Deutscher Bundestag Solvency II Kritikpunkte aus Unternehmens- und Verbrauchersicht hinsichtlich der Solvency II-Richtlinie Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 – 220/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 2 Solvency II Kritikpunkte aus Unternehmens- und Verbrauchersicht hinsichtlich Solvency II Verfasser: Aktenzeichen: WD 4 – 3000 – 220/12 Abschluss der Arbeit: 15. Oktober 2012 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Bisherige Entwicklung und aktueller Stand 4 3. Wiederkehrende Kritikpunkte an den geplanten Regelungen 6 3.1. Aus Sicht der Versicherungsunternehmen 6 3.2. Aus Sicht der Verbraucher / Versicherten 9 3.3. Auswirkungen aus volkswirtschaftlicher Sicht 11 3.4. Kritik der Arbeitgeberverbände 11 3.5. Weitere interessenübergreifende Kritikpunkte: 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 4 1. Einführung Als Solvency II (Solvabilität II) wird die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 20091 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs - und Rückversicherungstätigkeit bezeichnet. Sie soll die Solvency I-Richtlinien (2002/13/EG und 2002/83/EG) und weitere elf Richtlinien ablösen, die derzeit auf europäischer Ebene die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Versicherungsaufsichtsrechts darstellen. Die Richtlinie reformiert das Versicherungsaufsichtsrecht vor allem hinsichtlich der Solvabilitätsvorschriften für die Eigenmittelaustattung von Versicherungen. Die Solvabilitätsspanne ist der Eigenkapitalbetrag, den ein Versicherungsunternehmen verpflichtet ist, gegen unvorhergesehene Ereignisse vorzuhalten, um u. a. Versicherungsnehmer vor den Folgen einer Insolvenz der Versicherung zu bewahren. Durch die Solvency II-Reform soll die Versicherungsaufsicht künftig am Grundsatz der risikobasierten Eigenmittelunterlegung orientiert sein, das jeweils vorzuweisende Solvenzkapital richtet sich zukünftig folglich nicht mehr ausschließlich nach der Prämien- bzw. der versicherten Schadenshöhe , sondern ist anhand eines europäischen Standardmodels oder eines genehmigten internen Models unter Berücksichtigung der Anlagerisiken zu berechnen. Die Regelungen in Solvency II, die die Solvabilitätsanforderungen betreffen, bilden als quantitative Anforderungen die sogenannte erste „Säule“ (Säule I) der Reform. Darüber hinaus enthält die Richtlinie Regelungen, die die qualitativen Anforderungen an das Risikomanagement betreffen (Säule II) und normiert ferner Berichterstattungspflichten der Versicherer, die die staatliche Aufsicht erleichtern sollen (Säule III). Ziel ist es, ein Aufsichtssystem zu schaffen, das risikobezogener, für Verbraucher transparenter, in der Anwendung flexibler und rechtstechnisch so strukturiert ist, dass die Vorschriften schneller an Veränderungen im Markt oder Entwicklungen in anderen Rechtsbereichen (Bilanzrecht, Gesellschaftsrecht etc.) angepasst werden können.2 2. Bisherige Entwicklung und aktueller Stand Solvenzanforderungen gibt es seit den siebziger Jahren. In der in den neunziger Jahren verabschiedeten "Dritten Generation der Versicherungsrichtlinien" wurde beschlossen, die EU- Solvenz-regeln zu überprüfen. Im Anschluss an diese Überprüfung wurde eine begrenzte Reform der Solvenzanforderungen vom Europäischen Parlament und vom Rat im Jahr 2002 beschlossen. Diese Reform ist als "Solvabilität I" oder „Solvency I“ bekannt. 1 am 2. Oktober 2012 abgerufen auf der Seite von EurLex unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:335:0001:0155:de:PDF 2 Solvency II-Übersicht, veröffentlich vom House of Finance der Goethe Universität Frankfurt, am 11. Oktober 2012 abgerufen unter http://www.hof.unifrankfurt .de/iversr/index.php?option=com_content&view=article&id=38&Itemid=212&lang=en Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 5 Während des Solvabilität I-Prozesses stellte sich heraus, dass eine grundlegendere und umfassendere Überprüfung der Solvenzanforderungen erforderlich war, die auch die Gesamtfinanzposition der Versicherungsunternehmen mit einbeziehen sowie die derzeitigen Entwicklungen auf dem Gebiet des Versicherungswesens, des Risikomanagements, der Finanzierungstechniken, der internationalen Rechnungslegung und aufsichtsrechtlicher Standards usw. berücksichtigen sollte . Im Juli 2007 legte die Kommission einen ersten Richtlinienentwurf vor. Dieser bedurfte weiterer Überarbeitungen, da zwischenzeitlich eine Richtlinie über Erwerb und Erhöhung von Beteiligungen im Finanzsektor sowie hinsichtlich der Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) erlassen worden war. Im Februar 2008 wurde schließlich der endgültige Entwurf der Solvency II Richtlinie3 vorgelegt. Die Richtlinie wurde am 22. April 2009 im EU-Parlament und am 10. November 2009 vom Rat beschlossen. Die Veröffentlichung im Amtsblatt erfolgte am 17. Dezember 2009. In Kraft getreten ist sie am 6. Januar 2010. Ursprünglich galt für die Umsetzung der Solvabilität II Richtlinie eine Frist bis zum 31. Oktober 2012, mit der Omnibus II Richtlinie (2009/138/EC) betreffend der Fristen für die Umsetzung und für die Anwendung sowie der Frist für die Aufhebung bestimmter Richtlinien wurde das Fristende bereits auf den 30. Juni 2013 und die Anwendungsfrist auf den 1. Januar 2014 verschoben. Im September schlug die Kommission eine weitere Verschiebung von Solvency II auf Januar 2015 vor. Damit würde sich auch die Frist für die Implementierung der Vorschriften durch die Mitgliedstaaten um ein Jahr nach hinten, auf den 30. Juni 2014, verschieben. Dieser Termin soll den Aufsichtsbehörden und den Unternehmen ausreichend Zeit geben, den Start auf nationaler Ebene vorzubereiten. Die EU-Staaten müssen der Verschiebung zustimmen, das Parlament signalisierte bereits seine Bereitschaft dazu4. Auf nationaler Ebene erfolgt die Umsetzung der Solvency II Richtlinie vor allem in Form der Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Diesbezüglich liegt bereits ein Gesetzesentwurf (Entwurf des Zehnten Gesetzes zur Änderung des VAG5) der Bundesregierung vor. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet. 3 am 4. Oktober 2012 abgerufen auf der Internetseite der Europäischen Kommission unter http://ec.europa.eu/internal_market/insurance/docs/solvency/proposal_de.pdf 4 am 4. Oktober 2012 abgerufen auf der Internetseite der Europäischen Kommission unter http://ec.europa.eu/internal_market/insurance/solvency/latest/index_de.htm 5 Bundestags-Drs. 17/9342, am 11. Oktober 2012 abgerufen auf der Internetseite des Deutschen Bundestages unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/093/1709342.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 6 3. Wiederkehrende Kritikpunkte an den geplanten Regelungen Grundsätzlich ist man sich auf Verbraucher- und Unternehmerseite einig, dass es einer Reform des Versicherungsaufsichtsrechts bedarf. Unter Solvency I bestehen nach allen Auffassungen Wertungswidersprüche, die durch Solvency II ausgeglichen werden. Die Solvenzspanne müsse sich nach der Risikoexponierung und nicht wie nach Solvency I nach dem Prämien- und Schadensvolumen bemessen, da anderenfalls eine Erhöhung der Prämien durch eine Versicherung auch eine Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen begründe, obwohl sich die Risikotragfähigkeit durch Prämienerhöhungen vergrößere. Dennoch gibt es sowohl aus Sicht der Verbraucher als auch aus Sicht der Versicherungsunternehmen im Folgenden aufgeführte Kritikpunkte. Diese Kritikpunkte betreffen größtenteils unterschiedliche Regelungsgehalte der Richtlinie bzw. des Gesetzesentwurfs, weshalb von der Darstellungsweise der Problematik in Form einer Synopse abgesehen wurde. 3.1. Aus Sicht der Versicherungsunternehmen Die deutschen Versicherungsunternehmen erwarten erhebliche Schwierigkeiten im Hinblick auf die Umstellung des Berechnungs- und Aufsichtssystems. Sie fordern daher längere Übergangsfristen , um ihr jeweiliges Kapitalportfolio erhalten zu können. Weiterhin wird aus Sicht der Versicherungsunternehmen befürchtet, dass das Proportionalitätsprinzip im neuen Aufsichtsrecht keine ausreichende Berücksichtigung finde. Kleine und mittlere Versicherer dürften nach ihrer Auffassung nicht den gleichen Berichterstattungspflichten und Solvenzanforderungen unterliegen wie Großversicherer, da der personelle und der finanzielle Aufwand nicht im Verhältnis zu dem Zweck stünde, das Versicherungswesen zu stabilisieren. Vereinzelt wird insgesamt eine Reduzierung der Berichtspflichten gefordert. Der Gesamtverband der deutschen Versicherer (GdV) gibt zudem zu bedenken, dass Solvency II die besonderen Anforderungen von Lebensversicherungen nicht ausreichend beachtet hat. Auch die Besonderheiten des Versicherungsaufsichtsrechts hinsichtlich der Versicherungsgruppen würden durch die geplante nationale Umsetzung der Solven-cy II-Richtlinie nicht hinreichend anerkannt. Zudem wird die vollständige Einordnung der freien Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen (RfB) als Eigenmittel durch Solvency II befürwortet und die bisher im Regierungsentwurf zur VAG-Novelle vorgesehene vom Einzelfall abhängige Einordnung der RfB durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) dementsprechend kritisert. Auf die genannten Kritikpunkte wird im Folgenden näher eingegangen: Übergangsvorschriften und Umstellungsschwierigkeiten Solvency II ersetzt 13 Richtlinien, die bisher die versicherungsaufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen darstellen. Die neuen inhaltlichen Vorgaben praktisch umzusetzen, bedeutet für die Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 7 Versicherungsunternehmen weitgehende Umstellungen im IT- und EDV-Bereich und setzt eine Anpassung der internen Prozesse und Organisationsstrukturen an die neuen quantitativen Verfahren voraus. Wichtig sei daher ein umfassendes Übergangskonzept, dass die Nachhaltigkeit der Ausgaben sichert und Versicherer sowie Aufseher auf die neuen Regelungen vorbereite. Vor allem kleinere und mittlere Versicherungsunternehmen dürften aufgrund des erheblichen Umsetzungsaufwands zeitlich nicht überfordert werden und Verzögerungen im Rechtssetzungsprozess daher nicht auf Kosten der Übergangszeit erfolgen. Proportionalitätsprinzip in VAG-Novelle nicht ausreichend berücksichtigt Solvency II sieht zugunsten kleiner und mittlerer Versicherungsunternehmen mit weniger komplexen Risikoprofilen vereinfachte Methoden und Verfahren zur Solvenzkapitalermittlung und Berichterstattung vor. Proportional zum Umfang des Risikoprofils steigen daher auch die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an das Versicherungsunternehmen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es kleineren Versicherungsunternehmen nicht möglich ist, den durch Solvency II vorgesehenen umfangreichen Berichtspflichten und der notwendigen Informationsgewinnung gerecht zu werden. Versicherer befürchten jedoch, dass das Proportionalitätsprinzip in der nationalen Umsetzung nicht ausreichend Berücksichtigung findet. Zu hohe Anforderungen an die Berichterstattung Teilweise wird von der Versicherungswirtschaft kritisiert, dass die Berichtspflichten insgesamt zu umfangreich ausgestaltet sind und einer unbürokratischen und zweckmäßigen Arbeitsweise der Versicherungsunternehmen entgegenstehen. Unzureichende Berücksichtigung von Lebensversicherungen (langfristigen Garantien) Lebensversicherungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Kunden langfristige Garantien zusagen. Die Berechnung der Prämien für die Bereitstellung solcher langfristigen Garantien hängt Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 8 davon ab, welche Einschätzung der Zinsentwicklung man für die Zukunft zugrunde legt. Erfolgt die Einschätzung der Zinsentwicklung durch die Versicherungsaufsicht zu volatil, erschwert dies eine langfristige vernünftige Einschätzbarkeit des jeweils benötigten Solvenzkapitals.11 Auch die Finanzplatz München Initiative geht in einem Gutachten12 davon aus, dass insbesondere Lebensversicherungen unter den Anforderungen der Versicherungsaufsicht nach Solvency II leiden werden. Sie erwartet, dass die aufsichtsrechtlich geforderte Eigenmittelunterlegung der Versicherungen deutlich steigen wird. Gemäß der fünften quantitativen Auswirkungsstudie (QIS5) der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) werden die freien Eigenmittel durch Solvency II europaweit um 120 Mrd. Euro sinken. Bei Lebensversicherungen sei die negative Auswirkung auf die Eigenmittel am stärksten, da neben dem bereits erwähnten Zinsstruktureffekt bei derartigen Versicherungen außerdem der Umstand zum Tragen komme, dass langfristige Marktzyklen gar nicht oder nur in engen Grenzen berücksichtigt würden. Dies gelte insbesondere für die Bewertung des Kredit- und Bonitätsrisikos.13 Festlegung der Eigenmittelfähigkeit der RfB durch die BaFin Solvency II sieht vor, dass die nicht festgelegten RfB undifferenziert als Eigenmittel gelten und sich somit solvenzsteigernd auswirken. Dies macht es den Versicherungen leichter die Solvenzkapitalanforderungen zu erfüllen. Dementsprechend befürworten die Versicherungsunternehmen die bedingungslose Einordnung der RfB als Eigenmittel. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht jedoch vor, dass die Aufsichtsbehörde separat festlegen kann, welcher Teil der RfB eigenmittelfähig ist. Dies entspricht laut dem GdV nicht den Vorgaben der Richtlinie. Durch eine solche nationale Regelung würde die Risikotragfähigkeit der deutschen Lebensversicherer nachhaltig geschwächt14, da die Solvenzsumme durch die Abhängigkeit von der Beurteilung der BaFin insbesondere in Krisenzeiten weniger kalkulierbar wäre. Insbesondere warnen die Versicherer auch vor den negativen Auswirkungen dieser Einordnung auf die Verbraucher. Würden die nicht festgelegten RfB als Eigenmittel wegfallen, wären die Lebensversicherer gezwungen, das Angebot von langfristigen Garantien deutlich zu reduzieren und/oder das Eigenkapital aus ande- 11 Stellungnahme des GdV zum nicht öffentlichen Fachgespräch des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 25. Juni 2012 „Auswirkungen von Solvency II auf die Versicherungsbranche und die Finanzstabilität, S. 3. 12 Prof. Dr. Christian Kaserer (TU München): Solvency II und Basel III – Die Reform der europäischen Versicherungs - und Bankenregulierung und deren Auswirkung auf die Unternehmensfinanzierung – ein Gutachten im Auftrag der Finanzplatz München Initiative, Juni 2011 (abgerufen am 09.10.2012 unter http://www.fpmi.de/tl_files/fpmi/downloads/de/Gutachten_im_Auftrag_der_fpmi.pdf) 13 Prof. Dr. Christian Kaserer (TU München): Solvency II und Basel III, S. 4. 14 Stellungnahme des GdV zum Regierungsentwurf des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 08.05.2012, S. 8f (, abgerufen am 09.10.2012 unter http://www.gdv.de/2012/05/gdvstellungnahme -zum-regierungsentwurf-des-zehnten-gesetzes-zur-aenderung-des-versicherungsaufsichtsgesetzesvag /05_2012_vag_gdv_stellungnahme-2/?back=%2F2012%2F05%2Fgdv-stellungnahme-zumregierungsentwurf -des-zehnten-gesetzes-zur-aenderung-des-versicherungsaufsichtsgesetzes-vag%2F) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 9 ren Quellen massiv aufzustocken, was zwangsläufig zu einer Verteuerung der Garantien führen würde.15 Subgruppenaufsicht bei internationalen Versicherungsgruppen Solvency II harmonisiert die Regelungen hinsichtlich einer internationalen Gruppenaufsicht, die aufgrund ihrer dezentralisierten Organisationsstrukturen einer gesonderten Betrachtung bedürfen . Vorgesehen ist sowohl die Aufsicht auf der Ebene des obersten Mutterunternehmens als auch auf Ebene der jeweiligen Versicherung der Gruppe (Solo-Ebene). Durch die im Regierungsentwurf vorgesehene im Ermessen der Versicherungsaufsicht liegende Subgruppenaufsicht wird neben der Solo-Aufsicht und der Aufsicht auf Gruppenebene mindestens eine zusätzliche dritte Ebene der Beaufsichtigung für internationale Versicherungsgruppen mit Tochtergesellschaften in Deutschland eingeführt. Der GdV betrachtet dies als eine willkürliche Ausschnittsbetrachtung einer Gruppe, die der Steuerungs- und Risikosicht der Gruppe widerspricht und lehnt eine solche Subgruppenaufsicht ab. Die Gruppen müssten durch die Aufsicht als ökonomische Einheit betrachtet werden, damit sie nicht aufsichtsrechtlich mehr Kapital vorhalten müssten als ökonomisch notwendig ist.16 3.2. Aus Sicht der Verbraucher / Versicherten Verbraucher- und Versichertenvertreter befürchten vor allem mittelbare Auswirkungen von Solvency II auf die Verbraucherfreundlichkeit und Vielseitigkeit der Produktlandschaft im Versicherungsgewerbe . Auch kritisieren sie die nach Solvency II nun vorgesehene Gleichstellung der RfB mit Eigenkapital. Durch die Zulassung der Verwendung von internen Modellen zur Berechnung des benötigten Eigenkapitals erwartet man auf Verbraucherseite vielfach eine Umgehung der Solvency II-Anforderungen durch sogenanntes „Kleinrechnen“ der Solvenzkapitalanforde-rungen. In qualitativer Hinsicht wird darüber hinaus bemängelt, dass weder Solvency II noch der Gesetzesentwurf zur VAG-Novelle eine materielle Produktaufsicht vorsehen. Auswirkungen auf die Verbraucherfreundlichkeit und Vielseitigkeit der Produktlandschaft Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten e.V. (BdV) erwartet, dass sich die Versicherungsverträge für den Kunden unter Solvency II erheblich verteuern. Dies hänge damit zusammen, dass die Unternehmen umso mehr Eigenkapital vorhalten müssten, je werthaltiger eine Garantie ist. Viele Unternehmen hätten bereits jetzt darauf reagiert und Produkte aufgenommen, die weniger werthaltig sind. Nicht nur hinsichtlich der Zinsen, sondern auch hinsichtlich der Garantien für die Lebensversicherung sei dies zu beobachten. Es gebe Unternehmen, die mit einer durch- 15 Stellungnahme des GdV zum Regierungsentwurf des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 08.05.2012, S. 9. 16 Stellungnahme des GdV zum Regierungsentwurf des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 08.05.2012, S. 24f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 10 schnittlichen Lebenserwartung von 105 Jahren für einen 40-Jährigen kalkulieren. Der BdV fordert daher die Versicherungsbranche auf, für eine erhöhte Transparenz der Produkte zu sorgen. Behandlung der RfB als Eigenkapital Der BdV gibt außerdem zu bedenken, dass es sich bei den RfB, die nach Solvency II als Eigenmittel eingestuft werden, um Gelder handelt, die bereits in vollem Umfang den Kunden zugewiesen sind. Grundsätzlich sei die Einstufung als Eigenmittel in Ordnung, soweit mit den Mitteln verantwortungsvoll umgegangen wird, um beispielsweise unvorhersehbare Risiken abzuwenden. Nicht jedoch dürften die Gelder genutzt werden, um Garantien zu stützen, da dadurch die Gefahr bestehe, dass Gelder, die bereits zu 100 % den Kunden gehörten, diesen wieder entzogen werden könnten. Möglichkeit des Kleinrechnens der Solvenzkapitalanforderungen mithilfe interner Modelle Ebenfalls wird befürchtet, dass Versicherungsunternehmen durch die Verwendung interner Modelle zur Berechnung der Solvenzkapitalanforderungen die europarechtlichen Vorgaben legal umgehen, um den errechneten Eigenmittelbedarf zu senken. Als Beispiel ist die trotz europarechtlich vorgeschriebener Unisextarife immer noch gegebene Möglichkeit der geschlechterspezifischen Berechnung der Solvenzkapitalanforderungen auf nationaler Ebene zu nennen. Fehlen einer materiellen Produktaufsicht Weder Solvency II noch die VAG-Novelle sehen eine ausdrückliche Kompetenz zur materiellen Produktaufsicht vor. In der derzeitig geltenden Fassung des VAG ist eine solche Kompetenz möglicherweise in den § 81 VAG hineinzulesen , der auch durch die VAG-Novelle nicht geändert werden soll. Eine materielle Produktaufsicht, also eine Aufsicht über die Finanzprodukte ist jedoch nach Auffassung einiger Sachverständiger vonnöten, um Verbraucher und auch die Versicherungsunternehmen selbst vor den Folgen zukünftiger Finanzkrisen zu schützen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 11 3.3. Auswirkungen aus volkswirtschaftlicher Sicht Volkswirte befürchten, dass aufgrund der in Solvency II vorgesehenen Risikobewertung Investitionen in bspw. Staatsanleihen zunehmen und langfristige Investitionen unter dem Einfluss von Solvency II abnehmen würden. Dies führe nur auf kurzer Sicht zu einer finanziellen Stabilisierung der Versicherungsträger, mache die wirtschaftliche Situation aus volkswirtschaftlicher Sicht jedoch insgesamt unsicherer. Eine volkswirtschaftliche Einschätzung der Auswirkungen von Zinsänderungs- und Kreditrisiken findet sich unter http://www.fpmi.de/tl_files/fpmi/downloads/de/Gutachten_im_Auftrag_der_fpmi.pdf.21 In dem Gutachten wird unter anderem auch auf die positiven und negativen Auswirkungen von Solvency II auf die Unternehmensfinanzierung und den Kapitalmarkt sowie auf das Zusammenwirken von Solvency II und Basel III (Reformpaket des Basler Ausschusses der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) für die bereits bestehende Bankenregulierung Basel II) eingegangen . 3.4. Kritik der Arbeitgeberverbände Interessenvertretungen der Arbeitgeber halten die von Seiten der EU geplante Einbeziehung der betrieblichen Altersvorsorge in den Anwendungsbereich von Solvency II für problematisch. Im Weißbuch „Pensionen“22 kündigt die EU-Kommission an, die EU-Pensionsfondsrichtlinie auf der Grundlage der Eigenmittelvorgaben nach Solvency II überarbeiten zu wollen. Die geplante Anwendung der Eigenmittelvorgaben nach Solvency II auf Pensionskassen und Pensionsfonds würde die betriebliche Altersvorsorge nach Ansicht des Bundes der Arbeitgeber (BDA) und anderer Interessenvertreter23 nur verteuern, aber nicht sicherer machen. Es wird daher vertreten, dass die betriebliche Altersvorsorge nicht vom Anwendungsbereich der VAG-Novelle erfasst werden dürfe. Die betriebliche Altersvorsorge sei arbeitgeberfinanziert, das heißt der Arbeitgeber finanziere die späteren Auszahlungen ausschließlich mit seinem unternehmerischen Gewinn. Versicherungen würden dagegen durch ihre Kunden, die Versicherungsnehmer selbst, finanziert. Eine versicherungsaufsichtsrechtliche Gleichstellung der beiden Institutionen sei daher weder gerechtfertigt noch zweckmäßig. 21 Prof. Dr. Christian Kaserer (TU München): Solvency II und Basel III – Die Reform der europäischen Versicherungs - und Bankenregulierung und deren Auswirkung auf die Unternehmensfinanzierung – ein Gutachten im Auftrag der Finanzplatz München Initiative, Juni 2011 (abgerufen am 10. Oktober 2012 unter 22 COM(2012) 55 final 23 z.B.: Bund der Arbeitgeber (BDA) in einer Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des VAG aus September 2011, abgerufen am 11. Oktober unter http://www.bdaonline .de/www/arbeitgeber.nsf/files/F87672BB47E10EDDC1257A8D004FF734/$file/StnRefE.pdf; Axel Kleinlein , Prof Dr. Schwintowski (im Rahmen des o.g. Fachgesprächs) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 220/12 Seite 12 3.5. Weitere interessenübergreifende Kritikpunkte: Interessenübergreifend kritisieren einige Sachverständige das unzureichende Zusammenwirken von Basel III (Reformpaket zur Bankenregulierung) und Solvency II. Ferner wird vereinzelt die von der Richtlinie vorgesehene antizyklische Wirtschaftsweise der Versicherungen in Frage gestellt . Auch fehle es an geeigneten Korrekturmechanismen für den Fall falscher Entscheidungen im Rahmen der Versicherungsaufsicht.