© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 199/18 Einzelfrage zu Art. 104c GG Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 199/18 Seite 2 Einzelfrage zu Art. 104c GG Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 199/18 Abschluss der Arbeit: 12. Dezember 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 199/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitende Bemerkungen 4 2. Finanzhilfen nach den Regelungen des Grundgesetzes 4 3. Mögliche Neuregelung von Art. 104c GG 5 4. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 199/18 Seite 4 1. Einleitende Bemerkungen Der Auftraggeber bittet um eine Einschätzung zur Dimension des Kostenbegriffs, der durch die Grundgesetzänderung in Art. 104c GG eingeführt werden könnte. Bis zum Abschluss dieser Arbeit wurde diese nur vom Deutschen Bundestag beschlossen. Der Deutsche Bundestag hat dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes1 zugestimmt, mit dem es dem Bund ermöglicht werden soll, kommunale Investitionen stärker zu unterstützen. Die Entscheidung des Bundesrates steht noch aus. Mit der aktuell vorgelegten Grundgesetzänderung sollen dem Bund trotz des Konnexitätsprinzips weitere Kostenübernahmen ermöglicht werden. Die vom Bundestag beschlossenen Grundgesetzänderungen sind darauf ausgelegt, die Beteiligungen des Bundes an Investitionen in den Kommunen zu erleichtern . Auf Initiative der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen hat der Deutsche Bundestag im parlamentarischen Beratungsprozess eine Änderung von Art. 104c GG beschlossen. Der Bund wird danach „zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens“ ermächtigt, „gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen“ sowie die „mit diesen verbundenen besonderen unmittelbaren Kosten der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände ) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur“ durch Finanzhilfen zu fördern. 2. Finanzhilfen nach den Regelungen des Grundgesetzes Finanzhilfen i.S.d. Art. 104b Abs. 1 GG sind Zahlungen des Bundes an die Länder.2 Finanzhilfen des Bundes durchbrechen den Konnexitätsgrundsatz und damit ein tragendes Prinzip der föderativen Finanzverfassung.3 Finanzhilfen sind nach Art. 104b Abs. 1 S. 1 GG – anders als noch nach Art. 104a Abs. 4 aF GG – nur zulässig, soweit der Bund die Gesetzgebungskompetenz innehat.4 In Ansehung der Tatsache, dass Bildung zu den Kernbereichen der Befugnisse der Länder gehört, sind Finanzhilfen des Bundes zunächst eine rechtfertigungsbedürftige aber auch rechtfertigungsfähige Ausnahme.5 Die Leistung von Finanzhilfen steht im Ermessen des Bundes, das sich „nach Maßgabe seiner Finanzkraft “ zu einer Hilfeleistungspflicht verdichten kann. Das Ermessen bezieht sich jedoch ebenso auf die Einschränkung oder Abschaffung einzelner Finanzhilfen, selbst wenn deren tatbe- 1 BT-Drs. 19/3440. 2 BeckOK Grundgesetz/Kube, GG, Art. 104b, Rn. 3. 3 Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 104c, 104d, 125c, 143e), Bonn, 28.09.2018, S. 11. 4 BeckOK Grundgesetz/Kube, GG, Art. 104b, Rn. 5. 5 Maunz/Dürig/schwarz, GG, Art. 104c, Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 199/18 Seite 5 standliche Voraussetzungen noch erfüllt sind; Art. 104b GG kennt als Ausnahmevorschrift grundsätzlich keinen Bestandsschutz.6 Nach Artikel 104b Absatz 2 Satz 5 und 6 GG darf der Bund Finanzhilfen nur vorübergehend und in begrenztem Umfang gewähren. Der Bund darf immer nur einen Teil der Investitionskosten übernehmen; dies ergibt sich aus dem Begriff der Hilfe. Aus dem Begriff folgt ebenso, dass der Bund nur Angebote unterbreiten darf, die von den Ländern ausgeschlagen werden können. Die Finanzhilfen dürfen zudem nicht von Einvernehmens -, Zustimmungs- oder Genehmigungsvorbehalten oder auch Einspruchsrechten im Einzelfall abhängig gemacht werden. Ebenso wenig ermächtigt Art. 104b GG den Bund, in eigener Regie Investitionspläne aufzustellen und bei der Auswahl von Einzelprojekten mitzuwirken.7 Die Finanzhilfen müssen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) bestimmt sein. Investitionen sind „solche Ausgaben, die bei makroökonomischer Betrachtungsweise die Produktionsmittel der Volkswirtschaft erhalten, vermehren oder verbessern.“8 Von Art. 104b GG werden deswegen nur Sachinvestitionen erfasst, welche die Länder oder Gemeinden selbst vornehmen oder bei Dritten fördern.9 Finanzinvestitionen gleich welcher Art sind nicht umfasst.10 Es muss sich um besonders bedeutsame Investitionen handeln. Das setzt voraus, dass die Investitionen in Ausmaß und Wirkung besonderes Gewicht für eine Verbesserung der gesamtstaatlichen Struktur haben. Dieses Gewicht muss sich auch in der finanziellen Größenordnung ausdrücken.11 3. Mögliche Neuregelung von Art. 104c GG Die Finanzhilfekompetenz des Bundes nach Artikel 104c GG zur „Förderung gesamtstaatlich bedeutsamer Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur“ wird nach dem interfraktionellen Änderungsantrag um die Möglichkeit zur Mitfinanzierung gewichtiger, besonderer Kosten erweitert, die mit der Nutzbarmachung der Investition in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. In der bisherigen Fassung müssen Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur bestimmt sein. Pauschale, nicht durch diesen Zweck gebundene Zuweisungen des Bundes an die Kommunen wegen allgemeiner Finanzschwäche sind von Art. 104c GG nicht gedeckt. Investitionen in diesem Sinne sind richtigerweise nur 6 BeckOK Grundgesetz/Kube, GG, Art. 104b, Rn. 15. 7 BeckOK Grundgesetz/Kube, GG, Art. 104b, Rn. 16. 8 Maunz/Dürig/Maunz, GG, Art. 104a, Rn. 43. 9 Ebenda. 10 BeckOK Grundgesetz/Kube, GG, Art. 104b, Rn. 4. 11 Maunz/Dürig/Maunz, GG, Art. 104a, Rn. 44. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 199/18 Seite 6 Sach-, nicht dagegen Finanzinvestitionen. Es muss in die kommunale Bildungsinfrastruktur investiert werden. Der Tatbestand bezieht sich auf die Infrastruktur allgemeinbildender und berufsbildender Schulen. Die Investitionen müssen gesamtstaatlich bedeutsam sein.12 Nach dem Gesetzesentwurf folgt die gesamtstaatliche Bedeutsamkeit bereits aus dem Investitionsobjekt: „Die Sanierung und Modernisierung der Bildungsinfrastruktur ist ein wesentlicher Faktor, um die Zukunftsfähigkeit des Staates zu gewährleisten. Damit ist sie auch gesamtstaatlich von besonderer Bedeutung.“13. In der tatbestandlichen Struktur bleibt sie gleichwohl eigenständig zu prüfen.14 Nach Einschätzung des Bundesrechnungshofs führt die nunmehr beabsichtigte Änderung des Artikels 104c GG zu einer erheblichen Ausweitung des Wirkungsbereichs des Bundes: „Statt ausschließlich finanzschwacher Kommunen sollen zukünftig alle Kommunen und auch die Länder, soweit sie Aufgaben im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur selbst wahrnehmen, Finanzhilfen erhalten können. Eine „Notlagenunterstützung“ wird so zu einer generellen Förderung in einem Bereich, der in die ausschließliche Kompetenz der Länder fällt. Dies verstärkt die vom Bundesrechnungshof wiederholt beschriebene Gefahr, dass es auf Dauer zu weiteren Forderungen an den Bund hinsichtlich der Folgekosten der von ihm finanzierten Investitionen und damit zu einer weiteren Aushöhlung der Länderverantwortung in diesem Bereich kommt.“15 In der Begründung zum ursprünglichen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes wird darauf hingewiesen, dass „für personelle Ausstattung sowie Instandsetzung, Betrieb und Wartung die allgemeinen finanzverfassungsrechtlichen Regelungen gelten (Art. 104a Abs. 1 GG).“16 Nach der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses wären durch die geplante Erweiterung um „besondere, unmittelbare Kosten“ insoweit – zeitlich auf die Begleitphase der Investition bezogen – nur Kosten besonderer Maßnahmen nicht investiver Art, die zur Verwirklichung des Investitionszwecks erforderlich wären und der Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens dienen, förderfähig (u. a. Aufbau einer Systemadministration, Schulung des pädagogischen Personals bei Investitionen beispielsweise in die digitale Bildungsinfrastruktur , Finanzierung spezieller personeller Ausstattung, die unmittelbar zur Verwirklichung des Investitionszwecks erforderlich ist, die Entwicklung gemeinsamer Bildungsstandards im geförderten Investitionsbereich). Für die regelmäßig mit der Planung und Umsetzung eines Investitions- 12 BeckOK Grundgesetz/Kube, GG, Art. 104c, Rn. 3. 13 BT-Drs. 18/11131, S. 17. 14 BeckOK Grundgesetz/Kube, GG, Art. 104c, Rn. 3. 15 Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 104c, 104d, 125c, 143e), Bonn, 28.09.2018, S. 19. 16 BT-Drs. 19/3440, S. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 199/18 Seite 7 programms einhergehenden Verwaltungskosten sowie für allgemeine Folgekosten würden weiterhin die allgemeinen finanzverfassungsrechtlichen Regelungen gelten (Artikel 104a Absatz 1 und Absatz 5 Satz 1 GG).17 Darüber könnten auch Einrichtungen in freier Trägerschaft – insbesondere genehmigte Ersatzschulen und nach § 45 SGB VIII genehmigte Kinderbetreuungseinrichtungen – in den Anwendungsbereich des Artikel 104c GG auch dann fallen, wenn sie keine kommunale Infrastruktur ersetzten .18 Nach den Ausführungen des haushaltspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion, Eckhardt Rehberg, MdB, soll der Bund weder die Möglichkeit bekommen, konkrete Bildungsinhalte vorzugeben , noch Personal- oder Betriebskosten dauerhaft mitfinanzieren. „Der Anwendungsbereich erstreckt sich –wie bisher auch- auf bedeutsame Investitionen in die Infrastruktur, wie die Digitalisierung der Schulen. Neu ist lediglich, dass auch damit unmittelbar verbundene Kosten, etwa für die Systemadministration oder die Schulung des Personals, ebenfalls berücksichtigt werden können.“19 4. Fazit Mit der vom Bundestag beschlossenen Grundgesetzänderung könnte – vorbehaltlich der Zustimmung des Bundesrates – dem Bund die Möglichkeit eröffnet werden, stärker gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur und die damit verbundenen besonderen unmittelbaren Kosten der Länder und Kommunen zu fördern. Mit Art. 104c GG findet eine Durchbrechung des Konnexitätsgrundsatzes nach Art. 104a Abs. 1 GG statt, die jedoch rechtfertigbar ist. Insbesondere die Intentionen des Haushaltsgesetzgebers machen deutlich, dass eine dauerhafte Mitfinanzierung von Personalkosten nicht angedacht ist. Sie wären auch verfassungsrechtlich nicht vertretbar. Lediglich die Kosten, die im Zusammenhang mit den gesamtstaatlich bedeutsamen Investitionen stehen, sind förderfähig. Auch der verfassungsrechtlich erforderliche Eigenanteil der Länder wird berücksichtigt. *** 17 BT-Drs. 19/6144, S. 16. 18 BT-Drs. 19/6144, S. 11. 19 Frankfurter Allgemeine Zeitung: Merkwürdiges Demokratieverständnis der Ministerpräsidenten, 06.12.2018, S. 8.