© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 165/18 Familienlastenausgleich in der Zeit zwischen 1975 und 1983 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragen – Welche politischen und fiskalischen Ziele wurden mit der Abschaffung der Kinderfreibeträge zum Jahr 1975 verfolgt? – Welche positiven wie negative Effekte, im Sinne der oben genannten Ziele, wurden in den Jahren 1975 bis 1983 beobachtet? – Welche Gründe lagen der Wiedereinführung der Kinderfreibeträge im Jahr 1983 zugrunde? 2. Die Abschaffung des Kinderfreibetrags 1975 Nach Entschließungen des Deutschen Bundestages vom 28. März 19691 und des Bundesrates vom 5. Juni 1970 legte die Bundesregierung aus SPD und FDP im Januar 1974 eine umfassende Reform des einkommensteuerlichen Kinderlastenausgleichs vor.2 Damit sollten folgende Kritikpunkte am geltenden Recht abgeschafft werden: – Kinderlasten wurden zwar in unterschiedlicher Weise berücksichtigt, jedoch waren Kindergeld , Kinderfreibeträge bei der Einkommensteuer (Lohnsteuer), Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst, Kinderzulagen beziehungsweise Kinderzuschüsse zu den in der gesetzlichen Unfallversicherung beziehungsweise in den gesetzlichen Rentenversicherungen gezahlten Renten entweder überhaupt nicht oder nur sehr unvollkommen aufeinander abgestimmt. – Art und Umfang der Entlastungen waren abhängig nicht nur von der Zahl, dem Alter und dem Ausbildungsgang der Kinder, sondern auch von der Art und Höhe des Einkommens der Eltern beziehungsweise deren Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen. – Vor allem junge Familien wurden benachteiligt, weil sie in der Regel ausschließlich relativ geringe Kinderermäßigungen bei der Einkommensteuer (Lohnsteuer) beanspruchen konnten , denn Kindergeld wurde nur bei Jahreseinkommen von unter 16.800 DM ab dem zweiten , im übrigen erst ab dem dritten Kind gezahlt. – Die steuerlichen Kinderfreibeträge konnten bei geringem Einkommen oder größerer Kinderzahl nicht oder nicht in vollem Umfang ausgeschöpft werden. – Die tatsächlichen Steuerentlastungen waren wegen des Abzugs der Freibeträge von der steuerlichen Bemessungsgrundlage je nach Höhe des zu versteuernden Einkommens und des entsprechenden Grenzsteuersatzes sehr unterschiedlich. 1 Dabei handelt es sich um einen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1969, hier: Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend . Darin werden ein einheitliches, gerechtes Familienlastenausgleichssystem und „alsbaldige Anpassung der Leistungen für kinderreiche Familien an die wirtschaftliche Entwicklung“ gefordert. Plenarprotokoll der 226. Sitzung des Deutschen Bundestags am 28. März 1969, Seite 12476 (D) und Anlage 12. 2 Entwurf der Bundesregierung eines Dritten Steuerreformgesetzes, Bundestags-Drucksache 7/1470, Seite 212ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 165/18 Seite 5 Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah deshalb folgende Neuerungen vor: – Wegfall der Kinderfreibeträge bei der Einkommensteuer, – Wegfall des Kindergeldes nach dem Bundeskindergeldgesetz, – Wegfall der Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst, – statt dessen Gewährung einer Kinderentlastung von 50/70/120 DM monatlich für 1./2./3. und weitere Kinder durch Abzug von der Steuerschuld (gegebenenfalls - bei nicht ausreichender Höhe der Steuerschuld - Auszahlung des Differenzbetrages). Die Bundesregierung begründete diese Ausgestaltung insbesondere wie folgt: – Sie schlage eine Lösung im Rahmen des Besteuerungsverfahrens vor, damit die durch den Unterhalt von Kindern entstehende wirtschaftliche Belastung der Eltern im Rahmen eines an die finanzielle Leistungsfähigkeit anknüpfenden Besteuerungssystems berücksichtigt wird. – Sie erkenne die sozialpolitische Notwendigkeit an, die Startchancen der Kinder, die in nicht unerheblichem Umfang durch die Einkommensverhältnisse ihrer Eltern mitbestimmt würden, einander anzugleichen. – Diesen genannten Prinzipien werde ein System gerecht, bei dem einheitliche, vom Einkommen der Eltern unabhängige Entlastungsbeträge als Abzüge von der tariflichen Einkommensteuer gewährt würden. – Hierbei müsse allerdings gewährleistet sein, dass diese Entlastungsbeträge auch den Familien zugute kommen, deren tarifliche Einkommensteuer (Lohnsteuer) niedriger ist als die ihnen zustehende Kinderentlastung. Deshalb solle ihnen die jeweilige Differenz als Steuervergütung unmittelbar ausgezahlt werden. – Die Abdeckung des vollen Unterhaltsbedarfs der Kinder erscheine für den Regelfall nicht erforderlich und im Hinblick auf die Vorrangigkeit der Eigenverantwortung der Eltern für ihre Kinder auch nicht wünschenswert. In den Fällen, in denen die Eltern ein so geringes Einkommen hätten, dass sie trotz der Kinderentlastung den Unterhaltsbedarf der Familie nicht decken können, könnten diese auf andere öffentliche Leistungen zurückzugreifen. – Nach Auffassung der Bundesregierung wäre es durchaus wünschenswert, im Sinne etwa der Empfehlungen des Finanzwissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen für alle Kinder, unabhängig von ihrer jeweiligen Ordnungszahl, gleiche Entlastungsbeträge etwa in Höhe der Hälfte des jeweiligen sozialkulturellen Unterhaltsbedarfs zu gewähren. Die Verwirklichung dieser Zielvorstellung würde jedoch die öffentlichen Haushalte in nicht vertretbarer Weise belasten. Eine niedrigere Einheitsleistung, deren Gesamtaufwand sich im Rahmen der verfügbaren Finanzmasse halten würde - etwa 60 DM Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 165/18 Seite 6 monatlich je Kind - würde jedoch für kinderreiche Familien mit verhältnismäßig niedrigem Einkommen zu ungerechtfertigten Rechtsverschlechterungen führen.3 – Die Bundesregierung habe davon abgesehen, die Entlastungsbeträge nach dem Alter zu staffeln , weil die Kinderentlastung nicht nur den Unterhaltsbedarf im engeren Sinne, sondern die durch Kinder entstehende wirtschaftliche Gesamtbelastung der Eltern ausgleichen solle. Für diese Gesamtbelastung ließen sich aber erhebliche altersspezifische Unterschiede nicht feststellen. Gegen eine altersspezifische Staffelung der Kinderentlastung spräche auch ein erheblicher Verwaltungsmehraufwand. – Die vorgeschlagene Lösung erfordere zwar eine weitgehende finanzamtliche Erfassung auch der einkommensteuer-(lohnsteuer-)unbelasteten Personen, allerdings sei die Abwicklung des Kinderlastenausgleichs im Besteuerungsverfahren gesamtwirtschaftlich gesehen für die Masse der Fälle die im Verhältnis zu anderen Verfahren verwaltungsmäßig einfachere Lösung . – Die Bundesregierung berücksichtige mit dem Vorschlag der Abwicklung des Kinderlastenausgleichs im Rahmen der Einkommensteuer auch familienpolitischen und verfassungsrechtlichen Bedenken der Sozialenquêtekommission, der Wissenschaftlichen Beiräte bei den Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen sowie für Jugend, Familie und Gesundheit , der Kirchen und der Familienorganisationen. Der ersatzlose Wegfall der bisherigen Kinderermäßigung bei der Einkommensteuer (Lohnsteuer) würde zur Nichtberücksichtigung entsprechender Steuerermäßigungen bei den Annexsteuern, also bei der Kirchensteuer , bei einer Ergänzungsabgabe oder einem etwaigen Konjunkturzuschlag zur Einkommensteuer nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes führen. Neben der Reform des Kinderlastenausgleichs sah der Gesetzentwurf eine Erhöhung des Sonderfreibetrags für die sogenannten Halbfamilien von 1.200 DM auf 3.000 DM vor. Damit sollte das Gefälle der steuerlichen Leistungsfähigkeit zwischen alleinstehenden Personen ohne Kinder, alleinstehenden Personen mit Kindern und verheirateten Personen berücksichtigt werden, indem alleinstehende Personen mit Kindern zumindest im Proportionalbereich des Einkommensteuertarifs den zusammenveranlagten Ehegatten gleichgestellt werden. Der Vorschlag des Abzugs des Kindergeldes von der Steuerschuld erlangte jedoch keine Gesetzeskraft . Der Bundesrat sprach sich bereits in seiner ersten Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf für ein einheitliches Kindergeldsystem außerhalb des Besteuerungsverfahrens aus. Als Gründe führte er an:4 3 Eigentlich favorisierte die SPD ein degressives, mit dem Einkommen sinkendes Kindergeld, konnte sich aber gegenüber der FDP nicht durchsetzen. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen: Gerechtigkeit für Familien – Zur Begründung und Weiterentwicklung des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs, Band 202, 2001, Seite 25, unter: https://www.bmfsfj.de/blob/94678/0b3974570b6a41360b867140bdc19ba6/prm-22510-sr-band-202-data.pdf, abgerufen am 29. Oktober 2018. 4 Entwurf der Bundesregierung eines Dritten Steuerreformgesetzes, Bundestags-Drucksache 7/1470, Seite 412ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 165/18 Seite 7 – Den personellen, sächlichen und organisatorischen Mehraufwand könnten die Steuerverwaltungen der Länder bei ihrer gegenwärtigen Gesamtlage in absehbarer Zeit nicht leisten. – Der sozialpolitische Effekt des Kinderlastenausgleichs werde durch die Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit der Zahlungen sichergestellt. Die Anbindung an das Besteuerungsverfahren führe besonders bei sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten zu Verschlechterungen. – Abgesehen von der allgemeinen Mehrbelastung würden gerade Kleinbetriebe oder wirtschaftlich schwache Unternehmen bei Auszahlung der Negativ-Steuer belastet. Nach Anrufungen des Vermittlungsausschusses wurden Teile des Gesetzentwurfs eines Dritten Steuerreformgesetzes (siehe oben) und des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs (Bundestags-Drucksache 7/2032) im Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (Einkommensteuerreformgesetz - EStRG) verabschiedet. Es blieb zwar bei der Abschaffung des Kinderfreibetrages, das Kindergeld wurde aber weiterhin durch das Bundeskindergeldgesetz geregelt. Es betrug 50/70/120 DM monatlich für 1./2./3. und weitere Kinder.5 3. Familienlastenausgleich zwischen 1975 und 1983 Zwischen der Abschaffung und der Wiedereinführung des Kinderfreibetrages wurden zahlreiche Änderungen der Höhe des Kindergeldes und des Kreises der Anspruchsberechtigten vorgenommen . Während bis zu Beginn des Jahres 1981 zunächst noch Erhöhungen des Kindergeldes und Ausweitungen des Kreises der Anspruchsberechtigten zu verzeichnen waren, dominierten in der weiteren Entwicklung auch beim Familienlastenausgleich die im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise eingeleiteten Sparmaßnahmen. Das Kindergeld entwickelte sich zwischen 1975 und 1989 in der Höhe wie folgt: Zeitraum 1. Kind 2. Kind 3. Kind 4. Kind 5. und jedes weitere Kind 1.1.1975-31.12.1977 50 70 120 120 120 1.1.1978-31.12.1978 50 80 150 150 150 1.1.1979-30.6.1979 50 80 200 200 200 1.7.1979-31.1.1981 50 100 200 200 200 1.2.1981-21.12.1981 50 120 240 240 240 1.1.1982-30.6.1990 50 100 220 240 240 Der Kreis der Anspruchsberechtigten wurde zunächst für über 18 Jahre alte Kinder erweitert, zudem gab es Sonderregelungen für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes. 5 Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (Einkommensteuerreformgesetz - EStRG) vom 5. August 1974, BGBl. I, Seite 1769. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 165/18 Seite 8 Mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 22. Dezember 19816 wurde nicht nur erstmals das Kindergeld verringert, sondern auch die Regelaltersgrenze für den Bezug von Kindergeld auf 16 Jahre gesenkt. Darüber hinaus wurden die Regelungen für den Bezug zum Beispiel während der Ausbildungsplatzsuche eingeschränkt.7 Eine Studie, die im Jahr 1989 durchgeführt wurde, beschäftigte sich mit der Frage, wie sich das verfügbare Einkommen der Familien in der Zeit von 1954 bis 1986 durch Kindergeld und kinderbedingte Steuerentlastungen erhöht hat. Dafür wurden 144 Familientypen mit einem bis vier Kinder und aus zwölf Berufsgruppen als Repräsentanten unterschiedlicher Einkommensgruppen gebildet . Für den Zeitraum zwischen 1975 und 1983 sind im Hinblick auf Familien verschiedener Einkommensklassen in der gewerblichen Wirtschaft insbesondere folgende Ergebnisse relevant: – Für Familien mit einem Kind hatte demnach zwar die Umstrukturierung des Familienlastenausgleichs 1975 zu einer merklichen Reduzierung der ungleichen Entlastungen geführt, denn mit der Aufhebung des Kinderfreibetrags verschwanden die durch die Steuerprogression bedingten Unterschiede. Zudem wirkte sich das einkommensunabhängige Erstkindergeld positiv aus. Zu einer völlig einkommensunabhängigen Gleichverteilung kam es aber nicht, weil sich die weiterhin nach der Einkommenshöhe gestaffelten Kinderadditive, zum Beispiel bei den Sonderausgaben, bei den niedrigen Einkommen negativ auswirkten. – Nach einer bezüglich der Verteilungspositionen stabilen Phase verschlechterten sich diese 1980 in den mittleren und unteren Einkommensklassen wieder, als Kinderbetreuungskosten in begrenztem Umfang steuerlich absetzbar wurden und sich dadurch der die Ungleichverteilung begünstigende Progressionseffekt wieder stärker bemerkbar machen konnte. Weitere Verschiebungen sind auch in diesem Zeitabschnitt auf die Veränderungen des einkommens - und kinderzahlabhängigen Sonderausgabenabzugs zurückzuführen. – Für Familien mit zwei Kindern stieg die Verteilungsposition durch die Umstrukturierung des Familienlastenausgleichs 1975 im Vergleich zur Einkindfamilie nur gering an, weil sie bereits vorher Kindergeld bekommen haben. – Die Verteilungsrate für Familien mit drei Kindern entwickelte sich gleich derjenigen der Familie mit zwei Kindern, die Stufenregelung für das Kindergeld hatte also keine Auswirkungen darauf.8 6 Neuntes Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 22. Dezember 1981BGBl. I, Seite 1566. 7 Ausführlich zu den Änderungen mit allen Gesetzblattverweisen vgl.: Frerich, Johannes; Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Band 3: Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Herstellung der Deutschen Einheit, München, Wien 1993, Seite 336f. 8 Willeke, Franz-Ulrich; Onken, Ralph: Allgemeiner Familienlastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/New York 1990, Seite 214ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 165/18 Seite 9 4. Die Wiedereinführung des Kinderfreibetrags 1983 Die von CDU/CSU und FDP im Herbst 1982 gebildete Bundesregierung führte ab 1983 wieder einen Steuerfreibetrag für Kinder ein. Gleichzeitig galten für den Bezug von Kindergeld für das zweite und jedes weitere Kind Einkommensgrenzen, bei deren Überschreitung das Kindergeld je nach dem Ausmaß der Überschreitung auf Sockelbeträge abgesenkt wurde. „Diese Einführung von Einkommensgrenzen ist weniger auf grundsätzliche verteilungspolitische Überlegungen zurückzuführen als vielmehr auf die mit der 1975 einsetzenden und wachsenden Arbeitslosigkeit eintretende und sich verschärfende Knappheit öffentlicher Mittel.“9 Die Wiedereinführung des Kinderfreibetrags erfolgte durch das Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983).10 Das Gesetz umfasste steuerliche Änderungen, Änderungen der Investitionshilfe, Änderungen am finanziellen Ausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die Anpassung der Beamtengehälter 1983, Einschränkungen bei den Leistungsgesetzen (zum Beispiel Kindergeld, Wohngeld, BAföG, Sozialhilfe) sowie zahlreiche Maßnahmen im Sozialbereich.11 Mit Bezug auf den Familienleistungsausgleich waren insbesondere folgende Vorschläge der Bundesregierung relevant:12 Maßnahmen im Bereich Familienlastenausgleich Haushalts- Belastung für den Bund 1983 Haushalts- Entlastung für den Bund 1983 Einführung eines Kinderfreibetrags von 432 DM je Kind (§ 32 EStG) 680 Mio. DM Einkommensabhängige Reduzierung der Kindergeldsätze 980 Mio. DM Wegfall der Kinderbetreuungskosten (§ 33 a Abs. 3 EStG) 684 Mio. DM Nachträgliche volle Kinderbetreuungskosten für Alleinstehende (für 1980 bis 1982) (§ 53a EStG) 64 Mio. DM 9 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen : Gerechtigkeit für Familien – Zur Begründung und Weiterentwicklung des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs , Band 202, 2001, Seite 29, unter: https://www.bmfsfj.de/blob/94678/0b3974570b6a41360b867140bdc19ba6/prm-22510-sr-band-202-data.pdf, abgerufen am 26. Oktober 2018. 10 Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982, BGBl. I, Seite 1857. 11 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983), Bundestags-Drucksache 9/2140, Seite 58. 12 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983), Bundestags-Drucksache 9/2140, Seite 60. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 165/18 Seite 10 Maßnahmen im Bereich Familienlastenausgleich Haushalts- Belastung für den Bund 1983 Haushalts- Entlastung für den Bund 1983 Halbierung der Ausbildungsfreibeträge ab 1. Januar 1984 (§ 33a Abs. 2 EStG) -- -- Die Maßnahmen wurden wie folgt begründet: – „Unter familienpolitischen Gesichtspunkten wird, um dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit besser als bisher Rechnung zu tragen, ein bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens abzuziehender Kinderfreibetrag eingeführt. Er wird neben dem Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz gewährt. Damit wird der derzeitige Kinderlastenausgleich wieder verstärkt in Form eines dualen Systems gestaltet. Diese Maßnahme soll eine Übergangsregelung bis zur Einführung eines Familiensplittings sein.“13 – Zur Konsolidierung des Bundeshaushalts sei es auch erforderlich, beim Kindergeld Einsparungen vorzunehmen. Es entspreche der sozialen Gerechtigkeit, dies nur zu Lasten von Berechtigten mit höherem Einkommen zu tun; denn sie könnten die Einbuße am ehesten verkraften . Für sie solle das monatliche Kindergeld für das zweite und jedes weitere Kind stufenweise von 100 bis auf 70 DM für das zweite Kind, von 220 bis auf 140 DM für das dritte Kind, von 240 bis auf 140 DM für jedes weitere Kind gemindert werden. Die Einkommensgrenze, bei der die Minderung des Kindergeldes beginnen soll, solle für ein zusammenlebendes Ehepaar mit zwei Kindern jährlich 42.000 DM netto betragen (für alleinerziehende Elternteile 34.200 DM) und für jedes weitere Kind um 7.800 DM erhöht werden.14 – „Mit der Einführung eines Kinderfreibetrages ist die Grundlage für den begrenzten Abzug von Aufwendungen für Dienstleistungen zur Beaufsichtigung oder Betreuung eines Kindes als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 EStG entfallen. Diese Vorschrift soll deshalb gestrichen werden, zumal sie wegen ihrer unterschiedlichen Auslegung 13 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983), Bundestags-Drucksache 9/2140, Seite 66. 14 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983), Bundestags-Drucksache 9/2140, Seite 85. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 165/18 Seite 11 und Anwendung in den Bundesländern zu einer ungleichmäßigen Besteuerung geführt hat.“15 – „Bisher war die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 a Abs. 3 EStG 1979/ 81 durch unterschiedliche Höchstbeträge für Ehegatten und alleinerziehende Elternteile begrenzt. … Der Gesetzentwurf sieht deshalb auch im Hinblick auf beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 16 vor, dass beide Personengruppen auf Antrag denselben Höchstbetrag von 1.200 Deutsche Mark in Anspruch nehmen können, und zwar für die Veranlagungszeiträume 1980 bis 1982, soweit die Steuerfestsetzungen noch nicht bestandskräftig sind oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen.“17 – „Aus haushaltsmäßigen Gründen ist eine Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dahin vorgesehen, dass die Förderung für Studenten auf Darlehensbasis umgestellt wird. In diesem Zusammenhang ist es gerechtfertigt, ab 1984 die einkommensteuerlichen Ausbildungsfreibeträge um die Hälfte zu reduzieren. Bei Einführung des Familiensplittings wird zu entscheiden sein, ob und gegebenenfalls wie die Ausbildungsfreibeträge in eine Neuregelung des Kinderlastenausgleichs einzubeziehen sind.“18 Gegen die einkommensabhängigen Kindergeldkürzungen durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht urteilte in seinem Beschluss vom 29. Mai 199019, dass die Kürzungsvorschrift verfassungsrechtlich unbedenklich sei, soweit sie das Kindergeld als Sozialleistung betreffe. Sie sei jedoch verfassungsrechtlich zu beanstanden , weil das gekürzte Kindergeld nicht mehr seiner Funktion gerecht geworden sei, der Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen, die durch den Unterhalt ihrer Kinder bedingt ist, Rechnung zu tragen. Der Beschluss führte zu dem auch noch heute gültigen System des Familienleistungsausgleichs im Einkommensteuergesetz. * * * 15 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983), Bundestags-Drucksache 9/2140, Seite 67. 16 Das Bundesverfassungsgericht hat die ungleiche Behandlung in seinem Urteil vom 3. November 1982, Aktenzeichen 1 BvR 620/78, bestätigt: „Im Einkommensteuerrecht darf aber nicht außer acht bleiben, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berufstätiger Alleinstehender mit Kindern durch zusätzlichen zwangsläufigen Betreuungsaufwand gemindert sein kann, der bei Ehepaaren typischerweise nicht entsteht oder - bei Berufstätigkeit beider Ehepartner - leichter getragen werden kann.“ 17 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983), Bundestags-Drucksache 9/2140, Seite 68. 18 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983), Bundestags-Drucksache 9/2140, Seite 66f. 19 Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84.