Deutscher Bundestag Zur Schuldenkrise in Griechenland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 - 181/09 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 2 Zur Schuldenkrise in Griechenland Verfasser: Aktenzeichen: WD 4 – 3000 - 181/09 Abschluss der Arbeit: 18. Januar 2010 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Die Verschuldungssituation Griechenlands 4 1.1. Schuldenentwicklung 4 1.2. Ursachen der Verschuldung 6 2. Gefahr eines Staatsbankrotts 7 2.1. Entwicklung der vergangenen Monate 7 2.2. Gründe für die Vertrauenskrise 8 3. Griechenland und die Europäische Union 9 3.1. Pro und Kontra Krisenhilfe 9 3.2. Handlungsoptionen der EU 11 3.2.1. Erhöhung des Drucks im laufenden Defizitverfahren 11 3.2.2. Internationaler Währungsfonds 12 3.2.3. Gemeinschaftsanleihe 12 3.2.4. Beistandskredite 13 3.2.5. Austritt oder Ausschluss aus der Währungsunion 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 4 1. Die Verschuldungssituation Griechenlands 1.1. Schuldenentwicklung Die öffentlichen Haushaltsdefizite sind in Griechenland seit mehreren Jahren überdurchschnittlich hoch (siehe Tabelle 1). Für das Jahr 2009 wird ein Defizit von 12,7 Prozent des BIP erwartet. Nach Einschätzung der Kommission wird die Neuverschuldung auch in den nächsten beiden Jahren auf diesem hohen Stand verbleiben. Auch die öffentliche Verschuldung ist seit vielen Jahren überdurchschnittlich hoch. So lag die Staatsschuldenquote im Zeitraum 2000-2008 bei rund 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Der Durchschnitt betrug im Euroraum im selben Zeitabschnitt knapp 70 Prozent des BIP. Nach der Prognose der EU-Kommission vom Herbst 2009 wird die Verschuldung in den nächsten beiden Jahren noch deutlich steigen und im Jahr 2011 135,4 Prozent des BIP erreichen. Griechenland hätte damit mit Abstand die höchste Verschuldung innerhalb der Eurozone, nachdem bisher Italien das am stärksten verschuldete Land innerhalb des Euroraumes war (siehe Tabelle 2). Griechenland hat damit seit seinem Beitritt zur Eurozone im Jahr 2001 bis auf eine einzige Ausnahme jedes Jahr die Maastrichter Stabilitätskriterien hinsichtlich der Verschuldung1 verletzt. Nur 2006 wurde eine Neuverschuldung von weniger als drei Prozent des BIP erreicht. Tabelle 1 Internationaler Vergleich der öffentlichen Haushaltssalden Land in % des BIP 2000 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Deutschland -1,2 -3,3 -1,6 0,2 0,0 -3,4 -5,0 -4,6 Belgien 0,0 -2,7 0,3 -0,2 -1,2 -5,9 -5,8 -5,8 Griechenland -3,7 -5,2 -2,9 -3,7 -7,7 -12,7 -12,2 -12,8 Spanien -1,1 1,0 2,0 1,9 -4,1 -11,2 -10,1 -9,3 Frankreich -1,5 -2,9 -2,3 -2,7 -3,4 -8,3 -8,2 -7,7 Irland 4,8 1,9 3,0 0,3 -7,2 -12,5 -14,7 -14,7 Italien -2,0 -4,3 -3,3 -1,5 -2,7 -5,3 -5,3 -5,1 1 Neuverschuldung maximal drei Prozent des BIP, Schuldenstand maximal 60 Prozent des BIP. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 5 noch Tabelle 1 Zypern -2,3 -2,4 -1,2 3,4 0,9 -3,5 -5,7 -5,9 Luxemburg 6,0 0,0 1,3 3,7 2,5 -2,2 -4,2 -4,2 Malta -6,2 -2,9 -2,6 -2,2 -4,7 -4,5 -4,4 -4,3 Niederlande 1,3 -0,3 0,5 0,2 0,7 -4,7 -6,1 -5,6 Österreich -2,1 -1,6 -1,6 -0,6 -0,4 -0,4 -5,5 -5,3 Portugal -3,2 -3,1 -3,9 -2,6 -2,7 -2,7 -8,0 -8,7 Slowakei -12,3 -2,8 -3,5 -1,9 -2,3 -2,3 -6,0 -5,5 Slowenien -3,8 -1,4 -1,3 0,0 -1,8 -1,8 -7,0 -6,9 Finnland 6,9 2,8 4,0 5,2 4,5 4,5 -4,5 -4,3 Euroraum -1,1 -2,5 -1,3 -0,6 -2,0 -2,0 -6,9 -6,5 Quelle: EU-Kommission, Herbstprognose, November 2009. Tabelle 2 Staatsschuldenquoten im internationalen Vergleich Land in % des BIP 2000 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Deutschland 59,7 68,0 67,6 65,0 65,9 73,1 76,7 79,7 Belgien 107,2 92,1 88,1 84,2 89,8 94,2 101,2 104,0 Griechenland 101,8 100,0 97,1 95,6 99,2 112,6 124,9 135,4 Spanien 59,2 43,0 39,6 36,1 39,7 54,3 66,3 74,0 Frankreich 57,3 66,4 63,8 63,8 67,4 76,1 82,5 87,6 Irland 37,7 27,6 25,1 25,1 44,1 65,8 82,9 96,2 Italien 109,2 105,8 103,5 103,5 105,8 114,6 116,7 117,8 Zypern 58,8 69,1 58,3 58,3 48,4 53,2 58,6 63,4 Luxemburg 6,4 6,1 6,6 6,6 13,5 15,0 16,4 17,7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 6 noch Tabelle 2 Malta 55,9 70,2 62,0 62,0 63,8 68,5 70,9 72,5 Niederlande 53,8 51,8 45,5 45,5 58,2 59,8 65,6 69,7 Österreich 66,4 63,9 59,5 59,5 62,6 69,1 73,9 77,0 Portugal 50,4 63,6 63,6 63,6 66,3 77,4 84,6 91,1 Slowakei 50,3 34,2 29,3 29,3 27,7 34,6 39,2 42,7 Slowenien 26,8 27,0 23,3 23,3 22,5 35,1 42,8 48,2 Finnland 43,8 41,8 35,2 35,2 34,1 41,3 47,4 52,7 Euroraum 69,4 70,1 66,0 66,0 69,3 78,2 84,0 88,2 Quelle: EU-Kommission, Herbstprognose, November 2009. 1.2. Ursachen der Verschuldung Griechenlands Wirtschaft ist in der vergangenen Dekade vergleichsweise stark gewachsen. Die Wachstumsraten des BIP lagen in den meisten Jahren über 4 Prozent. Trotz dieser hohen Wachstumsraten ist es den verschiedenen Regierungen nicht gelungen, die Staatfinanzen zu sanieren. Durch kontinuierliche Neuverschuldungen ist die Schuldenlast vielmehr immer weiter angewachsen . Wesentlich hierfür sind zum einen die geringen Steuereinnahmen des griechischen Staates. Während die Steuereinnahmen in den restlichen EU-Staaten mindestens einem Drittel des BIP entsprechen , liegen sie in Griechenland nur bei gut 20 Prozent2. Dafür verantwortlich sind neben einer geringen Steuerbasis insbesondere die weit verbreitete Steuerhinterziehung und die unzureichenden Anstrengungen der griechischen Finanzämter Steuereinnahmen einzutreiben. Der griechische Fiskus soll derzeit gegenüber privaten Steuerzahlern und Unternehmen Außenstände in Höhe von über 20 Milliarden Euro haben3 Auf der anderen Seite wurden die Ausgaben insbesondere durch den aufgeblähten öffentlichen Dienst in die Höhe getrieben, zumal die Löhne der Beamten jedes Jahr weit über das Niveau der Inflationsrate steigen und die Renten fast 100 Prozent des Gehaltes ausmachen. 2 Vgl. Niels Kadritzke, Griechenland – Schuldenstaat in der Reformkrise, in: Euroland auf dem Prüfstand – Die Währungsunion und die Finanzmarktkrise. Friedrich Ebert Stiftung Mai 2009, S. 20. 3 Ebd, S. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 7 Daneben werden die hohen Ausgaben für den Gesundheitssektor, u. a. aufgrund des Missmanagements bei öffentlichen Krankenhäusern, und die überdurchschnittlich hohen Militärausgaben für die Haushaltsdefizite verantwortlich gemacht4 Schließlich wird auch darauf hingewiesen, dass die relativ niedrigen Zinssätze, die Griechenland seit seinem Beitritt zum Euroraum zahlen muss, die Verschuldung gefördert haben. Trotz einer steigenden Schuldenlast zahlte der griechische Staat bis Anfang 2008 weniger als fünf Prozent Zinsen jährlich für seine Staatsanleihen. Vor der Einführung des Euro waren es 20 Prozent und mehr5. Doch trotz der relativ niedrigen Zinssätze belasten die Zinsausgaben die Haushalte in erheblichem Maße. So betrug die Zinsquote in der Vergangenheit gut 4,5 Prozent des BIP6. In Deutschland betrug zum Vergleich dieser Wert in der Vergangenheit knapp 3 Prozent. Aufgrund dieser Entwicklungen hat Griechenland inzwischen eine Schuldenlast von rd. 270 Mrd. Euro angehäuft. Diese Entwicklung wurde auch nicht durch den Europäischen Stabilitätsund Wachstumspakt (SWP) verhindert, da das Land nie von den Sanktionsmechanismen des SWP erfasst wurde7, und dies obwohl Griechenland permanent die Defizitkriterien verletzt hat. 2. Gefahr eines Staatsbankrotts 2.1. Entwicklung der vergangenen Monate Seit mehreren Monaten häufen sich die Anzeichen, dass die Anleger an den internationalen Finanzmärkten zunehmend das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit Griechenlands (und anderer Euroländer8) verlieren. Indikatoren für das schwindene Vertrauen der Anleger sind insbesondere steigende Risikoprämien für Kreditabsicherungen und Risikoaufschläge für griechische Staatanleihen. Diese Risikoaufschläge , die Investoren als Ausgleich für die gestiegene Ausfallgefahr der Papiere fordern, sind insbesondere im Herbst 2008 vor dem Hintergrund der Lehman-Pleite deutlich gestiegen9. 4 Vgl. International Monetary Fund, Greece - IMF Country Report No. 09/244, August 2009, S. 25. 5 Vgl. Der Euro franst aus, ZEIT-ONLINE, 17.12.2009. 6 Vgl. International Monetary Fund, Greece - IMF Country Report No. 09/244, August 2009, S. 41. 7 Vgl. ausführlich hierzu Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2009/10. BT-Drs. 17/44, S. 84ff. Der Sachverständigenrat hält den gegenwärtigen SWP von daher auch für reformbedürftig, da er nicht transparent, nicht stringent und wenig zielführend sei. 8 Neben Griechenland gelten auch Irland, Spanien, Portugal und Italien als Problemfälle in der Eurozone. Diesen Ländern wird jedoch bisher eher zugetraut, dass sie ihre Verschuldung aufgrund einer günstigeren Ausgangslage in den Griff bekommen. Vgl. Ein Land bekommt die Rechnung, SPIEGELONLINE, 10.12.2009. 9 Vgl. Große Geldnöte, Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (iwd) Nr. 51/52, 17.12.2009, S.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 8 Im März 2009 lagen die Zinsen für griechische zehnjährige Staatanleihen rd. 2,8 Prozentpunkte über denen der als sicher geltenden deutschen zehnjährigen Staatanleihen. Danach gingen die Risikoaufschläge wieder etwas zurück. Ende des Jahres 2009, als das Emirat Dubai in Turbulenzen geriet und die drei größten Ratingagenturen (Fitch, Moodys und Standard &Poor´s) Griechenlands Kreditwürdigkeit erneut herabstuften, gingen die Risikoaufschläge jedoch wieder nach oben. Damit muss das Land derzeit deutlich höhere Zinsen zahlen als z. B. die Bundesrepublik. Die Zinssätze sind zwar mit knapp 6 Prozent im historischen Vergleich immer noch relativ gering, doch trotzdem wird die Entwicklung als sehr ernst eingeschätzt, da eine sich selbstverstärkende Abwärtsspiral droht: Je höher der Zins für Staatspapiere ist, desto teurer wird es für ein Land, seine Schulden zu bedienen 10. Das wiederum senkt die Bonität des Landes, wodurch weitere Risikoaufschläge bei staatlichen Zinspapieren drohen. Wird dieser Teufelkreis nicht durchbrochen, dann ist die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands nicht mehr auszuschließen, da das Land irgendwann keine Abnehmer mehr für neue Anleihen finden könnte. Noch ist Griechenland nach Meinung der meisten Experten jedoch nicht akut von der Zahlungsunfähigkeit bedroht. Griechenland muss jetzt zwar höhere Zinsen für Staatsanleihen zahlen, aber das Land hat noch unverändert Zugang zum Kapitalmarkt11. Offensichtlich gehen die Anleger noch davon aus, dass das Land zahlungsfähig ist oder das die EU Griechenland retten wird. Kritisch könnte die Lage aber im Laufe des Jahres 2010 werden, wenn das Land 25 Mrd. Euro refinanzieren und 30 Mrd. Euro neue Schulden aufnehmen muss. 2.2. Gründe für die Vertrauenskrise Die derzeitige Krise Griechenlands ist vor allem eine Vertrauenskrise. Wenn die griechische Regierung einen drohenden Staatsbankrott verhindern will, muss sie also möglichst bald das Vertrauen der internationalen Anleger zurückgewinnen. Das derzeit geringe Vertrauen der Anleger wird dabei insbesondere auf folgende Punkte zurückgeführt: Die hohen Risikoaufschläge reflektieren zum einen die Erwartung, dass Griechenland aufgrund des bereits erreichten hohen Verschuldungsgrades und der geringen Wachstumsaussichten besondere Schwierigkeiten hat, seine Finanzen zu sanieren. Die Wirtschaftstätigkeit ist nämlich im Jahr 2009 erstmalig seit 1993 zurückgegangen, da sich die Binnennachfrage u. a. aufgrund strenger Kreditstandards und eines schlechteren Vertrauensklimas weiter verringert hat. Außerdem sind die Exporte in den Kernsektoren Fremdenverkehr und Schifffahrt stark zurückgegangen und aufgrund schrumpfender Märkte ist bisher unklar, wann 10 Jeder Prozentpunkt mehr bedeutet für Griechenland jährlich Mehrkosten von zweieinhalb Milliarden Euro. 11 Vgl. Harte Auflagen für Europas Wackelkandidaten, Hamburger Abendblatt, 15.12.2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 9 mit einer Besserung zu rechnen ist12. Die Wirtschaftsschwäche dürfte die öffentlichen Finanzen weiter verschlechtern, da sie zu sinkenden Steuereinnahmen und hohen Staatsausgaben, z. B. für Arbeitslose, führt. Zum anderen reflektieren die hohen Risikoaufschläge aber auch die jahrelange Reformunfähigkeit bzw. -unwilligkeit der griechischen Politiker, die unabhängig von der jeweiligen Regierung zu beobachten war. Anstatt die Staatfinanzen ernsthaft zu sanieren, beherrschen seit Jahren Korruption und Klientelismus die griechische Politik und Gesellschaft. Transparency International hat Griechenland im Jahr 2009 auf Platz 71 der 180 korruptesten Länder der Welt gesetzt13. Schließlich rührt der Vertrauensverlust auch daher, dass die griechische Politik wiederholt bei den Schuldenstatistiken getrickst hat14. Schon der Eintritt in die Währungsunion gelang nur mit frisierten Statistiken und auch später mussten die griechischen Regierungen wiederholt zugeben, dass die Defizitstatistiken fehlerhaft sind. So hat z. B. im November 2009 der griechische Finanzminister eingestanden, dass das Haushaltsdefizit für 2009 mit knapp 13 Prozent des BIP rund doppelt so hoch ist wie anfangs prognostiziert. 3. Griechenland und die Europäische Union Griechenland ist seit 1981 Mitglied der Europäischen Union (EU) und seit dem 1.1.2001 auch Mitglied der Europäischen Währungsunion (EWU). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Handlungsoptionen die EU hat, Griechenland zu helfen und eine Ausdehnung der Krise auf andere EWU-Länder zu verhindern. 3.1. Pro und Kontra Krisenhilfe Das Regelwerk der EU enthält keinerlei Bestimmungen darüber, was im Fall eines drohenden Staatsbankrotts eines Mitgliedstaats zu tun ist. Es gibt jedoch zwei Bestimmungen in den EG- Verträgen, die für diesen Fall von Bedeutung sind: Auf der einen Seite enthält der EG-Vertrag die so genannte No-Bailout-Klausel (Art. 125 AEUV, früher Artikel 103 EGV)), die besagt, dass weder die Gemeinschaft noch die anderen Mitgliedstaaten für die Verbindlichkeiten eines Landes haften dürfen. Diese Regelung dient der Stabilität des Euro. Sie soll dafür sorgen, dass die Mitgliedsländer ihre Haushaltsdisziplin wahren und nicht auf eine Nothilfe der anderen spekulieren15. Würde die Gemeinschaft überschuldete Staaten mit Finanzhilfen unterstützen, dann hätten die Mitgliedstaaten keinen Anreiz für eine solide Finanzpolitik. 12 Vgl. OECD, Griechenland, OECD-Wirtschaftsausblick 85, Juni 2009, S. 120. 13 Vgl. Die Macht der Fakelaki, Der Spiegel, 28.12.2009. 14 Vgl. Schwere Fehler in der griechischen Defizitstatistik, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.01.2010. 15 Vgl. Häde, Ulrich, Haushaltsdisziplin und Solidarität im Zeichen der Finanzkrise, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2009 Heft 12, S.399ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 10 Aus dieser Vorschrift wird vielfach die Forderung abgeleitet, dass die EU aus Gründen der Glaubwürdigkeit der EWU Griechenland jegliche finanzielle Hilfe verweigern sollte16. Die höheren Zinsen für Griechenland seien eine Normalisierung, da nun die Märkte Griechenlands jahrelange Schuldenpolitik mit einem Strafzins belegen. Auf der anderen Seite enthält Art. 122 AEUV (früher Artikel 100 EGV) die Regelung, dass die Gemeinschaft unter besonderen Umständen einen kriselnden Mitgliedstaat finanziellen Beistand gewähren kann. Hilfsmaßnahmen werden allerdings nur gewährt, wenn die Hilfe auf „außergewöhnliche Ereignisse“ zurückzuführen ist, die sich „der Kontrolle des Mitgliedstaates entziehen “. Diese Regelung könnte grundsätzlich als Rechtsgrundlage für eine Krisenhilfe der Gemeinschaft gegenüber einem Mitgliedstaat dienen17. Die Frage, ob Griechenland sich im Falle eines drohenden Staatsbankrotts auf diese Regelung berufen kann, bedarf aber einer genauen Einzelfallprüfung . Die Entstehungsgeschichte der griechischen Finanzkrise (siehe oben) spricht erst einmal nicht dafür, da das Land offensichtlich nicht aufgrund von Faktoren, die sich seiner Kontrolle entziehen , in die Verschuldung geraten ist. Die aktuelle Zuspitzung der Lage hat allerdings eindeutig mit der internationalen Finanzmarktkrise zu tun, für die man die griechische Politik schwerlich verantwortlich machen kann18. Unabhängig von der rechtlichen Frage, ob sich aus Art. 122 AEUV eine Verpflichtung zur Solidarität mit Griechenland ergibt, gibt es jedoch verschiedene wirtschaftliche und politische Gründe, die für eine Hilfe der EU sprechen. Diese Gründe ergeben sich aus dem Umstand, dass ein möglicher Bankrott Griechenlands nicht nur auf das Land beschränkt wäre, sondern auch die anderen Euro-Länder in einer Kettenreaktion in Mitleidenschaft ziehen könnte. So wird insbesondere darauf hingewiesen, dass ein Staatsbankrott Griechenlands den Euro vermutlich dauerhaft schwächen dürfte19. Die Krise in Griechenland allein wird sich zwar nach Einschätzung von Ökonomen nicht wesentlich auf den Eurokurs niederschlagen. Dafür ist die ökonomische Bedeutung Griechenlands in der Währungsunion zu klein20. Schwerwiegender ist jedoch die Gefahr einer Kettenreaktion, die eintreten könnte, wenn bei einem Staatsbankrott Grie- 16 Vgl. z. B. EZB gegen Griechen-Hilfe , Süddeutsche Zeitung vom 07.01.2010 und Kein Zwang zur Solidarität, Wirtschaftswoche vom 14.12.2009. 17 Vgl. Häde, Ulrich, Haushaltsdisziplin und Solidarität im Zeichen der Finanzkrise, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2009 Heft 12, S.401. 18 Vgl. Die EU braucht für Staaten ein Insolvenzverfahren, Handelsblatt vom 11.01.2010. 19 Vgl. Meyer, Dirk, Drohende Zahlungsunfähigkeit eines Eurolands: Was sollte die EU tun, ifo Schnelldienst 7/2009, S. 4.ifo 20 Außerdem wird eine geringe Abwertung des Euro angesichts des derzeit hohen Eurokurses auch nicht unbedingt negativ gesehen, vgl. Harte Auflagen für Europas Wackelkandidaten, Hamburger Abendblatt, 15.12.2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 11 chenlands auch Gelder aus anderen finanzschwachen Euroländern wie Spanien, Portugal und Italien abgezogen werden, sodass weitere Eurostaaten umzufallen drohen. Die Folgen wären unabsehbar . Neben dem politischen Imageschaden für die EWU droht dann eine unkontrollierte Abwertung des Euro. Daneben ist auch mit erheblichen Verwerfungen auf den Finanzmärkten zu rechnen, da die europäischen Banken eng miteinander verbunden sind21. Allein die deutschen Banken haben derzeit rd. 2114 Mrd. Euro in Europa verliehen, davon 38 Mrd. in Griechenland, 183 Mrd. in Irland und 237 Mrd. in Spanien. Ein Zahlungsausfall in einem dieser Länder könnte viele Banken destabilisieren und möglicherweise eine weitere Finanzkrise auslösen. 3.2. Handlungsoptionen der EU Aufgrund der oben genannten Gründe wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass die EU eingreifen würde, wenn sich die Lage in Griechenland weiter verschärft. Für diese Einschätzung spricht auch die Tatsache, dass die europäischen Regierungschefs bereits im März 2009 die politische Absicht bekundet haben, einem Staat in Zahlungsnöten zu helfen. 3.2.1. Erhöhung des Drucks im laufenden Defizitverfahren Griechenland befindet sich aktuell im Defizitverfahren des Europäischen SWP. Dieses Verfahren hat im Februar 2009 begonnen. Als Reaktion auf das prognostizierte Haushaltsdefizit von 12,2 Prozent des BIP für 2010 hat die neue griechische Regierung einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der das Defizit auf 9,1 Prozent des BIP drücken soll. Dieser Haushaltsentwurf wurde vom ECOFIN-Rat Anfang Dezember 2009 als wichtiger Schritt in die richtige Richtung bezeichnet, der aber nicht ausreicht. Das Defizitverfahren wurde daraufhin verschärft und Griechenland zu weiteren Reformen gedrängt. Seit Anfang des Jahres ist ein EU- Inspektorenteam im Lande und fordert einen detaillierten Maßnahmenplan und schneller Konsolidierungsfortschritte . Im Februar 2010 will der ECOFIN-Rat überprüfen, wie Griechenland seine Bemühungen um eine Stabilisierung der öffentlichen Finanzen verstärkt hat. Im Zweifel könnte der ECOFIN-Rat weitere Empfehlungen für eine Haushaltssanierung aussprechen und seinen politischen Druck erhöhen. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Haushaltssanierung nicht vorankommt, könnte die EU im September 2010 schließlich Sanktionen in Form von Geldbußen oder dem Entzug von EU- Mitteln verhängen. Ob es jedoch tatsächlich zu diesen Sanktionen kommt ist ungewiss, da sie die wirtschaftliche Lage des Landes weiter verschärfen würden. 21 Vgl. Der Euro franst aus, ZEIT-ONLINE, 17.12.2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 12 3.2.2. Internationaler Währungsfonds Verschiedentlich wurde die Idee geäußert, dass auch der Internationaler Währungsfonds (IWF) in die Rettungspläne für Griechenland einbezogen werden sollte. Es wird argumentiert, dass der Fonds eher in der Lage wäre, harte Auflagen gegen Griechenland durchzusetzen22. Gegen diese Position wird u. a. von Bundesbankpräsident Weber eingewendet, dass eine Finanzierung von Budgetdefiziten aus Zentralbankmitteln, die dem IWF zur Verfügung stehen, in Europa verboten ist23. Gegen das Einschreiten des IWF spricht nach Ansicht von Notenbankern auch, dass im Fall von Griechenland nicht das Vertrauen in die Währung gefährdet ist. Außerdem befürchtet die EZB um ihre Souveränität, da IWF-Kredite an Auflagen gebunden werden können. Bisher hat Griechenland noch kein Rettungsprogramm beantragt. Anfang Januar 2010 ist aber ein IWF-Expertenteam nach Griechenland gefahren, um die Regierung bei der Aufstellung eines Sparprogramms zu unterstützen. Diese Maßnahme soll helfen, die angeschlagene Glaubwürdigkeit Griechenlands wiederherzustellen.24 3.2.3. Gemeinschaftsanleihe Griechenland zahlt derzeit Risikoprämien von zwei bis drei Prozent für seine Anleihen. Vor diesem Hintergrund wurde die Idee einer Gemeinschaftsanleihe in die Diskussion gebracht, die von den kreditwürdigen Mitgliedstaaten garantiert würde. Sie hätte für Griechenland den Vorteil, dass das Land sich günstiger finanzieren könnte. Gegen diesen Vorschlag wird neben der Erfahrung, dass sich dieser Vorschlag den Steuerzahlern in den stabilen Euroländern kaum vermitteln ließe, insbesondere eingewendet, dass damit die disziplinierende Wirkung der Marktbewertung durch steigende Risikoprämien verloren ginge. Die Errichtung einer europäischen Garantiegemeinschaft durch eine Gemeinschaftsanleihe würde mit anderen Worten für Fehlanreize sorgen, da die Staaten nicht mehr für ihre Staatsverschulung voll eigenverantwortlich sind25. Eine Gemeinschaftsanleihe würde somit auch der Intention der No-Bailout-Klausel des Maastrichter Vertrages widersprechen. 22 Vgl. Brüssel drängt das hochverschuldete Griechenland zur Sanierung der Staatsfinanzen, Berliner Zeitung 10.12.2009. 23 Vgl. Keine Hilfe vom IWF, Der Spiegel, 28.12.2009. 24 Vgl. IWF hilft Griechenland, Süddeutsche Zeitung, 14.01.2010. 25 Vgl. Heinemann, Friedrich, Die Währungsunion ist ein Gewinn, solange jedes Mitglied selbst für seine schulden haftet, Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 120 (2/2009), S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 181/09 Seite 13 3.2.4. Beistandskredite Beistandskredite wurden für den Fall vorgeschlagen, wenn hochverschuldete Staaten wie Griechenland tatsächlich keine Kredite mehr auf den internationalen Finanzmärkten erhalten. Dann ist ein temporärer Beistandskredit der EU oder eines Mitgliedslandes denkbar, der aber an Auflagen , wie z. B. ein strenges Sanierungsprogramm, gebunden sein sollte. Damit der Kredit wirklich nicht mehr als eine Notlösung ist, wird außerdem ein Strafzins von z. B. 5 Prozent zur Diskussion gestellt26. 3.2.5. Austritt oder Ausschluss aus der Währungsunion Da praktisch jede Unterstützung eines hochverschuldeten Staates den solideren EWU-Ländern erhebliche Kosten aufbürdet, wird auch der Ausschluss bzw. der freiwillige Austritt eines insolventen Mitglieds aus der Eurozone diskutiert27. Dieser Vorschlag ist rechtlich sehr umstritten. Aus ökonomischer Perspektive wird insbesondere auf folgende Schwierigkeit hingewiesen: Durch den Austritt oder Ausschluss aus der Währungsunion müsste Griechenland auf einen Schlag für seine Anleihen deutlich höhere Zinsen zahlen als bisher, da die Finanzmärkte die Gefahr eines Staatsbankrotts sofort deutlich höher einschätzen dürften. Darüber hinaus dürfte aus dem gleichen Grund die neue griechische Währung stark gegenüber dem Euro abwerten. Da aber die bisherigen Schulden in Euro notiert sind erhöht sich sofort die Schuldenlast. Von daher ist ein freiwilliger Austritt Griechenlands aus der Eurozone sehr unwahrscheinlich, da er den wirtschaftlichen Ruin des Landes nicht stoppen, sondern eher beschleunigen dürfte. 26 Vgl. Höhere Zinsen für Griechenland waren überfällig, WELT-ONLINE, 23.02.2009. 27 Vgl. z. B. Eurozone im Härtetest, Welt am Sonntag, 27.12.2009.