© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 155/19 Rechtlicher Rahmen zur Änderung der Entfernungspauschale Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 2 Rechtlicher Rahmen zur Änderung der Entfernungspauschale Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 155/19 Abschluss der Arbeit: 08.01.2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Frage 1: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale - wie im Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht (BT-Drs. 19/14338) angelegt - ab einem bestimmten Kilometer (hier Kilometer 21) vorübergehend zu erhöhen, und wenn ja, wie kann diese Erhöhung begründet werden? 4 3. Frage 2: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale anders herum zu staffeln, also höhere Sätze für die ersten Kilometer und immer geringere Sätze für weitere Kilometer vorzusehen (Beispiel: 35 Cent/km für die Kilometer 0 bis 9, 30 Cent/km für die Kilometer 10 bis 19, 25 Cent/km für die Kilometer 20 bis 29 etc.), da die durchschnittlichen Kosten je Kilometer abnehmen? 10 4. Frage 3: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale gänzlich zu kappen, etwa ab Kilometer 35? 12 5. Fragen 4 und 5: 18 5.1. Gegenwärtige Systematik der Entfernungspauschale und Regelung vor dem 1. Januar 2001 19 5.2. Frage 5: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale ausschließlich für Fahrten mit dem ÖPNV bzw. anderen umweltfreundlichen Verkehrsmitteln und damit in Abgrenzung zu Fahrten mit dem PKW zu erhöhen? 21 5.3. Frage 4: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale ab einem bestimmten Jahr schrittweise für PKW nutzende Pendler abzusenken, da mit dem Markthochlauf der Elektromobilität die Betriebskosten von Autofahrten im Schnitt sinken? 24 6. Frage 6: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale gänzlich abzuschaffen (Stichwort „Werktorprinzip“)? 26 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 4 1. Fragestellung Die Fragen betreffen den verfassungsrechtlichen Rahmen für verschiedene einfachgesetzliche Änderungen der Entfernungspauschale in § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG bis hin zu ihrer vollständigen Abschaffung. Die derzeitige Regelung des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 EStG zählt Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den Werbungskosten und lässt diese Aufwendungen in begrenztem Umfang pauschaliert zum Abzug zu1. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 9. Dezember 20082 wesentliche Prinzipien des Einkommensteuerrechts aufgezeigt, an die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten gebunden ist. Im Folgenden soll die Bedeutung dieser Prinzipien im Hinblick auf die einzelnen Fragestellungen dargestellt werden. 2. Frage 1: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale - wie im Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht (BT-Drs. 19/14338) angelegt - ab einem bestimmten Kilometer (hier Kilometer 21) vorübergehend zu erhöhen, und wenn ja, wie kann diese Erhöhung begründet werden ? Die geplante Neuregelung, die eine Erhöhung der Entfernungspauschale ab 1. Januar 2021 befristet bis zum 31. Dezember 2026 ab dem 21. Kilometer um 5 Cent auf 0,35 Euro je vollen Entfernungskilometer vorsieht, ist vor dem Hintergrund der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Dezember 20083 bei der Ausgestaltung der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte aufgezeigten, wesentlichen Prinzipien des Einkommensteuerrechts zu prüfen. Das Bundesverfassungsgericht geht von dem Grundsatz aus, dass dem Gesetzgeber im Bereich des Steuerrechts grundsätzlich ein weitreichender Entscheidungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegenstands und bei der Bestimmung des Steuersatzes zusteht4. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der auch für allgemeine Begünstigungen gilt, ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber5. 1 Oertel, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 41. 2 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210. 3 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210. 4 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 57. 5 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 56. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 5 Speziell im Einkommensteuerrecht wird die gesetzgeberische Freiheit jedoch begrenzt durch das verfassungsrechtliche Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit6. Mit Blick auf den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit - die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgeblich ist - gelten für die Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit das objektive und das subjektive Nettoprinzip. Danach unterliegt der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, d.h. der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den - betrieblichen bzw. beruflichen - Erwerbsaufwendungen sowie den privaten existenzsichernden Aufwendungen andererseits7. Daraus begründet sich, dass Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit gemäß § 9 EStG grundsätzlich steuerlich abziehbar sind8. So zählt die derzeitige Regelung des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den Werbungskosten und lässt diese Aufwendungen in begrenztem Umfang pauschaliert zum Abzug zu9. Im Rahmen des objektiven Nettoprinzips, wie es in § 2 Abs. 2 EStG zum Ausdruck kommt, hat der Gesetzgeber die Zuordnung von Aufwendungen zum betrieblichen oder beruflichen Bereich, derentwegen diese Aufwendungen von den Einnahmen grundsätzlich abzuziehen sind, danach vorgenommen, ob eine betriebliche oder berufliche Veranlassung besteht (sog. Veranlassungsprinzip , vgl. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG)10. Dabei kommt es laut Bundesverfassungsgericht für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für die Aufwendungen, sondern auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem , pflichtbestimmtem Aufwand andererseits an11. 6 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 57. 7 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 62. 8 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 62. 9 Oertel, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 41. 10 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 62. 11 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 65. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 6 Der Gesetzgeber ist weiterhin gehalten, bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene steuergesetzliche Belastungsentscheidung folgerichtig - im Sinne der Belastungsgleichheit - umzusetzen und zu konkretisieren (Gebot der Folgerichtigkeit)12. Wenn der Gesetzgeber Ausnahmen von den beiden Leitlinien - Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und Folgerichtigkeitsgebot - machen will, bedarf es besonderer sachlicher Gründe zur Rechtfertigung13. Insoweit bedürfen Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung - mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG - eines besonderen sachlich rechtfertigenden Grundes14. Als besondere sachliche Gründe hat das Bundesverfassungsgericht außerfiskalische Förderungsund Lenkungszwecke aus Gründen des Gemeinwohls sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt15. Abzugsbeschränkungen für beruflich oder betrieblich veranlassten Aufwand (oder auch vollständige Abzugsverbote für Erwerbsaufwand) stellen eine Abweichung von dem aus dem Grundsatz der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit folgenden objektiven Nettoprinzip dar und sind daher durch besondere sachliche Gründe zu rechtfertigen16. Hinsichtlich der Qualifizierung der Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte als beruflich oder privat veranlasst - und somit der Frage ihrer grundsätzlichen Abzugsfähigkeit - geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Wegekosten - verfassungsrechtlich unbedenklich auch mit Blick auf das einkommensteuerrechtliche Nettoprinzip - als nicht nur beruflich, sondern auch privat (mit-)veranlasst zu bewerten sind („gemischte Aufwendungen “)17. So sei die Überwindung einer Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsstätte und die Entstehung von Wegekosten regelmäßig notwendige Bedingung beruflicher Betätigung, gleichwohl werde die Höhe der Wegekosten erheblich durch individuelle Entscheidungen des Steuerpflichtigen (Wahl 12 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 57. 13 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 58ff. 14 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 57, 63. 15 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59, 60. 16 Vgl. Görke, Roger, Einkommensteuer und objektives Nettoprinzip, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 109, 110. 17 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 75. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 7 des Verkehrsmittels, Wahl des Wohnorts, etc.) beeinflusst18. Die Wahl des Verkehrsmittels könne - je nach vorhandener Infrastruktur - weitgehend beliebig oder praktisch zwingend sein, als auch die Auswahl oder Beibehaltung des Wohnsitzes (etwa je nach Einkommensverhältnissen, Wohnkosten , familiären Verpflichtungen, etc.)19. Auf Grundlage der Bewertung der Wegeaufwendungen als „gemischt“ eröffnen sich - laut Bundesverfassungsgericht - für den Gesetzgeber erhebliche Typisierungsspielräume. Der Gesetzgeber sei berechtigt, im Interesse eines praktikablen Gesetzesvollzugs mit generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelungen die „typische“ private Mitveranlassung von Wegekosten bei der Bestimmung abzugsfähigen Aufwands zu berücksichtigen und solche Regelungen unter verkehrs-, siedlungs- und umweltpolitischen Aspekten auszugestalten20. Mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Typisierungsmethode führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Gesetzgeber bestimmte, in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenfassen dürfe. Er könne sich dabei am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen21. Einen atypischen Fall darf der Gesetzgeber jedoch nicht als Leitbild wählen , sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen22. Eine Typisierung, die die gemischte Veranlassung der Wegekosten zum Ausgangspunkt nähme, müsste - laut Bundesverfassungsgericht - daran ansetzen, die Vielzahl der Einzelfälle hinsichtlich der Unterscheidung zwischen privater und beruflicher Veranlassung in einem Gesamtbild zu erfassen . Die Faktoren, die die Wahl des Verkehrsmittels und des Wohnsitzes bestimmen, müssten in die gesetzgeberische Abwägung eingestellt und auf dieser Grundlage die - nach der gesetzgeberischen Einschätzung - erfahrungsgemäß in der Realität „typischerweise“ vorkommenden Fälle geregelt und verallgemeinert werden23. 18 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 73, 74. 19 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 75. 20 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 75. 21 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 60. 22 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 60. 23 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 77. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 8 Bei der geplanten Neuregelung begründet der Gesetzgeber die befristete Erhöhung der Entfernungspauschale ab dem 21. km - ausweislich der Gesetzesbegründung24 - zum einen mit dem sozialpolitischen Förderungszweck, Steuerpflichtige mit besonders langen Arbeitswegen (sog. Fernpendler ) zu entlasten, da diese am stärksten durch die mit dem Klimaschutzprogramm beschlossene CO2-Bepreisung sich ergebende Erhöhung der Aufwendungen für Fahrten betroffen seien. Der Gesetzgeber nimmt als Faktoren, die die Wahl des Verkehrsmittels bestimmen, im Rahmen seiner gesetzgeberischen Abwägung in den Blick, dass für Steuerpflichtige mit einem Arbeitsweg von 21 km und mehr - besonders in ländlichen Räumen - oftmals kein ausgebautes Netz des öffentlichen Personenverkehrs zur Verfügung steht und diese typischerweise auf einen PKW angewiesen sind. Weiterhin wird als Faktor berücksichtigt, dass Fernpendlern regelmäßig andere Alternativen zum PKW mit Verbrennungsmotor in den kommenden Jahren nicht zur Verfügung stehen . Der Gesetzgeber gibt außerdem an, mit der Regelung den verkehrs- und umweltpolitischen Lenkungszweck zu verfolgen, Steuerpflichtigen, die bisher einen PKW mit Verbrennungsmotor benutzen , einen Anreiz zu setzen, auf andere Verkehrsmittel, wie z.B. die Bahn umzusteigen, wenn und soweit diese zur Verfügung stehen25. Insoweit wird angeführt, dass die begrenzte Abzugsfähigkeit (0,35 Euro) nur einem teilweisen Ausgleich der sich durch die CO2-Bepreisung ergebenden Erhöhung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte entspricht 26. Zu bedenken ist auch, dass die Aufwandsunabhängigkeit der abzugsfähigen Pauschale bei allen Steuerpflichtigen mit geringerem (oder ganz fehlendem) Kostenaufwand, als Subvention wirkt und insoweit einen Anreiz zur Benutzung sparsamer und umweltschonender (v.a. auch öffentlicher ) Verkehrsmittel zur Förderung verkehrs- und umweltpolitischer Ziele setzt27. Das Bundesverfassungsgericht erkennt außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke (insbesondere solche mit verkehrs-, umwelt- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen) als Rechtfertigungsgründe vor dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG an28. Förderungs- und Lenkungszwecke können insoweit besondere sachliche Gründe darstellen, die Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen rechtfertigen .29 24 BT-Drs. 19/14338, S. 24. 25 BT-Drs. 19/14338, S. 24. 26 BT-Drs. 19/14338, S. 24. 27 Oertel, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 46, 47; BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 82. 28 Kischel in BeckOK, Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art. 3 GG, Rn. 160; Bowitz, Maximilian, Das objektive Nettoprinzip als Rechtfertigungsmaßstab im Einkommensteuerrecht, Steuerwissenschaftliche Schriften, Band 56, 1. Auflage 2016, S. 204. 29 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 9 Förderungs- und Lenkungszwecke müssen indes von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen und gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Insoweit müssen auch Vergünstigungstatbestände jedenfalls ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweisen30. Dabei wird dem Gesetzgeber hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Diagnose und Prognose sowie bei der Wahl sachgerechter Mittel, insbesondere auch bei der Antwort auf die Frage, wie der Kreis der Begünstigen sachgerecht abzugrenzen ist, ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt 31. Unter Bezugnahme auf den verfolgten sozialpolitischen Förderungszweck und die verkehrs- und umweltpolitischen Lenkungszwecke wird vom Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Faktoren, die die Wahl des Verkehrsmittels bestimmen, typisierend und pauschalierend eine Erhöhung der Entfernungspauschale auf 0,35 Euro ab dem 21. km vorgenommen. Der Gesetzgeber hat zudem in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf den sozialpolitischen Förderungszweck und den umwelt - und verkehrspolitischen Lenkungszweck Bezug genommen32. Insoweit wird auch das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Postulat, dass Förderungs- und Lenkungszwecke von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen sein müssen, berücksichtigt33. Dem möglichen Einwand, die Erhöhung des Abzugs der Wegekosten für Fernpendler stehe im Widerspruch zu den verkehrs- und umweltpolitischen Zielsetzungen, da die Wahl und Aufrechterhaltung längerer Wegstrecken zur Arbeit und damit die Inkaufnahme regelmäßig energieintensiverer Transporte - ggf. subventiv - belohnt werde, während die Wahl und Aufrechterhaltung kürzerer Wegstrecken und damit verkehrs- und umweltpolitisch regelmäßig vorzugswürdige Verhaltensweisen zielwidrig benachteiligt werden34, steht entgegen, dass die Erhöhung der Entfernungspauschale für Fernpendler bis zum 31. Dezember 2026 befristet ist und somit eine Regelung für eine Übergangszeit - in der Fernpendler nach gesetzgeberischer Einschätzung typischerweise auf die Nutzung eines PKW mit Verbrennungsmotor angewiesen sind - darstellt. Mit Blick auf die erheblichen Typisierungsspielräume, die das Bundesverfassungsgericht bei der Abzugsfähigkeit der gemischt veranlassten Wegekosten dem Gesetzgeber eingeräumt hat, wie auch hinsichtlich der Voraussetzungen der Typisierungsmethode und der verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen bei der Verfolgung von Förderungs- und Lenkungszwecken, erscheint die typisierende und pauschalierende Erhöhung der Entfernungspauschale auf 0, 35 Euro ab dem 30 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59; vgl. auch Bowitz, Maximilian, Das objektive Nettoprinzip als Rechtfertigungsmaßstab im Einkommensteuerrecht , Steuerwissenschaftliche Schriften, Band 56, 1. Auflage 2016, S. 204. 31 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99, DStR 2006, 1316, Rn. 75; s. Verweis in BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59; vgl. auch Kischel in BeckOK, Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art. 3 GG, Rn. 160, 168. 32 BT-Drs. 19/14338, S. 24. 33 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 70. 34 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 10 21. km mit dem Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit vereinbar und stellt keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. 3. Frage 2: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale anders herum zu staffeln, also höhere Sätze für die ersten Kilometer und immer geringere Sätze für weitere Kilometer vorzusehen (Beispiel: 35 Cent/km für die Kilometer 0 bis 9, 30 Cent/km für die Kilometer 10 bis 19, 25 Cent/km für die Kilometer 20 bis 29 etc.), da die durchschnittlichen Kosten je Kilometer abnehmen? Mit Blick auf die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte ist das Bundesverfassungsgericht nach seiner unter Punkt 2. dargestellten Rechtsprechung unter Zugrundelegung der Qualifizierung dieser Aufwendungen als sog. „gemischte Aufwendungen“ von erheblichen Typisierungsspielräumen für den Gesetzgeber ausgegangen . Der Gesetzgeber sei berechtigt, im Interesse eines praktikablen Gesetzesvollzugs mit generalisierenden , typisierenden und pauschalierenden Regelungen die „typische“ private Mitveranlassung von Wegekosten bei der Bestimmung abzugsfähigen Aufwands zu berücksichtigen und solche Regelungen unter verkehrs-, siedlungs- und umweltpolitischen Aspekten auszugestalten35. Im Bereich gemischt veranlasster Aufwendungen obliegt also die Konkretisierung des Nettoprinzips mit Blick auf die Frage der Abzugsfähigkeit dieser Aufwendungen einem erheblichen Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers36. Das objektive Nettoprinzip ist bei gemischt veranlassten Aufwendungen nicht in allen Einzelheiten verfassungsrechtlich vorgegeben37. Das Bundesverfassungsgericht hebt insoweit hervor, dass es dem Gesetzgeber grundsätzlich offen stehe, wie er multikausale und multifinale Wirkungszusammenhänge im Schnittbereich zwischen beruflicher und privater Sphäre gewichtet38. Typisierungen müssen sich jedoch grundsätzlich am Regelfall orientieren und (ist) der Gesetzgeber nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen indes auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Insbesondere darf 35 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 75. 36 Vgl. Englisch, Joachim, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 96, 99. 37 Bowitz, Maximilian, Das objektive Nettoprinzip als Rechtfertigungsmaßstab im Einkommensteuerrecht, Steuerwissenschaftliche Schriften, Band 56, 1. Auflage 2016, S. 84. 38 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 72. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 11 der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen39. Problematisch wären daher auch Abzugsbeschränkungen, die unsystematisch oder willkürlich erscheinen40. Mit Blick auf die gemischte Natur der Wegekosten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass „ihre berufliche (Mit-)Veranlassung…umso stärker zurücktritt, je größer der Stellenwert ist, der den gegen eine möglichst große Arbeitsplatznähe sprechenden Gesichtspunkten beigemessen wird und je länger demzufolge der Arbeitsweg ist“41. Weiter heißt es zu einer typisierenden Bewertung und Gewichtung beruflicher und privater Veranlassungsmomente hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der gemischten Wegekosten, „als Indiz für überwiegend beruflich veranlassten Aufwand ließe sich allenfalls die geringere im Vergleich zur größeren Entfernung verwenden nach der Faustformel: je geringer die Entfernung zum Arbeitsplatz , umso eher ist ein angemessener Kostenaufwand zur Überwindung der Entfernung als unausweichlicher beruflich bedingter Aufwand zu werten“42. Im Umkehrschluss wäre daraus zu schließen, dass je weiter die Entfernung zum Arbeitsplatz ist, umso weniger (wäre) ein entsprechender Kostenaufwand als unausweichlicher beruflich bedingter Aufwand zu werten43. Im Hinblick darauf, dass im Bereich gemischt veranlasster Aufwendungen die Konkretisierung des Nettoprinzips einem erheblichen Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt, wird in der Literatur daher auch der Schluss gezogen, dass „eine Entfernungspauschale…berücksichtigen dürfte, dass die private Mitveranlassung der Fahrten…typischerweise mit zunehmender Distanz ansteigt, und dementsprechend den abzugsfähigen Anteil der Aufwendungen - vorbehaltlich einer im Lichte verfassungsrechtlicher Wertungen anzunehmenden Zwangsläufigkeit des privaten Veranlassungszusammenhangs - schrittweise reduzieren“44. 39 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 60; Kischel in BeckOK, Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art. 3 GG, Rn. 122ff. 40 Görke, Roger, Einkommensteuer und objektives Nettoprinzip, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 109. 41 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 74. 42 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 77. 43 Weber-Grellert, Heinrich, Unzulässige Diskriminierung von Nahpendlern – Die Entscheidung des BVerfG zur Pendlerpauschale vom 9.12.2008, 2 BvL 1/07, DStR 2008, S. 353. 44 Englisch, Joachim, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 98, 99. Ähnlich auch Weber-Grellert, Heinrich, Unzulässige Diskriminierung von Nahpendlern – Die Entscheidung des BVerfG zur Pendlerpauschale vom 9.12.2008, 2 BvL 1/07, DStR 2008, S. 352: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 12 Im Hinblick auf das Gebot der Folgerichtigkeit, wonach der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands - mit Blick auf den Gleichheitssatz - die einmal getroffene steuergesetzliche Grundentscheidung folgerichtig umsetzen muss, kann zudem auf außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke (etwa umweltpolitische Zielsetzungen) verwiesen werden, die der Gesetzgeber verfolgen darf und die von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen sein müssen (s. hierzu Frage 1). 4. Frage 3: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale gänzlich zu kappen, etwa ab Kilometer 35? Dem Gesetzgeber steht bei der Auswahl des Steuergegenstands und bei der Bestimmung des Steuersatzes ein weit reichender Entscheidungsspielraum zu. Ferner muss der Gesetzgeber unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Besteuerung aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene steuergesetzliche Grundentscheidung folgerichtig - im Sinne der Belastungsgleichheit - umsetzen und konkretisieren45. Laut Bundesverfassungsgericht entfaltet im Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit das objektive Nettoprinzip Bedeutung bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips als Ausgangstatbestand der Einkommensteuer gehöre zu diesen Grundentscheidungen46. Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung seien zwar möglich, bedürften aber eines besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes47. Im Rahmen des Normenkontrollverfahrens zur seinerzeitigen Neuregelung des § 9 Abs. 2 S. 1 EStG, die Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte bis zu einer Entfernung von 20 km aus dem Tatbestand der Werbungskosten ausschloss, und für Aufwendungen für Wege ab dem 21. km die Abzugsfähigkeit weiter aufrechterhielt, führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass mit der Regelung eine Abweichung von dem nach dem Nettoprinzip maßgeblichen Veranlassungsprinzip (bei der Zuordnung von Aufwendungen zur beruflichen Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, jeden Entfernungsaufwand zum Abzug zuzulassen. Andererseits sei durchaus eine gewisse Unausweichlichkeit gegeben, so dass - auch im Verhältnis zu den Nichtpendlern oder zu den Pendlern mit geringer Entfernung - ein partieller, auch degressiv abfallender Abzug zulässig ist. 45 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 57. 46 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 63. 47 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 66. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 13 oder zur privaten Sphäre) einhergehe, für die keine verfassungsrechtlich hinreichenden sachlichen Gründe vorlägen48. So sei nicht das nach dem Nettoprinzip entscheidende Ergebnis von Bestimmung und Bewertung privater oder beruflicher Gründe und Ziele der Aufwendungen, sondern ausschließlich die räumliche Abgrenzung - also die Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis zu einer Entfernung von 20 km - entscheidend für die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage nach den für Werbungskosten zuständigen Regeln49. Die Norm werde daher den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine folgerichtige Umsetzung einkommensteuerrechtlicher Belastungsentscheidungen nicht gerecht und verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG50. Eine Regelung, die die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ab einem bestimmten Entfernungskilometer ausschließen würde, wäre eine Abweichung von dem im Einkommensteuerrecht nach dem Nettoprinzip maßgeblichen Veranlassungsprinzip , bei der für die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen allein die räumliche Abgrenzung entscheidend wäre. Eine solche Abweichung bedarf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich hinreichend gewichtiger Gründe zu ihrer Rechtfertigung51. Als hinreichend gewichtigen Sachgründe hat das Gericht außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie die gesetzgeberische Typisierungsbefugnis bei gemischten Aufwendungen genannt52. Auch ein Systemwechsel bzw. eine neue Zuordnungsentscheidung für Wegeaufwendungen sollen unter bestimmten Voraussetzungen den Gesetzgeber von den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit der Ausgestaltung einer am Maßstab finanzieller Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung des Einkommens nach dem objektiven Nettoprinzip entbinden können 53. Mit der Verfolgung außerfiskalischer Förderungs- und Lenkungszwecke darf der Gesetzgeber grundsätzlich durch mittelbare Verhaltenssteuerung Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft 48 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 67. 49 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 67. 50 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 66. 51 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 69ff. 52 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 69ff. 53 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 79. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 14 nehmen bzw. auf das Ziel gesamtwirtschaftlich effizienter Verhaltenslenkung hinwirken54. Dem Gesetzgeber steht hinsichtlich der Förderungs- und Lenkungszwecke als legitime Ziele auch eine weite Einschätzungsprärogative zu55. Allgemein anerkannt ist die Zulässigkeit der Verfolgung einer umweltpolitischen Lenkungswirkung56. In seiner o.g. Entscheidung zur seinerzeitigen Neuregelung des § 9 Abs. 2 S. 1 EStG führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Regelung nicht durch entsprechende Förderungs- und Lenkungsziele gerechtfertigt sei, da sie nicht - wie verfassungsrechtlich geboten - von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen werde57. So lasse sich weder aus dem Gesetzestext , noch aus den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass der Gesetzgeber solche Überlegungen zur Begründung der Rechtsänderung herangezogen hätte.58 Das Bundesverfassungsgericht geht in diesem Punkt jedoch nicht auf eine materielle Prüfung der Legitimationswirkung solcher Lenkungszwecke ein, sondern legt den Schwerpunkt der Kontrolle vom materiellen Regelungsgehalt der Förderungs- und Lenkungszwecke hin zum Vorgang der Entscheidungsfindung. Insoweit wird die Verfassungswidrigkeit der damaligen Regelung auf die fehlende Begründung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren gestützt59. In der Literatur wird daraus teilweise der Schluss gezogen, das Gericht halte weitreichende Ausnahmen vom objektiven Nettoprinzip - sogar den vollständigen Ausschluss der Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsstätte - für möglich. Als Ausgleich für diesen weiten Gestaltungsspielraum solle der Gesetzgeber aber einem erhöhten Begründungszwang im Gesetzgebungsverfahren unterliegen 60. Von anderen namhaften Stimmen wird indes hervorgehoben, dass unvermeidbare, notwendige Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abziehbar sein müssten61. Dies hängt 54 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59, 70. 55 Englisch, Joachim, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 98. 56 Kube, in BeckOK, Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art. 105 GG, Rn. 6; Heun, in Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2018, Art. 105 GG, Rn. 16. 57 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 70. 58 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 70. 59 Breinersdorfer, Stefan, Abzugsverbote und objektives Nettoprinzip - Neue Tendenzen in der verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers, DStR, 2010, S. 2495. 60 Breinersdorfer, Stefan, Abzugsverbote und objektives Nettoprinzip - Neue Tendenzen in der verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers, DStR, 2010, S. 2495. 61 Jachmann, Monika, Objektives Nettoprinzip als tragendes Element im Gesamtsystem des Steuerrechts und Grenze für die Steuerpolitik, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 132; Schneider, Stefan, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 91. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 15 insbesondere mit der Frage zusammen, welche Bedeutung dem objektiven Nettoprinzip als Grenze für die Steuerpolitik verfassungsrechtlich beigemessen wird (s. Frage 6). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf das in der Literatur aufgeworfene Argument, dass an die Rechtfertigung von Abzugsbeschränkungen durch Zwecke der Lenkung umso höhere Anforderungen zu stellen sind, je zwangsläufiger die Aufwendungen im Zusammenhang mit einer steuerbaren Tätigkeit anfallen62. Das Bundesverfassungsgericht führt zur Zwangsläufigkeit der Aufwendungen bei Wegekosten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz - mit Blick auf eine mögliche Faustformel - aus, dass „je geringer die Entfernung zum Arbeitsplatz, umso eher ein angemessener Kostenaufwand zur Überwindung der Entfernung als unausweichlicher beruflich bedingter Aufwand zu werten wäre“63. Im Umkehrschluss würde mit zunehmender Entfernung zum Arbeitsplatz die Bewertung des Aufwands als unausweichlich beruflich bedingt, abnehmen64. Folgt man der o.g. Argumentation, so könnte der Schluss gezogen werden, dass an die Rechtfertigung von Abzugsbeschränkungen mit zunehmender Entfernung zum Arbeitsplatz geringere Anforderungen zu stellen sind. Bei einer gesetzlichen Regelung, die eine Kappungsgrenze für die Entfernungspauschale ab einem bestimmten Entfernungskilometer vorsieht, müssten die dargestellten Voraussetzungen, insbesondere das Vorliegen hinreichend gewichtiger Sachgründe und ihre gesetzgeberische Begründung , beachtet werden. Es handelt sich letzten Endes um eine Abwägung zwischen den Anforderungen des objektiven Nettoprinzips bzw. der Schwere des Verstoßes gegen das Nettoprinzip einerseits und gegenläufiger Zielsetzungen andererseits, die von hinreichend gewichtigen Sachgründen getragen sein müssen65. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur „Pendlerpauschale“ im Einzelnen offengelassen, unter welchen materiellen Voraussetzungen weitreichende Ausnahmen vom objektiven Nettoprinzip bei der Verfolgung von Förderungs- und Lenkungszwecken verfassungsrechtlich zulässig sind66. Das Bundesverfassungsgericht hat - mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG - als verfassungsrechtlich hinreichenden Sachgrund für eine Abweichung von den Anforderungen an eine folgerichtige Umsetzung einkommensteuerrechtlicher Belastungsentscheidungen 62 Jachmann, Monika, Objektives Nettoprinzip als tragendes Element im Gesamtsystem des Steuerrechts und Grenze für die Steuerpolitik, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 131. 63 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99, DStR 2006, 1316, Rn. 75; s. Verweis in BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 77. 64 Weber-Grellert, Heinrich, Unzulässige Diskriminierung von Nahpendlern – Die Entscheidung des BVerfG zur Pendlerpauschale vom 9.12.2008, 2 BvL 1/07, DStR 2008, S. 353. 65 Görke, Roger, Einkommensteuer und objektives Nettoprinzip, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 109; Englisch, Joachim, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 97. 66 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 70. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 16 außerdem auf die gesetzgeberische Typisierungsbefugnis bei gemischt veranlassten Aufwendungen hingewiesen67. So ergäben sich auf Grundlage einer - auch mit Blick auf das Nettoprinzip - verfassungsrechtlich unbedenklichen Bewertung der Wegekosten als auch privat mitveranlasst, erhebliche Typisierungsspielräume für den Gesetzgeber. Der Gesetzgeber sei berechtigt, im Interesse eines praktikablen Gesetzesvollzugs mit generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelungen die „typische“ private Mitveranlassung von Wegekosten bei der Bestimmung abzugsfähigen Aufwands zu berücksichtigen und solche Regelungen unter verkehrs-, siedlungs- und umweltpolitischen Aspekten auszugestalten68. Die seinerzeit gegenständliche Neuregelung des § 9 Abs. 2 S. 1 EStG, nach der die Wegekosten für die ersten 20 km keine abzugsfähigen Werbungskosten waren, genügte laut Bundesverfassungsgericht jedoch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, da die Regelung weder nach ihrer gesetzgeberischen Zielsetzung, noch nach ihrem objektiven Regelungsgehalt das Ergebnis eines Typisierungsvorgangs sei69. So sei die für die Abzugsfähigkeit der Wegekosten entscheidende Mindestdistanz zwischen Wohnung und Arbeitsplatz für eine typisierende Bewertung und Gewichtung beruflicher wie privater Veranlassungsmomente offenkundig ungeeignet70. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, „als Indiz für überwiegend beruflich veranlassten Aufwand ließe sich allenfalls die geringere im Vergleich zur größeren Entfernung verwenden“71 bleibt es daher zweifelhaft, ob die Kappung der Entfernungspauschale - und somit die Entscheidung über die Abzugsfähigkeit der Wegekosten - allein anknüpfend an eine bestimmte Distanz, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Typisierung genügen kann. Schließlich kann laut Bundesverfassungsgericht von den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit der Ausgestaltung einer am Maßstab finanzieller Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung des Einkommens nach dem objektiven Nettoprinzip dann abgewichen werden, wenn 67 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 71ff. 68 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 75. 69 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99, DStR 2006, 1316, Rn. 75; s. Verweis in BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 76. 70 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99, DStR 2006, 1316, Rn. 75; s. Verweis in BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 77. 71 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99, DStR 2006, 1316, Rn. 75; s. Verweis in BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 77. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 17 mit der Neuregelung ein grundlegender Systemwechsel oder mindestens eine neue, dem objektiven Nettoprinzip gleichrangig gegenüberstehende oder es konkretisierende Zuordnungsentscheidung für Wegeaufwendungen einhergeht72. So umfasst - laut Bundesverfassungsgericht - die dem Steuergesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit von Verfassungswegen die Befugnis, neue Regeln einzuführen, ohne durch Grundsätze der Folgerichtigkeit (an frühere Grundentscheidungen) gebunden zu sein. Eine solche umfassende Gestaltungsfreiheit bei Entscheidungen für neue Regeln setze jedoch voraus, dass ein wirklich neues Regelwerk geschaffen wird, wofür ein Mindestmaß an neuer Systemorientierung erforderlich sein soll; andernfalls ließe sich jedwede Ausnahmeregelung als (Anfang einer) Neukonzeption deklarieren73. Insbesondere dann, wenn bei im Übrigen unveränderten Grundentscheidungen eine von diesen abweichende Belastungsentscheidung lediglich in einem schmalen Teilbereich mit der Behauptung eines Systemwechsels begründet wird, bedürfe es greifbarer Anhaltspunkte , um die resultierende Ungleichbehandlung vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen zu können 74. Das Bundesverfassungsgericht führt hier als Beispiel die Einbettung einer Neuregelung in ein nach und nach zu verwirklichendes Grundkonzept bzw. eine übergreifende Konzeption an75. In der seinerzeitigen Neuregelung, wonach die ersten 20 km aus dem Tatbestand der abzugsfähigen Werbungskosten ausgeschlossen waren, während für Wege ab 21 Entfernungskilometer weiterhin eine aufwandsunabhängige Entfernungspauschale angesetzt wurde, sah das Bundesverfassungsgericht keinen solchen auf einer übergreifenden Konzeption beruhenden Systemwechsel76. Es handele sich vielmehr um eine „verfassungsrechtlich nicht hinreichend begründete, allein fiskalisch motivierte…quantitativ abgegrenzte Herausnahme nur eines Teils einer bestimmten Aufwendungsart aus dem System differenzierender einkommensteuerlicher Belastung nach den Grundregeln des objektiven und subjektiven Nettoprinzips“77. Das Bundesverfassungsgericht stellt also besondere Anforderungen an die Begründung der Differenzierung , wobei die seinerzeit geltend gemachte Härtefallregelung allein die Unterscheidung 72 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99, DStR 2006, 1316, Rn. 75; s. Verweis in BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 79. 73 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 80. 74 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 80. 75 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 80. 76 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 80. 77 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 83. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 18 zwischen der Nichtabzugsfähigkeit der Aufwendungen für kürzere und der Abzugsfähigkeit für längere Entfernungsstrecken nicht rechtfertigen konnte78. Die Beschränkung des Einsatzes der Pauschale auf die sogenannten Härtefälle stehe auch im Widerspruch zu den verkehrs- und umweltpolitischen Zielsetzungen, da nun gerade die Wahl und Aufrechterhaltung längerer Wegstrecken zur Arbeit und damit die Inkaufnahme regelmäßig energieintensiverer Transporte - ggf. subventiv - belohnt werde, während die Wahl und Aufrechterhaltung kürzerer Wegstrecken und damit verkehrs- und umweltpolitisch regelmäßig vorzugswürdige Verhaltensweisen zielwidrig benachteiligt würden79. Um eine Abweichung vom Gebot folgerichtiger Umsetzung einkommensteuerrechtlicher Belastungsentscheidungen und eine resultierende Ungleichbehandlung mit Blick auf das Argument des Systemwechsels rechtfertigen zu können, müsste eine Regelung, die aufgrund einer quantitativen Abgrenzung - ab/bis zu einem bestimmten Entfernungskilometer - bei im Übrigen unveränderten Grundentscheidungen die Abzugsfähigkeit von Wegekosten vorsieht, greifbare Anhaltspunkte für einen tatsächlichen Systemwechsel aufweisen, etwa durch die Einbettung in eine nach und nach zu verwirklichende übergreifende Konzeption. Der Gesetzgeber müsste die auf dem Systemwechsel beruhende Differenzierung verfassungsrechtlich hinreichend begründen. Zudem dürfte die Regelung nicht im Widerspruch zu den ggf. verfolgten verkehrs- und umweltpolitischen Zielsetzungen stehen. 5. Fragen 4 und 5: Die Fragen - Frage 4: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale ab einem bestimmten Jahr schrittweise für PKW nutzende Pendler abzusenken, da mit dem Markthochlauf der Elektromobilität die Betriebskosten von Autofahrten im Schnitt sinken? - Frage 5: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale ausschließlich für Fahrten mit dem ÖPNV bzw. anderen umweltfreundlichen Verkehrsmitteln und damit in Abgrenzung zu Fahrten mit dem PKW zu erhöhen? setzen eine Differenzierung nach Verkehrsträgern - PKW nutzende Pendler in Abgrenzung zu öffentlichen bzw. anderen umweltfreundlichen Verkehrsmitteln - voraus. Es sollen im Folgenden zunächst die gegenwärtige Systematik der Entfernungspauschale sowie die Regelung vor dem Jahr 2001 dargestellt werden. Anschließend wird auf die aufgeworfenen Fragen im Einzelnen eingegangen . 78 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 81. 79 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 19 5.1 Gegenwärtige Systematik der Entfernungspauschale und Regelung vor dem 1. Januar 2001 Nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden - verkehrsmittelabhängigen - Regelung waren Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei Benutzung eines KFZ mit einem Kilometer-Pauschbetrag von 0,70 DM und bei Benutzung eines Motorrads oder Motorrollers mit 0,33 DM je Entfernungskilometer steuerlich zu berücksichtigen. Bei Benutzung anderer Verkehrsmittel hingegen waren die tatsächlichen Kosten als Werbungskosten abzusetzen80. Wurde der Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu Fuß zurückgelegt, konnten keine Werbungskosten geltend gemacht werden81. Zum 1. Januar 2001 wurde die bis dahin geltende Regelung der Kilometerpauschbeträge durch einen Systemwechsel hin zu einer einheitlichen, verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale ersetzt82. Demnach ist gegenwärtig nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG zur Abgeltung der Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - unabhängig davon, welches Verkehrsmittel (KFZ, Straßenbahn, Fahrrad, etc.) der Steuerpflichtige benutzt oder ob er zu Fuß geht - eine Entfernungspauschale anzusetzen83. Die Entfernungspauschale verfolgt umwelt- und verkehrspolitische Ziele84. So heißt es in der Gesetzesbegründung , dass die bis Ende des Jahres 2000 geltende verkehrsmittelabhängige Regelung über die Einkunftsermittlung zu unterschiedlich hohen steuerlichen Auswirkungen führte, weil einerseits die tatsächlichen Kosten und andererseits die Kilometer-Pauschbeträge bei Benutzung eines KFZ zu berücksichtigen waren85. Damit ging eine Bevorzugung des Verkehrsmittels KFZ durch die Kilometer-Pauschbeträge einher, wenn die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel niedriger waren86. Mit der einheitlichen Entfernungspauschale sollte hinsichtlich der steuerlichen Entlastungswirkung Wettbewerbsgleichheit zwischen den Verkehrsträgern geschaffen und die Ausgangslage für den öffentlichen Personennahverkehr verbessert werden87. 80 BT-Drs 14/4242, S. 5. 81 BT-Drs 14/4242, S. 5. 82 v. Beckerath, in Kirchhof, EStG Kommentar, 2. Auflage 2002, § 9 EStG, Rn. 161. 83 Oertel, in Kirchhof, EStG Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 60; Lang, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Auflage, § 9, Rn. 263. 84 Oertel, in Kirchhof, EStG Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 46; BT-Drs 14/4242, S. 5. 85 BT-Drs 14/4242, S. 5. 86 BT-Drs 14/4242, S. 5. 87 BT-Drs 14/4242, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 20 Insoweit gewährt die Entfernungspauschale nunmehr eine gleich hohe Steuerersparnis, unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige hohe Aufwendungen für die Nutzung eines KFZ oder niedrigere Aufwendungen für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel hat88. Je nach ihrer Höhe verweigert sie dem KFZ-Nutzer eine Berücksichtigung seines Aufwands und gewährt dem Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel ein Steuergeschenk89. Insoweit fördert die Entfernungspauschale die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bzw. lenkt auf die Nutzung bestimmter Verkehrsmittel hin90. Es wird daher nicht der tatsächlich entstandene, bei der Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel verschieden hohe Aufwand berücksichtigt, sondern es erfolgt eine pauschale Bemessung des Aufwands91. Die Regelung unterstellt insoweit Aufwendungen in Höhe der Entfernungspauschale , wenn tatsächlich geringere Beträge entstanden sind und fingiert Aufwendungen, falls solche nicht angefallen sind92. Die dargestellte grundsätzliche Verkehrsmittelunabhängigkeit der Entfernungspauschale wird allerdings durchbrochen u.a. durch folgende Ausnahmen: So kann bei Benutzung eines eigenen oder zur Nutzung überlassenen KFZ nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG die Entfernungspauschale auch über den Höchstbetrag von 4500 Euro angesetzt werden93. Diese Ausnahme ist insoweit verkehrsmittelabhängig94. Ferner können nach § 9 Abs. 2 S. 2 EStG die tatsächlichen Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel anstelle der Entfernungspauschale angesetzt werden, soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen95. Auch hierbei handelt es sich um eine Ausnahme, die in Abhängigkeit vom benutzten Verkehrsmittel besteht96. Nach der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass mit der Entfernungspauschale die Ausgangslage für den öffentlichen Personennahverkehr verbessert werden sollte, wobei im Kurzstreckenbereich, in dem die Kosten für den öffentlichen Personennahverkehr höher sein können, es möglich bleiben sollte, die tatsächlichen Kosten abzuziehen97. 88 Oertel, in Kirchhof, EStG Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 46. 89 Oertel, in Kirchhof, EStG Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 46. 90 Oertel, in Kirchhof, EStG Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 47. 91 v. Beckerath, in Kirchhof, EStG Kommentar, 2. Auflage 2002, § 9 EStG, Rn. 164. 92 v. Beckerath, in Kirchhof, EStG Kommentar, 2. Auflage 2002, § 9 EStG, Rn. 182; Thürmer, in Blümich, EStG, 148. Auflage, Juli 2019, § 9 Rn. 293. 93 Oertel, in Kirchhof, EStG Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 61. 94 v. Beckerath, in Kirchhof, EStG Kommentar, 2. Auflage 2002, § 9 EStG, Rn. 206. 95 Oertel, in Kirchhof, EStG Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 61. 96 v. Beckerath, in Kirchhof, EStG Kommentar, 2. Auflage 2002, § 9 EStG, Rn. 191. 97 BT-Drs 14/4242, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 21 Es bleibt daher festzuhalten, dass vor dem Systemwechsel zur einheitlichen verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale eine Differenzierung nach Verkehrsträgern bei der steuerlichen Berücksichtigung der Wegekosten erfolgte und auch die gegenwärtige Regelung verkehrsmittelabhängige Elemente bei der steuerlichen Berücksichtigung enthält. 5.2 Frage 5: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale ausschließlich für Fahrten mit dem ÖPNV bzw. anderen umweltfreundlichen Verkehrsmitteln und damit in Abgrenzung zu Fahrten mit dem PKW zu erhöhen? Zunächst ist unter Verweis auf die unter Punkt 5.1. dargestellte Rechtsentwicklung festzuhalten, dass eine Erhöhung der Entfernungspauschale ausschließlich für Fahrten mit dem ÖPNV bzw. anderen umweltfreundlichen Verkehrsmitteln in Abgrenzung zu Fahrten mit dem PKW eine Differenzierung nach Verkehrsträgern bei der steuerlichen Berücksichtigung der Wegekosten voraussetzt und eine Abkehr vom gegenwärtigen System der grundsätzlich einheitlichen verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale wäre. Eine Differenzierung nach Verkehrsträgern mit erhöhter Abgeltung der Wegeaufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel in Abgrenzung zu PKW-Fahrten, wäre eine Ungleichbehandlung und ist im Hinblick auf die Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen, der auch für ungleiche Begünstigungen gilt. Mit Blick auf die Reichweite des allgemeinen Gleichheitssatzes hat der Bundesfinanzhof zur bestehenden Privilegierung öffentlicher Verkehrsmittel (s. Punkt 5.1.) in zwei neueren Beschlüssen 98 festgehalten, dass die gleichheitswidrige Privilegierung einer Gruppe (Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel) zwar eine Benachteiligung der übrigen Steuerpflichtigen darstellt, durch den Gleichheitssatz allerdings kein allgemeines und generelles Abwehrrecht eines jeden Steuerpflichtigen gegenüber solchen Rechtsvorschriften begründet werden kann, die zu einer gleichheitswidrigen Steuerentlastung führen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstands und der Bestimmung des Steuersatzes grundsätzlich ein weitreichender Gestaltungsspielraum zukommt, der im Einkommensteuerrecht durch die beiden Leitlinien „Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit“ und „Gebot der Folgerichtigkeit“ begrenzt wird99. Für die finanzielle Leistungsfähigkeit ist das Nettoprinzip maßgeblich, wonach der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, d.h. der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den beruflichen Erwerbs- sowie den existenzsichernden Aufwendungen andererseits, unterliegt. Der Gesetzgeber ist weiterhin gehalten, bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene steuergesetzliche Belastungsentscheidung folgerichtig 98 BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, BStBl. II 2017, 228 und BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 48/15, BFH/NV 2017, 284. 99 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 57; BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 22 - im Sinne der Belastungsgleichheit - umzusetzen. Es sind jedoch aufgrund von besonderen sachlichen Gründen Ausnahmen möglich, die auch eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen können100. Eine Erhöhung der Abgeltung der Aufwendungen nur für Fahrten mit öffentlichen bzw. anderen umweltfreundlichen Verkehrsmitteln in Abgrenzung zur Abgeltung der Aufwendungen für Fahrten mit dem PKW würde - mit Blick auf die Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit - die Anforderungen an eine sachgerechte Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip erfüllen101. Der Gesetzgeber würde sein Regelungsermessen nicht überschreiten, das für die die berufliche Mobilitätskosten nur eingeschränkt berücksichtigenden Regelungen nach der Rechtsprechung anerkannt worden ist102. Als Sachgründe für Ausnahmen vom Gebot der Folgerichtigkeit, die auch Ungleichbehandlungen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen können, kommen insbesondere außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke in Betracht, die der Gesetzgeber verfolgen darf, um durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss zu nehmen103. Sofern der Gesetzgeber solche Ziele - etwa aus Umweltschutzgründen - verfolgt, können diese steuerliche Be- und Entlastungen rechtfertigen. Dafür muss der Förderungs- und Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung (z.B. nach der Gesetzesbegründung) getragen und die Regelung gleichheits- und zweckgerichtet ausgestaltet sein104. Dabei ist dem Gesetzgeber hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Diagnose und Prognose sowie bei der Wahl sachgerechter Mittel, insbesondere auch bei der Antwort auf die Frage, wie der Kreis der Begünstigten sachgerecht abzugrenzen ist, ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum einzuräumen105. Mit der Erhöhung der Abgeltung der Aufwendungen für Fahrten mit öffentlichen bzw. anderen umweltfreundlichen Verkehrsmitteln würde der Gesetzgeber umweltpolitische Lenkungsziele 100 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 58; Wollenschläger, in v. Mangoldt/Klein/Strack, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3 GG, Rn. 283. 101 Vgl. BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 14; BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 48/15, Rn. 14. 102 BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 14; BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 48/15, Rn. 14. 103 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59, 70; BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 19; Wollenschläger, in v. Mangoldt/Klein/Strack, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3 GG, Rn. 284. 104 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59; BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 19; Wollenschläger, in v. Mangoldt/Klein/Strack, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3 GG, Rn. 284. 105 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99, DStR 2006, 1316, Rn. 75; s. Verweis in BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59; vgl. auch Kischel in BeckOK, Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art. 3 GG, Rn. 160, 168. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 23 verfolgen, die bei gleichheits- und sachgerechter Ausgestaltung eine Ungleichbehandlung in Abgrenzung zu Fahrten mit dem PKW im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen können. Der Bundesfinanzhof hat in seinen Beschlüssen vom 15. November 2016 im Hinblick auf die bestehende Privilegierung der Benutzer öffentlicher Verkehrsmitteln nach § 9 Abs. 2 S. 2 EStG festgestellt , dass diese verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG unbedenklich ist106. So sei die Regelung nach der Gesetzesbegründung erkennbar von umwelt- und verkehrspolitischen Zielen getragen107. Es sei deshalb gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel von der abzugsbegrenzenden Wirkung der Entfernungspauschale ausnehme [und - im Unterschied zu Fahrten mit dem KFZ - die tatsächlich entstandenen Kosten abgesetzt werden können]108. Der Umstand, dass diese Verkehrsmittel insbesondere gegenüber dem motorisierten privaten Individualverkehr in Bezug auf den Primärenergieverbrauch und den Ausstoß von Treibhausgasen umweltfreundlicher sind, rechtfertige - laut Bundesfinanzhof - deren Privilegierung109. Folgt man der Argumentation des Bundesfinanzhofs, wäre unter dem Gesichtspunkt der Folgerichtigkeit eine den ÖPNV begünstigende Abzugsregelung verfassungsrechtlich haltbar. Gegen den Beschluss des Bundesfinanzhofs wurde beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde eingelegt110. Das Verfahren wurde vom Verfassungsgericht jedoch nicht zur Entscheidung angenommen111, so dass von der Verfassungsmäßigkeit der Privilegierung öffentlicher Verkehrsmittel auszugehen ist112. 106 BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, BStBl. II 2017, 228 und BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 48/15, BFH/NV 2017, 284. 107 BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 20; BT-Drs 14/4242, S. 5. 108 BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 20; Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 48/15, Rn. 21. 109 BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 20; Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 48/15, Rn. 21. 110 Kremer, in Beck´sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Edition 48, 2019, Stand 1. Februar 2019, Entfernungspauschale , vor Rn. 1. 111 BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2017 – 2 BvR 308/17; LSK 2017, 145161. 112 Kremer, in Beck´sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Edition 48, 2019, Stand 1. Februar 2019, Entfernungspauschale , vor Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 24 5.3. Frage 4: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale ab einem bestimmten Jahr schrittweise für PKW nutzende Pendler abzusenken, da mit dem Markthochlauf der Elektromobilität die Betriebskosten von Autofahrten im Schnitt sinken? Auch zu dieser Frage ist unter Verweis auf die unter Punkt 5.1. dargestellte Rechtsentwicklung festzuhalten, dass eine Absenkung der Entfernungspauschale nur für PKW nutzende Pendler, eine Differenzierung nach Verkehrsträgern bei der steuerlichen Berücksichtigung der Wegekosten und eine Abkehr vom gegenwärtigen System der grundsätzlich einheitlichen verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale voraussetzt. Eine Differenzierung mit unterschiedlicher Höhe der Abgeltung der Wegeaufwendungen je nach Verkehrsträger, wäre eine Ungleichbehandlung, die im Hinblick auf die Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen ist. Unter Verweis auf die Ausführungen unter Punkt 5.2. ist dabei von einem grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl des Steuergegenstands und bei der Bestimmung des Steuersatzes auszugehen, der durch das „Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit“ und das „Gebot der Folgerichtigkeit“ begrenzt wird113. Ausnahmen und Durchbrechungen hat das Bundesverfassungsgericht bei Vorliegen besonderer sachlicher Gründe anerkannt, die auch Ungleichbehandlungen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen können114. Im Hinblick auf ein unterstelltes Absinken der Betriebskosten für Autofahrten und eine darauf begründete Absenkung der Abgeltung der Wegeaufwendungen für PKW-Fahrten, ist zunächst auf die erhebliche Typisierungskompetenz des Gesetzgebers zu verweisen, die das Bundesverfassungsgericht bei Wegekosten anerkannt hat und die Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen begründen können115. So sind Wegekosten - auch mit Blick auf das objektive Nettoprinzip - als nicht nur beruflich, sondern auch privat (mit)veranlasst zu bewerten, da ihre Höhe erheblich durch individuelle Entscheidungen des Steuerpflichtigen (Wahl des Verkehrsmittels, Wahl des Wohnorts, etc.) beeinflusst wird (sog. „gemischte Aufwendungen“)116. 113 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 57; BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 18. 114 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 58; Wollenschläger, in v. Mangoldt/Klein/Strack, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3 GG, Rn. 283. 115 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 71ff. 116 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 73, 74, 75. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 25 Laut Bundesverfassungsgericht eröffnen sich auf dieser Grundlage für den Gesetzgeber erhebliche Typisierungsspielräume. Der Gesetzgeber sei berechtigt, im Interesse eines praktikablen Gesetzesvollzugs mit generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelungen die „typische“ private Mitveranlassung von Wegekosten bei der Bestimmung abzugsfähigen Aufwands zu berücksichtigen und solche Regelungen unter verkehrs-, siedlungs- und umweltpolitischen Aspekten auszugestalten117. Dabei kann der Gesetzgeber die Faktoren, die die Wahl des Verkehrsmittels und des Wohnsitzes bestimmen, in die gesetzgeberische Abwägung einstellen und die - nach der gesetzgeberischen Einschätzung - in der Realität „typischerweise“ vorkommenden Fälle regeln118. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Entfernungspauschale nach der gegenwärtigen Regelung dem Benutzer eines KFZ zwar die vollständige steuerliche Berücksichtigung seines Aufwands verweigert, in der Höhe aber an dem Aufwand für die KFZ-Nutzung orientiert ist119. Im Hinblick auf die erheblichen Typisierungs- und Pauschalierungsspielräume, die das Bundesverfassungsgericht bei der Abzugsfähigkeit der gemischt veranlassten Wegekosten einräumt, könnte der Gesetzgeber eine unterstellte Verringerung der Betriebskosten für PKW-Fahrten als Faktor in seiner gesetzgeberischen Abwägung berücksichtigen. Auch eine schrittweise Absenkung der Höhe der Abgeltung für PKW nutzende Pendler - entsprechend einer unterstellten Verringerung der Betriebskosten - erscheint nicht als Überschreitung des dem Gesetzgeber eingeräumten Regelungsermessens. Weiterhin erkennt das Bundesverfassungsgericht als Sachgründe für Ausnahmen vom Gebot der folgerichtigen Umsetzung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen insbesondere außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke an, die auch Ungleichbehandlungen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen können120. Insoweit ist auf die Ausführungen unter Punkt 5.2. zu verweisen. 117 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 75. 118 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 77. 119 Oertel, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 47. 120 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 59, 70; BFH, Beschluss vom 15. November 2016 – VI R 4/15, Rn. 19; Wollenschläger, in v. Mangoldt/Klein/Strack, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3 GG, Rn. 284. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 26 6. Frage 6: Ist es rechtlich möglich und insbesondere verfassungsgemäß, die Entfernungspauschale gänzlich abzuschaffen (Stichwort „Werktorprinzip“)? Der Gesetzgeber ist - insbesondere im Einkommensteuerrecht - durch das verfassungsrechtliche Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit gebunden. Die finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Danach unterliegt der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, d.h. der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den - betrieblichen bzw. beruflichen - Erwerbsaufwendungen sowie den privaten existenzsichernden Aufwendungen andererseits121. Das objektive Nettoprinzip gebietet also die steuerliche Verschonung von erwerbssichernden Aufwendungen im Wege des Abzugs von der Bemessungsgrundlage122. Daraus begründet sich, dass Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit gemäß § 9 EStG, darunter Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, grundsätzlich als Werbungskosten steuerlich abziehbar sind123. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang offen gelassen, ob die Geltung des objektiven Nettoprinzips auch verfassungsrechtlich geboten ist124; es handelt sich jedenfalls um ein Grundprinzip des Einkommensteuerrechts und beschränkt den steuerlichen Zugriff als Ausgangstatbestand der Einkommensteuer125. Das subjektive Nettoprinzip hingegen statuiert die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Verschonung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie126. Abzugsbeschränkungen bzw. vollständige Abzugsverbote für Erwerbsaufwendungen stehen im Widerspruch zum objektiven Nettoprinzip, dessen Verfassungsrang umstritten ist127. Laut Bun- 121 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 62. 122 Jachmann, Monika, Objektives Nettoprinzip als tragendes Element im Gesamtsystem des Steuerrechts und Grenze für die Steuerpolitik, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 129. 123 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 62; Oertel, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 44. 124 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 63. 125 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 63, 64. 126 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 64. 127 Görke, Roger, Einkommensteuer und objektives Nettoprinzip, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 110; Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 27 desverfassungsgericht kann das objektive Nettoprinzip jedoch bei Vorliegen gewichtiger [Rechtfertigungs -]gründe durchbrochen werden und ist der Gesetzgeber insbesondere berechtigt, sich generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen zu bedienen128. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass es Abzugsverbote bzw. -beschränkungen im Einkommensteuerrecht für Aufwendungen gibt, obwohl diese betrieblich oder beruflich veranlasst sind. Für sie bestehen jedoch besondere, verfassungsrechtlich tragfähige sachliche Gründe129. Zu nennen ist hier z.B. das Verbot des Abzugs von Geldbußen, Ordnungsgeldern und Verwarnungsgeldern (§ 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG) aus Gründen des Schutzes der Gesamtrechtsordnung 130. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur „Pendlerpauschale“ zur damaligen Neuregelung in § 9 Abs. 2 S. 1 EStG, wonach Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte bis 20 km aus dem Tatbestand der Werbungskosten gänzlich ausgeschlossen wurden, festgestellt, dass eine solche Regelung ein Fremdkörper bei der Anerkennung beruflich veranlassten Aufwands im geltenden Einkommensteuerrecht ist131. Allein die räumliche Abgrenzung könne nicht über die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage nach den für Werbungskosten zuständigen Regeln entscheiden (sog. Werktorprinzip)132. Es handele sich insoweit um eine singuläre Abweichung von dem nach dem einkommensteuerrechtlichen Nettoprinzip für die Abgrenzung beruflicher Aufwendungen maßgeblichen Veranlassungsprinzip 133. So hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in einer vorangegangenen Entscheidung ausgeführt, dass „die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der Kosten einer betrieblich oder beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung…traditioneller Teil der Grundentscheidung 128 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 63; Kischel in BeckOK, Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 41. Edition, Stand 15.05.2019, Art. 3 GG, Rn. 149; Görke, Roger, Einkommensteuer und objektives Nettoprinzip, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 108; 129 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 69. 130 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 69; Görke, Roger, Einkommensteuer und objektives Nettoprinzip, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 108; 131 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 68. 132 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 68. 133 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 68. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 28 des deutschen Einkommensteuerrechts ist, die steuerlich erhebliche Berufssphäre nicht erst am Werktor beginnen zu lassen“134. Das Verfassungsgericht prüft dann, ob verfassungsrechtlich hinreichende Sachgründe für die Beschränkung des Abzugs betrieblich bzw. beruflich veranlasster Aufwendungen von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage bzw. die Abkehr von dem nach dem Nettoprinzip maßgeblichen Veranlassungsprinzip vorliegen, was im Ergebnis jedoch verneint wird. Dabei stellt das Verfassungsgericht zu möglichen Rechtfertigungsgründe zunächst klar, dass der rein fiskalische Zweck der Erhöhung staatlicher Einnahmen für sich alleine eine Abkehr vom Veranlassungsprinzip bei der Ausgrenzung einer einzelnen Aufwendungsart aus dem Werbungskostentatbestand nicht rechtfertigen kann. Insoweit liegt kein verfassungsrechtlich tragfähiger Sachgrund für die Beschränkung des Abzugs betrieblich bzw. beruflich veranlasster Aufwendungen von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage vor135. Es griffen - bei der damaligen Regelung - auch keine außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszwecke (insbesondere umweltpolitische Lenkungsziele), die der Steuergesetzgeber aus Gründen des Gemeinwohls grundsätzlich verfolgen darf, als verfassungsrechtlich hinreichende Rechtfertigungsgründe. Das Bundesverfassungsgericht erwähnt in diesem Zusammenhang, dass „namhafte Stimmen, vor allem aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften…die Abschaffung der Abzugsfähigkeit von Wegekosten begrüßen, weil sie gesamtwirtschaftlich unerwünschte Fehlanreize biete“. Weiter heißt es, dass „nach derartigen Erwägungen im Übrigen die auf die ersten 20 Entfernungskilometer beschränkte Neuregelung lediglich als ein erster Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen und darüber hinaus letztlich auch die Besteuerung des „Pendelnd“ als ökonomisch konsequent zu bewerten wäre“136. Allerdings könnten - laut Bundesverfassungsgericht - derartige Ziele gesamtwirtschaftlich effizienter Verhaltenslenkung - die damalige Regelung nicht rechtfertigen, da sie nicht von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen würden. So ließen sich solche Überlegungen des Gesetzgebers zur Begründung der Rechtsänderung weder aus dem Gesetzestext, noch aus den Materialien entnehmen137. 134 BVerfG, Urteil vom 4. Dezember 2002 - 2 BvR 400/98, BVerfGE 107, 27, 50. 135 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 69. 136 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 70. 137 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 70. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 29 Wie bei Frage 3 dargestellt, geht das Gericht in diesem Punkt nicht auf eine materielle Prüfung der Legitimationswirkung solcher Lenkungszwecke ein, sondern legt den Schwerpunkt der Kontrolle vom materiellen Regelungsgehalt der Förderungs- und Lenkungszwecke hin zum Vorgang der Entscheidungsfindung. Insoweit wird die Verfassungswidrigkeit der Regelung auf die fehlende Begründung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren gestützt138. In der Literatur wird daraus teilweise der Schluss gezogen, das Gericht halte, was den materiellen Regelungsgehalt betrifft, weitreichende Ausnahmen vom objektiven Nettoprinzip - bis zum vollständigen Ausschluss der Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsstätte - für möglich. Als Ausgleich für diesen weiten Gestaltungsspielraum soll der Gesetzgeber aber einem erhöhten Begründungszwang im Gesetzgebungsverfahren unterliegen139. Von anderen namhaften Stimmen wird indes hervorgehoben, dass unvermeidbare, notwendige Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abziehbar sein müssten140. Dies hängt insbesondere mit der Frage zusammen, welche Bedeutung dem objektiven Nettoprinzip als Grenze für die Steuerpolitik verfassungsrechtlich beigemessen wird, was umstritten ist141. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage des Verfassungsrangs des objektiven Nettoprinzips bisher offen gelassen142. In seiner Entscheidung zur „Pendlerpauschale“ ist das Gericht auch nicht näher darauf eingegangen, unter welchen materiellen Voraussetzungen weitreichende Ausnahmen vom objektiven Nettoprinzip bei der Abzugsfähigkeit von Wegeaufwendungen im Hinblick auf die Verfolgung von (hinreichend gewichtigen) Förderungs- und Lenkungszwecken verfassungsrechtlich zulässig sind143. Das Bundesverfassungsgericht hat aber bei seinen Ausführungen zur Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers bei gemischten Aufwendungen wichtige Anhaltspunkte zur Abzugsfähigkeit von Wegekosten gegeben144: 138 Breinersdorfer, Stefan, Abzugsverbote und objektives Nettoprinzip - Neue Tendenzen in der verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers, DStR, 2010, S. 2495. 139 Breinersdorfer, Stefan, Abzugsverbote und objektives Nettoprinzip - Neue Tendenzen in der verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers, DStR, 2010, S. 2495. 140 Jachmann, Monika, Objektives Nettoprinzip als tragendes Element im Gesamtsystem des Steuerrechts und Grenze für die Steuerpolitik, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 132; Schneider, Stefan, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 91. 141 Siehe zum Meinungsstreit: Paetsch, Rolf, „Zulässigkeit und Grenzen der Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht“, Tagungsbericht zum 2. Steuerwissenschaftlichen Symposium im Bundesfinanzhof, Beihefter zu DStR 34, 2009, 78ff. 142 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 63. 143 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 70. 144 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 72ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 30 Das Gericht geht grundsätzlich davon aus, dass es sich bei Wegekosten um sog. „gemischte“ - sowohl beruflich als auch privat - veranlasste Aufwendungen handelt. So sei die Überwindung einer Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsstätte und die Entstehung von Wegekosten regelmäßig notwendige Bedingung beruflicher Betätigung, gleichzeitig werde die Höhe der Wegekosten erheblich durch individuelle Entscheidungen des Steuerpflichtigen (Wahl des Verkehrsmittels, Wahl des Wohnorts, etc.) beeinflusst145. Dabei komme es für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für die Aufwendungen, sondern auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits an146. Auf Grundlage der Bewertung der Wegekosten als „gemischt“, ergäben sich erhebliche Typisierungsspielräume für den Gesetzgeber147. Der Gesetzgeber sei berechtigt, im Interesse eines praktikablen Gesetzesvollzugs mit generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelungen die „typische“ private Mitveranlassung von Wegekosten bei der Bestimmung abzugsfähigen Aufwands zu berücksichtigen und solche Regelungen unter verkehrs-, siedlungs- und umweltpolitischen Aspekten auszugestalten148. Weiter heißt es zu einer Gewichtung beruflicher und privater Veranlassungsmomente hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der gemischten Wegekosten, „als Indiz für überwiegend beruflich veranlassten Aufwand ließe sich allenfalls die geringere im Vergleich zur größeren Entfernung verwenden nach der Faustformel: je geringer die Entfernung zum Arbeitsplatz, umso eher ist ein angemessener Kostenaufwand zur Überwindung der Entfernung als unausweichlicher beruflich bedingter Aufwand zu werten“149. Auch unter Verweis auf diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wird - überwiegendvertreten , dass es von Verfassungs wegen geboten ist, jedenfalls den unausweichlich beruflich 145 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 73, 74. 146 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 65. 147 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 72, 75. 148 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 75. 149 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 77. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 31 bedingten Aufwand im Wege des Abzugs zu berücksichtigen150. Es ergebe sich aus der Perspektive des Verfassungsrechts im Hinblick auf das objektive Nettoprinzip als Grenze für die Steuerpolitik , dass notwendiger Erwerbsaufwand grundsätzlich abziehbar sein müsse151. Insoweit könnte aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts geschlossen werden, dass jedenfalls solche Erwerbsaufwendungen grundsätzlich zum Abzug zuzulassen sind, die sich nach o.g. Wertung als zwangläufig und pflichtbestimmt bzw. unausweichlich beruflich bedingt darstellen 152. Von einigen Stimmen wird (mehrheitlich vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts) hingegen vertreten, dass es sich bei Fahrtkosten von der Wohnung zur Arbeitsstätte als gemischt veranlasste Aufwendungen, nicht um solche Aufwendungen handeln soll, die nach dem objektiven Nettoprinzip grundsätzlich abzugsfähig sein müssten153. Das Urteil zur Entfernungspauschale wird auch dahingehend interpretiert, dass dort nicht die Frage gewesen sei, ob Erwerbsaufwand abziehbar sein soll, sondern die Frage, ob Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einen solchen von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Erwerbsaufwand darstellen. Einen Anhaltspunkt dafür, welche Aufwendungen notwendig sind, für die verfassungsrechtlich der Abzug geboten ist, gebe der Begriff des zwangläufig pflichtbestimmten Aufwands. Dies sei bei künftigen Regelungen der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung der Fahrt- und Wegekosten zu berücksichtigen154. Schließlich sind auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zur Pendlerpauschale zu bedenken, wonach die fehlende Abzugsfähigkeit der Kosten für Entfernungen bis zu 20 km die Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf tatsächliche Aufwendungen dem Grunde und 150 Schneider, Stefan, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 90, 91; Englisch, Joachim, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips , Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 101; Jachmann, Monika, Objektives Nettoprinzip als tragendes Element im Gesamtsystem des Steuerrechts und Grenze für die Steuerpolitik, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 130; Weber-Grellert, Heinrich, Unzulässige Diskriminierung von Nahpendlern – Die Entscheidung des BVerfG zur Pendlerpauschale vom 9.12.2008, 2 BvL 1/07, DStR 2008, S. 353; Oertel, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 18. Auflage 2019, § 9 EStG, Rn. 44. 151 Jachmann, Monika, Objektives Nettoprinzip als tragendes Element im Gesamtsystem des Steuerrechts und Grenze für die Steuerpolitik, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 130, 132; Schneider, Stefan, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 91, 93. 152 Vgl. Jachmann, Monika, Objektives Nettoprinzip als tragendes Element im Gesamtsystem des Steuerrechts und Grenze für die Steuerpolitik, Beihefter zu DStR 34, 2009, 132; Schneider, Stefan, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 91. 153 Richter, Wolfram, Söhn, Hartmut, Streichung der Entfernungspauschale, StuW 2/2008, S. 121, 122; Offerhaus, Klaus, BB-Forum: Abschaffung der Pendlerpauschale verfassungswidrig?, BB, 2006, 129ff; Wernsmann, Rainer, Die Neuregelung der Entfernungspauschale ist verfassungsgemäß, DStR, 2007, S. 1152; Breinersdorfer, Stefan, Abzugsverbote und objektives Nettoprinzip - Neue Tendenzen in der verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers, DStR, 2010, S. 2495. 154 Schneider, Stefan, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34, 2009, S. 91. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 155/19 Seite 32 der Höhe nach, unabhängig von der Höhe des Einkommens treffe. Es könne daher - laut Verfassungsgericht - bei Beziehern niedriger Einkommen - im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Existenzminimums zu problematischen Härtefällen kommen, und zwar insbesondere dann, wenn erst der Wegfall der Abzugsfähigkeit der Wegekosten zur Steuerbelastung führe155. Mit Blick auf den vom Verfassungsgericht aufgezeigten Sachgrund des Systemwechsels, wonach Abweichungen von den Anforderungen einer am Maßstab finanzieller Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung des Einkommens nach dem objektiven Nettoprinzip unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein sollen, wird auf die Ausführungen zu Frage 3 verwiesen. Es kann nicht abgeschätzt werden, wie das Bundesverfassungsgericht mögliche künftige Regelungen zur Entfernungspauschale, die weitgehende Abzugsverbote vorsehen und sich auf die vom Verfassungsgericht aufgezeigten Rechtfertigungsgründe stützen, auch mit Blick auf Art. 20 a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen), bewerten wird. *** 155 BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rn. 81.