit werden neben Investitionen der gewerblichen Wirtschaft und wirtschaftsnahen kommunalen Infrastrukturinvestitionen schon jetzt auch Projekte zum Aufbau von länder- und landkreisübergreifenden Arbeitsstrukturen in Braunkohleregionen unterstützt.5 Ergänzend gestaltet das vom BMWi im Jahr 2017 ins Leben gerufene Modellvorhaben "Unternehmen Revier" aktiv den Strukturwandel in den Braunkohleregionen Lausitzer Revier, dem Mitteldeutschen Revier, dem Rheinischen Revier und dem Helmstedter Revier. Die Reviere erhalten jährlich weitere 8 Millionen Euro, wobei auf die Lausitz 40 Prozent, das Rheinische Revier 25 Prozent, das Mitteldeutsche Revier 20 Prozent und das Helmstedter Revier 10 Prozent entfallen.6 Im Rahmen des Modellvorhaben "Unternehmen Revier" werden auf das Lausitzer Revier sowie das Mitteldeutsche Revier bezogen folgende Ziele, Zukunftsfelder und beteiligte Kommunen benannt : 5 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/kohleausstieg-und-strukturwandel.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) 6 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Textsammlungen/Energie/modellvorhaben-unternehmen-revier.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 8 „Lausitzer Revier Ziele: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftsstandortes F&E, Cluster- und Innovationsmanagement Qualifizierung und Fachkräftesicherung Kompetenz- und Kapazitätsaufbau Zukunftsfelder: Neue Arbeits-, Technologie- und Kompetenzfelder: Wachstumspfade der Lausitz Smart Region: Vernetzte Strategie für die Lausitz der Zukunft Kompetenzausbau: Wissens- und Technologietransfer Wohnen, Arbeiten und Qualifizierung: Lernende Lausitz – strategische Begleitung des Strukturwandels Beteiligte Kommunen: Landkreis Elbe-Elster (Brandenburg) Landkreis Oberspreewald-Lausitz (Brandenburg) Landkreis Dahme-Spreewald (Brandenburg) Landkreis Spree-Neiße (Brandenburg) Stadt Cottbus (Brandenburg) Landkreis Bautzen (Sachsen) Landkreis Görlitz (Sachsen) Mitteldeutsches Revier Ziele: Stärkung der Innovationsregion, indem die regionalen Wertschöpfungspotenziale und die Wettbewerbsfähigkeit der Innovationsregion Mitteldeutschland im Sinne des Strukturwandels weiter positiv entwickelt werden. Qualifizierung der Beschäftigten zur Sicherung eines zukunftsorientierten Fachkräftepotenzials . Vernetzung von Aktivitäten in den Teilregionen, so dass hieraus eine Aktivität und ein Nutzen möglichst für die gesamte Innovationsregion Mitteldeutschland wird. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 9 Verbesserung der Kompetenzen der regionalen Akteure, um aktiv die identifizierten Zukunftsfelder und den Strukturwandel zu gestalten. Zukunftsfelder: Nutzung von Wertschöpfungspotenzialen Gestaltung der künftigen Energieregion Bewegung mit Mobilität und Logistik Genuss durch vernetzte Attraktivität Beteiligte Kommunen: Freistaat Sachsen Landkreis Leipzig Stadt Leipzig Landkreis Nordsachsen Land Sachsen-Anhalt Burgenlandkreis Saalekreis Stadt Halle (Saale) Landkreis Mansfeld-Südharz Landkreis Anhalt-Bitterfeld Freistaat Thüringen Landkreis Altenburger Land“7 5. Studien 5.1. Prognos AG Eine Studie der Prognos AG analysiert zukünftige Handlungsfelder zur Förderung von Maßnahmen zur Strukturanpassung in Braunkohleregionen und kommt dabei zu folgenden Ergebnissen: "Lausitzer Revier In der Lausitz beschäftigen sich eine Vielzahl von Akteuren im Revier mit dem Strukturwandel . Gegenwärtig liegt jedoch nach Aussage von Experten keine endgültige, über alle 7 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Textsammlungen/Energie/modellvorhaben-unternehmen-revier.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 10 relevanten (Verwaltungs-) Ebenen abgestimmte Strategie mit einschlägigen Akteuren Brandenburgs und Sachsens vor. Das breite Spektrum der erstellten Studien sowie die verfassten Handlungsempfehlungen der regionalen Akteure bilden aber eine gute Basis für die Ausarbeitung einer Gesamtstrategie8. Es besteht vor diesem Hintergrund im Lausitzer Revier die Aufgabe, die verschiedenen Initiativen und Strategievorschläge abzustimmen und zu bündeln. Die jüngst gegründete Wirtschaftsregion Lausitz GmbH soll sich zu einer Lausitz-übergreifenden Organisation entwickeln, innerhalb derer sich alle Betroffenen abstimmen und dann mit einer Stimme für das Revier sprechen. Positiv zu vermerken ist, dass die Erarbeitung des Förderantrages für das Bundesmodellvorhaben „Unternehmen Revier“, an dessen Erstellung die Verwaltungen der betroffenen Landkreise mitarbeiten, die regionale Zusammenarbeit weiter verbessert hat. Die Bereitschaft zum Kooperieren und zum Austausch ist nach den Erkenntnissen aus den Experteninterviews gestiegen. Die Experten der Lausitz verdeutlichten in den Fachgesprächen mehrfach, dass die Beteiligung der Akteure vor Ort bei bundes- und landespolitischen Entscheidungen verstärkt werden sollte. Die Beteiligung würde den Wirtschaftsakteuren, der kommunalen Verwaltungsebene und den Einwohner des Lausitzer Reviers mehr Einblicke in die Entwicklung des Braunkohlesektors gewähren und damit helfen, die Unsicherheit in der Region zu reduzieren , die durch die öffentliche Diskussion über die Reduktion des Braunkohleabbaus entstanden ist. Ein hemmender Faktor im Strukturwandelprozess der Lausitz ist die periphere Lage des Revierkerns. Lediglich der Norden und der Süden des Reviers habe mit der Nähe zu Ballungszentren das Potenzial, positiven Effekte der Ballungszentren (wie im Fall des Mitteldeutschen Reviers) zu nutzen. Insgesamt weist das Revier nur wenige industrielle Kerne auf. Der die Region prägende bisherige Kern ist die Energiewirtschaft mit der energetischen Verwertung der Braunkohle, bei der das Revier über eine lange Tradition verfügt. Die identifizierten Schwerpunktfelder fußen zwar auf bestehenden Kompetenzen in der Region, allerdings sind diese Kompetenzen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es ist aus heutiger Sicht zwar denkbar, dass die wirtschaftlichen Schwerpunkte und Handlungsfelder erfolgreich umgesetzt werden können und einen nennenswerten Beschäftigungseffekt bewirken. Allerdings ist es fraglich, ob dies bei allen Schwerpunktfeldern in gleicher Weise gelingen kann, da die Ausgangsbedingungen in den Schwerpunktfeldern unterschiedlich und im Vergleich zu den anderen Revieren insgesamt ungünstiger sind. Positiv herauszustellen ist z.B. die thematische Verknüpfung einzelner Schwerpunktfelder mit der Forschung und Lehre der BTU Cottbus-Senftenberg. Es gibt bei den wirtschaftlichen Schwerpunktfeldern zumindest Herausforderungen und Fragestellungen, die zu thematisieren sind. Die Reviere weisen zum Teil gleichnamige wirtschaftliche Schwerpunktfelder auf. Unter diesen Schwerpunktfeldern können sich aber unterschiedliche thematische Ausrichtungen verbergen. Die thematischen Ausrichtungen der Schwerpunktfelder und deren Grenzen werden im Folgenden dargelegt. Die Zukunft der Energiewirtschaft in der Lausitz zeigt sich ambivalent, da einerseits in der klassischen Braunkohlewirtschaft , die auf der energetischen Verwertung basiert, große Wertschöpfungs- und Beschäftigungsverluste einzuplanen sind, andererseits mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien Zuwächse zu erwarten sind. Das größte Beschäftigungspotenzial innerhalb der Erneuerbaren Energien liefert die Windkraftbranche. Für die Fortschreibung der Energiestrategie 2030 des Landes Brandenburg (PROGNOS 2017b) wurden in verschiedenen Szenarien mögliche Arbeitsplatzzuwächse im Bereich der Erneuerbaren Energien berechnet. Hierbei 8 Hervorhebungen im Zitat durch Verfasser der Dokumentation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 11 ist für die Windbranche – je nach Szenario – eine Verdoppelung der Arbeitsplätze bis zum Jahr 2050 in Brandenburg denkbar. Entscheidend für die Größe des Beschäftigungseffektes aus Erneuerbaren Energien ist es, inwieweit die Wertschöpfungstiefe (z.B. Anlagenbau, Wartung) in der Region gehalten werden kann. Eine weitere wichtige Ausprägung der Energiewirtschaft sind Energiespeichersysteme, auch in Verbindung mit der Kohlechemie . Dabei sollten mögliche Synergiepotenziale in diesem Segment mit den Vorhaben im Mitteldeutschen Revier erschlossen werden. Zusätzlich bietet die Kohlechemie zwar prinzipiell Möglichkeiten auf die im Revier vorhandene Ressource der Braunkohle zurückzugreifen und diese für andere Zwecke wie der stofflichen Verwertung zu nutzen. Allerdings ist es für die Durchsetzung der stofflichen Braunkohleverwertung deren Wirtschaftlichkeit Voraussetzung, die in der nächsten Zukunft nicht gegeben sein wird. Wichtig ist bei der Energiewende zudem, dass die Versorgungssicherheit gerade für die energieintensiven Branchen (die vorhandenen und/oder die zukünftigen) gewährleistet wird, damit in dieser Hinsicht keine Standortnachteile entstehen. Für die Entwicklung der Energiewirtschaft sind die bestehenden Kompetenzen zu stärken und im Transformationsprozess zu unterstützen, vorhandene Infrastruktur zu nutzen und weiter auszubauen und intensiv in Energieforschung und innovative Technologien zu investieren. Das wirtschaftliche Schwerpunktfeld Industrieautomatisierung ist bislang hauptsächlich auf die Automatisierung in der Braunkohlewirtschaft begrenzt. Das aufgebaute Wissen bzw. Humankapital im Bereich der Automatisierung kann zum Teil in Industriebereichen außerhalb der Braunkohle und für Forschung im Ingenieurwesen angewendet werden. Die Grenze des Handlungsfeldes besteht darin, dass der Bergbau in Deutschland sukzessive reduziert wird. Daher ist es entscheidend, dass Spill-over-Effekte aus der Automatisierung im Bergbau in anderen Industriezweigen (z.B. den Automotive-Sektor) generiert werden . Ein weiterer Schwerpunkt in der Lausitz ergibt sich aus den Branchen der Logistik und Mobilität. Im Bereich der Logistik kann auf eine weitestgehend ausgebaute Brancheninfrastruktur in unmittelbarer Nähe der nördlichen und südlichen Lausitz (Berlin, Leipzig, Dresden) zurückgegriffen werden. Logistische Ansiedlungen sind vor diesem Hintergrund in der Lausitz voranzutreiben. Die Qualität, die Logistik für den Strukturwandel unter ökonomischen Aspekten bietet, hängt aber in hohem Maße von der mit einer möglichen Ansiedlung verbundenen Wertschöpfungskette ab. Die Grenzen liegen bei der Logistik in der oft geringen Beschäftigungs- und Wertschöpfungsintensität (in Bezug auf die benötigte Fläche). Im Bereich der Mobilität muss die Brancheninfrastruktur noch intensiv ausgebaut werden. Auch hierbei sollten bestehende Potenziale in unmittelbarer Umgebung genutzt werden. So kann die Lausitz Kompetenzen durch Zulieferbetriebe für Automobilkonzerne aufbauen, die in Sachsen ihre Produktionsstätten haben. Im Bereich der Mobilität müssen in der Lausitz weitere Forschungsvorhaben umgesetzt werden. Dabei bestehen insbesondere im Bereich der Elektromobilität und dafür benötigten Energiespeicher (bspw. in Form von Brennstoffzellen) Synergiepotenziale zu der chemischen Industrie. Das wirtschaftliche Schwerpunktfeld der chemischen Industrie wird in der Lausitz hauptsächlich durch biogene Kunststoffe geprägt. Die Synergiepotenziale zum Mitteldeutschen Revier, wo die chemische Industrie ebenfalls eine bedeutende Rolle einnimmt, können ausgebaut werden. Zusammenfassend ist die Chemieindustrie als eine Stärke in der Region anzusehen. Allerdings sind Forschungsmaßnahmen notwendig, um die Stärke dieser Industrie aufrechtzuerhalten. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 12 Mitteldeutsches Revier Die Strategieentwicklung für den Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier ist noch nicht abgeschlossen. Mit der Erstellung einer mit allen regionalen Akteuren abgestimmten Gesamtstrategie wurde die Projektgruppe „Innovation im Revier“ unter dem Dach der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland (EMMD) betraut. Es wurde in Gesprächen deutlich, dass die Abstimmung zwischen den einzelnen Regionen innerhalb des Mitteldeutschen Reviers noch verbesserungswürdig ist. Die Ausarbeitung einer Strategie im Mitteldeutschen Revier wird insbesondere aus zwei Gründen empfohlen. Zum einen fördert die Erstellung einer überregionalen Strategie die Zusammenarbeit der Regionen und damit auch die regionale Identität. Zum anderen können mit der Entwicklung einer Gesamtstrategie an die vorhandenen Stärken angeknüpft und Synergiepotenziale erschlossen werden. Die Wachstumskerne des Mitteldeutschen Reviers sind die Städte Leipzig und Halle sowie ihre Einzugsbereiche, die über hervorragend ausgestattete Forschungslandschaften und zukunftsträchtige Industrien verfügen. Um das Potenzial der wirtschaftlichen Schwerpunktfelder voll ausschöpfen zu können, ist in Zukunft die Ausrichtung der Forschungsschwerpunkte auf die Industrieforschung weiter zu verstärken. Damit kann der im Revier vorhandenen Industrieschwäche begegnet werden. Für eine positive Entwicklung der wirtschaftlichen Schwerpunktfelder müssen einige den Prozess des Strukturwandels hemmende Faktoren beseitigt werden. Grundlegend ist die Förderung der Schulbildung und Maßnahmen zur Reduzierung der Schulabbrecherquote im Revier dringend ratsam. Zudem ist bei der Entwicklung von wirtschaftlichen Schwerpunktfeldern an bestehende Industrie anzuknüpfen, bspw. durch den Ausbau der Wertschöpfungstiefe der bestehenden Industrien oder durch eine Diversifizierung in neue Wertschöpfungsfelder hinein. Idealerweise sollten dabei die Synergiepotenziale ausgeschöpft werden. Beispielsweise sind die drei regionalen Innovationsstrategien der Länder nicht für das Mitteldeutsche Revier miteinander abgestimmt. Bei der Abstimmung der Maßnahmen der Forschung- und Innovationspolitik zwischen den Bundesländern kann die Notwendigkeiten der Innovationsförderung im Revier mitberücksichtigt werden. Die Abstimmung der regionalen Innovationsstrategien für das Revier ist anzuraten, da dadurch die Synergiepotenziale einzelner innovationsfördernder Maßnahmen verstärkt werden können . Es wird zusätzlich empfohlen, die Kapazitätsgrenzen der schnell wachsenden Städte in den Blick zu nehmen und sich daraus ergebende Chancen für Überschwappeffekte zu nutzen. Im Leipziger Raum gibt es bereits heute Engpässe im Wohnungsmarkt und ÖPNV. Diesen drohenden Engpässen sollte durch eine langfristig orientierte Stadt- und Regionalplanung begegnet werden. Die benannten Schwerpunktfelder greifen die wirtschaftlichen Stärken in der Region auf, z.B. durch vorhandene Unternehmen oder Forschungseinrichtungen , allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Es ist aus heutiger Sicht plausibel anzunehmen, dass die genannten wirtschaftlichen Schwerpunktfelder und Handlungsfelder einen Beitrag zum Strukturwandel im Revier leisten können und bei Realisierung einen nennenswerten Beschäftigungseffekt haben. Die thematischen Ausrichtungen der Schwerpunktfelder und deren Grenzen werden im Folgenden dargelegt. Die Energiewirtschaft ist, wie auch im Rheinischen Revier, eng mit der regionalen Forschungslandschaft verbunden. Hierbei sind insbesondere Forschungsansätze im Bereich der Energiespeichersysteme , die bei der Nutzung von volatilen Energiequellen entscheidend sind, hervorzuheben . Im Mitteldeutschen Revier gibt es diesbezüglich weit fortgeschrittene Forschungsinitiativen im Bereich der Nutzung von regenerativem Wasserstoff. Bei der Her- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 13 stellung des regenerativen Wasserstoffs spielt zudem die stoffliche Verwertung von Braunkohle eine Rolle. Obwohl der Ausbau der Erneuerbaren Energiequellen (insbesondere Wind-, Solar und Bioenergie) im Mitteldeutsche Revier verstärkt gefördert wird, bleibt die Frage nach der Kompensierung der drohenden Beschäftigungsverluste im Braunkohlesektor offen. Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der mitteldeutschen Energiewirtschaft außerhalb der Braunkohleverstromung wird sein, ob die Marktreife von innovativen Energiespeichersystemen im Mitteldeutschen Revier erreicht wird. Weitere Grenzen sind in diesem wirtschaftlichen Schwerpunktfeld bei dem Infrastrukturausbau der Stromnetze erkennbar. Es ist neben der Modernisierung der Stromnetze ein wirkungsvolles Instrument zur Mengensteuerung notwendig, welches allerdings ein generell zu lösendes Problem der Energiewende darstellt. Eine Aufrechterhaltung der Stärke im Bereich der Energiewirtschaft ist zudem ratsam, da energieintensive Branchen (wie bspw. die chemische Industrie) auf eine energetische Versorgungssicherheit angewiesen sind. Die chemische Industrie bildet einen bedeutenden Industriekern des Mitteldeutschen Reviers. Das Mitteldeutsche Revier weist bereits heute ein überregional bedeutsames Netzwerk an Chemieunternehmen auf. Eine besondere Stärke der chemischen Industrie in Mitteldeutschland liegt bei der Herstellung von Kunststoffen. Aber auch im Bereich der Erforschung der stofflichen Verwertung der Braunkohle ist das Mitteldeutsche Revier sehr weit. Hier ist bspw. der weltweit größte Montanwachshersteller Romonta GmbH verortet. Die stoffliche Verwertung der Braunkohle spielt zudem bei der Herstellung und Weiterverwertung von regenerativem Wasserstoff eine Rolle. Der Wasserstoff ist dabei eine entscheidende Komponente von innovativen Energiespeichersystemen. Das hemmende Kriterium bei diesem Schwerpunktfeld ist die Wirtschaftlichkeit der stofflichen Braunkohleverwertung , die bei den heutigen Rohstoffpreisen nicht gegeben ist. Außerdem ist es ratsam, die Forschungsschwerpunkte auf innovative chemische Anwendungsfelder zu legen. Dazu gibt es im Chemiepark Leuna erste Ansätze in Form einer Demonstrationsanlage , mit welcher die Wirtschaftlichkeit und die technische Funktionsfähigkeit der Elemente einer neuen Kohlenstoffkreislauf-Technologiekette zur CO2-armen Wertschöpfung nachgewiesen werden soll. Das wirtschaftliche Schwerpunktfeld Mobilität und Logistik ist differenziert zu betrachten. Der Flughafen Leipzig/ Halle und die DHL- und Amazon- Standorte sind maßgeblich für Wachstum verantwortlich. Ein Logistikstandort wirkt sich zudem positiv auf die Industrieentwicklung aus. Die Grenzen für das Handlungsfeld hängen von der Qualität der Logistik für den Strukturwandel ab. Entscheidend ist dabei die Beschäftigungs- und Wertschöpfungsintensität (in Bezug auf die benötigte Fläche). Die Wertschöpfung der Unternehmen in der Logistikbranche ist im Verhältnis zu ihrer Flächeninanspruchnahme gering. Dennoch hat Leipzig die Chance sich zum ostdeutschen Logistikkern zu entwickeln, ähnlich wie Frankfurt a.M. im Westen und Hamburg im Norden Deutschlands. Ein weiteres Schwerpunktfeld der Mobilität ist die (E-) Fahrzeugproduktion . Die Grenze des Schwerpunktfeldes liegt in der Fertigungstiefe der Fahrzeugproduktion . Eine Erweiterung der Fertigungstiefe von Porsche und BMW würde das Beschäftigungspotenzial dieser Branche massiv steigern. Außerdem würde eine erweiterte Fertigungstiefe die Ansiedlung von Zulieferern im Automotive-Sektor befördern. Bei den für Elektromobilität benötigten Speichertechnologien kann auf die vorhandenen Kompetenzen der chemischen Industrie in der Region zurückgegriffen werden. Das wirtschaftliche Schwerpunktfeld Tourismus hat im Mitteldeutschen Revier im Vergleich zu den anderen Revieren eine höhere Bedeutung. Das touristische Potenzial kann als gut erschlossen bezeichnet werden. Auf der sächsischen Seite wird vermehrt das Potenzial von Aktivtou- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 14 rismus und Wassertourismus in unmittelbarer Stadtnähe (zu Leipzig) ausgeschöpft. Sachsen -Anhalt hingegen lädt mit einem breiten Kultur- und Weinbauangebot ein. Je nach Umfang der Investitionen im Gastgewerbe und nach Länge der Aufenthaltsdauer sind positive Beschäftigungseffekte realistisch, allerdings ist nur ein verhältnismäßig geringer Zuwachs an Arbeitsplätzen zu erwarten, die zudem nicht die gleiche Qualität aufweisen in Bezug auf die Höhe des Einkommens pro Beschäftigten. Bis dahin ist das Handlungsfeld als synergetische Verstärkung zu anderen Handlungsfeldern zu verstehen, da eine wohnortnahe Erholung sich als weicher Standortfaktor auf andere Branchen positiv auswirken kann.“9 5.2. DIW Das DIW – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung – untersucht die wirtschaftlichen Chancen in den Braunkohleregionen. Diese bestehen im Grundsatz in einem breiten Spektrum wirtschaftlicher Aktivitäten. Die durchgeführten, exemplarischen Untersuchungen zeigen für alle Braunkohleregionen bedeutende Beschäftigungspotenziale auf. Bereits die aufgezeigten potenziellen Arbeitsplätze in den Bereichen Erneuerbare Energien und Gebäudesanierung können dem Stellenabbau im Zuge des untersuchten Strukturwandels durch den Kohleausstieg entgegenwirken . Abschließend werden wie folgt flankierende politische Instrumente beschrieben, die die Regionen bei dem bevorstehenden Strukturwandel nutzen und unterstützen können: „Der Strukturwandel in den Regionen ist bereits seit vielen Jahren in Gang. Durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens zur Energiewende und dem Ablassen wichtiger Finanziere 89 von der Braunkohle ist ein Abwenden der Entwicklung unvermeidlich. Die Erfahrungen aus dem Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet seit den 1950ern sowie die Entwicklung in den ostdeutschen Braunkohlerevieren nach der Wende zeigen, dass ein Festhalten an alten Strukturen den notwendigen Wandel nur bremst, ihn aber nicht aufhält. Entsprechend haben sich die Instrumente über die Jahre gewandelt mit dem Ziel, die alten Strukturen loszulassen und in Gemeinschaft mit den ansässigen Akteuren und den Bürgern tragfähige und möglichst langanhaltende Lösungen zu entwickeln. Hierfür steht eine Vielzahl von regional- sowie arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Instrumenten zur Verfügung. Finanziell werden sie nicht nur durch Landes- und Bundesmittel ausgestattet, sondern können auch - und hier profitieren insbesondere Brandenburg und Sachsen davon (BMWi 2017a, S.2) - auf Mittel des europäischen Strukturfonds zurückgreifen. Die operationellen Pläne der 4 betroffenen Bundesländer weisen geplante Mittel von insgesamt rund 10 Mrd. Euro für die Periode 2014 bis 2020 auf (vgl. Kap. 6.3). 9 Prognos AG, 2018, Metastudie - Zukünftige Handlungsfelder zur Förderung von Maßnahmen zur Strukturanpassung in Braunkohleregionen Forschungsauftrag 24/17 Endbericht, im Auftrag des BMWi. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/endbericht-prognos-zukuenftige-handlungsfelder -foerderung-von-massnahmen-zur-strukturanpassung-in-braunkohleregionen.pdf?__blob=publication- File&v=16 (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 15 https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-06-25_climatechange _27-2019_kohleausstieg_v2.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) Die von den Ländern geplanten Maßnahmen beruhen auf ausgiebigen SWOT-Analysen und weitergehenden Regionalstudien. Viele haben für sich neue Kompetenzfelder identifiziert , die dem jeweiligen Land neue Chancen in Wirtschaft, Bildung und Zusammenleben eröffnen sollen. Diese Schwerpunkte sind in den Programmen noch recht weit gefasst. So hat bspw. NRW für sich die Zukunftskompetenzen: Maschinen und Anlagenbau/Produktionstechnik , Neue Werkstoffe, Mobilität und Logistik, Informations- und Kommunikationswirtschaft , Energie- und Umweltwirtschaft, Medien und Kreativwirtschaft, Gesundheit und Life Sciences identifiziert. Nun besteht die Aufgabe die entsprechenden Akteure über Netzwerke zusammenzuführen und innerhalb von Clusteraktivitäten die Kernthemen zu vertiefen und zu spezifizieren sowie Projekte zur Förderung eines Ausgleichs zum bestehenden Strukturwandel auf den Weg zu bringen. Neben diesen wirtschaftlich orientierten Themen werden im ESF auch sozialpolitische Themen wie Bildung, Inklusion und Zusammenleben adressiert. Mit den Europäischen Strukturfonds, der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sowie den Landesmitteln wurden bereits Strukturen und Lerneffekte geschaffen, die für die weitere Begleitung eines sozialverträglichen Strukturwandels genutzt werden können und sollten. Hierauf aufbauend und unter Berücksichtigung der zahlreichen Regionalstudien zu den Regionen und Bundesländern werden weitergehende Empfehlungen ausgesprochen. Nachfolgend finden sich diejenigen, die aus Sicht der Autoren mit am drängendsten scheinen: Es gilt nun zuallererst den unmittelbar Betroffenen aus der Braunkohlenwirtschaft Perspektiven zu bieten und Lösungswege aufzuzeigen. Zwar ist der Entwicklungspfad aus der Kohle noch ungewiss, dennoch wäre es jetzt an der Zeit proaktiv durch Bund und Länder Sozialpläne mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen auf den Weg zu bringen. Ziel des Sozialplans in diesem Fall ist es die Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmer Innen zu klären und Planungssicherheit für die Übergangs-zeit in eine Rente oder eine neue Anstellung zu bieten. Mindestens für Angestellte, die nicht mit einer Beschäftigung bis zur Verrentung rechnen können, sind Weiterbildungsprogramme aufzulegen und qualifizierte Beratungen für einen Arbeitsplatzwechsel anzubieten. Der Strukturwandel wird bereits seit vielen Jahren durch regionalpolitische und aktive arbeitsmarkt -politische Maßnahmen flankiert. Finanziert werden die Aktivitäten insbesondere durch die Nutzung der europäischen und nationalen Strukturfonds sowie durch Mittel der Länder. So werden umfängliche Geldmittel insbesondere für Forschung, Innovation , Gründungen und Bildung bereitgestellt. Regionale Erhebungen weisen aber darauf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 16 hin, dass viele Unternehmen, gerade KMU, aufgrund des Aufwands davor zurückschrecken , diese Angebote wahrzunehmen. Um Innovationen in den regionalen Unternehmen auf den Weg zu bringen, legen die Länder großen Wert auf die Vernetzung der Unternehmen mit den Hochschulen. Deren Erfahrung in der Beantragung von Forschungsgeldern sollte genutzt werden auch den Unternehmen Zugang zu Forschungsmitteln durch gemeinsame Anträge oder Antragsbegleitung zu eröffnen. Gerade in der Lausitzer Region wird eine hohe Abbrecherquote in den Berufsschulen verzeichnet . Es wird angeregt mittels einer Qualitätsoffensive der beiden Bundesländer die Ausstattung der Schulen zu verbessern und das Lehrpersonal zu qualifizieren und Weiterbildungschancen intensiv zu bewerben. Die Maßnahmen sollen nicht nur die Abbruchquote senken, sondern zu hochqualifizierten MitarbeiterInnen führen, welche neues Wissen in ihre Firmen tragen. Es ist bereits absehbar, dass ein Teil der ausgewiesenen Flächen für den Tagebau nicht mehr angetastet werden. Durch eine Anpassung der Flächennutzungspläne können die Flächen für die Ansiedlung neuer Unternehmen als Industrie- und Gewerbegebiete sowie den Ausbau erneuerbarer Energien genutzt werden. Auch bei der Tagebausanierung sollte eingeplant werden, inwieweit Erneuerbare Energien hier künftig aufgebaut und in die bestehenden Stromnetze eingebunden werden können. Dies minimiert später mögliche Konflikte mit Naturschutzerfordernissen. Insbesondere Sachsen-Anhalt verfolgt die Strategie, die ehemaligen Tagebaue in Naherholungsgebiete umzuwandeln und den Tourismus voranzubringen. Aufgrund windhöffige Gebiete in der Mitteldeutschen Region sollte auch hier geprüft werden, wie eine Doppelnutzung für Tourismus und Erneuerbare Energien ausgestaltet werden könnte, da auch der Energiesektor mit EE weitere Arbeitsplätze verspricht. Die Wärmewende ist aufgrund des Einsparpotenzials an klimaschädlichen Gasen ein wichtiges Element der Energiewende. Sollen anteilig die Beiträge zur Erreichung der bundespolitischen Ziele in den Braunkohleländern bis 2020 geleistet werden, würde dies kurzfristig eine hohe Nachfrage nach Fachkräften bedeuten. Um den Sanierungsstau aufzubrechen bedarf es aber auch in den kommenden Dekaden gutausgebildeter Handwerker und Energieberater, die aufgrund der Qualifikationserfordernissen bspw. auch aus Berufsgruppen innerhalb der Braunkohlenwirtschaft stammen können. Für öffentliche Gebäude und teils für Unternehmen können Strukturfördermittel genutzt werden. Das große Potenzial liegt aber in den Wohngebäuden, was zusätzlicher Investitionsanreize für die Eigentümer mittels Förderprogrammen bedarf. Als Beitrag zur Wärmewende können die lokalen Ressourcen mobilisiert werden, um bspw. Wärme-netze aufzubauen und KW(K)K-Anlagen zu betreiben. Das Know-how einiger Berufsgruppen der Braunkohlebranche kann hier zum Einsatz kommen, so dass ein Übergang auf einen Arbeitsplatz im gleichen Sektor möglich wäre. Die Anreize für die effektive Nutzung von EE und Abwärme können durch Anpassungen u.a. im KWKG, EEG und MAP weiter gestärkt werden. Gut ausgestattete Kompetenzzentren ziehen Wissensträger an und bringen damit Knowhow in die Region. Von den drei Braunkohleregionen kann allein die Lausitz kein nach außen hin sichtbares und beworbenes Kompetenzzentrum vorweisen, auch wenn in der Region zwei Hochschulen ansässig sind. Mit steigender Reputation und Projekten kann dies Arbeitsplätze für hochqualifizierte Beschäftigte schaffen und die Kooperation mit Unternehmen fördern. Aufgrund des EU-Beihilferechts gilt es zu prüfen, ob und mit welchem Volumen ein natio- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 17 naler Sonderfonds speziell für die Braunkohleregionen umsetzbar wäre. Das Bundesmodellvorhaben „Unternehmen Revier“ ist ein erster Ansatz, jedoch bzgl. der finanziellen Möglichkeiten stark begrenzt. Angesichts sinkender EU-Fördermittel in den kommenden Jahren wäre daher zeitnah mit der Europäischen Kommission zu prüfen, ob bei den Indikatoren , die zur Bewertung der Förderfähigkeit von Regionen herangezogen werden, der Indikator „Erwerbstätigkeitsprognose“ weit ausgelegt werden kann. Als einziger in die Zukunft gerichteter Indikator kann er einen politisch induzierten Kohleausstieg antizipieren. Je nach Entwicklung der anderen Indikatoren besteht somit die Chance, dass die Regionen förderbegünstigt bleiben. Seitens der Kommission gibt es mit der Plattform „Kohleregionen im Strukturwandel“ bereits Signale, diese Regionen auch künftig finanziell weiter unterstützen zu wollen.“10 https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-06-25_climatechange _27-2019_kohleausstieg_v2.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) 10 DIW, 2018, Klimaschutz und Kohleausstieg: Politische Strategien und Maßnahmen bis 2030 und darüber hinaus , Abschlussbericht im Auftrag des Umweltbundesamtes, S 202 ff. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-06-25_climatechange _27-2019_kohleausstieg_v2.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 18 https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-06-25_climatechange _27-2019_kohleausstieg_v2.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2019-06-25_climate-change_27- 2019_kohleausstieg_v2.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) 5.3. IFOK GmbH/Deutsche WindGuard GmbH/Solarpraxis Engineering GmbH u.a. Die IFOK GMBH/Deutsche WindGuard/Solarpraxis Engineering GmbH u.a haben eine Studie zu Erneuerbare Energien-Vorhaben in den Tagebauregionen erstellt, die die wirtschaftlichen Perspektiven durch eine verstärkte Nutzung der verschiedenen Energiewende-Bereiche analysiert, wobei insbesondere die Potenziale und Wirkungen der beiden Technologien Photovoltaik (PV) und Windenergie im Vordergrund stehen. Vorhandene Netzinfrastrukturen sowie die Nachnutzungsmöglichkeiten bergbaulicher Flächen bieten grundsätzlich gute Ausgangsvoraussetzungen Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 19 zur Nutzung der Wind- und PV-Potenziale. Insbesondere deren Kopplung in Wind-PV-Hybridanlagen kann als innovativer Ansatz gesehen werden, der es auch ermöglicht lokal vorhandene Kompetenzen, Unternehmen und Beschäftigte einzubinden. Dabei konnten positive Potenzialwerte für die Tagebauflächen der Lausitz (knapp 2 GW für die Windenergie und rund 9 GWp für die PV) sowie des Mitteldeutschen Reviers (ca. 4,5 GWp für die PV-, jedoch kaum Windenergiepotenziale ) ermittelt werden.11 5.4. Ifo-Institut Johannes Blum, Philip Kapitzke und Niklas Potrafke haben im Rahmen des 22. Ökonomenpanels des ifo Instituts und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Volkswirtschaftsprofessoren deutscher Universitäten zu den Konsequenzen des Abschlussberichts der Kohlekommission um Stellungnahme gebeten. Die befragten Wirtschaftswissenschaftler sehen den Kohleausstieg zum großen Teil skeptisch, wenn er auch von einigen Ökonomen als unumgänglich angesehen wird.12 5.5. RWI Das RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung - hat die vier Braunkohleregionen anhand aktueller sozioökonomischer Indikatoren vergleichend untersucht und hieraus Regionalprofile zur wirtschaftlichen Lage und den Entwicklungsperspektiven erstellt. Dabei werden für die ostdeutschen Regionen (insbesondere dem Lausitzer Revier als schwächstem Glied der Kette) den Strukturwandel unterstützende Maßnahmen, wie klassische regionalwirtschaftliche Förderinstrumente (Verbesserung der regionalen Infrastruktur: digitale und Verkehrsinfrastruktur, Stärkung der öffentlichen Hochschul- und Forschungslandschaft) angeraten, um die Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken. Eine Kurzfassung des RWI-Endberichts ist dem folgenden Link zu entnehmen: RWI, Erarbeitung aktueller vergleichender Strukturdaten für die deutschen Braunkohleregionen Projektbericht für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) Projektnummer : I C 4 – 25/17 Endbericht – Kurzfassung – Januar 2018, Schlussfolgerungen S. 27 f. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/endbericht-rwi-erarbeitung-aktuellervergleichender -strukturdaten-deutsche-braunkohleregionen-kurz.pdf?__blob=publication- File&v=12 (Letzter Abruf: 21.01.2020) 11 IFOK GMBH/Deutsche WindGuard/Solarpraxis Engineering GmbH u.a., 2018, Projektbericht „Erneuerbare Energien -Vorhaben in den Tagebauregionen“ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), Berlin, 26. Oktober 2018, S. 14 ff. https://www.erneuerbare-energien.de/EE/Redaktion/DE/Downloads/Berichte/erneuerbare-energien-vorhabenin -den-tagebauregionen.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Letzter Abruf: 21.01.2020) 12 Johannes Blum, Philip Kapitzke und Niklas Potrafke, Der Kohleausstieg bis 2038 – wie bewerten Ökonomen die Empfehlungen der Kohlekommission?, ifo Schnelldienst 6 / 2019 72. Jahrgang 21. März 2019. https://www.ifo.de/DocDL/sd-2019-06-blum-kapitzke-potrafke-oekonomenpanel-kohleausstieg-2019-03-21.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 20 5.6. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)/Wuppertal Institut für Klima, Umwelt , Energie gGmbH/Ecologic Institut gemeinnützige GmbH Die Institute kommen in ihrer Analyse hinsichtlich der Möglichkeiten eines erfolgreichen Strukturwandels zu folgendem Ergebnis: „»Ein erfolgreicher Strukturwandel erfordert sowohl Maßnahmen für die jüngeren Beschäftigten , die nicht regulär in Altersrente gehen können, als auch Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der Regionen. »Strukturpolitik muss Innovationen und wirtschaftliche Potenziale aller Sektoren u. a. durch Unterstützung von Wirtschaft, Wissenschaft, Infrastruktur und der Zivilgesellschaft adressieren. » Kurz- und mittelfristig könnte Beschäftigung u. a. über ein ambitioniertes Förderprogramm zur Gebäudesanierung geschaffen werden. Darüber hinaus ergeben sich Beschäftigungsperspektiven , da ein allgemeiner Fachkräftemangel absehbar ist. »Die Finanzierung der für den Strukturwandel nötigen Investitionen kann durch die Einrichtung eines Strukturwandelfonds aus Bundesmitteln umgesetzt werden. Durch eine gezielte Strukturpolitik13 können die negativen Folgen eines Kohleausstiegs verringert werden. Ein großer Vorteil des anstehenden Strukturwandels - anders als in historischen Prozessen in Ostdeutschland - ist, dass er planbar ist und in einer größeren Zeitspanne abläuft. Für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung in den Kohleregionen muss der Strukturwandel aber aktiv und zeitnah von allen betroffenen Akteuren gestaltet werden (DIW Berlin u. a. 2018; BMWi 2017a; SRU 2017). Ein erfolgreicher Strukturwandel erfordert Maßnahmen für die jüngeren Beschäftigten, die nicht regulär in Altersrente gehen können. Im Vordergrund steht aber, zukünftige Wertschöpfung in den Regionen durch Unterstützung ansässiger und neuer Unternehmen zu sichern und die Ansiedlung neuer, zukunftsfähiger Arbeitsplätze zu unterstützen. Perspektiven für heute in der Braunkohleindustrie Beschäftigte Bis 2030 können ca. zwei Drittel der rund 18.500 verbleibenden direkt Beschäftigten in der Braunkohleindustrie wie geplant in Rente gehen. Durch den Kohleausstieg ergeben sich zudem neue Beschäftigungsbedarfe für den Rückbau der Kraftwerke und die früher beginnende Sanierung der Tagebaue (vgl. Kap. 4.2). Für weitere 10 % der derzeit Beschäftigten könnten – wie auch bereits in einigen der Bergbauunternehmen üblich – ab einem Alter von 55 Jahren Frühverrentungsprogramme, wie Vorruhestand oder Altersteilzeit, in Frage kommen (SRU 2017). Für das verbleibende Viertel der jüngeren Beschäftigten in der Braunkohleindustrie - ca. 4.000 bis 5.000 Personen - wirft ein Kohleausstieg für die Zeit jenseits von 2030 die Frage nach einem Arbeitsplatzwechsel auf. Dafür kann bereits in den Bergbaubetrieben durch eine diversifizierte Ausbildung eine gute Ausgangsposition geschaffen werden. Durch ein Rotationsprinzip, welches u. a. bei Vattenfall in Berlin angewendet wird, können Auszubildende in verschiedenen Funktionen unterschiedliche Fähigkeiten erlernen, wodurch sich für sie breitere Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen können. Kurz- und mittelfristig könnte Beschäftigung etwa im Rahmen der energetischen Gebäudesanierung entstehen. Eine energetische Gebäudesanierung ist mit einem hohen regionalen Wirtschaftspotenzial verbunden, da ungefähr zwei Drittel der Gebäude älter als 40 Jahre sind. Bei einem entsprechend ausgestalteten 13 Fettungen im Text durch Verfasser der Dokumentation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 21 Förderprogramm und unter der Annahme einer Sanierungsrate von 2-3 % könnten so zusätzlich 19.000 bis 37.000 lokale Arbeitsplätze entstehen und gleichzeitig ein Beitrag zum Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050 geleistet werden (DIW Berlin u. a. 2018). Es ist anzunehmen, dass ein Arbeitsplatzwechsel durch den zukünftig drohenden Fachkräftemangel begünstigt wird (Markwardt u.a. 2016; ifo Institut 2014). So haben bei einer Umfrage in der Lausitz ungefähr 40 % der befragten Unternehmen einen Mangel an ausreichend qualifiziertem Personal beschrieben, was zu einer Gefahr für ihren mittel- bis langfristigen Unternehmenserfolg führt. Ähnliches gilt für fehlende Facharbeiter/innen im handwerklichen und kaufmännischen Bereich wie auch für akademische Fachkräfte in den Bereichen Betriebswirtschaft und Ingenieurswesen (Markwardt u. a. 2016). Das Lohnniveau in der Braunkohleindustrie liegt allerdings deutlich über vergleichbaren neuen Beschäftigungsfeldern (DIW Berlin u. a. 2018; SRU 2017). Daher können bei einem Branchenwechsel Gehaltseinbußen nicht ausgeschlossen werden (DIW Berlin 2017a). Für von Arbeitsplatzverlust betroffene Beschäftigte kommen zudem Maßnahmen in Betracht, um Einkommensverluste zu kompensieren (DIW Berlin et al. 2018; SRU 2017), zu möglichen Sozialplankosten vgl. Kap. 4.4). Maßnahmen zur Strukturentwicklung Für die Zukunftsfähigkeit der Braunkohleregionen ist über die Abfederung der sozialen Kosten eines Kohleausstiegs hinaus eine gezielte und nachhaltige Regionalentwicklung unerlässlich (SRU 2017). Zum Gelingen des Strukturwandels bietet sich die Unterstützung von Wirtschaft, Wissenschaft, Infrastruktur und Zivilgesellschaft an: Wirtschaft: Bei der regionalen Wirtschaftsförderung in den Braunkohleregionen kommt ein Fokus auf Zukunftsbranchen , wie erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Gebäudesanierung, Elektromobilität , Digitalisierung und Tourismus in Betracht (DIW Berlin u. a. 2018; SRU 2017; E3G 2015). Beispielsweise könnten stillgelegte Tagebauflächen sowohl für Tourismusund Freizeitangebote genutzt werden, als auch als Standorte für Windenergie- und Photovoltaikanlagen (DIW Berlin u.a. 2018, SRU 2017). Da in der Lausitz große industrielle Neuansiedlungen möglicherweise nur schwer zu erreichen sind und eine kleinteilige und heterogene Unternehmensstruktur mit einer geringen Patent- und Gründungsaktivität vorherrscht , wird hier vor allem eine Förderung der Innovationstätigkeit der bestehenden Unternehmen angeregt (Markwardt u. a. 2016; E3G 2015; ifo Institut 2014). Entsprechende Maßnahmen beinhalten z. B. die gezielte Kontaktierung von Unternehmen zur Ideengenerierung , die Förderung von Partnerschaften zwischen Wirtschaft und Wissenschaft oder die Sicherstellung einer nahtlosen finanziellen Unterstützung über den Innovationszyklus hinweg (Markwardt u. a. 2016). Im Rheinland und in Mitteldeutschland bieten sich mehr Anknüpfungspunkte an bestehende Wirtschaftszweige, wie die Chemie- und Automobilindustrie (SRU 2017). Wissenschaft: Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen sind bedeutende Innovationsmotoren und Kooperationspartner der Wirtschaft (BTU 2017). Daher kommt der Forschungsförderung und der stärkeren Verzahnung von Forschung und Wirtschaft – insbesondere im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen – sowie einer Erhöhung der Unternehmensausgründungen aus Forschungseinrichtungen eine zentrale Rolle zu, um Projekte industrienah zu entwickeln und neue Unternehmen anzusiedeln (DIW Berlin u.a. 2018). Durch neue Arbeitsplätze in der (außer-) universitären Forschung und Entwicklung könnten insbesondere junge Menschen in den (ostdeutschen ) Braunkohleregionen gehalten sowie neue Ansiedlungen von Unternehmen erreicht Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 22 werden (SRU 2017). Infrastruktur: Gute Verkehrsanbindungen, schnelles Internet und andere Infrastruktureinrichtungen sind nicht nur wichtige Standortfaktoren für Unternehmen , sondern entscheiden auch über die Attraktivität einer Region, insbesondere für junge Menschen (DIW Berlin u.a. 2018). Vor allem in den ostdeutschen Braunkohleregionen sollten daher konkrete Infrastrukturvorhaben gefördert werden, wie der Ausbau der digitalen Infrastruktur, sowie verbesserte Bahnanbindungen an Metropolregionen (für die Lausitz z.B. Berlin und Dresden) und Nachbarstaaten (Agora Energiewende 2016b, 2017a). Weiche Standortfaktoren: Um dem bestehenden Abwanderungstrend entgegenzuwirken , sollten auch weiche Standortfaktoren gefördert werden. Lebensqualität und Attraktivität sind Voraussetzungen dafür, dass Menschen in einer Region bleiben und Unternehmen in einer Region investieren, weil sie hier die notwendigen Arbeitskräfte finden. Auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sollte ein Strukturentwicklungskonzept auf Kultur- und Freizeitangebote, die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten aller Art, z.B. in den Bereichen Kunst, Kultur und Traditionspflege sowie Angebote für junge Familien zielen (Agora Energiewende 2016b, 2017a; SRU 2017; Wuppertal Institut 2016). In der Vergangenheit haben sich hier v. a. Vattenfall und RWE engagiert (Sponsoring von Veranstaltungen, Beiträge zur Finanzierung von Kindergärten oder Fußballvereinen , vgl. Kap. 4.4). Um zivilgesellschaftliche Aktivitäten langfristig, nachhaltig und unbürokratisch fördern zu können, wäre die Einrichtung eines hierfür vorgesehenen lokalen Stiftungsfonds denkbar (Lausitzer Perspektiven 2018; IRR 2017; Metropolregion Mitteldeutschland 2017). Ideen für die Strukturentwicklung müssen auf den lokalen Charakteristika und Stärken aufbauen. In den Regionen wurden entsprechend regionale Initiativen angestoßen, wie die Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ehemals Innovationsregion Rheinisches Revier GmbH von 2014-2018), die Innovationsregion Lausitz GmbH (iRL, seit 2016) und die Europäische Metropolregion Mitteldeutschland e. V. (seit 2014), die sich mit Ideen befassen, wie man die Regionen in eine Zukunft ohne Braunkohle führen kann. Die Bundesregierung hat zur Unterstützung der Braunkohleregionen das Förderprogramm „Unternehmen Revier“ aufgelegt (BMWi 2017a), in dessen Rahmen Investitionskonzepte erstellt werden (WL 2018; IRR 2017; Metropolregion Mitteldeutschland 2017). Strukturwandelfonds zur Finanzierung von Maßnahmen Zur Finanzierung des Strukturwandels in den Braunkohleregionen stehen grundsätzlich Mittel von der EU, dem Bund und den Ländern zur Verfügung, wie aus den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds oder der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) (DIW Berlin u. a. 2018, Wuppertal Institut 2018). So fließen aktuell beispielsweise ca. 35 bis 40 Mio. Euro jährlich aus den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds in die Lausitz. Hier stellen sich folgende Probleme, die adressiert werden müssten: • Bei einigen Mitteln ist der Antrags- und Abwicklungsaufwand für kleinere und mittlere Unternehmen teilweise prohibitiv hoch. Hier könnten die Unterstützung bei der Antragstellung verbessert oder Fristen zwischen Beantragung und Bewilligung verkürzt werden (Markwardt u.a. 2016). • Darüber hinaus zielt herkömmliche Strukturförderung der EU auf den Aufholprozess strukturschwacher Regionen, nicht auf die Vermeidung der Schwächung aktuell vergleichsweise prosperierender Regionen ab (Markwardt u.a. 2016). Möglich Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 23 wäre beispielsweise die Effekte eines politisch induzierten Kohleausstiegs in die Berechnungen für die nächste Förderperiode aufzunehmen. • Eine Anpassung der entsprechenden europäischen Kriterien zugunsten der Braunkohleregionen kann bei einer Umverteilung von existierenden Mitteln zudem auch zu einer Verteilungsdebatte mit anderen strukturschwachen Regionen führen (Agora Energiewende 2017a; Markwardt u.a. 2016). • Durch die Notwendigkeit, etwa bei der GRW die EU-Beihilferegelungen zu berücksichtigen , ist eine nationale Förderung nur in Grenzen möglich. Ergänzend könnte zur Finanzierung des Strukturwandels ein separater Fonds mit Bundesmitteln eingerichtet werden. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2018), wurde signalisiert, dass weitere Mittel für regionale Strukturpolitik bedingt durch den Kohleausstieg zur Verfügung gestellt werden sollen. Wie ein Fonds speziell für die Braunkohleregionen mit den EU-Beihilferegelungen vereinbart werden kann, muss mit der Europäischen Kommission abgestimmt werden (DIW Berlin u.a. 2018). Ein Fonds sollte den Wettbewerb um die besten Ideen für den Strukturwandel gewährleisten und muss festlegen welche Akteure zuwendungsberechtigt sind. Zentral ist, dass Empfänger Unternehmen und Personen sind, die mit Innovationen neue nachhaltige Geschäftsfelder eröffnen .“14 6. Stilllegungspfad für die Braunkohlekraftwerke Bei einem Spitzentreffen am 15.01.2020 im Kanzleramt haben sich der Bund und die Länder mit Braunkohleförderung auf einen Fahrplan für die Abschaltung von Kraftwerken und damit den Kohleausstieg geeinigt. Das BMWi hat den folgenden Stilllegungspfad für die Braunkohlekraftwerke veröffentlicht: 14 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)/Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH/Ecologic Institut gemeinnützige GmbH, 2018, Die Beendigung der energetischen Nutzung von Kohle in Deutschland. Ein Überblick über Zusammenhänge, Herausforderungen und Lösungsoptionen, S. 83 ff. https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/7231/file/7231_Kohlereader.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 24 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/stilllegungspfad-braunkohle.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) Weitere Darstellungen sind dem folgenden Handelsblattartikel zu entnehmen: Handelsblatt, 16.01.2020, Bund und Länder einig, Der Kohleausstieg kommt: Wie der Stufenplan zur Stilllegung im Detail welches Revier trifft. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bund-und-laender-einig-der-kohleausstiegkommt -wie-der-stufenplan-zur-stilllegung-im-detail-welches-revier-trifft/25439886.html (Letzter Abruf: 21.01.2020) Ein aktuell erschienener Spiegelbeitrag berichtet über Kritik ehemaliger Mitglieder der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB) an dem Ausstiegsszenario in den folgenden vier Punkten: „Nicht hinnehmbar sei die Reihenfolge der Abschaltungen der Kohlekraftwerke, da es zwischen 2023 und 2028 nur zu wenigen Kraftwerksschließungen komme - und damit alle Verantwortung auf das Ende des Jahrzehnts verschoben werde. Sie befürchten, dass durch Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 5 - 3000 - 006/20 Seite 25 die hohen Entschädigungszahlungen an Kraftwerksbetreiber sowie durch die längeren Laufzeiten der Preis von CO2-Zertifikaten fällt. Zudem verstoße die geplante Inbetriebnahme eines neuen Kohlekraftwerks - Datteln 4 - gegen die Vereinbarung, keine neuen Kohlekraftwerke ans Netz zu nehmen. Kritik üben die Unterzeichner zudem gegen die Abbaggerung weiterer Dörfer: Es sei "empörend ", dass dafür symbolisch der Erhalt des Hambacher Forstes versprochen werde. Zudem fehle ein Fahrplan, wie die Bundesregierung bis 2030 auf einen Anteil von 65% erneuerbare Energien kommen wolle.“15 7. Ergänzende Quellen Deutscher Bundestag/Bibliothek, Strukturwandel in den Kohleregionen Literaturauswahl 2017 – 2019 https://www.bundestag.de/resource /blob/659364/2ad0d349d0c95447156ce9f74d0e03b7/littipp_Strukturwandel-in-den-Kohleregionen -data.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) Deutscher Bundestag/Wissenschaftliche Dienste, Sonderwirtschaftszonen im Rahmen der Struktur - und Regionalförderung, Sachstand WD 5 - 3000 - 133/18 v. 24.10.2018 https://www.bundestag.de/resource/blob/580768/e2ee0cb26fd3100499be735f83718c23/WD-5- 133-18-pdf-data.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) PCG - Project Consult GmbH, 2018, Sonderwirtschaftszonen oder Sonderfördergebiete: Potential für die deutschen Braunkohlereviere?, im Auftrag der Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE. https://www.arbeit-umwelt.de/wp-content/uploads/181207_ig_publikationen_sonderwirtschaftszone _web.pdf (Letzter Abruf: 21.01.2020) *** 15 Spiegel Online, 21.01.2020, Energiewende in Deutschland, Ehemalige Mitglieder der Kohlekommission werfen Regierung Wortbruch vor. https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/kohleausstieg-fruehere-kohlekommission-mitglieder-werfen-regierung -wortbruch-vor-a-b94f0df7-e3e8-4e84-9db4-c5495ff416d4 (Letzter Abruf: 21.01.2020)