© 2015 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 173/15 Verfassungsmäßigkeit der Zweitwohnungsteuer für (verwitwete) Alleinerziehende Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 173/15 Seite 2 Verfassungsmäßigkeit der Zweitwohnungsteuer für (verwitwete) Alleinerziehende Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 173/15 Abschluss der Arbeit: 18.11.2015 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 173/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Die Ehe als betroffenes Schutzgut in der BVerfG- Entscheidung zur Zweitwohnungsteuer 4 2.1. Kurzinhalt der Entscheidung 4 2.2. Übertragbarkeit der Entscheidungsgründe auf verwitwete Ehegatten? 5 3. Übertragbarkeit der Entscheidungsgründe auf das Schutzgut Familie? 5 4. Fazit 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 173/15 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Der Fragesteller erkundigt sich nach der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Zweitwohnungsteuer für (verwitwete) Alleinerziehende, die aus beruflichen Gründen die Zweitwohnung beibehalten. Die Fragestellung nimmt Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 20051. Darin hatte das BVerfG Regelungen der Zweitwohnungsteuer, die eine beruflich veranlasste Zweitwohnung bei Verheirateten der Steuerpflicht unterwarfen, für unvereinbar mit dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 GG zum Schutz der Ehe erklärt. 2. Die Ehe als betroffenes Schutzgut in der BVerfG-Entscheidung zur Zweitwohnungsteuer 2.1. Kurzinhalt der Entscheidung Das BVerfG stellte mit Beschluss vom 11.10.2005 fest, dass die Erhebung der Zweitwohnungsteuer auf die Innehabung von Erwerbszweitwohnungen durch Verheiratete eine gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßende Diskriminierung darstellt.2 Zur Begründung führt das BVerfG aus, dass zum von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten ehelichen Zusammenleben die Entscheidung der Eheleute gehört, zusammenzuwohnen. Staatliche Maßnahmen, die das räumliche Zusammenleben der Ehegatten erschweren, greifen in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ein.3 Zur Ehe als einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft gehört, dass diese Entscheidung zur Wohnung auch bei einer beruflichen Veränderung eines Ehegatten, die mit einem Ortswechsel verbunden ist, aufrechterhalten bleibt.4 Die Innehabung einer Zweitwohnung ist sonach die notwendige Konsequenz der Entscheidung zu einer gemeinsamen Ehewohnung an einem anderen Ort. Gerade in der aus beruflichen Gründen gehaltenen Zweitwohnung manifestiert sich der Wunsch der Ehegatten nach gemeinsamem Zusammenleben. Indem die Zweitwohnungsteuer an das Halten einer Wohnung anknüpft, die im melderechtlichen Sinne eine Zweitwohnung ist, liegt ihr daher ein Steuergegenstand zugrunde, in dem sich das eheliche Zusammenleben in spezifischer Weise verwirklicht. Durch die melderechtlichen Vorschriften für Verheiratete sei es ausgeschlossen , die Wohnung am Beschäftigungsort trotz deren vorwiegender Nutzung zum Hauptwohnsitz zu bestimmen und damit der Heranziehung zur Zweitwohnsteuer zu entgehen. 1 BVerfG 1 BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03 2 BVerfG a.a.O., Rn. 91 3 BVerfG a.a.O., Rn. 92 4 ebenda Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 173/15 Seite 5 2.2. Übertragbarkeit der Entscheidungsgründe auf verwitwete Ehegatten? Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen, § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB. Der verfassungsrechtliche Schutz der Ehe endet somit mit dem Ableben eines Ehepartners. Ein postmortal weiterwirkendes Eheprivileg ist dem Steuerrecht an sich fremd. Sofern es dies wie beim Gnadensplitting gibt, ist es zeitlich eng begrenzt. Insofern sind die Entscheidungsgründe auf verwitwete Ehepartner nicht übertragbar. 3. Übertragbarkeit der Entscheidungsgründe auf das Schutzgut Familie? Die tragenden Entscheidungsgründe des BVerfG könnten jedoch auf das Schutzgut Familie, d.h. Alleinerziehende mit ihren Kindern übertragbar sein, da sogenannte Restfamilien nach dem Tod des Ehegatten oder nach der Scheidung ebenfalls dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallen .5 Als Freiheitsrecht verpflichtet Art. 6 Abs. 1 GG den Staat, Eingriffe in die Familie zu unterlassen. Darüber hinaus enthält die Bestimmung eine wertentscheidende Grundsatznorm, die für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern.6 Familien werden durch finanzielle Belastungen, die der Gesetzgeber Bürgern allgemein auferlegt, regelmäßig stärker finanziell betroffen als Kinderlose. Dies hat seinen Grund in der besonderen wirtschaftlichen Belastung von Familien, die sich aus der in Art. 6 Abs. 2 GG vorgegebenen und im Familienrecht im Einzelnen ausgeformten Verantwortung der Eltern für das körperliche und geistige Wohl ihrer Kinder ergibt. So müssen Eltern einerseits für den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen, andererseits können ihnen Einkommensverluste oder Betreuungskosten entstehen.7 Gleichwohl geht die grundsätzlich bestehende Pflicht des Staates zur Förderung der Familie nicht so weit, dass er gehalten wäre, jegliche die Familie treffende finanzielle Belastung auszugleichen .8 In einer Entscheidung zur Vereinbarkeit von kommunalen Kurbeiträgen mit dem Freiheitsrecht aus Schutz der Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG hat das BVerfG betont, dass eine verfassungsrechtlich problematische Situation erst dann entstünde, wenn Familien mit betreuungspflichtigen Kindern durch die Beiträge an der Wahrnehmung der Kur gehindert würden.9 5 Uhle in: Beck online- Kommentar GG, Art. 6 Rn. 19 6 BVerfGE 87, 1 (35); 103, 242 (257 f.) 7 BVerfGE 103, 242 (258) 8 BVerfGE 23, 258 (264); 82, 60 (81); 87, 1 (35); 97, 332 (349) 9 BVerfG NVwZ-RR 2008, 723 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 173/15 Seite 6 Überträgt man diesen Gedanken auf die Zweitwohnungsteuer, so ist zu fragen, ob von der Besteuerung der beruflichen Zweitwohnung eine diskriminierende Wirkung für die Familie ausgeht. Der entscheidende Unterschied zwischen Verheirateten und Nichtverheiraten ergibt sich aus der Anknüpfung der Zweitwohnungsteuer an melderechtliche Sachverhalte. Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 Meldegesetz Berlin10 ist die Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie oder seinem Lebenspartner lebt, die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie oder des Lebenspartners. Indem die gemeinsame Familienwohnung melderechtlich als Hauptwohnung gesetzlich festgelegt wird, besteht für den Verheirateten Berufstätigen keine Möglichkeit mehr, für die beruflich erfasste Zweitwohnung den Status der Hauptwohnung festlegen zu lassen. Die beruflich veranlasste Wohnung ist somit melderechtlich immer Nebenwohnung und fiele somit ausnahmslos in den Anwendungsbereich der Zweitwohnungsteuer. Unverheiratete Erwerbstätige haben dagegen die gestaltende Wahlmöglichkeit, ob sie ihre beruflich veranlasste Wohnung zur Haupt- oder Nebenwohnung erklären wollen. Es gibt somit eine Wahloption aus der Steuerpflicht. Der verwitwete Ehepartner kann laut dem Wortlaut des Meldegesetzes somit auch seinen beruflichen Lebensmittelpunkt zum Hauptwohnsitz erklären. Ferner fällt die finanzielle Belastungswirkung der Zweitwohnungsteuer für unverheiratete Familien mit Kindern nicht höher aus als für Kinderlose. Eine diskriminierende Ungleichbehandlung, wie sie bei Verheirateten auftritt, ist für unverheiratete Personen nicht gegeben. 11 4. Fazit Durchgreifende Bedenken gegen die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit einer Zweitwohnungsteuer für (verwitwete) Alleinerziehende sind nicht erkennbar, solange die Besteuerung nach den allgemeinen Grundsätzen erfolgt. Ende der Bearbeitung 10 In anderen Bundesländern bestehen ähnliche Regelungen. 11 Rutemöller: Zweitwohnungsteuer als Einnahmequelle für die Kommunen – Überblick und aktuelle Problemfelder in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen 2012, 121 – 128 (125)