Deutscher Bundestag Umlagefinanzierung für den fahrscheinlosen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Finanzverfassungsrechtliche Probleme hinsichtlich der Einführung einer ÖPNV-Abgabe für alle Einwohner Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 – 268/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 2 Umlagefinanzierung für den fahrscheinlosen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Finanzverfassungsrechtliche Probleme hinsichtlich der Einführung einer ÖPNV-Abgabe für alle Einwohner Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 4 – 3000 – 268/12 Abschluss der Arbeit: 10. Dezember 2012 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung des Ergebnisses 4 2. Einführung 4 2.1. Rechtliche Grundlagen 4 2.2. Begriffsbestimmung 4 3. Finanzierung des ÖPNV nach derzeitiger Rechtslage 5 4. Möglichkeit der Finanzierung des ÖPNV durch Umlageverfahren 6 4.1. ÖPNV-Abgabe als Steuer 6 4.1.1. Problem der Zweckbindung der Abgabe 7 4.1.2. Problem der Gegenleistung (Voraussetzungslosigkeit der Steuer) 8 4.2. ÖPNV-Abgabe als Gebühr 8 4.3. ÖPNV-Abgabe als Beitrag 10 4.3.1. Öffentliche Einrichtung 11 4.3.2. Investitionsaufwand 12 4.3.3. Wiederkehrende Beiträge 12 4.3.4. Kreis der Abgabeschuldner 12 4.3.5. Ergebnis 13 4.4. ÖPNV-Abgabe als Sonderabgabe 14 4.4.1. Allgemeine Voraussetzungen 15 4.4.2. Ergebnis 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 4 1. Zusammenfassung des Ergebnisses Aus finanzverfassungsrechtlicher Sicht ist die Finanzierung eines fahrscheinlosen ÖPNV durch ein alle Einwohner zur Entrichtung einer Abgabe verpflichtendes Umlageverfahren nicht möglich . Rechtlich umsetzbar ist weder die Erhebung einer zweckgebunden Steuer (nähere Ausführungen unter 4.1.) noch die Erhebung einer Sonderabgabe (nähere Ausführungen unter 4.4.). Auch die Erhebung einer ÖPNV-Gebühr scheitert am Erfordernis einer individuell zurechenbaren Gegenleistung für den entrichteten Geldbetrag (nähere Ausführungen unter 4.2). Auch kommt ein ÖPNV-Beitrag als Finanzierungsmittel nicht in Betracht, da dieser grundsätzlich nicht pauschal (wie hier intendiert) von jedem Einwohner erhoben werden könnte, sondern nach dem individuellen Vorteil zu bemessen wäre, den die zu finanzierende Einrichtung für den Beitragspflichtigen mit sich brächte. Außerdem fehlt es derzeit an einer gesetzlichen Grundlage für eine solche Beitragserhebung (nähere Ausführungen unter 4.3.). 2. Einführung Der öffentliche Personennahverkehr in Deutschland unterliegt einer rechtlichen Gliederung in den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und den Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV). Der SPNV umfasst sowohl Eisenbahnen als auch den S-Bahn-Verkehr, während der ÖSPV die Personenbeförderung vor allem mit Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen betrifft. 2.1. Rechtliche Grundlagen Grundsätzlich liegt die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des öffentlichen Personennahverkehrs als Teil des Kraftfahrtwesens nach Art. 74 Nr. 22 Grundgesetz (GG) bei den Ländern. Der Bund hat jedoch von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht und die Rahmenbedingungen für die Planung, Organisation und die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs im Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz - RegG) normiert. Nach § 1 S. 2 RegG liegt die Kompetenz zur Regelung der Zuständigkeit für die Bereitstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr bei den Ländern. Die ÖPNV-Gesetze der Bundesländer bestimmen die Kernelemente der öffentlichen Finanzierung und die jeweiligen Körperschaften, die für die unterschiedlichen Bereiche des schienen- bzw- straßengebundenen Nahverkehrs als Aufgabenträger agieren.1 Aufgabenträger des SPNV sind danach die Bundesländer und Aufgabenträger des ÖSPV die Städte , Kreise und Gemeinden. 2.2. Begriffsbestimmung Nach § 1 RegG ist die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. 1 Dossier des Deutschen Bundestages vom 3. September 2012, , Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste zum Thema „Finanzierung des ÖPNV in Deutschland und in einzelnen europäischen Staaten “, 13. Februar 2011, letztmalig abgerufen am 27. November 2012 im Intranet unter http://www.bundestag.btg/Wissen/Dossiers/Ablage/3799/Ausarbeitung_3799_68.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 5 § 2 RegG enthält eine Legaldefinition des ÖPNV als „die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen“, was „im Zweifel der Fall“ ist, „wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.“ 3. Finanzierung des ÖPNV nach derzeitiger Rechtslage Bei den Verkehrsbetrieben handelt es sich um Unternehmen, die sich unter anderem aus Fahrgelderlösen , Einnahmen aus Werbung und Vermietung, Steuergeldern sowie den Ausgleichszahlungen auf der Basis von Verkehrsverträgen mit Bund und Ländern bzw. Kommunen finanzieren. Zur Sicherstellung des ÖPNV stehen Mittel aus verschiedenen öffentlichen Finanzierungsquellen mit unterschiedlichen Laufzeiten zur Verfügung: Gem. Artikel 106a Grundgesetz (GG) steht den Ländern ein Beitrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs zu. Die einfachgesetzliche Umsetzung dieses Anspruchs findet sich in § 5 RegG, wonach der Bund im Jahr 2008 insgesamt 6.675 Millionen Euro (und seit dem Jahr 2009 jährlich jeweils 1,5 vom Hundert zusätzlich) aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes für den öffentlichen Personennahverkehr an die Länder zahlen muss. Der festgesetzte Betrag wird nach § 5 Abs. 3 RegG prozentual auf die einzelnen Bundesländer aufgeteilt. Gemäß § 6 Abs. 1 RegG ist mit diesen Mitteln insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren. Auf Grundlage des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) werden den Gemeinden ebenfalls Finanzmittel des Bundes in Form von zweckgebundenen Hilfsbeträgen für bestimmte Investitionen zur Verfügung gestellt. Das Gesetz trat zwar aufgrund der Föderalismusreform Ende 2006 außer Kraft, jedoch erhalten die Länder nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben (Entflechtungsgesetz - EntflechtG) seit dem 1. Januar 2007 jährlich noch bis zum 31. Dezember 2013 Beträge aus dem Bundeshaushalt in Höhe von insgesamt 1.335,5 Millionen Euro als Kompensationszahlungen, die den Gemeinden zugute kommen. Hinzu kommen danach außerdem „weitere Zahlungen von 332,6 Millionen Euro jährlich (Übergangsregelung bis 2019) nach Maßgabe des sog. „Bundesprogramms“ gemäß § 6 Abs. 1 GVFG.“ 2 Die Mittel aus dem GVFG-Bundesprogramm können jedoch nur für Erstinvestitionen genutzt werden, die „Vorhaltung der Anlagen sowie deren Instandhaltung und Ersatz liegen in der Verantwortung der Länder und Kommunen bzw. der Betreiber“3. Dem ÖPNV stehen zudem Mittel nach dem Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz – FAG) sowie Landesmittel für Ausgleichsleistungen im Ausbildungsverkehr nach § 45a Personenbeförderungsgesetz (PBefG) zur Verfügung. Aufgrund des § 2 Dossier des Deutschen Bundestages vom 3. September 2012, , Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes zum Thema „Finanzierung des ÖPNV in Deutschland und in einzelnen europäischen Staaten“, 13. Februar 2011, letztmalig abgerufen am 27. November 2012 im Intranet unter http://www.bundestag.btg/Wissen/Dossiers/Ablage/3799/Ausarbeitung_3799_68.pdf. 3 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 29.04.2011, Zukünftige Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs in Deutschland, BT-Drs. 17/5685, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 6 45a PBefG haben Bus- und Stadtbahnunternehmen einen Rechtsanspruch auf staatlichen Ausgleich für die preisrabattierte Beförderung von Schülern, Studenten und Auszubildenden im Linienverkehr . Zudem werden vom Bund Ausgleichsleistungen gem. § 145 neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Beförderung schwerbehinderter Menschen gezahlt.4 4. Möglichkeit der Finanzierung des ÖPNV durch Umlageverfahren Im Folgenden soll geprüft werden, ob eine Finanzierung des ÖPNV mit dem Ziel eines „fahrscheinlosen Nahverkehrs“ durch ein entsprechendes Umlageverfahren, das jeden Einwohner periodisch zur Zahlung einer bestimmten Abgabe verpflichtet, finanzverfassungsrechtlich möglich ist. Zunächst ist dabei eine rechtliche Einordnung dieser „ÖPNV-Abgabe“ vonnöten, da die finanzverfassungsrechtlichen Grenzen für die Einführung einer Umlagefinanzierung im ÖPNV von der Qualifizierung der Abgabe als Steuer, Gebühr, Beitrag oder Sonderabgabe und deren jeweiligen Voraussetzungen abhängen. Öffentlich-rechtliche Abgaben verpflichten den Abgabeschuldner aufgrund einer Rechtsvorschrift zur Zahlung einer Geldleistung an den öffentlichen Abgabegläubiger (Land, Bund oder Kommune). Die ÖPNV-Abgabe wäre daher als eine solche öffentlich-rechtliche Abgabe zu qualifizieren . Diese können grundsätzlich in Form von Steuern, Gebühren, Beiträgen und Sonderabgaben erhoben werden. Über die Qualifizierung der Abgabe entscheidet jedoch nicht die Bezeichnung , sondern vielmehr ihre tatbestandliche Ausgestaltung.5 4.1. ÖPNV-Abgabe als Steuer Die Finanzverfassung des Grundgesetzes geht davon aus, dass der allgemeine staatliche Finanzbedarf durch Steuern gedeckt wird („Prinzip des Steuerstaates“). Der Steuerbegriff ist in § 3 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) legal definiert. Danach sind Steuern solche „Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft“. Nach § 3 Abs. 1, 2. Halbsatz AO kann der Fiskalzweck dem mit der Steuer verfolgten Lenkungszweck untergeordnet sein, er darf nur nicht gänzlich wegfallen.6 Der Fragestellung zugrunde liegt ein Abgabenmodell, wonach allen Einwohnern eine Zahlungspflicht auferlegt wird, um sie im Gegenzug zu berechtigen, fahrscheinlos mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Zudem soll die Abgabe einen finanziellen Ausgleich für den (auch indirekten) Nutzen darstellen, den die Bereitstellung eines ausgebauten Nahverkehrssystems für 4 Dossier des Deutschen Bundestages vom 3. September 2012, , Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes zum Thema „Finanzierung des ÖPNV in Deutschland und in einzelnen europäischen Staaten“, 13. Februar 2011, letztmalig abgerufen am 27. November 2012 im Intranet unter http://www.bundestag.btg/Wissen/Dossiers/Ablage/3799/Ausarbeitung_3799_68.pdf. 5 BVerfG, Beschluss vom 24.01.1995, 1 BvL 18/93, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1995, 1733. 6 Birk, Steuerrecht, 14. Aufl. 2011/12, Rn. 115. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 7 die Bevölkerung mit sich brächte.7 Die Abgabenpflicht soll somit an den Tatbestand der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit der ÖPNV knüpfen und somit zweckgebunden erhoben werden sowie den Abgabepflichtigen einen Vorteil gewähren, bzw. den bereits gewährten Vorteil finanziell ausgleichen. Die Erhebung einer ÖPNV-Abgabe als Steuer kommt in dieser Ausgestaltung unter Berücksichtigung der oben stehenden Definition vor allem aufgrund der als Gegenleistung zu betrachtenden Nutzungsmöglichkeit nicht in Betracht.8 Ein weiteres Problem könnte die Zweckbindung der Steuer darstellen, da diese grundsätzlich zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs erhoben werden und gerade nicht der Finanzierung besonderer Aufgaben dienen9. 4.1.1. Problem der Zweckbindung der Abgabe Grundsätzlich muss das Abgabeaufkommen so qualifiziert sein, dass es zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs und nicht einer ausschließlichen Sonderzweckfinanzierung dient. Das BVerfG10 hat jedoch die Erhebung sog. Zwecksteuern für zulässig erachtet, da sich der Gesetzgeber durch die Bezeichnung eines Steuerzwecks lediglich von vornherein haushaltsrechtlich bindet (was er im Nachhinein ohnehin können würde). Die Erhebung einer Zwecksteuer ist also zulässig , wenn die Zweckbindung auch haushaltsrechtlich hätte festgelegt werden können und sie sich nicht als Gegenleistung bzw. als gruppennützige Sonderzweckfinanzierung11 darstellt.12 Auch in Hinblick auf andere praxisrelevante Fälle, wie bspw. die gesetzlich festgelegte Verwendung der Mineralölsteuer für den Straßenbau13 dürfte die zweckgebundene Verwendung einer ÖPNV-Abgabe zur Finanzierung des ÖPNV jedoch noch als zulässig angesehen werden.14 7 Zum indirekten Nutzen des ÖPNV: Krönes, „Nahverkehrsabgabe – ein Ausweg aus der Finanzierungsproblematik im öffentlichen Nahverkehr?“, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU) Band 14, Heft 2,1991, S. 142-155, 144f. 8 So auch Kalbow, „Wirkungsanalyse des Nulltarifs im ÖPNV am Beispiel der Stadt Darmstadt, 2001, S. 90; Krönes, „Nahverkehrsabgabe – ein Ausweg aus der Finanzierungsproblematik im öffentlichen Nahverkehr?“, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU) Band 14, Heft 2, 1991, S. 142-155, 145. 9 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage 2010, § 3 Rz. 15. 10 BVerfG, Urteil vom 20.4.2004 - 1 BvR 1748/99, 905/00, NVwZ 2004, 846. 11 Dazu unter 4.4. / 4.4.4. 12 Ähnlich: Wilms, „Die Entlastung der Innenstädte vom Individualverkehr – Abgaben und andere Geldleistungspflichten als Mittel zur Verkehrslenkung“ Band 2: Die Pendler- und Großveranstaltungsabgabe, 1994, S. 25. 13 Siehe Art. 1 Straßenbaufinanzierungsgesetz vom 28.03.1960, BGBl. I S. 201, zuletzt geändert durch Art. 285 V vom. 31.10.2006 BGBl. I 2407. 14 Zur zweckgebundenen Erhebung einer sog. Innenstadtmaut: Manssen, „Finanzverfassungsrechtliche Aspekte der Einführung einer sog. Nahverkehrsabgabe“, Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), 1/1996, S. 12-18, 13ff; Alscher, „Rechtliche Möglichkeiten einer integrierten kommunalen Verkehrsplanung, 2011, S. 205ff; Zur zweckgebundenen Anhebung der Grundsteuer: Maudet, „Nulltarifsystem im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Theorie und Praxis der Finanzierung – Zukunftsperspektiven“, 2011, S. 58 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 8 4.1.2. Problem der Gegenleistung (Voraussetzungslosigkeit der Steuer) Eine Einordnung der ÖPNV-Abgabe in der hier intendierten Ausgestaltung als Steuer scheitert allerdings an der für den Bürger mit der Abgabe verbundenen Gegenleistung, da sich die Steuer dadurch kennzeichnet, dass sie dem Abgabepflichtigen keinen direkten Vorteil gewährt.15 Das vorliegende Konzept sieht jedoch eine Zahlungspflicht der Allgemeinheit vor, die die Allgemeinheit zugleich dazu berechtigt, den Nahverkehr kostenlos zu nutzen, die Steuer wäre somit an die Bedingung eines unmittelbaren Vorteils für den Steuerzahler geknüpft. Insofern muss die Steuer jedoch von den sog. Vorzugslasten (Gebühren und Beiträge) abgegrenzt werden, die stets mit einer staatlichen Gegenleistung verknüpft sind16. 4.2. ÖPNV-Abgabe als Gebühr Da es sich bei Gebühren nicht um Steuern im Sinne der Finanzverfassung handelt, richtet sich die diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz nicht nach den Art. 104a ff GG, sondern nach den materiellrechtlichen Zuständigkeiten aus Art. 72 ff GG. Die sachliche Gesetzgebungskompetenz für die Erhebung von Gebühren auf dem Gebiet des öffentlichen Personennahverkehrs liegt nach Art. 74 Nr. 22 GG bei den Ländern, soweit nicht der Bund bereits gesetzgeberisch tätig geworden ist. Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet in Form des Regionalisierungsgesetzes Gebrauch gemacht und darin die Zuständigkeit der Länder für die Bereitstellung und die Finanzierung des ÖPNV einfachgesetzlich normiert. Nach den Kommunalabgabengesetzen der Länder (vgl. z.B. § 4 Abs. Brandenburgisches Kommunalabgabengesetz - BbgKAG) sind die Gemeinden grundsätzlich zur Erhebung von Gebühren berechtigt, sofern ihnen die Gebühr aufgrund ihrer sachlichen Zuständigkeit auf dem geregelten Gebiet zusteht. Für die Sicherstellung einer ausreichenden Ausstattung eines Gebietes mit einem öffentlichen Personennahverkehrsangebot sind nach den ÖPNV-Gesetzen der Länder die Gemeinden zuständig , soweit nicht die Länder für zum Beispiel den Schienenpersonennahverkehr sowie die landesbedeutsamen Verkehrslinien (vgl. z.B. § 3 Abs. 1 ÖPNV-Gesetz des Landes Brandenburg) selbst verantwortlich sind. Grundsätzlich wäre eine Gebührenerhebung durch die Gemeinden zur Finanzierung des ÖPNV aus kompetenzrechtlicher Sicht daher denkbar. Gebühren sind jedoch nach ständiger Rechtsprechung 17 öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die dem Gebührenschuldner aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahmen auferlegt werden. Der Unterschied zur Steuer liegt mithin in der mit der Gebühr verbundenen Zweckbestimmung, die Kosten der individuell zurechenbaren öffentli- 15 So auch Krönes, „Nahverkehrsabgabe – ein Ausweg aus der Finanzierungsproblematik im öffentlichen Nahverkehr ?“, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU) Band 14, Heft 2,1991, S.142- 155, 145. 16 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage 2010, § 3 Rn. 15. 17 BVerfG, Urteil vom 12.09.2007 - 2 BvR 2335, 2391, 2395, BVerfGE 113, 128/146f., m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 23.08.1991 – 8 C 37/90, NJW 1992, 2243. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 9 chen Leistung ganz oder teilweise zu decken.18 Die Abgabengesetze der Bundesländer (Kommunalabgabengesetze - KAG) definieren den Begriff „Gebühren“ als „Geldleistungen, die als Gegenleistung für eine besondere Leistung - Amtshandlung oder sonstige Tätigkeit - der Verwaltung (Verwaltungsgebühren) oder für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen und Anlagen (Benutzungsgebühren) erhoben werden“19. Die Gebühr unterscheidet sich demnach von der Steuer durch die Verknüpfung mit einer individuell zurechenbaren Gegenleistung des öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens.20 Vorliegend erhielte der ÖPNV-Abgabenschuldner zwar die Gegenleistung, den ÖPNV fahrscheinlos nutzen zu können, eine Einordnung der ÖPNV-Abgabe als Gebühr ist jedoch aufgrund der fehlenden Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung nicht sachgerecht. Zwar sollen mit der Abgabe diejenigen Kosten gedeckt werden, die durch die Bereitstellung eines für die Nutzer kostenlosen Personennahverkehrs entstehen, allerdings ist die Leistung nicht individuell mit der Abgabe verknüpft. Die Rechtsprechung fordert in Hinblick auf die Zulässigkeit einer Gebührenerhebung ein besonders enges Verhältnis zwischen Verwaltungsleistung und – in Bezug auf deren Finanzierung – zweckgebundener Gegenleistung.21 Danach sind Gebührensätze so zu bemessen , dass zwischen der Höhe der Gebühren auf der einen und der Bedeutung, dem wirtschaftlichen Wert oder den sonstigen Nutzen auf der anderen Seite ein ausgewogenes Verhältnis besteht 22. Dieser vom BVerfG entwickelte Äquivalenzgrundsatz verlangt mithin, dass der Gebührenpflichtige eine unmittelbare Gegenleistung für die von ihm entrichtete Gebühr erhält. Im Falle einer pauschalen ÖPNV-Gebühr stünde die Zahlungspflicht jedoch nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zur Leistung, da die Zahlung der Gebühr lediglich das Recht zur Folge hat, den Nahverkehr umsonst nutzen zu können, nicht jedoch die tatsächliche Nutzung als solche bezahlt wird. Für den Fall, dass der gebührenpflichtige Bürger den öffentlichen Personennahverkehr im Geltungszeitraum der zu entrichtenden Gebühr gar nicht nutzt, entfiele für diesen die Gegenleistung völlig und es entstünde ein „Äquivalenzgefälle“, das bei Abgaben in Form von Gebührenforderungen nicht zulässig ist. Ferner werden Gebühren auf Veranlassung des Gebührenschuldners23 fällig, das heißt durch die Entscheidung, eine bestimmte Leistung in Anspruch zu nehmen. Die ÖPNV-Abgabe soll jedoch gerade unabhängig von dieser Entscheidung fällig werden. Als Gebühr käme daher lediglich ein zu zahlender Betrag für die tatsächlich in Anspruch genommene Nutzung, bspw. eine Fahrt mit dem Bus, in Betracht, was jedoch gerade nicht der hier verfolgten Idee entspräche. 18 Pahlke in Pahlke/König, Kommentar zur Abgabenordnung, 2. Aufl. 2009, § 3 Rn. 41. 19 Vgl. § 4 Abs. 2 BbgKAG (Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg), § 4 Abs. 2 NwKAG (Kommunalabgabengesetz des Landes Nordrhein-Westfalen). 20 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage 2010, § 3 Rn. 20. 21 BVerfG, Beschluss vom 06.02.1979 - 2 BvL 5/76, BVerfGE 50, 217, 227; BVerfG, Beschluss vom 12.02.1992 - 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337, 346; BVerfG, Beschluss vom 10.3.1998 - 1 BvR 178–97, BVerfGE 97, 332, 345. 22 Ebd. 23 Wilms, „Die Entlastung der Innenstädte vom Individualverkehr – Abgaben und andere Geldleistungspflichten als Mittel zur Verkehrslenkung“ Band 2: Die Pendler- und Großveranstaltungsabgabe, 1994, S. 42. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 10 4.3. ÖPNV-Abgabe als Beitrag Darüber hinaus können Abgaben grundsätzlich als Beiträge erhoben werden. Beiträge zählen wie die Gebühren zu den Vorzugslasten, das heißt ihre Erhebung ist mit der Gewährung eines Vorteils verbunden. Im Gegensatz zur Gebühreneinziehung bedarf es bei der Beitragspflicht keiner tatsächlichen Inanspruchnahme der Gegenleistung, es genügt vielmehr, dass der Beitragsgläubiger dem Beitragsschuldner die Möglichkeit zur Inanspruchnahme bietet.24 Insofern ist es grundsätzlich denkbar, die ÖPNV-Abgabe als Beitrag auszugestalten. Für die Kompetenz der Länder hinsichtlich der Ermächtigung der Gemeinden zur Erhebung eines ÖPNV-Beitrags gilt das zur Gesetzgebungskompetenz der Länder bezüglich der Erhebung einer ÖPNV-Gebühr unter 4.2. Gesagte. Die Länder bestimmen nach dem Regionalisierungsgesetz die Zuständigkeiten im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs selbst. Diesem Auftrag sind die Länder in ihren jeweiligen ÖPNV-Gesetzen nachgekommen. Da die Gemeinden nach den ÖPNV-Gesetzen der Länder, wie unter 4.2. bereits erörtert, für die Sicherstellung einer ausreichenden Ausstattung eines Gebietes mit einem öffentlichen Personennahverkehrsangebot (mit Ausnahme des Schienenpersonennahverkehrs) zuständig sind, wären diese aufgrund der notwendigen Äquivalenz von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung auch für die Erhebung eines ÖPNV-Beitrags zuständig. Für die Erhebung eines ÖPNV-Beitrags von allen potentiellen Nutzern der Nahverkehrseinrichtungen bedürfte es neben der Zuständigkeit auch einer rechtlichen Grundlage. Als Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung kommen die Kommunalabgabengesetze (KAG) der Länder in Betracht. Danach sind Beiträge hoheitlich zur Finanzbedarfsdeckung auferlegte Aufwendungsersatzleistungen für die Herstellung, Anschaffung oder Erweiterung öffentlicher Einrichtungen und Anlagen sowie für die Verbesserung von Straßen, Wegen und Plätzen25, nicht jedoch für deren laufende Unterhaltung. Auch hier finden sich Legaldefinitionen in den jeweiligen Kommunalabgabegesetzen selbst. Das nordrhein-westfälische und das brandenburgische KAG definieren Beiträge nach § 8 Abs. 2 S. 1 NwKAG bzw. § 8 Abs. 2 S. 1 BbgKAG als „Geldleistungen , die dem Ersatz des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Erneuerung und Verbesserung öffentlicher Einrichtungen und Anlagen … oder Teilen davon, jedoch ohne die laufende Unterhaltung und Instandsetzung, dienen“. Nach § 8 Abs. 2 S. 2 BbgKAG bzw. NwKAG können solche Erschließungsbeiträge von den Grundstückseigentümern erhoben werden. § 7 Abs. 2 S. 1 des rheinlandpfälzische Kommunalabgabengesetz (RPKAG) sieht indes vor, dass darüber hinaus auch dinglich Nutzungsberechtigte oder Gewerbetreibende, denen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von öffentlichen Einrichtungen oder Anlagen ein Vorteil entsteht, als Beitragsschuldner in Anspruch genommen werden können. 24 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage 2010, § 3 Rn. 23; Birk, Steuerrecht, 14. Aufl. 2011, § 2 Rn. 118. 25 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage 2010, § 3 Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 11 Teilweise ist nur die einmalige Beitragserhebung von den Landeskommunalabgabengesetzen gedeckt , während einige Bundesländer grundsätzlich auch die Finanzierung der laufenden Kosten der öffentlichen Einrichtung oder Anlage durch wiederkehrende Beiträge erlauben26. Inwieweit das Kommunalabgabengesetz des jeweiligen Bundeslandes die Erhebung eines ÖPNV- Beitrags tragen würde, hängt daher insbesondere von folgenden vier Voraussetzungen ab: Der ÖPNV müsste als öffentliche Einrichtung im Sinne des jeweiligen Kommunalabgabengesetzes gelten. Weiterhin müsste das Gesetz auch die Finanzierung von laufenden Kosten durch die Erhebung von Beiträgen vorsehen. Darüberhinaus dürften als Abgabeschuldner nicht nur Grundstückseigentümer geeignet sein und schließlich müsste das Kommunalabgabengesetz nicht nur die einmalige, sondern auch die wiederkehrende Erhebung des Beitrags gestatten. 4.3.1. Öffentliche Einrichtung Fraglich ist zunächst, ob es sich beim ÖPNV um eine öffentliche Einrichtung im Sinne der Kommunalabgabengesetze handelt. Dies ist zu bejahen. Eine öffentliche Einrichtung ist dann gegeben, wenn die Gemeinde mit dieser Einrichtung (als Folge gesetzlicher Verpflichtung oder freiwillig) eine in ihren Wirkungskreis fallende Aufgabe erfüllt und demgemäß die Einrichtung den Gemeindeeinwohnern zur Benutzung zur Verfügung stellt27. Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Einrichtung eine öffentliche Einrichtung ist: Zum einen muss sie im allgemeinen Interesse betrieben werden, und sie muss zur allgemeinen Benutzung offen stehen.28 Für eine öffentliche Einrichtung ist daher kennzeichnend, dass die Gemeindeeinwohner einen Anspruch auf Zulassung zu der öffentlichen Einrichtung (Benutzung) haben.29 Der ÖPNV wird von den Gemeinden im öffentlichen Interesse betrieben und er steht der Öffentlichkeit unter Berücksichtigung der Beförderungsbedingungen zur Benutzung zur Verfügung. Damit erfüllen die Gemeinden ihren Auftrag nach § 1 Abs. 1, 2 RegG in Verbindung mit den ÖPNV-Gesetzen der Länder (z.B. § 3 Abs. 3 S. 1 ÖPNV-Gesetz des Landes Brandenburg), wonach die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung im öffentlichen Personennahverkehr einschließlich des Ausbildungsverkehrs freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte (Gemeinden) ist. 26 Z.B.: § 7 Abs. 2 S. 2 RPKAG. 27 OVG Münster, Urteil vom 23.10.1968 - 3 A 1522/64, OVGE 24, 175, 179. 28 Habermann in Habermann/Arndt, Kommunalabgabengesetz des Landes Schleswig-Holstein, April 2007, § 4 Rn. 42ff. 29 OVG NRW, Urteil vom 23.10.1968 - 3 A 1522/64, OVGE 24, 175, 179. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 12 4.3.2. Investitionsaufwand Bei der intendierten ÖPNV-Abgabe geht es in erster Linie um die Deckung der laufenden Kosten, die durch den Betrieb der Einrichtungen entstehen. Viele Kommunalabgabengesetze30 schließen diesen Finanzierungsaufwand jedoch gerade vom Anwendungsbereich der Ermächtigungsgrundlagen zur Erhebung von Beiträgen aus. Sofern nach dem KAG Beitragserhebungen nur zur Refinanzierung von Investitionen im Rahmen der Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Erneuerung und Verbesserung der Einrichtung möglich sind, steht der Wortlaut des Gesetzes einer Anwendung auch auf die Finanzierung der laufenden Kosten entgegen.31 Ein ÖPNV-Beitrag käme in diesen Bundesländern gleichwohl in Betracht, wenn die Erhebung beispielsweise mit dem Ausbau des Nahverkehrsnetzes oder der Anschaffung weiterer Transportmittel einherginge (vgl. insoweit das Beispiel der brandenburgischen Stadt Templin32). Die Beitragserhebung würde jedoch zu dem Zeitpunkt ihre Legitimität verlieren, in dem die Kosten für den Ausbau refinanziert wären. 4.3.3. Wiederkehrende Beiträge Wenn die Erhebung eines ÖPNV-Beitrags der Deckung des laufenden Finanzierungsaufwandes dienen soll, ist Voraussetzung, dass das jeweilige KAG eine wiederkehrende Beitragserhebung gestattet. Grundsätzlich gilt im Kommunalabgabenrecht jedoch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung33, der besagt, dass ein einmal entstandener Beitrag für dieselbe Maßnahme nicht zu anderer Zeit und in anderer Höhe für dasselbe Grundstück noch einmal entstehen kann. Beiträge, die der Refinanzierung von Investitionsaufwand dienen, dürfen daher grundsätzlich nicht periodisch erhoben werden. Einige Bundesländer sehen jedoch auch unter bestimmten Voraussetzungen eine wiederkehrende Beitragserhebung vor, um gerade diejenigen Kosten zu decken , die durch die öffentliche Einrichtung entstehen34. Insofern hängt die Zulässigkeit zur Erhebung wiederkehrender Beiträge vom Willen des Gesetzgebers ab. 4.3.4. Kreis der Abgabeschuldner Ein weiteres Problem stellt jedoch der in den Kommunalabgabengesetzen definierte Kreis der Beitragsschuldner dar. Nach dem bereits angeführten § 8 Abs. 2 S. 2 NwKAG können die Beiträge 30 Z.B. NwKAG, BbgKAG und das bayerische KAG (BayKAG). 31 Anders: Krönes, der in Hinblick auf die öffentlichen Verkehrsdienste auch den finanziellen Aufwand für das betriebliche Angebot als im Investitionsaufwand enthalten sieht (Krönes, „Nahverkehrsabgabe – ein Ausweg aus der Finanzierungsproblematik im öffentlichen Nahverkehr?“, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU) Band 14, Heft 2,1991, S. 142-155, 151.). 32 „Schwarzfahren lohnt sich“, Spiegel vom 11. Mai 1998, am 27. November letztmalig abgerufen unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7891335.html. 33 OVG Greifswald, Urt. vom 15.03.1995 – 4 K 22/94, DVBl 1995 S.1146. 34 So bspw.: § 7 Abs. 2 S.2 RPKAG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 13 beispielsweise nur von den Grundstückseigentümern bzw. dinglich Nutzungsberechtigten erhoben werden. Die ÖPNV-Abgabe soll jedoch gerade alle Anwohner, also auch die Mieter mit einer Zahlungspflicht belegen. Dies widerspricht dem Wortlaut der Norm. Ob eine analoge Anwendung auch auf einen erweiterten Kreis der Beitragsschuldner möglich ist, ist fraglich.35 Die hier intendierte dauerhafte abgabefinanzierte kostenlose Bereitstellung der Nahverkehrsdienstleistungen im Rahmen einer auf das geltende Kommunalabgabengesetz gestützten Beitragserhebung scheitert daher an der in allen Kommunalabgabengesetzen vorgesehenen Reduzierung der möglichen Abgabenschuldner auf Grundstückseigentümer. 4.3.5. Ergebnis Derzeit gibt es keine gesetzliche Grundlage, die zur Erhebung eines ÖPNV-Beitrags ermächtigt. Insbesondere kann eine solche Inanspruchnahme der Einwohner nicht auf die Kommunalabgabengesetze der Länder gestützt werden. Die in den Kommunalabgabengesetzen getroffenen Definitionen stehen jedoch lediglich einer Erhebung von Beiträgen auf der Grundlage dieser Gesetze entgegen. Für die Landesgesetzgeber besteht jedoch die Möglichkeit, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen , die die Erhebung eines ÖPNV-Beitrags legitimiert. Die Landesgesetzgebungskompetenz ergibt sich aus § 1 Abs. 2, § 3 RegG i. V. m. den ÖPNV-Gesetzen der Länder36. Grundsätzlich steht der finanzverfassungsrechtlichen Einordnung der ÖPNV-Abgabe als Beitrag nichts entgegen.37 Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass der tatsächlich erhobene Beitrag aufgrund der Maßgabe des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG nach dem Vorteil bemessen werden muss, den der Beitragsschuldner durch die Bereitstellung der öffentlichen Einrichtung hat.38. Mit einem ÖPNV-Beitrag dürfen daher nicht, wie es das intendierte Modell vorsieht, alle Einwohner belastet werden. Stattdessen müssten objektive Kriterien herangezogen werden, nach denen der zu entrichtende Beitrag (gruppen)individuell nach dem jeweiligen potentiellen Nutzen berechnet wird.39 35 Bejahend: Krönes, „Nahverkehrsabgabe – ein Ausweg aus der Finanzierungsproblematik im öffentlichen Nahverkehr ?“, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU) Band 14, Heft 2,1991, S. 142-155, 151. 36 Die Landesregierung Baden-Württembergs überprüft derzeit (Stand 27. November 2012) die rechtliche Möglichkeit einer solchen Beitragserhebung durch die Kommunen, siehe auch: „Schokolade für alle“, Der Spiegel 16/2012, letztmalig abgerufen am 27. November 2012 unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d- 85065918.html. 37 Auch Studiengebühren sind finanzverfassungsrechtlich als Beiträge einzuordnen, die aufgrund von neu geschaffenen Studienbeitragsgesetzen der Länder erhoben werden dürfen, ohne unter die Definition der Kommunalabgabengesetze der Länder zu fallen. 38 BVerfG, 20.05.1959 - 1 BvL 1/58; 1 BvL 7/58, BVerfGE 9, 291, BB 1959, 661; Zum Zweck des Vorteilsausgleichs bei der Erhebung von Studienbeiträgen: BVerwG Urteil vom 29.04.2009 - 6 C 16.08, NVwZ 2009, 1562, 1563. 39 BVerfG, 20.05.1959 - 1 BvL 1/58; 1 BvL 7/58, BVerfGE 9, 291, BB 1959, 661. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 14 4.4. ÖPNV-Abgabe als Sonderabgabe Neben den Steuern einerseits und den Vorzugslasten (Gebühren und Beiträgen) andererseits gibt es einen weiteren von der Rechtsprechung bestätigten40 Abgabentyp, dessen Erhebung aufgrund seiner Haushaltsflüchtigkeit und seiner Systemwidrigkeit nur in sehr engen Grenzen zulässig ist. Diese sogenannten Sonderabgaben werden den Abgabepflichtigen, wie die Steuern, ebenfalls ohne Gegenleistung auferlegt. Im Unterschied zur Steuer, werden Sonderabgaben jedoch nur von einer bestimmten von der Allgemeinheit abgrenzbaren Gruppe erhoben und dienen nicht der allgemeinen Deckung des Finanzbedarfs, sondern der Finanzierung besonderer Aufgaben, die nicht von den Haushaltsplänen erfasst sind41. Der typische Fall der Sonderabgabe ist, dass ein bestimmter Zweck finanziert werden soll, der jedoch vor allem aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes nicht aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden kann, da die Finanzierung bestimmungsgemäß Vorteile für bestimmte Gruppen mit sich bringt, die es ungerecht erscheinen lassen, die Allgemeinheit dafür aufkommen zu lassen.42 Sonderabgaben sind keine Steuern im Sinne der Finanzverfassung des Grundgesetzes. Die Gesetzgebungskompetenz zur Erhebung ergibt sich somit nicht aus den Art. 104a ff GG, sondern ist als Annexkompetenz der jeweiligen Sachgesetzgebungskompetenz aus Art. 70 ff GG zu entnehmen .43 Begründet wird die Zulässigkeit einer Sonderabgabe im Wesentlichen mit der besonderen Sachverantwortung der Belasteten für die finanzierte Aufgabe.44 Die Rechtsprechung differenziert zwischen Sonderabgaben mit Finanzierungszweck, die Belastungen innerhalb eines bestimmten Wirtschaftszweiges ausgleichen sollen und Sonderabgaben mit Lenkungsfunktion, die das Ziel haben, ein bestimmtes Verhalten der Abgabepflichtigen hervorzurufen oder zu sanktionieren. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Erhebung bestimmen sich nach dem individuellen Schwerpunkt der Zielsetzung der Sonderabgabe.45 Zwar soll die ÖPNV-Abgabe als Nebeneffekt auch dazu beitragen, dass mehr Menschen den ÖPNV nutzen (können) und der Verkehr und die Umwelt entlastet werden. Der zweckmäßige Schwerpunkt ist hier jedoch in der Finanzierung des ÖPNV und nicht in der Verhaltenslenkung zu sehen. 40 Ausführlich: BVerfGE 55, 274. 41 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage 2010, § 3 Rn. 24. 42 Wilms, „Die Entlastung der Innenstädte vom Individualverkehr – Abgaben und andere Geldleistungspflichten als Mittel zur Verkehrslenkung“ Band 2: Die Pendler- und Großveranstaltungsabgabe, 1994, S. 42. 43 BVerfGE 101, 141, 148, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2000, 307, 308. 44 Kube in Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar (BeckOK) GG, 1. Oktober 2010, Art. 105 GG, Rn.16. 45 Birk, Steuerrecht, 14. Aufl. 2011/12, § 2 A I 3 Rn. 125. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 268/12 Seite 15 4.4.1. Allgemeine Voraussetzungen Im Folgenden werden die ursprünglich vom BVerfG entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhebung von Sonderabgaben dargestellt. Da Sonderabgaben aufgrund ihrer finanzverfassungsrechtlichen Bedenklichkeit gegenüber Steuern die Ausnahme bilden sollen, sind die Zulässigkeitskriterien dabei restriktiv auszulegen: Verfolgung eines Sachzwecks, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht Belastung einer homogenen Gruppe, die von der Allgemeinheit abgrenzbar ist Verantwortung der Gruppe für die Erfüllung der Aufgabe (Gruppenverantwortung) Verwendung des Abgabeaufkommens muss die Gruppe begünstigen (gruppennützige Verwendung). Darüber hinaus, muss die Sonderabgabe periodisch legitimiert werden. 4.4.2. Ergebnis Bei dem hier intendierten Modell einer ÖPNV-Abgabe, die von allen Einwohnern eines ÖPNV- Einzugsgebietes, unabhängig vom Nutzungswillen, bzw. der Nutzungsmöglichkeit oder einer tatsächlichen Inanspruchnahme, erhoben wird, mangelt es bereits am Vorliegen einer homogenen Gruppe, die von der Allgemeinheit abgrenzbar ist. Durch dieses Zulässigkeitskriterium soll gerade verhindert werden, dass die Allgemeinheit zur Finanzierung einer Einrichtung herangezogen wird, die jedoch nur einer bestimmten Gruppe zugute kommt. Der Gesetzgeber soll es nicht in der Hand haben, Individuen per Gesetz zu einer Gruppe zu konstruieren und von diesen anschließend eine Sonderabgabe zu verlangen, um die Voraussetzungen einer Steuererhebung zu umgehen. Auch ist es nicht möglich auf die tatsächlichen Nutzer des ÖPNV als homogene Gruppe abzustellen , da insofern nur eine Gebührenerhebung zur Finanzierung in Betracht kämen, welche jedoch nicht von dem Zweck des intendierten Modells getragen wäre, sondern im Endeffekt einer Fahrscheinpflicht gleichkäme. Darüberhinaus wäre die Erhebung einer Sonderabgabe aufgrund der nicht festzustellenden besonderen Gruppenverantwortung für den mit einer ÖPNV-Abgabe verfolgten Zweck und der Maxime , die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Sonderabgaben restriktiv auszulegen, ohnehin nur unter Berücksichtigung der für Sonderabgaben mit Lenkungszweck gelockerten Zulässigkeitsvoraussetzungen als solche denkbar.46 46 Ähnlich: Kalbow, „Wirkungsanalyse des Nulltarifs im ÖPNV am Beispiel der Stadt Darmstadt“, 2001, S. 92.