Deutscher Bundestag Europäisierung der Banken- und Finanzaufsicht – Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 – 200/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 200/12 Seite 2 Europäisierung der Banken- und Finanzaufsicht – Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 4 – 3000 – 200/12 Abschluss der Arbeit: 21. September 2012 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 200/12 Seite 3 1. Einleitung Im Zuge der Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion plant die Kommission die Schaffung einer Bankenunion. Dabei spiele die Errichtung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus zur unmittelbaren Beaufsichtigung der Banken des Euro-Währungsgebietes eine wichtige Rolle.1 Um einen solchen zu ermöglichen, sollen der Europäischen Zentralbank (EZB) bestimmte zentrale Aufsichtsaufgaben übertragen werden. Hierfür hat die Kommission am 12. September 2012 eine Verordnung zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank vorgeschlagen.2 Die Verordnung sieht zum einen eine Kompetenzverlagerung dergestalt vor, dass die nationalen Aufsichtsbehörden ihre Kompetenzen weitgehend an die EZB übertragen. Diese erhält weitreichende Durchgriffsrechte auf alle Geldinstitute (Art. 4 Abs. 1 lit. d der VO) und die Unterstützung der nationalen Behörden, welche den Anweisungen der EZB folgen (Art. 5 Abs. 2 und 4 der VO). Auch für die Vergabe und den Entzug von Banklizenzen – bisher eine Kompetenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) – soll die EZB künftig zuständig sein (Art. 4 Abs. 1 lit. a der VO). Die zum anderen geplante Kompetenzerweiterung ermöglicht der EZB unter Anderem die Durchführung von „vor-Ort-Kontrollen“ bei den einzelnen Banken (Art. 11 der VO). Im Folgenden soll die Vereinbarkeit dieser geplanten Kompetenzverlagerung und -erweiterung mit deutschem Verfassungsrecht erörtert werden. 2. Demokratieprinzip: Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz (GG) Zunächst stellt sich die Frage nach der Einhaltung des Demokratieprinzips. Hier ist vergleichend die Einrichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS) vom 1. 1. 2011 heranzuziehen. Hierbei wurden den neuen Finanzaufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities = ESAs) – bestehend aus Europäischer Bankenaufsichtsbehörde (EBA), Europäischer Aufsichtsbehörde für Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) und Europäischer Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) – weitreichende Kompetenzen übertragen. Es handelt sich dabei um die Befugnisse zum Erlass von technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards, von Leitlinien und Empfehlungen und von Beschlüssen gegenüber nationalen Behörden oder Marktteilnehmern . Bei den letztgenannten Befugnissen handelt es sich um direkte Eingriffsmaßnahmen . Hierbei sind die Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Demokratieprinzips mit der Unabhängigkeit der Bankenaufsicht von großer Bedeutung. Vereinzelte Stimmen aus der Literatur3 übten Kritik bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Errichtung einer unabhängigen europäischen Bankenaufsicht und stellten die Frage nach einem 1 Vgl. Begründung zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, S. 2f., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2012/com2012_0511de01.pdf, abgerufen am 19.09.2012. 2 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUri- Serv/site/de/com/2012/com2012_0511de01.pdf, abgerufen am 19.09.2012. 3 Häde, Ulrich in: EuZW 2011, Jenseits der Effizienz: Wer kontrolliert die Kontrolleure?, S. 662 ff.; Siekmann, Helmut in: Working Paper Serie No. 24 (2011), Die Europäisierung der Finanzmarktaufsicht, S. 90 ff. (Institute Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 200/12 Seite 4 möglichen Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Die Kompetenzen der bisher gemäß § 2 des Gesetzes über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (FinDAG) durch Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen kontrollierten BaFin wurden teilweise auf die europäischen Finanzaufsichtsbehörden (ESAs) übertragen. Die hierfür erlassenen Verordnungen (EU) Nrn. 1093 – 1095/2010 der Kommission stützten sich dabei auf Art. 114 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Problematisch erweist sich hierbei laut Häde vor allem die Unabhängigkeit der europäischen Finanzaufsicht im Hinblick auf deren Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip. Dieses besagt, dass „eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen“4 bestehen muss. Aufgrund der Unabhängigkeit der Finanzaufsichtsbehörden von ihren Mitgliedstaaten sei deren demokratische Legitimation fraglich, denn sie „unterliegen insoweit keiner Aufsicht“5. Zwar seien die in diesem Gremium stimmberechtigten Leiter der nationalen Aufsichtsbehörden „durchweg ausreichend demokratisch legitimiert“6, jedoch sei ihr Handeln auf europäischer Ebene „unabhängig von ihren Mitgliedstaaten“7. Die zum einen erforderliche personelle Legitimation könne „durch eine ausreichende sachlich-inhaltliche Legitimation“8 kompensiert werden. Entscheidend sei das „Legitimationsniveau “9. Die Unabhängigkeit berühre jedoch auch die zum anderen erforderliche sachlichinhaltliche Legitimation durch das Parlament, so dass die Legitimationskette unterbrochen sein könnte. Angeführt wird hiergegen, dass „gerade die Rücknahme von Kontrolle eine besondere Form der Ausübung“10 der parlamentarischen Verantwortung sei. Damit sei die „erforderliche demokratische Legitimation“11 auch dadurch verwirklicht, dass das Parlament „die Einflussnahmemöglichkeiten der Regierung auf deshalb unabhängige Institutionen zurücknimmt“12. Die demokratische Legitimation sei – so Häde – also insoweit gegeben, als die Unabhängigkeit durch „überzeugende sachliche Gründe“13 gerechtfertigt sei. Die Unabhängigkeit der EZB bezüglich währungspolitischer Aufgaben wird als Argument für die Rechtmäßigkeit der Errichtung unabhängiger Behörden angeführt.14 Art. 88 Satz 2 GG ermöglicht for Monetary and financial Stability); Rötting, Lang in: EuZW 2012, Das Lamfalussy-Verfahren im Umfeld der Neuordnung der europäischen Finanzmarktaufsicht, S. 8 ff. 4 BVerfGE 107, 59 (87) = NVwZ 2003, 974. 5 Häde, Ulrich, a. a. O., S. 664. 6 Häde, a. a. O., S. 664. 7 Häde, a. a. O., S. 664. 8 Siekmann, a. a. O., S. 101. 9 BVerfGE 107, 59 (87) = NVwZ 2003, 974. 10 Häde, a. a. O., S. 664. 11 Häde, a. a. O., S. 664. 12 Häde, a. a. O., S. 665. 13 Häde, a. a. O., S. 664. 14 Rötting, a. a. O., S. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 200/12 Seite 5 die Übertragung der Aufgaben und Befugnisse der Bundesbank auf eine unabhängige Europäische Zentralbank. Während sich hierfür eine verfassungsmäßige Grundlage findet, besteht hinsichtlich der Unabhängigkeit einer Finanzaufsicht „eine solche ausdrückliche Ausnahmeregelung im Grundgesetz jedoch nicht“15. Da es sich hierbei jedoch ebenso „um einen Bereich handelt , der unmittelbarer politischer Einflussnahme entzogen werden soll“16, könnte auch die Unabhängigkeit der Finanzaufsicht gerechtfertigt sein. Natürlich könnte aus dem Umkehrschluss aus Art. 88 S. 2 GG aber auch folgen, dass die Unabhängigkeit weiterer Behörden gerade nicht verfassungsmäßig ist, denn „[d]ie Gewährung von Unabhängigkeit bedarf einer Grundlage im Verfassungsrecht, die nicht vorhanden ist.“17 Hier wird als entscheidendes Gegenargument von Häde18 angeführt, dass die Unabhängigkeit der EZB in Art. 130 AEUV (Ewigkeitsgarantie) primärrechtlich festgeschrieben sei und dies die besondere Maßnahme der Niederschrift in Art. 88 S. 2 GG erfordere. Die Unabhängigkeit der Finanzaufsicht dagegen wird lediglich durch Verordnungen festgehalten und kann damit „jederzeit geändert werden“19. Das Fehlen einer verfassungsrechtlichen Grundlage stehe daher der Errichtung unabhängiger Finanzaufsichtsbehörden nicht entgegen.20 Damit seien berechtigte rechtliche Bedenken „überwindbar“21, jedoch nur „in Bereichen, wo es überzeugende sachliche Gründe“ gibt und auch lediglich „[i]n eng umgrenzten Bereichen“.22 Geht man also davon aus, dass die Errichtung unabhängiger europäischer Finanzaufsichtsbehörden das Demokratieprinzip nicht verletzt hat, so stellt sich die Frage nach der Beurteilung der Neuerungen des aktuellen Verordnungsentwurfes aus Brüssel23. Der EZB werden die in Artikel 4 genannten Aufgaben und die für deren Ausführung notwendigen Befugnissen aus Kapitel 3 übertragen . Es handelt sich hierbei um die oben genannten „Vor-Ort-Kontrollen“ (Art. 11 der VO), die Vergabe und den Entzug von Banklizenzen (Art. 4 Abs. 1 lit. a der VO) und weitere Durchgriffsrechte der EZB auf Geldinstitute (Art. 4 Abs. 1 lit. d der VO). Ob die Übertragung dieser so weitreichenden Vollmachten noch mit dem Demokratieprinzip zu vereinbaren ist, erscheint vor allem daher zweifelhaft, weil bereits die vorige Kompetenzübertragung problematisch war und an der Grenze der Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip lag (s. o.). Die erweiterten Kompetenzen 15 Rötting, a. a. O., S. 13. 16 Rötting, a. a. O., S. 13. 17 Siekmann, a. a. O. S. 102. 18 Häde, a. a. O., S. 664. 19 Rötting, a. a. O. S. 13. 20 Häde, a. a. O., S. 664, Rötting, a. a. O., S. 13. 21 Rötting, a. a. O., S. 14. 22 Häde, a. a. O., S. 664 f. 23 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUri- Serv/site/de/com/2012/com2012_0511de01.pdf, abgerufen am 19.09.2012. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 200/12 Seite 6 überschreiten die Aufsichtspflicht als reine „Kontrolle“ und stellen weitreichende Maßnahmen und Eingriffe dar. Es stellt sich die Frage, ob es noch „sachlich gerechtfertigt“ ist, diese weiteren Befugnisse an die unabhängigen Behörden zu übertragen. Als sachliche Rechtfertigung wird von der Literatur das „Ziel eines effizienten Aufsichtssystems“ angeführt, um den „erheblichen Gefahren im Finanzsektor“ begegnen zu können. 24 Ähnlich wird in der Begründung des Vorschlags der Verordnung argumentiert, es handele sich um „angemessene Aufsichtsbefugnisse“25, welche die Übertragung weiterer Befugnisse auf die EZB „[i]m Interesse einer wirksamen Ausübung ihrer Aufsichtsbefugnisse“26 erforderlich machen. Dieser Argumentation folgend wäre die Unterbrechung der Legitimationskette dann aufgrund der Notwendigkeit der Unabhängigkeit der Finanzbehörden als rechtmäßig anzusehen. Für die Gewährleistung dieser Unabhängigkeit ist auch innerhalb der Organisation der EZB zu sorgen. Problematisch ist hierbei ein möglicher Interessenkonflikt innerhalb der EZB zwischen Bankenaufsicht und Geldpolitik. „Zur Vermeidung von Interessenkonflikten“ und damit zur Sicherung der Unabhängigkeit der Bankenaufsicht, „sollte die EZB für eine vollständige Trennung der beiden Funktionen sorgen“.27 Dies soll verhindern, dass aufgrund geldpolitischer Erwägungen die Entscheidungen der Bankenaufsicht beeinflusst werden. 3. Grundsatz der rechtsstaatlichen Kontrolle (Art. 19 Abs. 4 GG) Außerdem ist diese Trennung insofern wichtig, als – während die EZB nach Art. 130 AEUV parlamentarische Unabhängigkeit genießt – die Finanzaufsichtsbehörden einer demokratischen sowie gerichtlichen Kontrolle unterliegen müssen.28 Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit erfordere die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle, denn „Bankenaufsicht ist hoheitliches Handeln, durch das in Grundrechte der Betroffenen eingegriffen werden kann“29. Daher „ist klar, dass Auf- 24 Rötting, a. a. O., S. 13. 25 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, „in Erwägung nachstehender Gründe: (30)“, S. 16. 26 Verordnung, a. a. O., (31), S. 16. 27 Verordnung, a. a. O., (35), S. 17. 28 Häde, a. a. O., S. 665. 29 von Asmussen, Jörg, Rede vom 27. August 2012, EZB: Zwischenbericht auf dem Weg in eine stabilere Wirtschafts - und Währungsunion, abrufbar unter: http://www.ecb.europa .eu/press/key/date/2012/html/sp120827.de.html, abgerufen am 19.09.2012. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 200/12 Seite 7 gaben der Bankenaufsicht einer parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle unterstehen müssen “ 30. Die „Justitiabilität“ des Handelns unabhängiger Behörden „ist eine wesentliche Bedingung für die Vereinbarkeit von Autonomie mit den Grundsätzen des Rechtsstaats“.31 So waren auch bisher Beschwerde- und Klagemöglichkeiten gegeben, welche „die gerichtliche Kontrolle des Verhaltens des europäischen Aufsichtsbehörden sicher“32 gestellt haben. Um eine unabhängige und gerichtlich kontrollierte Aufsicht zu gewährleisten, ist daher die Trennung der Bereiche zwingend. 4. Parlamentsvorbehalt (Art. 23 Abs. 1 GG) Weiterhin stellt sich die Frage nach dem Parlamentsvorbehalt aus Art. 23 Abs. 1 GG. Dieser greift sowohl bei ordentlichen Änderungsverfahren (Ratifikationsverfahren), wenn neue Hoheitsrechte übertragen werden, als auch bei sonstigen Veränderungsverfahren. Die Verordnungen stützen sich auf Art. 114 und 127 Abs. 6 AEUV. Zwar setzt Art. 127 Abs. 6 AEUV – im Gegensatz zu Art. 114 AEUV – die Einstimmigkeit des Europäischen Rates voraus, jedoch richtet sich die Zustimmung des deutschen Ratsmitgliedes nach dem Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG). Dieses bestimmt, wann die Zustimmung des deutschen Ratsmitgliedes ein Gesetz i. S. d. Art. 23 Abs. 1 GG erfordert. Dies ist bei Erlass von Verordnungen nach Art. 127 Abs. 6 AEUV nicht der Fall. Daher betreffen die Fragen nach der „richtigen“ Rechtsgrundlage und der Einhaltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1, 2 EUV) in erster Linie Europarecht, jedoch ist die Klärung dieser Fragen die Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 23 Abs. 1 GG nach dem IntVG. Denn es stellt sich die Frage, wann eine Kompetenzerweiterung „in Deutschland innerstaatlich den Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 GG genügen muss“33. Handelt es sich jeweils um die „richtigen“ Rechtsgrundlagen für den Erlass der Verordnungen, bestehen aus deutscher Sicht keine verfassungsrechtlichen Probleme. Dies erscheint hinsichtlich Art. 114 AEUV daher fraglich, weil dieser als Rechtsgrundlage für die erstmalige Kompetenzübertragung in der Verordnung (EU) Nr. 1093/2012 bereits kritisch gesehen wurde.34 Da es sich vorliegend um die Änderung dieser Verordnung handelt und die Rechtsgrundlage daher ebenso Art. 114 AEUV darstellt, erlaubt sich ein Blick auf diese Kritik. So ermöglicht Art. 114 AEUV „nur 30 von Asmussen, a. a. O. 31 Häde, a. a. O., S. 664. 32 Häde, a. a. O., S. 665. 33 Häde, a. a. O., S. 665. 34 Vgl. Häde, a. a. O., S. 663, 665; Rötting, a. a. O., S. 12 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 200/12 Seite 8 Maßnahmen zur Rechtsangleichung“35, erlaubt jedoch nicht die Erweiterung der „Verwaltungsbefugnisse der Union“36. Daher liegt es nahe, dass derartige Kompetenzerweiterungen „allenfalls auf der Basis von Art. 352 AEUV zulässig sein sollten“37. Auch bezüglich Art. 127 Abs. 6 AEUV als Rechtsgrundlage für die Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB ergeben sich Zweifel. Es stellt sich die Frage, ob eine „Übertragung besonderer Aufgaben“ i. S. d. Art. 127 Abs. 6 AEUV vorliegt. Denn „Abs. 6 erlaubt es nur, ‚besondere‘ Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Finanzinstitute auf die EZB zu übertragen.“38 Auch der 9 ist zu entnehmen, dass die „Zweckmäßigkeit dieser Rechtsgrundlage“ auch in der Kommission diskutiert wurde. Zweifel, ob „eine generelle Betrauung der EZB mit der Aufsicht über Finanzinstitute […] daher ausgeschlossen“40 ist, finden daher durchaus ihre Berechtigung. Folglich ist zweifelhaft, ob es sich um die „richtigen“ Rechtsgrundlagen handelt oder ob vielmehr Art. 23 Abs. 1 GG umgangen wird. Denn sofern „neue Hoheitsrechte“ i. S. d. Art. 23 Abs. 1 GG übertragen werden oder Art. 352 AEUV Anwendung findet, muss ein Gesetz gem. Art. 23 Abs. 1 GG verabschiedet werden. 5. Fazit Die bereits im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems in der Literatur geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen auch im Fall einer Übertragung einer Bankenaufsicht auf die EZB fort. Im Hinblick auf das Demokratieprinzip dürften sich diese sogar noch verstärken, da der EZB weiterreichende Kompetenzen und Eingriffsbefugnisse eingeräumt werden sollen, die zuvor der BaFin zustanden. Aufgrund der Übertragung solch weitreichender Exekutivkompetenzen und des damit verbundenden Kontrollverlustes des deutschen Parlaments dürfte eine Zustimmung nach Art. 23 Abs. 1 GG auch im vorliegenden Fall erforderlich sein. 35 Häde, a. a. O., S. 663. 36 Häde, a. a. O., S. 663. 37 Häde, a. a. O., S. 663. 38 Häde, Ulrich in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias , EUV/AEUV, 4. Auflage, München 2011, AEUV Art. 127 (ex-Art. 105 EGV) [Ziele und Aufgaben des ESZB], Rn 56. 39 40 Häde, Ulrich in: EuZW 2011, Jenseits der Effizienz: Wer kontrolliert die Kontrolleure?, S. 662. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 200/12 Seite 9