Deutscher Bundestag Sondervermögen des Bundes und Budgetrecht des Parlaments am Beispiel der Vereinbarung zum Atomkompromiss Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 – 231/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 231/10 Seite 2 Sondervermögen des Bundes und Budgetrecht des Parlaments am Beispiel der Vereinbarung zum Atomkompromiss Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 4 – 3000 – 231/10 Abschluss der Arbeit: 14.09.2010 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 231/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund 4 2. Grundsatz der Haushaltseinheit und der -vollständigkeit 4 3. Sondervermögen des Bundes 4 4. Besondere Anforderungen an Sonderabgaben 6 5. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 231/10 Seite 4 1. Hintergrund In der vom Bund, den Energieversorgungsunternehmen und den Kernkraftwerk-Betreibergesellschaften (KKW-Betreibergesellschaften) getroffenen Vereinbarung zum Atomkompromiss1 erklären sich die Energieversorgungsunternehmen bereit, „nach Maßgabe und unter den Voraussetzungen dieses Vertrages aus den durch eine Laufzeitverlängerung erzielten Erträgen einen Förderbeitrag zur Förderung der nachhaltigen Energieversorgung, insbesondere erneuerbarer Energien , der Speichertechnologie und Energieeffizienz sowie von Kraft-Wärme-Kopplung […] zu leisten“. Dazu ist u.a. vereinbart, dass für „jede ab 2017 von einer KKW-Betreibergesellschaft aus der Laufzeitverlängerung in das Netz zusätzlich gespeiste Megawattstunde […] die KKW-Betreibergesellschaft im gleichen Jahr einen Förderbeitrag an ein Sondervermögen des Bundes zur Finanzierung von Fördermaßnahmen zur Umsetzung des Energiekonzeptes („Fonds“)“ leistet. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Bildung eines Fonds für die Einzahlung eines Förderbeitrags der Atomwirtschaft für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken das Budgetrecht des Bundestages verletzen kann. 2. Grundsatz der Haushaltseinheit und der -vollständigkeit Zentrale Vorschrift des parlamentarischen Budgetrechts ist Art. 110 Grundgesetz (GG), der verschiedene haushaltsrechtliche Grundsätze festschreibt. Die Kompetenz zur Feststellung des Haushaltsplans steht danach ausschließlich dem Gesetzgeber zu (parlamentarisches Budgetrecht ). Die Grundsätze der Vollständigkeit des Haushaltsplanes und der Grundsatz der Haushaltseinheit füllen dieses Budgetrecht aus. Mit dem Grundsatz der Haushaltseinheit soll eine umfassende Übersicht über die Bundesfinanzen erreicht werden. Dieser Zweck lässt sich nur so erfüllen , dass die Einnahmen und Ausgaben des Bundes in einem einzigen Haushaltsplan zu veranschlagen sind2. Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit sind im Haushaltsplan alle im Haushaltsjahr voraussichtlich zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben zu veranschlagen, so dass keine voraussichtliche Einnahme oder Ausgabe bewusst außer Ansatz bleiben darf3. Das Vollständigkeitsprinzip soll daher eine umfassende Kontrolle der Planung sichern4. Andere als die in Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG genannten Nebenhaushalte (Bundesbetriebe und Sondervermögen ) sind unzulässig5. 3. Sondervermögen des Bundes Ausweislich der Formulierung in der Vereinbarung zum Atomkompromiss soll für die von den KKW-Betreibergesellschaften geleisteten Förderbeiträge ein „Sondervermögen des Bundes“ errichtet werden. Sondervermögen des Bundes sind abgesonderte Teile des Bundesvermögens, die 1 Abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/__Anlagen/2010/2010-09-09-foerderfondsvertrag ,property=publicationFile.pdf. 2 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 57. Aufl., München 2010, Art. 110 Rn. 39; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), Art. 110 GG Rn. 19. Daher dürfen für die Rechnungsperiode nicht zwei oder mehrere Haushaltspläne aufgestellt oder Teile des Haushaltsplans verselbständigt werden. Der Grundsatz der Haushaltseinheit verbietet (ebenso wie das Gebot der Vollständigkeit) die Bildung von sog. Schattenhaushalten. 3 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 57. Aufl., München 2010, Art. 110 Rn. 28. 4 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), Art. 110 GG Rn. 19; daher besteht ein striktes Verbot „schwarzer Kassen“, vgl. Reimer, in: Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: 01.06.2010), Art. 110 Rn. 24. 5 Reimer, in: Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: 01.06.2010), Art. 110 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 231/10 Seite 5 ausschließlich zur Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben des Bundes bestimmt sind und daher von dem sonstigen Bundesvermögen getrennt verwaltet werden6. Da sie einer eigenständigen Wirtschafts- und Rechnungsführung bedürfen, sind Sondervermögen zwangsläufig außerhalb des Bundeshaushalts zu bewirtschaften7. Ihre Einnahmen und Ausgaben sind zwar solche des Bundes , werden aber außerhalb des Bundeshaushalts bewirtschaftet. Diese Rechtsfolge bedingt eine Ausnahme von den Verfassungsprinzipien der Vollständigkeit und der Einheit des Haushaltsplans 8. Wegen dieser „Haushaltsflüchtigkeit“9 unterliegt die Errichtung von Sondervermögen engen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Sondervermögen sind durch „angemessene legitimations-, öffentlichkeits- und koordinationsrestituierende Verfahrensweisen“ an den Bundeshaushalt rückzubinden10 und dürfen nur durch Gesetz errichtet werden11. Sie sind ihrerseits über publizitätswirksame Haushaltspläne, Wirtschaftspläne o.Ä. zu bewirtschaften12. Für die Aufstellung und Ausführung der Haushalte von Sondervermögen gelten dementsprechend über § 113 Satz 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO) die Vorschriften der BHO. Aus § 113 Satz 1 BHO folgt, dass für jedes Sondervermögen ein eigener Haushalts- oder Wirtschaftsplan nach den allgemeinen Haushaltsgrundsätzen aufzustellen ist, der von dem hierfür bestimmten Organ festgestellt wird13. Durch § 113 Satz 2 BHO ist gewährleistet , dass alle Sondervermögen des Bundes der Prüfung durch den Bundesrechnungshof unterliegen 14. Insbesondere sind nach § 26 Abs. 2 BHO über die Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen der Sondervermögen Übersichten dem Haushaltsplan als Anlage beizufügen oder in die Erläuterungen aufzunehmen15. Sondervermögen werden errichtet, wenn zweckgebundene Einnahmen und die aus ihnen zu bestreitenden – nicht aber zur allgemeinen Haushaltsfinanzierung dienenden – Ausgaben zu revolvierenden Fonds zusammengefasst und mit dem funktionalen Zweck einer besseren – effizienteren – Erfüllung der mit den Fondsmitteln zu finanzierenden Bundesaufgaben aus dem Bundeshaushalt ausgegliedert werden. Da eine gesetzliche Zweckbindung von Einnahmen an sich auch innerhalb des Bundeshaushalts sichergestellt werden kann, müssen wohlerwogene Gründe vorliegen , die eine Ausgliederung der Fondsmittel aus dem Bundeshaushalt rechtfertigen16. Solche 6 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), § 113 BHO Rn. 1. 7 Gröpl, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 110 Rn. 99; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), § 113 BHO Rn. 1. Ein Sondervermögen hat stets einen eigenen Haushalt, §§ 26 Abs. 2, 113 Satz 1 BHO. 8 Eibelshäuser/Wallis, in: Heuer/Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht (49. EL, April 2010), § 113 BHO Rn. 1. 9 Reimer, in: Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: 01.06.2010), Art. 110 Rn. 32. 10 Gröpl, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 110 Rn. 99. 11 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), § 113 BHO Rn. 1; Gröpl, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 110 Rn. 99. 12 Gröpl, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 110 Rn. 99. 13 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), § 113 BHO Rn. 2. 14 In seinen jährlichen Bemerkungen nach § 97 BHO berichtet der Bundesrechnungshof regelmäßig im Rahmen der „Feststellungen zur Haushalts- und Vermögensrechnung sowie zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung des Bundes“ auch über die Sondervermögen, vgl. Eibelshäuser/Wallis, in: Heuer/Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht (49. EL, April 2010), § 113 BHO Rn. 1. 15 In der Praxis geschieht diese jedoch regelmäßig nur für die Sondervermögen, bei denen Zuführungen oder Ablieferungen erwartet werden, Eibelshäuser/Wallis, in: Heuer/Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht (49. EL, April 2010), § 113 BHO Rn. 1. 16 Gröpl, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 110 Rn. 99. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 231/10 Seite 6 Gründe können insbesondere dann anzunehmen sein, wenn die mit den Fondsmitteln zu finanzierende Aufgabe besser durch Verwaltung außerhalb des Bundeshaushalts als durch Veranschlagung innerhalb des Bundeshaushalts erfüllt werden kann17. Nach Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG bezieht sich bei Sondervermögen das Budgetrecht des Parlaments auf die Zuführungen vom oder die Ablieferungen an den Bundeshaushalt. Nur diese sind in den Bundeshaushalt einzustellen. Allen Sondervermögen ist somit gemein, dass sie ein „Eigenleben“ außerhalb des Bundeshaushalts führen, mit dem sie allenfalls noch dadurch verbunden sind, dass er ihnen Zuschüsse zuführt oder von ihnen Ablieferungen erhält18. Mit Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Verselbständigung werden für Sondervermögen daher zwar in der Regel eigene Wirtschaftspläne aufgestellt, die gegenüber dem Haushaltsplan des Bundes Sonderhaushaltspläne darstellen und insofern vom Prinzip der Einheit des Bundeshaushaltsplans abweichen . Die Verbindung zwischen diesen Spezialbudgets des Bundes und dem eigentlichen Bundeshaushalt wird jedoch durch die Zuführungen des Bundeshaushalts an diese Einrichtungen oder die Ablieferungen der Bundesbetriebe und Sondervermögen als Einnahmen des Bundeshaushaltsplans gewahrt19. 4. Besondere Anforderungen an Sonderabgaben Im Gegensatz zu Zahlungsverpflichtungen aus einer Vereinbarung zwischen der öffentlichen Hand und den Unternehmen handelt es sich bei öffentlichen Abgaben um die von einem Hoheitsträger kraft öffentlichen Rechts auferlegten Geldleistungspflichten, die ein Gemeinwesen mit Finanzkraft ausstatten sollen20. Zahlungen auf Grund öffentlich-rechtlichen Vertrages sowie freiwillig erbrachte Zahlungen gehören nicht zu den öffentlichen Abgaben, da es sich bei ihnen nicht um einseitig durch die öffentliche Hand festgesetzte und damit nicht um auferlegte Leistungsverpflichtungen handelt21. Sollte die Finanzierung des Fonds jedoch durch eine kraft öffentlichen Rechts auferlegte Geldleistungspflicht erfolgen, läge eine Sonderabgabe vor, für die die folgenden Grundsätze gelten: Bei der Sonderabgabe handelt es sich um ein Finanzierungsmittel für eine öffentliche Aufgabe, die außerhalb der Finanzverfassung des Grundgesetzes steht. Typisch für sie ist, dass ihr Aufkommen nicht in den Haushaltsplan eingestellt wird, sondern in einen „Parafiskus“ fließt22. Belastet werden die Angehörigen einer bestimmten Gruppe, nicht hingegen die Allgemeinheit der Steuerzahler23. Wegen der Gefährdung des Budgetrechts des Parlaments sind Sonderabgaben nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig24: 1. Die Sonderabgabe ist nur zur Verfolgung eines Sachzwecks zulässig, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht25. In dem Gesetz muss auch die gestaltende Einflussnahme auf den geregelten Sachbereich zum Ausdruck kommen. 17 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), § 113 BHO Rn. 1. 18 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), § 113 BHO Rn. 1. 19 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 57. Aufl., München 2010, Art. 110 Rn. 34. 20 Henneke, in: Praxis der Kommunalverwaltung: Finanzverfassung, E 1 Bund, 5.1. 21 Henneke, in: Praxis der Kommunalverwaltung: Finanzverfassung, E 1 Bund, 5.1. 22 Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., Köln 2010, § 3 Rn. 24. 23 Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., Köln 2010, § 3 Rn. 24. 24 Dazu BVerfGE 55, 274, 298 ff.; 67, 256, 275 ff.; 82, 159, 179 ff. 25 Birk, Steuerrecht, 12. Aufl., Heidelberg 2009, Rn. 124 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 231/10 Seite 7 2. Die einen Sachbereich gestaltende Sonderabgabe darf nur eine homogene Gruppe, die durch eine vorgegebene Interessenlage abgrenzbar ist, in Finanzverantwortung nehmen. Es bedarf einer spezifischen Sachnähe der Abgabepflichtigen zu der zu finanzierenden Aufgabe26. 3. Die belastete Gruppe muss dem verfolgten Zweck evident näherstehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler und muss eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der zu finanzierenden Aufgabe haben. Die Zulässigkeit einer Sonderabgabe auf Atomstrom setzt daher u.a. voraus, dass mit der Abgabe Ziele in der Atom- oder sonstigen Energiewirtschaft – hier u.a.: Ausbau erneuerbarer Energien – verfolgt werden. Die Atomwirtschaft müsste für die Erfüllung des Finanzierungszwecks eine besondere Gruppenverantwortung – etwa hinsichtlich des Rückbaus von Kraftwerken – tragen. 5. Fazit Die Errichtung eines Sondervermögens des Bundes zur Finanzierung von Fördermaßnahmen zur Umsetzung des Energiekonzepts ist zulässig, wenn die dargestellten gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Wird der Förderbeitrag nicht lediglich vertraglich zwischen den Parteien der Vereinbarung festgelegt, sondern den KKW-Betreibergesellschaften durch einen Hoheitsakt auferlegt, sind die besonderen Anforderungen, die an Sonderabgaben gestellt werden, zu beachten. 26 Birk, Steuerrecht, 12. Aufl., Heidelberg 2009, Rn. 124 m.w.N.