© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 152/19 Haushaltsrechtliche Aspekte der Zweckbindung von Steuereinnahmen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 152/19 Seite 2 Haushaltsrechtliche Aspekte der Zweckbindung von Steuereinnahmen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 152/19 Abschluss der Arbeit: 25. November 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 152/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Zweckbindung von Einnahmen 4 2.1. Haushaltsgrundsatz der Gesamtdeckung (Non-Affektation) 4 2.2. Ausnahmen vom Grundsatz 5 3. Allgemeine Grundlagen der Errichtung von Sondervermögen 6 3.1. Grundsatz der Haushaltseinheit und der -vollständigkeit 6 3.2. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Errichtung 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 152/19 Seite 4 1. Fragestellung Vorliegender Auftrag zielt auf die Frage ab, ob es haushaltsrechtlich zulässig ist, die aus einer Erhöhung der Mehrwertsteuer generierten Mehreinnahmen einer Zweckbindung zugunsten des „Tierwohls“ zu unterwerfen und über ein zu errichtendes Sondervermögen zur Finanzierung entsprechender Maßnahmen zu verwenden. In Anbetracht der Unbestimmtheit des Begriffs „Tierwohl“ beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Darstellung der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer dauergesetzlichen Zweckbindung von Einnahmen und der in diesem Zusammenhang stehenden Errichtung von Sondervermögen. 2. Zweckbindung von Einnahmen Eine sog. echte Zweckbindung im haushaltsrechtlichen Sinn ist bei einer strikten Verwendungsbeschränkung bestimmter Einnahmen für einen bestimmten Ausgabezweck gegeben1. 2.1. Haushaltsgrundsatz der Gesamtdeckung (Non-Affektation) § 7 Satz 1 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG)2 und § 8 Satz 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO)3 normieren den Haushaltsgrundsatz der Gesamtdeckung bzw. der Non-Affektation. Danach stehen dem Haushaltsgesetzgeber sämtliche Einnahmen als einheitliche Finanzmasse zur Deckung des gesamten Ausgabenbedarfs zur Verfügung. Eine Bindung von Einnahmen für bestimmte Zwecke ist grundsätzlich unzulässig. Durch das Verbot der Zweckbindung von Einnahmen an bestimmte Ausgaben soll insbesondere verhindert werden, dass Ausgaben nur deshalb geleistet werden, um Einnahmen ihrer beschränkten Zweckbestimmung zuzuführen, oder unterbleiben, solange und soweit die zweckgebundenen Einnahmen nicht eingehen4. Den Hintergrund dieses Grundsatzes bilden die Förderung der Flexibilität und Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes sowie die Absicherung der politischen Dispositions- und Lenkungsbefugnis des Parlaments auf dem finanzwirtschaftlichen Gebiet5. Die Unabhängigkeit bestimmter Einnahmen von bestimmten Ausgaben ermöglicht erst eine prinzipielle Gleichheit aller Verwendungszwecke und gewährleistet die Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers hinsichtlich der 1 Gröpl, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 110, Fn. 646; von der echten sind die Fälle der unechten Zweckbindung zu unterscheiden. Letzten liegen Verstärkungsvermerke zugrunde, die die Möglichkeit eröffnen, durch Erwirtschaftung von Mehreinnahmen zusätzlich Ausgabebedürfnisse zu befriedigen. Vgl. Knörzer, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 47. Erg.-Lfg. Januar 2013, § 8 BHO Rn. 6. 2 vom 19.08.1969, BGBl. I S. 1273, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 15.07.2013, BGBl. I S. 2398. 3 vom 19.08.1969, BGBl. I S. 1284, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 15.07.2013, BGBl. I S. 2395. 4 Kube, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand Dezember 2013, Art. 110 Rn. 143; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 44. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 110 Rn. 21, Verbot der „Topfwirtschaft“. 5 Gröpl, a.a.O., Art. 110 Rn145; Hugo, in: Heuer/Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht, Mai 2014, §8 BHO Rn. 3; Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, 2008, Art. 110 Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 152/19 Seite 5 Haushaltseinnahmen und auch die ihm zustehende Kompetenz, die Prioritäten der Ausgabenveranschlagung zu bestimmen. Zudem soll einer Tendenz zur Verfestigung von Gruppeninteressen entgegengewirkt werden. Nach herrschender Meinung kommt dem Grundsatz der Gesamtdeckung kein Verfassungsrang zu6. 2.2. Ausnahmen vom Grundsatz Einfachgesetzlich lassen § 7 Satz 2 HGrG und § 8 Satz 2 BHO Ausnahmen vom Grundsatz der Gesamtdeckung durch Gesetz (Sach- oder Haushaltsgesetz) oder im Haushaltsplan zu. Während durch sachgesetzliche Regelungen auch unbefristete Zweckbindungen vorgeschrieben sein können , ist die Geltungsdauer der durch das Haushaltsgesetz oder den Haushaltsvermerk im Haushaltsplan zugelassenen Zweckbindungen auf das jeweilige Haushaltsjahr beschränkt. Insbesondere die dauergesetzliche Reservierung einzelner Einnahmen für spezifische Ausgaben wird vielfach als finanzwirtschaftlich bedenklich betrachtet, denn die zweckgebundenen Einnahmen fließen nicht den allgemeinen Deckungsmitteln zu7. Zudem wird die Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers durch zeitlich vorhergehende Festlegungen beschnitten, so dass dem Haushaltsgesetzgeber zur eigenständigen Ausgabeermächtigung im jährlichen Haushaltsplan umso weniger Spielraum verbleibt8.Wegen der Einschränkung des Budgetrechts des Parlaments muss eine Zweckbindung entgegen dem grundsätzlich weiten Wortlaut der § 7 HGrG und § 8 BHO auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben9. Teilweise wird als materielle Zulässigkeitsvoraussetzung für die Durchbrechung des Gesamtdeckungsgrundsatzes eine sachliche Rechtfertigung gefordert10. Danach muss zwischen dem gesetzlichen Einnahmetatbestand und den damit finanzierten Ausgaben ein sachlicher Zusammenhang bzw. eine ökonomische Äquivalenz bestehen11. Bei der Zweckbindung von Gemeinschaftssteuereinnahmen (z.B. Mehrwertsteuer) sind zudem von Bedeutung die zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geteilte Ertragskompetenz und der 6 h. M.: vgl. Stern, Staatsrecht, Band II, 1980, S. 1244; Siekmann, in: Sachs, Grundgesetz, 4. Auflage 2007, Art. 110 Rn. 47; Gröpl a.a.O., Art. 110 Rn. 44; Nebel, a.a.O.; Heun, a.a.O.; Hugo, a.a.O.; offengelassen: BVerfGE 93, 319 348; a. A. Kube, a.a.O.; Heintzen, in: Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2007, § 120 Rn. 47. 7 Stern, a.a.O., S.1244; Nebel, a.a.O., Art.110 Rn. 21 sieht den Grundsatz der Gesamtdeckung in Gefahr, wenn Dauerprioritäten geschaffen werden, die den Bewegungsspielraum des Staatshaushalts beeinträchtigen. 8 Gröpl, a.a.O., Art. 110 Rn. 145, Knörzer, a.a.O., § 8 BHO Rn. 6. 9 Nebel, a.a.O.; Hugo, a.a.O., §8 BHO Rn. 3; Gröpl a.a.O.; BVerfGE 93, 319 (348): eine möglicherweise verfassungswidrige Einengung der Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers bei unvertretbarem Ausmaß von Zweckbindungen . 10 Heintzen, a.a.O., § 120 Rn. 47; Kube, a.a.O., Art. 110 Rn. 144; Heun, a.a.O.,Art.110 Rn. 17. 11 ebenda; nicht zwingend: Hugo, a.a.O., § 8 Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 152/19 Seite 6 in Art. 104a GG verankerte Konnexitätsgrundsatz, der eine Kongruenz der Aufgaben- und Finanzierungszuständigkeit der Gebietskörperschaften verlangt. 3. Allgemeine Grundlagen der Errichtung von Sondervermögen 3.1. Grundsatz der Haushaltseinheit und der -vollständigkeit Zentrale Vorschrift des parlamentarischen Budgetrechts ist Art. 110 Grundgesetz (GG), der verschiedene haushaltsrechtliche Grundsätze festschreibt. Die Kompetenz zur Feststellung des Haushaltsplans steht danach ausschließlich dem Gesetzgeber zu (parlamentarisches Budgetrecht ). Die Grundsätze der Vollständigkeit des Haushaltsplanes und der Grundsatz der Haushaltseinheit füllen dieses Budgetrecht aus. Mit dem Grundsatz der Haushaltseinheit soll eine umfassende Übersicht über die Bundesfinanzen erreicht werden. Dieser Zweck lässt sich nur so erfüllen , dass die Einnahmen und Ausgaben des Bundes in einem einzigen Haushaltsplan zu veranschlagen sind12. Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit sind im Haushaltsplan alle im Haushaltsjahr voraussichtlich zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben zu veranschlagen, so dass keine voraussichtliche Einnahme oder Ausgabe bewusst außer Ansatz bleiben darf13. Beide Grundsätze bezwecken, die Budgethoheit des Parlaments zu sichern, der Öffentlichkeit und den mit der Finanzplanung und Finanzkontrolle befassten Institutionen einen lückenlosen Überblick über das Budget zu ermöglichen und die Bildung von Sonderetats zu erschweren, aus denen Sonderinteressen unauffälliger befriedigt werden können14. Andere als die in Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG genannten Nebenhaushalte (Bundesbetriebe und Sondervermögen) sind unzulässig 15. 3.2. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Errichtung Sondervermögen des Bundes sind abgesonderte Teile des Bundesvermögens, die ausschließlich zur Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben des Bundes bestimmt sind und daher von dem sonstigen Bundesvermögen getrennt verwaltet werden16. Da sie einer eigenständigen Wirtschafts- und Rechnungsführung bedürfen, sind Sondervermögen zwangsläufig außerhalb des Bundeshaushalts zu bewirtschaften17. Ihre Einnahmen und Ausgaben sind zwar solche des Bundes, werden aber außerhalb des Bundeshaushalts bewirtschaftet. Diese Rechtsfolge bedingt eine Ausnahme von 12 Kube, a.a.O., Art. 110 Rn. 103; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht 40. Erg.-Lfg., Dez. 2004, Art. 110 GG Rn. 19. Daher dürfen für die Rechnungsperiode nicht zwei oder mehrere Haushaltspläne aufgestellt oder Teile des Haushaltsplans verselbständigt werden. Der Grundsatz der Haushaltseinheit verbietet (ebenso wie das Gebot der Vollständigkeit) die Bildung von sog. Schattenhaushalten. 13 Kube, a.a.O., Art. 110 Rn. 93; Heintzen, a.a.O., §120 Rn. 26: Verbot „schwarzer Kassen“. 14 Siekmann, a.a.O.,Art.110 Rn. 54; Heintzen, a.a.O., §120 Rn. 25; Nebel, a.a.O., Art. 110 GG Rn. 19. 15 Heun, a.a.O., Art. 110 Rn. 19. 16 Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 45. Erg.-Lfg., Jan. 2011), § 113 BHO Rn. 1. 17 Gröpl, a.a.O., Art. 110 Rn. 99; Nebel, a.a.O., § 113 BHO Rn. 1: Ein Sondervermögen hat stets einen eigenen Haushalt, §§ 26 Abs. 2, 113 Satz 1 BHO. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 152/19 Seite 7 den Verfassungsprinzipien der Vollständigkeit und der Einheit des Haushaltsplans18. Wegen dieser „Haushaltsflüchtigkeit“19 unterliegt die Errichtung von Sondervermögen engen Zulässigkeitsvoraussetzungen . Sondervermögen sind durch „angemessene legitimations-, öffentlichkeits- und koordinationsrestituierende Verfahrensweisen“ an den Bundeshaushalt rückzubinden20 und dürfen nur durch Gesetz errichtet werden21. Sie sind ihrerseits über publizitätswirksame Haushaltspläne, Wirtschaftspläne o.Ä. zu bewirtschaften22. Für die Aufstellung und Ausführung der Haushalte von Sondervermögen gelten dementsprechend über § 113 Satz 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO) die Vorschriften der BHO. Aus § 113 Satz 1 BHO folgt, dass für jedes Sondervermögen ein eigener Haushalts- oder Wirtschaftsplan nach den allgemeinen Haushaltsgrundsätzen aufzustellen ist, der von dem hierfür bestimmten Organ festgestellt wird23. Durch § 113 Satz 2 BHO ist gewährleistet , dass alle Sondervermögen des Bundes der Prüfung durch den Bundesrechnungshof unterliegen 24. Insbesondere sind nach § 26 Abs. 2 BHO über die Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen der Sondervermögen Übersichten dem Haushaltsplan als Anlage beizufügen oder in die Erläuterungen aufzunehmen25. Sondervermögen werden errichtet, wenn zweckgebundene Einnahmen und die aus ihnen zu bestreitenden – nicht aber zur allgemeinen Haushaltsfinanzierung dienenden – Ausgaben zu revolvierenden Fonds zusammengefasst und mit dem funktionalen Zweck einer besseren – effizienteren – Erfüllung der mit den Fondsmitteln zu finanzierenden Bundesaufgaben aus dem Bundeshaushalt ausgegliedert werden. Da eine gesetzliche Zweckbindung von Einnahmen an sich auch innerhalb des Bundeshaushalts sichergestellt werden kann, müssen hinreichend gewichtige sachliche Gründe vorliegen, die eine organisatorische und finanzielle Ausgliederung der Fondsmittel aus dem Bundeshaushalt rechtfertigen26. Solche Gründe können insbesondere dann anzunehmen 18 Heun, a.a.O., Art.110 Rn. 19; Eibelshäuser/Wallis, in: Heuer/Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht 49. Erg.-Lfg., April 2010, § 113 BHO Rn. 1. 19 Heun, a.a.O., Art.110 Rn. 19. 20 Gröpl, a.a.O., 110 Rn. 99. 21 Nebel, a.a.O., § 113 BHO Rn. 1; Gröpl, a.a.O., Art.110 Rn. 99. 22 Gröpl, Art. 110 Rn. 99. 23 Nebel, a.a.O., 113 BHO Rn. 2; Heun, a.a.O., Art. 110 Rn. 19. 24 In seinen jährlichen Bemerkungen nach § 97 BHO berichtet der Bundesrechnungshof regelmäßig im Rahmen der „Feststellungen zur Haushalts- und Vermögensrechnung sowie zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung des Bundes“ auch über die Sondervermögen, vgl. Eibelshäuser/Wallis, a.a.O., § 113 BHO Rn. 1. 25 In der Praxis geschieht diese jedoch regelmäßig nur für die Sondervermögen, bei denen Zuführungen oder Ablieferungen erwartet werden, Eibelshäuser/Wallis, a.a.O., § 113 BHO Rn. 1. 26 Kube, a.a.O., Art.110 Rn. 107; Siekmann, a.a.O., Art. 110 Rn. 54; Heintzen, a.a.O., §120 Rn. 28; Heun, a.a.O., Art. 110 Rn. 20; Gröpl, a.a.O. Art. 110 Rn. 99; a.A. Hillgruber, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz , 2010, Art. 110 Rn. 51: Beschränkung auf den Vorbehalt eines hinreichend bestimmten formellen Gesetzes. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 152/19 Seite 8 sein, wenn die mit den Fondsmitteln zu finanzierende spezifische Aufgabe besser durch Verwaltung außerhalb des Bundeshaushalts als durch Veranschlagung innerhalb des Bundeshaushalts erfüllt werden kann27. *** 27 Nebel, a.a.O., § 113 BHO Rn. 1.