© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 151/19 Entwicklung der steuerlichen Gleichbehandlung von Homosexuellen, gleichgeschlechtlichen Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 2 Entwicklung der steuerlichen Gleichbehandlung von Homosexuellen, gleichgeschlechtlichen Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 151/19 Abschluss der Arbeit: 29. November 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Welche Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs haben in den letzten zehn Jahren welche Benachteiligungen von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren im Steuerrecht beanstandet? Welche Verfahren zu diesem Themengebiet sind zurzeit anhängig? 4 2. Welche Gesetze wurden in den letzten zehn Jahren beschlossen, die Benachteiligungen von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren im Steuerrecht aufgegriffen beziehungsweise abgebaut haben? 8 3. Welche Benachteiligungen von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren im Steuerrecht werden aktuell in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur, von politischen Parteien, zivilgesellschaftlichen Akteuren etc. anberaumt? 12 4. Wird im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen versucht, die Rechte von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren zu stärken? 12 5. Welche steuerlichen Daten waren der Finanzverwaltung von gleichgeschlechtlichen Paaren bekannt, bevor das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts in Kraft trat? 13 6. Welche steuerlichen Rechte hatten eingetragene Lebenspartnerschaften vor der Ehe für alle? Gab es vor der Ehe für alle bereits die Möglichkeit für homosexuelle Paare beziehungsweise eingetragene Lebenspartnerschaften sich gemeinsam veranlagen zu lassen? 13 7. Musste nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts steuerlich nachgebessert werden, und falls ja, was wurde wann und warum konkret nachgebessert? 13 8. Wie wird im Rahmen der Kirchensteuer eine gemeinsame Veranlagung gleichgeschlechtlicher Ehen und eingetragener Lebenspartnerschaften behandelt? 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 4 1. Welche Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs haben in den letzten zehn Jahren welche Benachteiligungen von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren im Steuerrecht beanstandet? Welche Verfahren zu diesem Themengebiet sind zurzeit anhängig? Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 21. Juli 2010 beschlossen1, dass die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuerrecht im Hinblick auf – die Steuerklasse (§ 15 Abs. 1 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz - ErbStG) und – den Steuertarif (§ 19 ErbStG), – die persönlichen Steuerfreibeträge (§ 16 Abs. 1 ErbStG) und – den besonderen Versorgungsfreibetrag (§ 17 Abs. 1 ErbStG) mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar ist. Ehegatten waren in Steuerklasse I eingeordnet und hatten § 19 Abs. 1 ErbStG unabhängig von der Höhe des Erbes Steuersätze zwischen 7 Prozent und 30 Prozent zu entrichten. Eingetragene Lebenspartner wurden hingegen als „übrige Erwerber“ wie Dritte behandelt und in die Steuerklasse III eingeordnet. In dieser Steuerklasse waren Steuersätze von 17 Prozent bis zu 50 Prozent auf die Erbschaft zu entrichten. § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gewährte Ehegatten einen persönlichen Freibetrag in Höhe von 307.000 Euro und § 17 Abs. 1 ErbStG einen besonderen Versorgungsfreibetrag in Höhe von 256.000 Euro. Eingetragenen Lebenspartnern stand lediglich ein persönlicher Freibetrag in Höhe von 5.200 Euro zu. Von der Vergünstigung des Versorgungsfreibetrags waren sie gänzlich ausgeschlossen . Für die Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten bestanden nach Auffassung des BVerfG keine Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie die erhebliche Benachteiligung der Lebenspartner im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz rechtfertigen könnten. Das BVerfG hatte bereits früher geurteilt, dass eingetragene Lebenspartner wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft leben. Die hohen Freibeträge für Ehegatten und Kindern bei der Erbschaftsteuer werden unter anderem damit begründet, dass Ehegatten und nahe Angehörige nicht selten wesentlich an der Vermögensbildung beteiligt gewesen sind, bereits zu Lebzeiten am Vermögen des Erblassers partizipiert sowie den Lebensstandard des Erblassers geteilt haben. Für das BVerfG stellte sich jedoch der Vermögenszuwachs durch einen Erbfall beim Ehegatten nicht anders dar als bei einem Lebenspartner , insofern müssen dieselben Maßstäbe angewandt werden. Zudem habe sich der Gesetzgeber selbst mit der Erbschaftsteuerreform von dem Vorhandensein von Kindern verabschiedet und den Freibetrag in derselben Höhe kinderlosen Ehen und Familien zugestanden. Deshalb könne 1 Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 21. Juli 2010, Aktenzeichen 1 BvR 611/07. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 5 sich der Gesetzgeber nicht auf die Privilegierung der Ehe als Ausgangspunkt für die Generationsfolge berufen. In seinem Beschluss2 vom 18. Juli 2012 stellt das BVerfG fest, dass – § 3 Nr. 3 Satz 2 und Satz 3, Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6 Satz3 und Nr. 7 Satz 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 1997 vom Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften : Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. § 3 GrEStG enthält die allgemeinen Ausnahmen von der Besteuerung. Das BVerfG bemängelt, dass der Grundstückserwerb durch den Ehegatten, nicht aber durch den eingetragenen Lebenspartner von der Grunderwerbsteuer befreit war. Das BVerfG führt auch hier aus, dass eingetragene Lebenspartner Ehegatten familien- und erbrechtlich gleichgestellt sowie persönlich und wirtschaftlich in gleicher Weise in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft miteinander verbunden sind. Deshalb gelte die hiermit offenbar verbundene Vermutung, dass Grundstücksübertragungen zwischen Ehegatten häufig zur Regelung familienrechtlicher Ansprüche der Ehegatten untereinander oder in Vorwegnahme eines Erbfalls erfolgen, auch für eingetragene Lebenspartner. In seinem Beschluss3 vom 7. Mai 2013 stellt das BVerfG fest, dass – § 26 und § 26b Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 16. April 1997, – § 32a Abs. 5 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz - StSenkG) vom 23. Oktober 2000 sowie – die nachfolgenden Fassungen der §§ 26, 26b, § 32a Abs. 5 EStG seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften : Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind, soweit sie eingetragenen Lebenspartnern anders als Ehegatten nicht die Möglichkeit der Zusammenveranlagung und die damit verbundene Anwendung des Splitting-Verfahrens eröffnen . Die Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern in den Vorschriften zum Ehegattensplitting stellt eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung dar. Auch wenn die 2 Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 18. Juli 2012, Aktenzeichen 1 BvL 16/11. 3 Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 7. Mai 2013, Aktenzeichen 2 BvR 909/06. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 6 Regelung selbst an den Familienstand anknüpft, ist doch die Entscheidung für eine Ehe oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft kaum trennbar mit der sexuellen Orientierung verbunden. Neben den in den vorigen Beschlüssen enthaltenen Überlegungen führt das BVerfG speziell zum Splitting aus: „Das Splittingverfahren erweitert den Spielraum der Ehepartner bei der Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe und wird deshalb auch als Regelung angesehen, die vor allem für Familien gedacht ist, in denen ein Ehepartner wegen Familienarbeit (d. h. wegen Kindererziehung oder Pflege) nicht oder nur teilweise erwerbstätig ist. Jedoch erkennt auch das Lebenspartnerschaftsgesetz - ebenso wie das Eherecht - den Partnern Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung zu und geht von der Gleichwertigkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit aus. Unterschiede zwischen der Lebenssituation von Ehepartnern und Lebenspartnern, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, sind insoweit nicht zu erkennen. Zum einen gibt es nicht in jeder Ehe Kinder und ist nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Zum anderen werden zunehmend auch in Lebenspartnerschaften Kinder großgezogen; insoweit sind Ausgestaltungen denkbar und nicht völlig unüblich, in denen der eine der Lebenspartner schwerpunktmäßig die Betreuung der Kinder übernimmt.“4 Diesen Beschluss des BVerfG konnten der Richter Landau und die Richterin Kessal-Wulf nicht mittragen. Nach ihrer abweichenden Meinung verkenne der Senat, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts am 1. Januar 2005 nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht als eine der Ehe vergleichbare Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch ausgestaltet war. Insoweit war die Privilegierung der Ehe in den vorliegend allein streitgegenständlichen Veranlagungsjahren 2001 und 2002 sachlich gerechtfertigt. Im Jahr 2012 hatten verschiedene eingetragene Lebenspartner vor dem Bundesfinanzhof (BFH) geklagt, um dieselben steuerlichen Rechte wie Ehegatten zu erlangen. In den meisten Fällen wollten die Verfahrensbeteiligten vor dem Hintergrund des anstehenden Urteils des BVerfG zum Ehegattensplitting eine Verfahrensaussetzung abwehren, vorläufigen Rechtsschutz erwirken oder die Aufhebung der Vollziehung verhindern. – Beschluss vom 20. Februar 2012, Aktenzeichen III B 207/11: Beschwerde gegen eine Verfahrensaussetzung . Der Kläger wollte mit seinem eingetragenen Lebenspartner gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden. – Beschluss vom 5. März 2012, Aktenzeichen III B 6/12: Keine Zusammenveranlagung von eingetragenen Lebenspartnern, Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch Aussetzung der Vollziehung. – Beschluss vom 23. April 2012, Aktenzeichen III B 183/11: Statthaftigkeit eines Antrags auf Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung. Der Antragsteller wollte mit seinem eingetragenen Lebenspartner gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden. 4 Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung Nr. 41/2013 vom 6. Juni 2013. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 7 – Beschluss vom 23. April 2012, Aktenzeichen III B 187/11: Keine Aufhebung der Vollziehung bei abgelehnter Zusammenveranlagung von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft - Rechtsschutzgewährende Antragsauslegung. – Beschluss vom 11. Dezember 2012, Aktenzeichen III B 89/12: Ablehnung der Änderung der Lohnsteuerklasse eingetragener Lebenspartner und vorläufiger Rechtschutz. Der BFH urteilte am 26. Juni 20145, dass – die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung in den Jahren nicht gegeben seien, in denen das Lebenspartnerschaftsgesetz noch nicht in Kraft war. Nach § 26 Abs. 1 EStG haben Ehegatten das Recht, gemäß § 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt zu werden. Bei den Klägern handele es sich jedoch nicht um Ehegatten. Dies können nur zwei Menschen verschiedenen Geschlechts sein. Auch aus der in § 2 Abs. 8 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 15. Juli 2013 zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2013 bestimmten Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten ergebe sich kein Anspruch der Kläger auf Zusammenveranlagung, da diese im Streitjahr 2000 noch keine Lebenspartner waren; in diesem Jahr galt das Lebenspartnerschaftsgesetz, das erst zum 1. August 2001 in Kraft trat, noch nicht. Der BFH erkannte auch nicht den Abzug der Unterhaltsleistungen nach § 33a EStG (Außergewöhnliche Belastung in besonderen Fällen) in voller Höhe an. Ein Unterhaltsvertrag, wie sie die Kläger vereinbart haben, führe nicht zu rechtlich verbindlich verfassten Lebensformen, wie sie das BVerfG fordere. Mit Urteil vom 5. Oktober 20176 stellt der BFH klar, dass die Aufwendungen für eine In-vitro-Fertilisation (IVF) einer in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden unfruchtbaren Frau als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. 5 Bundesfinanzhof: Urteil vom 26. Juni 2014, Aktenzeichen III R 14/15. 6 Bundesfinanzhof: Urteil vom 5. Oktober 2017, Aktenzeichen VI R 47/15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 8 Die In-vitro-Fertilisation (IVF) ist eine zur Behandlung von Empfängnisunfähigkeit - bei Mann wie Frau - spezifisch erforderliche medizinische Leistung. Die zugrunde liegende Behandlung muss zudem mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang stehen. Der Umstand, dass die Klägerin in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, steht der Anerkennung der Krankheitskosten nicht entgegen. So können Aufwendungen einer empfängnisunfähigen, in einer festen beziehungsweise festgefügten Partnerschaft lebenden Frau - und damit ohne Rücksicht auf ihren Familienstand - für Maßnahmen zur Sterilitätsbehandlung durch IVF nach der Rechtsprechung des BFH als außergewöhnliche Belastung abziehbar sein. Weitere Verfahren vor dem BVerfG und dem BFH sind zu der Thematik nicht anhängig (siehe auch Antwort zu Frage 9). 2. Welche Gesetze wurden in den letzten zehn Jahren beschlossen, die Benachteiligungen von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren im Steuerrecht aufgegriffen beziehungsweise abgebaut haben? Mit dem Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften 7 schuf der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. August 2001 die Eingetragenen Lebenspartnerschaften. Für Lebenspartner gilt seit 1. Januar 2005 das gleiche Güterrecht wie für Ehegatten (§ 6 LPartG). § 9 erlaubt die Stiefkindadoption.8 Durch das Erbschaftsteuerreformgesetz9 mit Wirkung vom 1. Januar 2009 wurden folgende gesetzliche Regelungen für Lebenspartner verankert: – Fortsetzung der Gütergemeinschaft, zum Beispiel mit adoptierten Stiefkindern, nach dem Tod auch bei Lebenspartnern anerkannt (§ 4 Abs. 1 ErbStG). – Steuerfreiheit eines entstehender Ausgleichsanspruch bei der Beendigung des Güterstandes durch Tod in demselben Umfang wie im Fall der Zugewinngemeinschaft unter Ehegatten (§ 5 Abs. 1 ErbStG). – Lebenspartner können nach § 10 Abs. 4 LPartG ein gemeinschaftliches Testament errichten. In diesem Fall sollen auch die mit dem verstorbenen Lebenspartner näher verwandten Erben und Vermächtnisnehmer in gleicher Weise wie bei einem verstorbenen Ehegatten die Möglichkeit erhalten, nach dem günstigeren verwandtschaftlichen Verhältnis zu dem erstverstorbenen Lebenspartner besteuert zu werden. 7 Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001, Bundesgesetzblatt I, Seite 266. 8 Vorschriften eingefügt beziehungsweise geändert durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15. Dezember 2004, Bundesgesetzblatt I, Seite 3396. 9 Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG) vom 24. Dezember 2008, Bundesgesetzblatt I, Seite 3018. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 9 – Angleichung des persönlichen Freibetrags in Höhe von 500.000 Euro (§ 16 Abs. 1 ErbStG) an denjenigen von Ehepartnern. – Wegen der gleichen gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung bei Lebenspartner wie bei Ehegatten wurde der besondere Versorgungsfreibetrags von bis zu 256.000 Euro (§ 17 Abs. 1 ErbStG) auch für Lebenspartner gewährt. – Die Vererbung von selbstgenutztem Wohneigentum unter Ehegatten sowie bei eingetragenen Lebenspartnerschaften wird erbschaftsteuerfrei gestellt (§ 13 Abs. 4a ErbStG). Im Jahressteuergesetz 2010 reagierte der Gesetzgeber auf den Beschluss des BVerfG10 und änderte §§ 13 bis 17, 37 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz. Damit wurden – Lebenspartner wie Ehegatten der Steuerklasse I zugeordnet. – Bei einer Aufhebung der Lebenspartnerschaft galt für die ehemaligen Lebenspartner wie für den geschiedenen Ehegatten Steuerklasse II. – Außerdem beschloss der Gesetzgeber, dass die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften rückwirkend in allen, noch nicht bestandskräftig veranlagten Fällen galt. In demselben Gesetz wurden die §§ 3 und 23 Grunderwerbsteuergesetz geändert: – Der Erwerb eines Grundstücks aus dem Nachlass des verstorbenen Lebenspartners durch den überlebenden Lebenspartner wurde genauso steuerfrei gestellt wie bei Ehegatten. – Auch Grundstückserwerbe unter Lebenspartner wurden denjenigen zwischen Ehegatten gleichgestellt. – Bei Aufhebung einer Lebenspartnerschaft galten bei einer Vermögensauseinandersetzung dieselben erwerbsteuerrechtlichen Begünstigungen wie bei der Scheidung von Ehegatten. Das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 201311 änderte zwei Paragrafen des EStG: – § 2 EStG wurde Abs. 8 mit folgendem Wortlaut angefügt: „Die Regelungen dieses Gesetzes zu Ehegatten und Ehen sind auch auf Lebenspartner und Lebenspartnerschaften anzuwenden .“ 10 1 BvR 611/07 11 Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013 vom 15. Juli 2013, BGBl. I, Seite 2397. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 10 – Der neue Abs. 2a in § 52 bestimmte, dass der oben genannte § 2 Abs. 8 EStG in allen Fällen anzuwenden ist, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Damit ist laut Begründung zum Gesetzentwurf gemeint, § 2 Abs. 8 EStG rückwirkend zum Zeitpunkt der Schaffung des Instituts der Lebenspartnerschaft in 2001 für Lebenspartner in Kraft zu setzen, deren Veranlagungen noch nicht bestandskräftig durchgeführt sind.12 Gleichzeitig vorgelegte (und abgelehnte) Gesetzentwürfe der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN forderten insbesondere die Gleichbehandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe sowohl rückwirkend auch für bereits bestandskräftige Steuerfestsetzungen als auch in den Nebengesetzen zum Einkommensteuergesetz sowie anderen Gesetzen.13 Die Anpassung der Nebengesetze zum Einkommensteuergesetz sowie anderer Gesetze, um eine Gleichbehandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Ehe zu erreichen, erfolgte 2014 mit dem Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts .14 Es wurden insbesondere folgende Änderungen vorgenommen: – § 24b EStG: Gesetzliche Vermutung der Haushaltsgemeinschaft auch für eingetragene Lebenspartnerschaften . – § 85 EStG: Die Kinderzulage im Rahmen der Altersvorsorge wird bei Eltern gleichen Geschlechts dem Elternteil zugeordnet, dem gegenüber das Kindergeld festgesetzt wird, auf Antrag beider Eltern dem anderen Elternteil. – § 15 Abgabenordnung: Einbeziehung der Lebenspartner in die gesetzliche Aufzählung der Angehörigen. Damit gilt zum Beispiel ein Auskunftsverweigerungsrecht. – § 19 Abgabenordnung: Die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung richtet sich nach dem Wohnsitz, an dem sich Eltern und Kinder vorwiegend aufhalten. – § 122 Abgabenordnung: Verzicht auf Einzelbekanntgabe der Einkommensteuerbescheide bei zusammen veranlagten Lebenspartnern. 12 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013, Bundestags-Drucksache 17/13870, Seite 6. 13 Bericht des Finanzausschusses a) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013 …, Bundestags-Drucksache 17/14260. 14 Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2014, BGBl. I, Seite 1042. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 11 – § 147a Abgabenordnung: Beträgt die Summe der positiven Überschusseinkünfte mehr als 500.000 Euro im Kalenderjahr, gelten bestimmte Aufzeichnungspflichten. Dieser Schwellenwert ist nun auch für jeden Lebenspartner getrennt zu ermitteln. – § 183 Abgabenordnung: Feststellungsbescheide über den Einheitswert zum Beispiel von Grundstücken müssen nicht mehr einzeln bekannt gegeben werden. – § 263 Abgabenordnung: Für die Vollstreckung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gegen Lebenspartnern wird zugunsten des Gläubigers vermutet, dass die im Besitz eines oder beider Lebenspartnern befindlichen beweglichen Sachen dem Schuldner gehören . – § 1 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz: Künftig ist auch für den Lebenspartner eine zusätzliche Absicherung der Hinterbliebenen bei einem zertifizierten Altersvorsorgevertrag möglich. – § 26 Bewertungsgesetz: Wie bei Ehegatten soll auch bei Lebenspartnern die Zurechnung mehrerer Wirtschaftsgüter zu einer wirtschaftlichen Einheit möglich sein, wenn die Wirtschaftsgüter zum Teil dem einen, zum Teil dem anderen Lebenspartner gehören. – § 19 Eigenheimzulagengesetz: Durch die Prüfung der für die Eigenheimzulage bedeutsamen Kriterien der Einkunftsgrenze (§ 5 Satz 2 EigZulG) und der Objektbeschränkung (§ 6 Absatz 1 Satz 2 EigZulG) wird die Gleichbehandlung von Ehegatten und Lebenspartner gewährleistet . – § 3 Wohnungsbau-Prämiengesetz: Das Wohnungsbau-Prämiengesetz ist auch auf Lebenspartner anzuwenden. Im Bericht zur abschließenden Beratung im Finanzausschuss gibt die Fraktion der SPD zur Protokoll , dass nach ihrer Ansicht zur völligen Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und der Ehe auch eine Anerkennung der Förderung der eingetragenen Lebenspartnerschaft als gemeinnütziger Zweck gehöre. Zwischen den Koalitionspartnern habe jedoch keine Einigung über eine solche Erweiterung der gemeinnützigen Zwecke erzielt werden können.15 Ab 1. Oktober 2017 schließlich gilt die „Ehe für alle“ durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts.16 Es änderte zum einen das Bürgerliche Gesetzbuch, zum anderen das Lebenspartnerschaftsgesetz. Danach kann eine Lebenspartnerschaft weiterbestehen, aber keine neue begründet werden. Zudem kann eine Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt werden, wenn zwei Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner gegenseitig persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, miteinander eine Ehe auf Lebenszeit 15 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bundestags-Drucksache 18/1647, Seite 6. 16 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20. Juli 2017, BGBl. I, Seite 2787. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 12 führen zu wollen. Nach der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe haben die Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner die gleichen Rechte und Pflichten, als ob sie am Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft geheiratet hätten.17 3. Welche Benachteiligungen von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren im Steuerrecht werden aktuell in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur, von politischen Parteien, zivilgesellschaftlichen Akteuren etc. anberaumt? Nach der Anerkennung durch den Gesetzgeber, dass die nachträgliche Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in eine Ehe auch steuerliche Rückwirkungen haben (vgl. Antwort zu Frage 8) werden derzeit keine steuerlichen Benachteiligungen diskutiert. 4. Wird im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen versucht, die Rechte von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren zu stärken? Mit einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) regeln die Vertragsstaaten die Zuweisung des Besteuerungsrechts für die einzelnen Einkünfte, das heißt, welcher der beiden Vertragsstaaten welche Einkünfte besteuern darf. Ein DBA regelt nicht, welche Personen steuerpflichtig sind, welche Einkünfte überhaupt der Steuer unterliegen, wie die Einkünfte zu ermitteln sind, wie die steuerliche Bemessungsgrundlage zu ermitteln ist oder wie die Steuer zu berechnen ist. Dies ergibt sich allein aus dem nationalen Steuerrecht.18 Insofern können in einem DBA auch keine Rechte von Steuerpflichtigen gestärkt werden. In der Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarungsverordnung wurde ausdrücklich festgelegt , dass sich das Besteuerungsrecht für Unterhaltsleistungen an Lebenspartner wie die Unterhaltsleistungen an Ehegatten nach Art. 21 (Andere Einkünfte) des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen richtet.19 Es ist zu vermuten, dass ähnliche Klarstellungen auch zu den anderen ca. 90 Doppelbesteuerungsabkommen , die Deutschland mit anderen Staaten geschlossen hat, getroffen wurden. 17 Gesetzentwurf des Bundesrates zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 11. November 2015, Bundestags-Drucksache 18/6665, Seite 11. 18 Meyer, Stefan Karsten: Übersicht: DBA, Einführung, Haufe Steuer Office Kanzlei-Edition Online, HI1943571, Stand: 29. Juli 2019. 19 Vgl. Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2014, BGBl. I, Seite 1042. Die Zuordnung der Einkünfte entspricht dem OECD-Musterabkommen zur Doppelbesteuerung, vgl. Rust, Alexander: OECD-MA 2014, Artikel 21, Andere Einkünfte, in: Vogel, Klaus; Lehner , Moris; DBA Randnummern 11 bis 19, 6. Auflage 2015, BeckOnline. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 13 5. Welche steuerlichen Daten waren der Finanzverwaltung von gleichgeschlechtlichen Paaren bekannt, bevor das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts in Kraft trat? Bereits für den Veranlagungszeitraum 2002 beantragten neu eingetragene Lebenspartnerschaften die Zusammenveranlagung bei der Einkommensteuer oder die Änderungen der Lohnsteuerklassen (vgl. oben die Urteile des BFH). Die Beantragung der Zusammenveranlagung erfolgt durch das Ausfüllen des Mantelbogens für beide Lebenspartner und die Unterschriften ebenfalls beider Lebenspartner. Wenn Einzelveranlagung gewünscht wird, muss dies explizit deutlich gemacht werden. Weiterhin füllen die eingetragenen Lebenspartner die Anlagen entsprechend ihre Einkünfte aus. Spätestens mit der gesetzlichen Möglichkeit der Zusammenveranlagung waren der Steuerverwaltung die Daten der eingetragenen Lebenspartnerschaften in demselben Umfang bekannt wie für Ehegatten. 6. Welche steuerlichen Rechte hatten eingetragene Lebenspartnerschaften vor der Ehe für alle? Gab es vor der Ehe für alle bereits die Möglichkeit für homosexuelle Paare beziehungsweise eingetragene Lebenspartnerschaften sich gemeinsam veranlagen zu lassen? Vgl. Antwort zu Frage 2. 7. Musste nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts steuerlich nachgebessert werden, und falls ja, was wurde wann und warum konkret nachgebessert? Am 31. Juli 2018 urteilte das Finanzgericht Hamburg20, dass – Ehegatten, die ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt haben, die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer gemäß §§ 26, 26b EStG auch für bereits bestandskräftig einzelveranlagte Jahre verlangen können. Die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft nach § 20a Lebenspartnerschaftsgesetz in eine Ehe ist ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO). Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern , soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). In der bloßen rückwirkenden Änderung steuerrechtlicher Vorschriften ist grundsätzlich deshalb kein rückwirkendes Ereignis zu sehen, weil sich dadurch der dem Steuertatbestand zugrunde liegende Lebenssachverhalt nicht ändert. Etwas anderes gilt allerdings in den Fällen, in denen die rückwirkende Änderung außersteuerrechtlicher Normen dazu führt, dass ein bestandskräftig geregelter Einzelfall (Sachverhalt) nachträglich umgestaltet wird. Das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts ist ein außersteuerliches Gesetz und damit grundsätzlich geeignet, Rückwirkung im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu entfalten. Das Finanzgericht Hamburg zitiert aus der Erläuterung des Gesetzesentwurfs : 20 Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 31. Juli 2018, Aktenzeichen 1 K 92/18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 14 "Nach der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe haben die Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner die gleichen Rechte und Pflichten, als ob sie am Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft geheiratet hätten. Damit wird die bestehende Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerinnen und Lebenspartner mit Ehegatten ... rückwirkend beseitigt. Dies bedeutet, dass bestimmte sozial- und steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden müssen." Damit sei ausdrücklich, ohne jede Einschränkung und somit eindeutig gesagt, dass der Gesetzgeber eine rückwirkende Beseitigung von Ungleichbehandlungen gewollt habe. Die Finanzverwaltung hatte sich bis dahin auf den Standpunkt gestellt, dass die nachträgliche Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in eine Ehe zwar ein Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt, das Ereignis allerdings keine steuerliche Rückwirkung hat. Mit dem Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften21 hat der Gesetzgeber im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) „ausnahmsweise“ ausdrücklich eine gesetzliche Bestimmung getroffen. Wurde eine Lebenspartnerschaft bis zum 31. Dezember 2019 gemäß § 20a des Lebenspartnerschaftsgesetzes in eine Ehe umgewandelt, sind § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 sowie § 233a Abs. 2a der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden, soweit die Ehegatten bis zum 31. Dezember 2020 den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zur nachträglichen Berücksichtigung an eine Ehe anknüpfender und bislang nicht berücksichtigter Rechtsfolgen beantragt haben .22 Das Finanzgericht Hamburg hatte wegen grundsätzlicher Bedeutung Revision zugelassen, die jedoch wegen der Gesetzesänderung wohl hinfällig geworden ist. 8. Wie wird im Rahmen der Kirchensteuer eine gemeinsame Veranlagung gleichgeschlechtlicher Ehen und eingetragener Lebenspartnerschaften behandelt? Die als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften dürfen von ihren Mitgliedern Steuern im Sinne der AO erheben. Der Hauptteil des Kirchensteueraufkommens entsteht durch einen Zuschlag in Form eines festen Prozentsatzes auf die veranlagte Einkommensteuer und die Lohnsteuer.23 Für die Höhe des Kirchensteuersatzes gelten grundsätzlich die Bestimmungen der Kirche, in der das Kirchenmitglied seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Kirchensteuersatz beträgt in Bayern und Baden-Württemberg 8 Prozent, in den anderen Bundesländern 9 Prozent 21 Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11. Dezember 2018, BGBl. I, Seite 2338. 22 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, Bundestags-Drucksache 19/5595, Seite 81. 23 Der Zuschlag wird auch auf die pauschale Einkommensteuer und auf die Kapitalertragsteuer erhoben. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 15 Die Kirchensteuer auf die veranlagte Einkommensteuer wird (mit Ausnahme in Bayern) von den Finanzämtern im Rahmen einer Auftragsverwaltung festgesetzt und erhoben. Die Verwaltung der Kirchensteuer auf die Lohnsteuer wurde in ganz Deutschland auf die Finanzämter übertragen, sodass einem Arbeitgeber bundesweit die Abzugsverpflichtung obliegt. Sind Kinder zu berücksichtigen, wird für Zwecke der Berechnung der Kirchensteuer die Bemessungsgrundlage korrigiert (§ 51a Abs. 2 EStG). Danach werden immer die für Kinder geltenden steuerlichen Freibeträge mindernd berücksichtigt, selbst dann, wenn nach staatlichem Recht ausschließlich Kindergeld gezahlt wird. Nur von der verminderten Summe werden – fiktiv – die Einkommensteuer und hiervon die Kirchensteuer berechnet. Alle Bundesländer haben in den Kirchensteuergesetzen die Gleichstellung von Ehen mit eingetragenen Lebenspartnerschaften normiert bzw. wenden die gleichen Rechte an. Die Kirchensteuer knüpft an die persönliche Kirchenmitgliedschaft des Ehegatten beziehungsweise des Lebenspartners an. Sowohl bei Verheirateten als auch bei Verpartnerten ist daher bei der Berechnung der Kirchensteuer zwischen Konfessionsgleichheit, Konfessionsverschiedenheit und Glaubensverschiedenheit bei Ehe/Lebenspartnerschaft zu unterscheiden (im Folgenden wird immer nur der Fall der Zusammenveranlagung dargestellt):24 – Bei Konfessionsgleichheit gehören beide Ehegatten/Lebenspartner derselben Kirche an. In diesem Fall wird der Kirchensteuersatz auf die gemeinsame Einkommensteuer angewandt. – Bei Konfessionsverschiedenheit gehören die Ehegatten oder Lebenspartner jeweils verschiedenen Kirchen an. In diesem Fall wird der volle Kirchensteuersatz je auf die Hälfte der gemeinsamen Steuerschuld angewandt (Halbteilungsgrundsatz) und an die Kirchen abgeführt. – Bei Glaubensverschiedenheit gehört nur ein Ehegatte/Lebenspartner einer Kirche an. In diesem Fall wird die Kirchensteuer nur von demjenigen erhoben, der Mitglied einer Kirche ist. Zur Berechnung der Kirchensteuer ist die Einkommensteuer beider Ehegatten/Lebenspartner im Verhältnis der Einkommensteuerbeträge aufzuteilen, die sich nach der Grundtabelle auf die Einkünfte eines jeden Ehegattens/Lebenspartners ergeben würde. Zu unterscheiden ist das besondere Kirchgeld, das vor allem von den evangelischen Landeskirchen und einigen römisch-katholischen Diözesen erhoben wird. Dabei wird das besondere Kirchgeld nur für den Ehegatten/Lebenspartner festgesetzt und erhoben, der einer Kirche angehört und der im Vergleich zum anderen Ehegatten/Lebenspartner geringere Einkünfte oder keine Einkünfte erzielt hat. Für die Bemessung des besonderen Kirchgeldes wird das gemeinsame zu versteuernde Einkommen zugrunde gelegt, das heißt einschließlich des Anteils des Nichtkirchenmitglieds. Das besondere Kirchgeld wird anhand einer 13- 24 Vgl. Eckmann, Gottfried: Lexikonstichwort: Kirchensteuer, Haufe Steuer Office Kanzlei-Edition Online, HI1635687, Stand: 14. Mai 2019. Mit Rechenbeispielen: Ministerium der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg: Die Kirchensteuer – als Zuschlag zur Einkommensteuer/Lohnsteuer, unter: https://mdfe.brandenburg .de/cms/detail.php/bb1.c.352040.de, abgerufen am 27. November 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 151/19 Seite 16 stufigen Tabelle (Kirchensteuer-Übersicht der Länder) ermittelt und beträgt zwischen 96 Euro und 3.600 Euro. Der Kirchensteuerbetrag und das besondere Kirchgeld werden miteinander verglichen und der jeweils höhere Betrag angesetzt.25 Die Kirchensteuer wird in den Ländern mit Ausnahme von Bayern gekappt, um eine Steuerprogression abzumildern. Die Kappung begrenzt die Kirchensteuer auf einen bestimmten Prozentsatz des zu versteuernden Einkommens. Die Kappungssätze liegen zwischen 3 Prozent und 4 Prozent. Die Kappung erfolgt je nach Landeskirchensteuergesetz von Amts wegen bei der Einkommensteuer -Veranlagung oder auf Antrag durch die Kirchenbehörden. * * * 25 Auf verschiedenen Internetseiten wird unter Nennung der Aktenzeichen 1 B 27/18 und 1 B 28/18 berichtet, der BFH habe seine bisherige Rechtsprechung geändert und das besondere Kirchgeld nur dann für zulässig erklärt, wenn keine Kirchensteuer fällig ist. Dies lässt sich jedoch aktuell nicht überprüfen.