© 2019 Deutscher Bundestag WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Rechtliche Vorgaben für die Organisationsform der Deutschen Bahn AG Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 2 Rechtliche Vorgaben für die Organisationsform der Deutschen Bahn AG Aktenzeichen: WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Abschluss der Arbeit: 18. Februar 2019 Fachbereich: WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz PE 6: Europa Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Organisation der Deutschen Bahn AG in öffentlichrechtlicher Rechtsform und Unionsrecht (PE 6) 5 3. Rechtliche Vorgaben für die Organisationsform der Deutschen Bahn AG (WD 5) 6 3.1. Europäisches Eisenbahnregulierungsrecht 7 3.2. Vorgaben des nationalen Eisenbahnrechts 8 3.2.1. Regelungen des Art. 87e Grundgesetz 8 3.2.2. Vorgaben des § 5 Eisenbahnregulierungsgesetz 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 4 1. Einleitung Im Zuge der sog. Bahnreform aus dem Jahr 1993, die ihren rechtlichen Niederschlag in mehreren Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes sowie in der Änderung und Neueinführung von über 100 Einzelgesetzen1 gefunden hat und deren wesentliche Elemente auf Vorgaben des Europarechts zurückgehen,2 wurde im deutschen Eisenbahnwesen ein grundlegender Systemwechsel vollzogen: weg von staatlicher und hin zu unternehmerischer Leistungsbereitstellung und umfassende Änderung bisher staatlicher Organisationseinheiten.3 Die wesentlichen Strukturelemente der Bahnreform4 bestanden v. a. in der Trennung hoheitlicher und unternehmerischer Funktionen im Wege der Privatisierung, der Trennung von „Fahrweg“ und „Betrieb“ und der Regionalisierung des schienengebundenen Nahverkehrs als verbleibende Aufgabe der Daseinsvorsorge.5 Der Gesetzgeber verfolgte mit der Bahnreform dabei zwei Ziele: Umgewandelt in eine Aktiengesellschaft (AG) sollte die Deutsche Bahn AG (DB AG) mehr Verkehr auf die Schiene bringen und die Haushaltsbelastung des Bundes6 zurück in belastbare Grenzen führen.7 Nach Auffassung des Bundesrechnungshofs wurden diese Kernziele verfehlt.8 Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Sachstand zum einen der Frage nach, ob eine Organisation der Deutschen Bahn AG in öffentlich-rechtlicher Rechtsform mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar wäre (2.). Zum anderen werden überblicksartig die eisenbahnrechtlichen Vorgaben insbesondere des nationalen Rechts dargestellt, die für eine Überführung der Deutschen Bahn AG in eine öffentlich-rechtliche Rechtsform beachtet bzw. geändert werden müssten (3). Da allerdings nach derzeitigem Kenntnisstand keine entsprechenden politischen Konzepte vorliegen und die Aufgabe der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages auch nicht in der 1 Dazu Aberle, Gerd (2015). Motive und Instrumente der Bahnreform von 1994. In: Miriam, Frank/Schmoeckel, Mathias (Hrsg.). Eisenbahn zwischen Markt und Staat in Vergangenheit und Gegenwart. 2015. Tübingen: Mohr Siebeck. S. 57. 2 Dazu auch umfassend Windthorst, Kay (2018). In: Sachs, Michael (Hrsg.). Grundgesetz. Kommentar. 8. Auflage 2018. München: C. H. Beck. Art. 87e Rn. 3 ff. 3 Hermes, Georg (2014). In: Hermes, Georg/Sellner, Dieter (Hrsg.). Beck’scher AEG-Kommentar. 2. Auflage 2014. München: C. H. Beck. Einf A Rn. 20. 4 Umfassend zu den politischen und ökonomischen Hintergründen und Grundlagen der Bahnreform Aberle, Gerd (2015). A. a. O. (Fn. 1). S. 49 ff. 5 So Hermes, Georg (2014). A. a. O. (Fn. 3). Rn. 20. 6 Vgl. dazu Aberle, Gerd (2015). A. a. O. (Fn. 1). S. 56. 7 So Deutscher Bundestag (2019). Bericht nach § 99 Bundeshaushaltsordnung zur strukturellen Weiterentwicklung der Deutschen Bahn AG am Bundesinteresse. Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof vom 17.01.2019. BT-Drs. 19/7050. S. 4. 8 So Deutscher Bundestag (2019). A. a. O. (Fn. 7). S. 1 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 5 Erstellung von politischen Konzeptionen liegt,9 beschränkt sich die vorliegende Darstellung darauf , die allgemeinen und dabei insbesondere verfassungsrechtlichen Aspekte des Themas überblicksartig darzustellen. Wie gezeigt, wurden im Zuge der Bahnreform über 100 Einzelgesetze geändert . Die nachfolgende Darstellung des zu beachtenden bzw. zu ändernden Rechtsrahmens erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient allenfalls der ersten Orientierung. Die vorliegende Arbeit wurde in Kooperation zweier Fachbereiche der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages erstellt. Die inhaltliche Verantwortung für die einzelnen Teile dieses Sachstands liegt daher beim jeweiligen Fachbereich. Der Abschnitt Organisation der Deutschen Bahn AG in öffentlich-rechtlicher Rechtsform und Unionsrecht wurde vom Fachbereich Europa – PE 6 erarbeitet. Der Teil Rechtliche Vorgaben für die Organisationsform der Deutschen Bahn AG wurde erstellt vom Fachbereich WD 5. 2. Organisation der Deutschen Bahn AG in öffentlich-rechtlicher Rechtsform und Unionsrecht (PE 6) Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, zu untersuchen, ob eine Organisation der Deutschen Bahn AG in öffentlich-rechtlicher Rechtsform mit dem Unionsrecht vereinbar wäre. Es stellt sich folglich die Frage, ob dem Unionsrecht Vorgaben hinsichtlich der Rechtsform von Eisenbahninfrastrukturbetrieben und Eisenbahnverkehrsleistungsunternehmen zu entnehmen sind. Soweit ersichtlich, finden sich im europäischen Primär- wie Sekundärrecht keine Vorschriften, die dem Betrieb von Eisenbahninfrastruktur- und Eisenbahnverkehrsleistungsunternehmen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform ausdrücklich entgegenstehen. Vielmehr lässt der Wortlaut der Richtlinie 2012/34/EU10 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (Recast-RL)11 darauf schließen, dass das Unionsrecht (auch) eine Organisation von Eisenbahninfrastruktur - und Eisenbahnverkehrsleistungsunternehmen in öffentlich-rechtlicher Form zulässt: Danach gelten als Eisenbahnunternehmen im Sinne dieser Richtlinie „jedes nach dieser Richtlinie zugelassene öffentlich-rechtliche oder private Unternehmen […]“ (Art. 3 Nr. 1) und als Betreiber von Serviceeinrichtungen im Sinne dieser Richtlinie zählen bestimmte „öffentliche oder private “ Stellen (Art. 3 Nr. 12). Die darin zum Ausdruck kommende generelle Neutralität des Unionsrechts zur Wahl der Organisationsform für Eisenbahnunternehmen wird in grundsätzlicher Hinsicht auch durch Art. 345 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in seiner derzeitigen Auslegung durch den EuGH bestätigt. Gemäß Art. 345 AEUV lassen die Verträge die Eigentumsord- 9 Vgl. Deutscher Bundestag (2016). Leitfaden für die Unterabteilung Wissenschaftliche Dienste (WD). Stand: 18.02.2016. S. 4. 10 Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (Neufassung) (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. L 343 vom 14.12.2012, S. 32. 11 So die Bezeichnung bei Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 7b. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 6 nung in den Mitgliedstaaten unberührt. Aus dieser Vorschrift folgt zumindest, dass das Unionsrecht der Zuordnung von Eigentum zur öffentlichen oder privaten Hand neutral gegenübersteht.12 Demzufolge obliegt die Wahl der Rechtsform gemäß Art. 345 AEUV grundsätzlich den Mitgliedstaaten .13 Allerdings entbindet Art. 345 AEUV diese nicht von ihrer Pflicht, das Unionsrecht – insbesondere die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften – zu beachten.14 Unionsrechtliche Bestimmungen, welche für eine etwaige Organisation der Deutschen Bahn AG in öffentlich-rechtlicher Rechtsform in dieser Hinsicht von Relevanz sein könnten, finden sich insbesondere in den durch das sog. Vierte Eisenbahnpaket neugefassten bzw. geänderten Rechtsakten (Verordnung (EU) 2016/2337, 2016/796, Nr. 1370/2007, Richtlinie 2012/34/EU, Richtlinie (EU) 2016/797 sowie 2016/798). Zu verweisen ist an dieser Stelle im Besonderen auf die oben bereits erwähnte Richtlinie 2012/34/EU, die in ihrem 2. Abschnitt Regelungen zum Gebot der Trennung zwischen Infrastrukturbetrieb und Verkehrsdiensten beinhaltet. Betrachtet man die Rechtsprechung des EuGH zu sonstigen unionsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlich organisierten Eisenbahnunternehmen, so sind bei der Überführung eines solchen Unternehmens in eine öffentlich-rechtliche Rechtsform ggf. auch beihilferechtliche Vorschriften (Art. 107 ff. AEUV) zu beachten. Dies gilt beispielweise dann, wenn die gewählte Rechtsform des öffentlichen Rechts etwa mit unbeschränkten staatlichen Garantien einhergeht , die dieses Unternehmen im Wettbewerb mit privaten Eisenbahnunternehmen begünstigen könnten. 15 3. Rechtliche Vorgaben für die Organisationsform der Deutschen Bahn AG (WD 5) Nachfolgend werden die rechtlichen Vorgaben überblicksartig skizziert, die für die Beantwortung der Frage von Bedeutung sind, welche Regelungen beachtet bzw. geändert werden müssten, um die Deutsche Bahn AG (DB AG) in eine öffentlich-rechtliche Rechtsform zu überführen. 12 EuGH, verb. Rs. C-105/12 bis C-107/12 (Essent u. a.), Rn. 29; vgl. 2010/605/EU: Beschluss der Kommission vom 26. Januar 2010 über die staatliche Beihilfe C 56/07 (ex E 15/05) Frankreichs zugunsten von La Poste (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2010) 133), ABl. L 274 vom 19.10.2010, S. 1, 41, Rn. 317; vgl. Mitteilung der Kommission – Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. C 17 vom 19.1.2001, S. 4, 8, Nr. 21; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 345 AEUV, Rn. 10; Wernicke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 48. EL August 2012, Art. 345 AEUV, Rn. 4. 13 EuGH, verb. Rs. C-105/12 bis C-107/12 (Essent u. a.), Rn. 30-31; Bär-Bouyssière, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 345 AEUV, Rn. 12. 14 Vgl. EuGH, Rs. C-302/97 (Konle/Österreich), Rn. 38; vgl. EuGH, Rs. C-235/89 (Kommission/Italien), Rn. 14; vgl. 2010/605/EU: Beschluss der Kommission vom 26. Januar 2010 über die staatliche Beihilfe C 56/07 (ex E 15/05) Frankreichs zugunsten von La Poste (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2010) 133), ABl. L 274 vom 19.10.2010, S. 1, 41, Rn. 317; Bär-Bouyssière, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 345 AEUV, Rn. 12. 15 Vgl. EuGH, Rs. C-438/16 (Kommission/Frankreich). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 7 3.1. Europäisches Eisenbahnregulierungsrecht Wie oben bereits gezeigt, enthalten die Art. 4 – 7 Recast-RL16 die wesentlichen unionsrechtlichen Vorgaben für die Organisation von Eisenbahnunternehmen. Dabei geht der europäische Gesetzgeber grundsätzlich von einer Trennung zwischen Betreibern von Eisenbahninfrastruktur und Eisenbahnunternehmen , die Eisenbahnverkehrsdienste zur Beförderung von Gütern und/oder Personen anbieten, aus.17 Mit den Regelungen der Recast-RL, die die bisherigen eisenbahnrechtlichen Vorgaben des Europarechts zum einen neu fasst und sie zum anderen in einem Rechtsakt bündelt und damit dazu beiträgt, den entsprechenden Rechtsrahmen zu vereinheitlichen, sollen die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Eisenbahnverkehrs verbessert werden.18 Im Hinblick auf die Frage, welche rechtlichen Vorgaben für eine eventuelle Überführung der DB AG in eine öffentlich-rechtliche Organisationsform von Bedeutung sind, sind u. a. die Regelungen des Art. 4 Abs. 1 sowie 6 Abs. 1 Recast-RL von erheblicher Relevanz. Die Normen lauten auszugsweise : „Artikel 4 Unabhängigkeit der Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Eisenbahnunternehmen, die direkt oder indirekt Eigentum von Mitgliedstaaten sind oder von ihnen kontrolliert werden, in Bezug auf die Geschäftsführung , die Verwaltung und die interne Kontrolle der Verwaltungs-, Wirtschafts- und Rechnungsfragen eine unabhängige Stellung haben, aufgrund deren sie insbesondere über ein Vermögen , einen Haushaltsplan und eine Rechnungsführung verfügen, die von Vermögen, Haushaltsplan und Rechnungsführung des Staates getrennt sind. […] Artikel 6 Trennung der Rechnungsführung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass getrennte Gewinn- und Verlustrechnungen erstellt und veröffentlicht werden für die Erbringung von Verkehrsleistungen durch Eisenbahnunternehmen einerseits und den Betrieb der Eisenbahninfrastruktur andererseits. Öffentliche Gelder, die einem dieser beiden Tätigkeitsbereiche zufließen, dürfen nicht auf den anderen übertragen werden. 16 Gemeint ist die Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.11.2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraumes. ABl. EU Nr. L 343 vom 14.12.2012. S. 32. 17 Vgl. dazu Art. 3 Nr. 1 Recast-RL sowie Staebe, Erik (2018). In: Staebe, Erik (Hrsg.). Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG). Kommentar. 2018. München: C. H. Beck. Vorb §§ 5 ff. Rn. 4 ff. 18 Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 7b. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 8 […]“ Diese und die weiteren Vorgaben des Art. 5 und 7 Recast-RL (Entflechtungsvorgaben) bezwecken vor allem die Unabhängigkeit der Eisenbahnunternehmen vom jeweiligen Mitgliedstaat und schützen insbesondere die unternehmerische Eigenständigkeit, damit Ineffizienzen abgebaut und die Geschäftstätigkeit an den Marktbedürfnissen ausgerichtet werden können.19 3.2. Vorgaben des nationalen Eisenbahnrechts Nachfolgend werden die rechtlichen Vorgaben des nationalen Eisenbahnrechts skizziert, die für die Beantwortung der Frage nach dem Rechtsrahmen für die Organisationsform der Deutschen Bahn AG von erheblicher Bedeutung sind. Wie bereits oben gezeigt, wurden im Zuge der Bahnreform über 100 Einzelgesetze neu erlassen oder geändert. Weiterhin hat sich der eisenbahnrechtliche Rechtsrahmen seit Mitte der 1990er Jahre weiterentwickelt.20 Insofern nimmt die nachfolgende Darstellung zum einen die Regelungen des Art. 87e Grundgesetz (GG)21 und zum anderen die für die Beantwortung der Frage maßgebliche Regelung des § 5 Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG)22 in den Blick und konzentriert sich damit auf zwei wesentliche Regelungen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen. Ziel der Darstellung ist lediglich, mittels eines thematischen Überblicks eine erste Orientierung zu liefern. 3.2.1. Regelungen des Art. 87e Grundgesetz Das wichtigste Element der Grundgesetzänderungen im Zuge der Bahnreform war die Einführung des Art. 87e GG, verbunden mit der Streichung der Bundeseisenbahnen als Gegenstand bundeseigener Verwaltung in Art. 87 GG (alte Fassung).23 Im Mittelpunkt des Art. 87e GG steht die Trennung zwischen dem Staat vorbehaltenen hoheitlichen und gemeinnützigen Aufgaben und privatrechtlich organisierten Wirtschaftsunternehmen überantworteten unternehmerischen Aufgaben.24 19 Staebe, Erik (2018). A. a. O. (Fn. 17). Vorb §§ 5 ff. Rn. 9. 20 Vgl. exemplarisch zur Entstehungsgeschichte der Entflechtungsvorgaben innerhalb des Rechts der Eisenbahnregulierung Staebe, Erik (2018). A. a. O. (Fn. 17). Vorb §§ 5 ff. Rn. 1 ff. 21 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung; zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.07.2017, BGBl. I S. 2347. 22 Gesetz vom 29.08.2016, BGBl. I S. 2082. 23 Hermes, Georg (2014). A. a. O. (Fn. 3). Rn. 21. Die bis zum 20.12.1993 geltende Fassung des Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG lautete: „In bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau werden geführt […] die Bundeseisenbahnen […].“ Vgl. Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Fußnote 5 zu Rn. 1. 24 Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 9 Während Art. 87e Abs. 1 und 2 GG vor allem die Verwaltungskompetenzen von Bund und Ländern im Zusammenhang mit der Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes25 sowie darüber hinausgehenden Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung regeln,26 widmen sich die Absätze 3 und 4 der Norm zum einen der Organisationsprivatisierung der Eisenbahnen des Bundes27 und zum anderen der Gewährleistungspflicht des Bundes in Bezug auf durch die Norm bestimmte privatwirtschaftliche Tätigkeiten28. Die Deutsche Bahn AG befindet sich zu 100% im Eigentum des Bundes29 und ist damit eine Eisenbahn des Bundes im Sinne des Art. 87e GG.30 Der für die Beantwortung der Frage nach dem Rechtsrahmen für die Organisationsform der Deutschen Bahn AG insoweit maßgebliche Art. 87e GG lautet auszugsweise: „Art 87e […] (3) Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt . Diese stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfasst. Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Unternehmen nach Satz 2 erfogt auf Grund eines Gesetzes; die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen verbleibt beim Bund. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. […]“ Danach enthält Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG die Vorgabe, dass Eisenbahnen des Bundes und damit auch die Deutsche Bahn AG in privatrechtlicher Form und damit in einer Organisationsform des Privatrechts31 zu führen sind. Öffentlich-rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten kommen daher verfassungsrechtlich nicht mehr in Betracht.32 Kehrseite dieses Gebots zur materiellen Privatisierung 25 Zu diesem Begriff Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 13 ff. 26 Umfassend dazu Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 12 ff. 27 Umfassend dazu Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 35 ff. 28 Umfassend dazu Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 58 ff. 29 So die Informationen auf der Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen. Link: https://www.bundesfinanzministerium .de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Bundesvermoegen/Privatisierungs_und_Beteiligungspolitik /Beteiligungspolitik/deutsche-bahn-ag.html (letzter Abruf: 18.02.2019). 30 Hermes, Georg (2014). A. a. O. (Fn. 3). Rn. 36. 31 Zur Frage, ob das Verfassungsrecht eine bestimmte privatrechtliche Organisationsform vorschreibt vgl. Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 40 m. w. N. 32 So eindeutig Fehling, Michael (2014). In: Hermes, Georg/Sellner, Dieter (Hrsg.). A. a. O. (Fn. 3). Einf C Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 10 des Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG ist daher ein Handlungsverbot für den Bund: Er darf die von der Norm erfassten Leistungen der Eisenbahnen des Bundes nicht selbst erbringen.33 Dass die Rechtsform der Aktiengesellschaft aufgrund ihrer Rechtsnatur, Organisations- und Entscheidungsstruktur die notwendige Trennung zwischen staatlicher Eisenbahnverkehrsverwaltung und unternehmerischer Eisenbahnverkehrsleistung gewährleistet,34 bedeutet aber nicht, dass der Bund nur geringen Einfluss auf die unternehmerische Tätigkeit der Deutschen Bahn AG besitzt. So hat das Bundesverfassungsgericht im November 2017 entschieden: „Darüber hinaus liegt auch die unternehmerische Tätigkeit der Deutschen Bahn AG im Verantwortungsbereich der Bundesregierung. Die Verantwortlichkeit der Regierung im Kontext demokratischer Legitimation erstreckt sich auf alle Vorgänge einschließlich des unternehmerischen Handelns als Alleineigentümerin einer Aktiengesellschaft – somit auch der Deutschen Bahn AG –, für die über die Regierung demokratische Legitimation des Deutschen Bundestages in Anspruch genommen wird.“35 Mit der Regelung des Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG werden die Eisenbahnen des Bundes auch nicht auf eine Unternehmensstrategie der Gewinnmaximierung festgelegt.36 So steht es dem Bund als Eigentümer frei, auf seine Eisenbahnen im Rahmen des Aktienrechts unternehmensintern verkehrspolitischen Einfluss zu nehmen, solang die Bahn dadurch nicht in die Verlustzone gedrängt wird.37 33 Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 44. 34 Windthorst, Kay (2018). A. a. O. (Fn. 2). Art. 87e Rn. 40 m. w. N. 35 Bundesverfassungsgericht (2017). Urteil vom 07.11.2017 – 2 BvE 2/11. Rn. 263. Link: https://www.bundesverfassungsgericht .de/e/es20171107_2bve000211.html (letzter Abruf: 18.02.2019). 36 Fehling, Michael (2014). A. a. O. (Fn. 32). Einf C Rn. 17. 37 So eindeutig Fehling, Michael (2014). A. a. O. (Fn. 32). Einf C Rn. 17 m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 5 - 3000 - 006/19; PE 6 – 3000 – 009/19 Seite 11 3.2.2. Vorgaben des § 5 Eisenbahnregulierungsgesetz Die oben bereits genannten Entflechtungsvorgaben der Recast-RL werden durch die §§ 5 – 8, 12 ERegG in deutsches Recht umgesetzt.38 Dabei regelt § 5 RegG die organisatorische Unabhängigkeit öffentlicher Eisenbahnverkehrsunternehmen39 von ihrem öffentlichen Eigentümer.40 Die Norm lautet: „§ 5 Unabhängigkeit der Eisenbahnverkehrsunternehmen Eisenbahnverkehrsunternehmen, die unmittelbar oder mittelbar im Eigentum des Bundes, eines Landes oder einer kommunalen Gebietskörperschaft stehen oder von diesen kontrolliert werden, müssen in Bezug auf die Geschäftsführung, die Verwaltung und die interne Kontrolle der Verwaltungs -, Wirtschafts- und Rechnungsführungsfragen eine unabhängige Stellung haben. Die unabhängige Stellung der Eisenbahnverkehrsunternehmen muss insbesondere dadurch gewährleistet werden, dass deren Vermögen, Haushaltsplan und Rechnungsführung jeweils getrennt sind vom Vermögen, vom Haushaltsplan und von der Rechnungsführung des Bundes, eines Landes oder eine kommunale Gebietskörperschaft.“ Diese Vorschrift geht auf Art. 4 Recast-RL zurück. Dabei verfolgt der europäische Gesetzgeber das Ziel, die Eisenbahnunternehmen von Vermögen, Haushaltsplan und Rechnungsführung der Mitgliedstaaten zu trennen, um staatliche Eingriffe in die unternehmerische Eigenverantwortung der Unternehmen zu minimieren.41 Diese Unabhängigkeit der Eisenbahnunternehmen vom Mitgliedstaat soll letztlich dazu führen, dass Ineffizienzen abgebaut werden und die Geschäftstätigkeit an den Marktbedürfnissen ausgerichtet wird.42 * * * 38 Staebe, Erik (2018). A. a. O. (Fn. 17). Vorb §§ 5 ff. Rn. 10. 39 Zum Begriff vgl. Art. 3 Nr. 1 Recast-RL. 40 Staebe, Erik (2018). A. a. O. (Fn. 17). Vorb §§ 5 ff. Rn. 15. 41 Staebe, Erik (2018). A. a. O. (Fn. 17). § 5 Rn. 3. 42 Staebe, Erik (2018). A. a. O. (Fn. 17). § 5 Rn. 3. Zur Frage, wie die Deutsche Bundesbahn vor der Bahnreform politisch instrumentalisiert wurde und welche Auswirkungen sich daraus für die Innovations- und Produktivitätsentwicklung der Bahn ergeben haben vgl. Aberle, Gerd (2015). A. a. O. (Fn. 1). S. 55 f.