Deutscher Bundestag Zur Übertragung der Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Bundesbank auf die Europäische Zentralbank Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 - 194/12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 – 3000 - 194/12 Seite 2 Zur Übertragung der Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Bundesbank auf die Europäische Zentralbank Verfasser: Aktenzeichen: WD 4 – 3000 - 194/12 Abschluss der Arbeit: 22. August 2012 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 – 3000 - 194/12 Seite 3 Bis zur Änderung durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I, Seite 2088) lautete Artikel 88 Grundgesetz (GG): „Der Bund errichtet eine Währungsund Notenbank als Bundesbank.“ Das oben genannte Gesetz bewirkte folgende Ergänzung: „Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.“ Im Bericht des bei den Beratungen des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag federführenden Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“ wird über verschiedene Formulierungsvorschläge zur Ergänzung des Artikels 88 GG informiert. Zu der schließlich vom Ausschuss einstimmig angenommene Formulierung heißt es (Bundestags-Drucksache 12/3896, Seite 22): Sie „stellt zunächst klar, daß die Übertragung von Befugnissen der Deutschen Bundesbank nur im Rahmen der Europäischen Union zulässig ist. Zugleich wird Vorsorge dafür getroffen, daß die im Zusammenhang mit der Europäischen Union geschaffene Europäische Zentralbank unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet sein muß. Damit wird einem wesentlichen politischen Anliegen der deutschen Seite, das mit der Frage der Übertragung von Hoheitsrechten gerade im Währungsbereich verbunden war, Rechnung getragen. ...“ Die institutionelle, finanzielle und sachliche Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank sowie die persönliche Unabhängigkeit der Entscheidungsträger sind im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und in der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken festgeschrieben. Artikel 263 und 265 AEUV ermöglichen der Europäischen Zentralbank , ihre Unabhängigkeit mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofs zu verteidigen, umgekehrt können auch Handlungen und Unterlassungen der Europäischen Zentralbank vom Europäischen Gerichtshof kontrolliert werden. Dies stehe der Unabhängigkeit im Sinne des Artikel 88 GG nicht entgegen, weil Artikel 35 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken eine inhaltliche Kontrolle geldpolitischer Entscheidungen ausschließe.1 Artikel 127 Absatz 1 Satz 1 AEUV bestimmt die Gewährleistung der Preisstabilität als vorrangiges Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken. Artikel 127 Absatz 1 Satz 2 AEUV stellt die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der Union durch das Europäische System der Zentralbanken unter den Vorbehalt, dass dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist.2 Durch die oben genannten Regelungen des AEUV sind die Vorgaben des Grundgesetzes erfüllt. Der AEUV enthält keine Angabe, was unter Preisstabilität zu verstehen ist. Deshalb gab der Rat der Europäischen Zentralbank im Oktober 1998 eine quantitative Definition von Preisstabilität 1 Remmert, Barbara zu Artikel 88 Randnummer 24.1, in: Epping, Volker; Hillgruber, Christian: Beck’scher Online- Kommentar GG. 2 Remmert, Barbara zu Artikel 88 Randnummer 25.1, in: Epping, Volker; Hillgruber, Christian: Beck’scher Online- Kommentar GG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 – 3000 - 194/12 Seite 4 bekannt. Diese lautete: „ein Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für das Euro-Währungsgebiet von unter 2 % gegenüber dem Vorjahr“. Er führt weiter aus, dass Preisstabilität „mittelfristig gewährleistet werden muss“. Dementsprechend verfolgt er das Ziel, die Inflationsrate auf mittlere Sicht unter, aber nahe 2 Prozent zu halten.3 Der Anstieg des HVPI bewegt sich im Jahr 2012 zwischen 2,7 und 2,4 Prozent, wobei die höchsten Steigerungen auf die Entwicklungen bei den Preisen für Energie zurückzuführen sind.4 3 Europäische Zentralbank: Preisstabilität – Definition, unter: http://www.ecb.int/ecb/educational/facts/monpol/html/mp_002.de.html, abgerufen am 22. August 2012. 4 Europäische Zentralbank: Monatsbericht Juli 2012, Statistik des Euro-Währungsgebietes, Seite 47.