© 2017 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 140/16 Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern Abkommenspraxis und Auswirkungen auf Steueraufkommen und Investitionen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 2 Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern Abkommenspraxis und Auswirkungen auf Steueraufkommen und Investitionen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 140/16 Abschluss der Arbeit: 03.02.2017 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Die Betriebsstättendefinition in Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern 4 2.1. Grundsätzliche internationale Entwicklungen zum Betriebsstättenbegriff 4 2.2. Deutsche Vorstellungen und DBA-Abkommenspraxis zum Betriebsstättenbegriff 5 3. Quellensteuern auf konzerninterne Zahlungen in den DBA mit Entwicklungs- und Schwellenländern 7 3.1. Die Regelungen im OECD-MA, UN-MA und in der Verhandlungsgrundlage (VG) des BMF im Vergleich 7 3.2. Die deutsche Abkommenspraxis zu konzerninternen Zahlungen 9 4. Auswirkungen auf Steueraufkommen und Investitionen in den Entwicklungs- und Schwellenländern 10 5. Bewertungen der deutschen Doppelbesteuerungspolitik gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern 14 6. Literaturverzeichnis 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 4 1. Fragestellung Die Auftraggeber erkundigen sich nach der Definition der Betriebsstätte in den einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) (2.) sowie den Regelungen zu Quellensteuern auf konzerninterne Zahlungen (3.). Eine weitere Frage thematisiert den Zusammenhang zwischen langfristigen Investitionen in den Ländern des Südens und den Vereinbarungen in den DBA. Zudem soll der steuerliche Vorteil derartiger DBA für die Entwicklungsländer benannt werden. (4.) Letztlich möchten die Auftraggeber eine Einschätzung zur Entwicklungsfreundlichkeit von DBA erhalten, die Deutschland mit Entwicklungsländern abgeschlossen hat. (5.) 2. Die Betriebsstättendefinition in Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern 2.1. Grundsätzliche internationale Entwicklungen zum Betriebsstättenbegriff „Das Betriebsstättenprinzip präzisiert die territoriale Abgrenzung nationaler Besteuerungsrechte an Unternehmensgewinnen. Unternehmensgewinne dürfen demnach grundsätzlich nur im Ansässigkeitsstaat besteuert werden, es sei denn, die geschäftlichen Tätigkeiten des Unternehmens im anderen Staat verdichten sich zu einer Betriebsstätte. Unterhalb dieser Schwelle kommt dem anderen Staat nur im Rahmen speziellerer Zuteilungsregelungen ein Besteuerungsrecht an Unternehmensgewinnen zu. Nach dem Grundtatbestand ist eine Betriebsstätte zunächst eine feste Geschäftseinrichtung mit gewisser örtlicher Verbundenheit und zeitlicher Dauerhaftigkeit.“1 „Entsprechend bedarf es auf dieser Ebene einer „Materialisierung” des unternehmerischen Handelns , mindestens einer ausreichenden „Verwurzelung”. Dabei ist seit Jahren eine starke Tendenz zu verzeichnen, den Betriebsstättenbegriff auszuweiten, um den Zugriff der Quellenstaaten auf Steuersubstrat zu erweitern. Hiervon sind besonders Dienstleistungstätigkeiten betroffen. Die Aufweichung des Betriebsstättenbegriffs vollzieht sich diesbezüglich im Wesentlichen auf zwei Ebenen: Auf der interpretativen Ebene ist eine weite Auslegung der notwendigen Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung, „durch die” die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird, im Vordringen. Dies zeigt sich im OECD-Update 2003. Während bislang die „Festigkeit” der Geschäftseinrichtung im Wesentlichen als das Kriterium der Verfügungsmacht von Bedeutung war, betont der OECD-Musterkommentar i. d. F. von 2003 auch, dass Dienstleistungstätigkeiten „an” einer fremden Geschäftseinrichtung, z. B. in Räumen des Auftraggebers, betriebsstättenbegründend sein können.“2 „Zwar knüpft die OECD den Betriebsstättenbegriff weiterhin an eine feste Geschäftseinrichtung, durch extensive Auslegung des Betriebsstättengrundtatbestands werden allerdings dessen Substanzanforderungen reduziert, um de facto eine Dienstleistungsbetriebsstätte zu fingieren, was als „unechte” Dienstleistungsbetriebsstätte bezeichnet wird. Zum anderen zeigt sich die Ausweitung 1 Rosenberger/Vitali/Ziehr: Die Dienstleistungsbetriebsstätte in: IStR-Beihefter 2010, S. 1-36 (2) 2 siehe Fn. 1 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 5 des Betriebsstättenbegriffs in konkreten abkommensrechtlichen Bestimmungen, wonach den DBA-Partnerstaaten vermehrt Zugeständnisse in der definitorischen Reichweite des Betriebsstättenbegriffs eingeräumt werden. Bei „echten” Dienstleistungsbetriebsstätten wird demnach durch eine isolierte Betriebsstättendefinition im Abkommenstext selbst fingiert, dass alleine durch das Tätigwerden im Quellenstaat über eine bestimmte Mindestzeitspanne hinaus eine Betriebsstätte begründet wird. Einer festen Geschäftseinrichtung bedarf es in diesem Fall nicht.“3 „Die UNO hat entsprechend der Interessenlage der Entwicklungs- und Schwellenländer als Nettoimporteure von Leistungen und Kapital in den UN-MA von 1979 und 2001 eine solche ausdrückliche Regelung zur Dienstleistungsbetriebsstätte vorgesehen. Demnach führen Dienstleistungen durch Angestellte oder anderes Personal eines Unternehmens zu einer Betriebsstätte im Tätigkeitsstaat, wenn diese Tätigkeiten dort für das gleiche oder ein damit zusammenhängendes Projekt länger als sechs Monate innerhalb eines beliebigen 12-Monats-Zeitraums dauern (Art. 5 Abs. 3 Buchst. b UN-MA). Das Konzept der Dienstleistungsbetriebsstätte ist entsprechend vor allem in den DBA asiatischer, afrikanischer und südamerikanischer Länder verbreitet. Wirtschaftlich bedeutende Entwicklungs- und Schwellenländer, wie etwa China, Indien, Indonesien, Mexiko und Südafrika haben dieses Konzept in die weitaus überwiegende Zahl ihrer DBA, teilweise in fast alle DBA, übernommen. Besonders weit geht die Abkommenspolitik Indiens, nach der in verschiedenen DBA mit zahlreichen wirtschaftlich bedeutenden westlichen Ländern bei Dienstleistungstätigkeiten von mehr als nur 90 Tagen oder – sofern die Dienstleistungen von verbundenen Unternehmen erbracht werden – bereits ab einer Dauer von mehr als 30 Tagen oder überhaupt ohne irgendeine Frist eine Betriebsstätte fingiert wird.“4 2.2. Deutsche Vorstellungen und DBA-Abkommenspraxis zum Betriebsstättenbegriff Das Bundesministerium der Finanzen hat am 22.08.2013 eine Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen 5 veröffentlicht. Darin wird ein Musterabkommen wiedergegeben, wie es die Bundesregierung in den bilateralen Verhandlungen zum Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen anstrebt. Bezüglich der Betriebsstättenregelung nennt die Verhandlungsgrundlage (VG) folgende Definition : „(1) Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck „Betriebsstätte“ eine feste Geschäftseinrichtung , durch die die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. 3 Siehe Fn. 1 4 Siehe Fn. 1 5 http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht /Allgemeine_Informationen/2013-08-22-Verhandlungsgrundlage-Doppelbesteuerungsabkommen-Steuernvom -Einkommen-und-Vermoegen.html (zuletzt abgerufen am 24.01.2017) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 6 (2) Der Ausdruck „Betriebsstätte“ umfasst insbesondere: 1. einen Ort der Leitung, 2. eine Zweigniederlassung, 3. eine Geschäftsstelle, 4. eine Fabrikationsstätte, 5. eine Werkstätte und 6. ein Bergwerk, ein Öl- oder Gasvorkommen, einen Steinbruch oder eine andere Stätte der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. (3) Eine Bauausführung oder Montage ist nur dann eine Betriebsstätte, wenn ihre Dauer zwölf Monate überschreitet.“ Damit orientiert sich die Bundesregierung am OECD-Musterabkommen (OECD-MA). Das UN- Musterabkommen fasst den Betriebsstättenbegriff jedoch weiter. Art. 5 UN-MA lautet: „(1) Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck "Betriebstätte" eine feste Geschäftseinrichtung , durch die die Tätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. (2) Der Ausdruck "Betriebstätte" umfaßt insbesondere: a) einen Ort der Leitung, b) eine Zweigniederlassung, c) eine Geschäftsstelle, d) eine Fabrikationsstätte, e) eine Werkstätte und f) ein Bergwerk, ein Öl- oder Gasvorkommen, einen Steinbruch oder eine andere Stätte der Ausbeutung von Bodenschätzen. (3) Der Ausdruck "Betriebstätte" umfaßt ebenfalls: a) eine Bauausführung, Montage oder eine damit zusammenhängende überwachende Tätigkeit, jedoch nur wenn die Dauer der Tätigkeit 6 Monate überschreitet; b) Dienstleistungen einschließlich Beratungsleistungen, die ein Unternehmen durch mit solchen Aufgaben betraute Angestellte oder anderes Personal erbringt, jedoch nur, wenn diese Tätigkeiten (für dasselbe oder ein damit zusammenhängendes Vorhaben) in dem Vertragsstaat über einen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 7 Zeitraum oder Zeiträume von insgesamt mehr als 6 Monaten innerhalb von zwölf Monaten ausgeführt werden.“ Die Dienstleistungsbetriebsstätte wird im UN-Musterabkommen explizit genannt. Die Frist für Bauausführungen, um sie als Betriebsstätte anzuerkennen, beträgt nur sechs Monate statt der zwölf Monate, wie sie das OECD-MA vorschlägt. Die bisherige Abkommenspraxis Deutschlands ist heterogen: Vorwiegend findet sich der Formulierungsvorschlag des OECD-MA in den von Deutschland abgeschlossenen DBA wieder. Teilweise wurde die Frist für Bauleistungen, um als Betriebsstätte anerkannt zu werden, auf neun6 oder sechs7 Monate verkürzt. Nur zwei DBA jüngeren Datums wurden auf der Basis des UN-MA abgeschlossen: das DBA Philippinen und das DBA Taiwan. Es ist zudem eine Tendenz zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs um die besonderen Interessen der sog. Entwicklungs- und Schwellenländer in einzelnen DBA erkennbar. So wurde in das DBA Sri Lanka ein Passus zu landwirtschaftlichen Betrieben und Einrichtungen zur Erforschung von Bodenschätzen als Betriebsstätte aufgenommen. In das DBA Simbabwe wurde eine Regelung zu Bauwerken für die Ausbeutung von Bodenschätzen als Bestandteil der Betriebsstättendefinition eingefügt. Das DBA Ägypten wurde um einen Passus zu Farmen und Plantagen ergänzt . Damit konnten sich diese Länder ein erweitertes Besteuerungsrecht für derartige Betriebsstätten in ihren Ländern sichern. Solche besonderen Regelungen fehlen dagegen in den älteren Abkommen völlig. Ein Beispiel für einen besonders weitgehenden Betriebsstättenbegriff bietet das DBA Indien. Hier werden auch Auslieferungslager als Betriebsstätten definiert, die in den Musterabkommen explizit vom Betriebsstättenbegriff ausgenommen sind. 3. Quellensteuern auf konzerninterne Zahlungen in den DBA mit Entwicklungs- und Schwellenländern 3.1. Die Regelungen im OECD-MA, UN-MA und in der Verhandlungsgrundlage (VG) des BMF im Vergleich „Quellensteuern sind Steuern, die Gewinn an der Quelle besteuern, also dort wo die unternehmerische Tätigkeit stattfindet. Sie können besonders zur Unterbindung der konzerninternen Gewinnverschiebung über Lizenzen, Patente, Managementgebühren oder Kredite sinnvoll sein. Dies ist insbesondere wichtig für Länder des globalen Südens, denn sie sind als Produktionsstätten 6 DBA Ghana und Syrien 7 So beispielsweise in den DBA Marokko, Iran, Tunesien, Kenia, Argentinien, Bangladesch, Indonesien, Bolivien und Namibia Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 8 meist an der Quelle der Wertschöpfungskette angesiedelt, so dass Gewinne dann in den Konzernen weitergereicht werden. Deshalb zielt auch das UN-Musterabkommen stärker auf die Erhebung von Quellensteuern ab und unterscheidet sich hier vom eher auf die Interessen von Industriestaaten zugeschnittenen OECD-Musterabkommen.“8 „Deutschland hat in der Regel kein Interesse an der Besteuerung konzerninterner Zahlungen an der Quelle, weil damit die Gewinne nicht zu den deutschen Mutterunternehmen zurückfließen würden. Ähnlich wie bei der Frage der Betriebsstätten-Definition geht es hier weniger um absolute Steuerverluste als um einen Konflikt über das Besteuerungsrecht. Deutschland strebt deshalb bei DBA-Verhandlungen in der Regel an, dass im Ausland keine Quellensteuern auf konzerninterne Zahlungen erhoben werden. Diese Linie wird auch dort verfolgt, wo auf Zinsen und Lizenzgebühren keine Steuern erhoben werden sollen. Bei der Vorstellung der neuen Verhandlungsgrundlage betonte das Finanzministerium, gerade „Entwicklungsländer“ seien an einer Zins- und Lizenzbesteuerung interessiert. Deshalb lasse sich eine Null-Besteuerung nicht erreichen. Aus deutscher Sicht sollten diese Steuern aber möglichst niedrig ausfallen.“9 So können beispielsweise Zinsen „nach Art. 11 Abs. 1 OECD-MA und Art. 11 Abs. 1 UN-MA grundsätzlich im Quellenstaat besteuert werden. Dagegen sieht die Verhandlungsgrundlage (des BMF) das Besteuerungsrecht einzig beim Ansässigkeitsstaat. Die Formulierung „können“ („may be taxed“) wird daher zu „können nur“ („shall be taxable only“) und schließt mithin das Besteuerungsrecht des Quellenstaates für Zinsen grundsätzlich aus.“10 Bezüglich der Lizenzgebühren bestimmt Art. 12 VG die Zuweisung des Besteuerungsrechtes von Lizenzgebühren an den Ansässigkeitsstaat. „Art. 12 Abs. 1 VG stellt darauf ab, dass Lizenzgebühren , die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person als Nutzungsberechtigter bezieht, nur im Ansässigkeitsstaat dieser Person besteuert werden dürfen. Die Person muss zwingend Nutzungsberechtigter sein, um von vornherein einen Abkommensmissbrauch durch Zwischenschaltung abkommensberechtigter „Durchlaufstellen” zu vermeiden. Eine Quellenregel ist nicht vorgesehen. Die Lizenzgebühren müssen demzufolge auch nicht aus dem anderen Vertragsstaat stammen. Entsprechend sind auch Lizenzgebühren, die aus dem Ansässigkeitsstaat des Gläubigers der Lizenzgebühren oder einem Drittstaat stammen, insoweit davon abgedeckt. Art. 12 Abs. 1 VG setzt im Gegensatz zu Art. 12 Abs. 1 OECD-MA nicht voraus, dass auch die Lizenzgebühren tatsächlich aus dem anderen Vertragsstaat stammen. 8 Henn/Mewes/Meinzer: Schattenfinanzzentrum Deutschland (2013), S. 36, abrufbar unter: http://www2.weedonline .org/uploads/schattenfinanzzentrum_deutschland.pdf (zuletzt abgerufen am 25.01.2017) 9 siehe Fn. 6 10 Rotter, Markus und Welz, Tilo: Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen. Das „Muster “ im Hinblick auf Unternehmensgewinne, Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren in: IWB Nr. 18/2013, S. 628-635 (633) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 9 Art. 12 VG weist in Übereinstimmung mit Art. 12 OECD-MA dem Quellenstaat, aus dem die Lizenzgebühren stammen, kein Besteuerungsrecht zu. Demgegenüber billigt das UN-MA dem Quellenstaat ein beschränktes Quellensteuerrecht in Art. 12 Abs. 2 UN-MA zu.“11 Außerdem erweitert Art. 12 Abs. 3 UN-MA die Lizenzgebührendefinition um Zahlungen für die Nutzungsüberlassung von Ausrüstungsgegenständen und bestimmter Informationen. „Im Ergebnis werden Einkünfte aus der Nutzungsüberlassung von Kapital, Immaterialgüterrechten, Know-how und Ausrüstungsgegenständen umfassend an der Quelle besteuert. Diese umfassende Quellenbesteuerung ist völkerrechtlich zulässig, weil in Gestalt des inländischen Vergütungsschuldners ein hinreichender Bezug zum eigenen Staatsgebiet besteht.“12 „Ein weiterer Unterschied zum OECD-MA ergibt sich bei der Behandlung von Einkünften im Zusammenhang mit einer Tochtergesellschaft im Quellenstaat. Hier unterliegen nicht nur die Gewinnausschüttungen an die ausländische Muttergesellschaft einer Quellensteuer (Art. 10 Abs. 2 UN-MA), sondern der Quellenstaat hat auch ein Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an dieser Tochtergesellschaft (Art. 13 Abs. 5 UN-MA).“13 In Art. 27 VG wird im Einklang mit den Empfehlungen des OECD-MA festgelegt, dass der Quellenstaat den Steuerabzug an der Quelle zunächst nach den Vorschriften seines innerstaatlichen Rechts vornehmen darf und dass eine Ermäßigung auf einen niedrigeren Steuersatz nach dem DBA im Rahmen eines Erstattungsverfahren erfolgt. Eine entsprechende Regelung findet sich in dem UN-MA und OECD-MA nicht. 3.2. Die deutsche Abkommenspraxis zu konzerninternen Zahlungen Die Verhandlungsgrundlage (VG) des BMF sieht weder für Zinszahlungen (Art. 11 Abs. 1 VG) noch für Lizenzgebühren (Art. 12 Abs. 1 VG) ein Quellenbesteuerungsrecht vor. Dieser restriktive Verhandlungsansatz findet sich bislang in den abgeschlossenen DBA nicht wieder. Stattdessen sind unterschiedliche Quellensteuersätze in den jeweiligen DBA vereinbart worden. Die Darstellung von Henn/Mewes/Meinzer enthält eine tabellarische Übersicht14 der Steuersätze, die Deutschland in den DBA mit Schwellen- und Entwicklungsländern für Dividendenzahlun- 11 Siehe Fn. 8 (S. 634) 12 Stellungnahme von Dr. Reimar Pinkernell, Assozierter Partner der Flick Gocke Schaumburg Rechtsanwälte mbB im Protokoll-Nr. 18/82 des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/438654/ff363b16b2c4eb44fdb53166dcb91f98/protokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 2.2. 2017), S. 94 13 Siehe Fn. 10, S. 95 14 Henn/Mewes/Meinzer: Schattenfinanzzentrum Deutschland (2013), S. 36, abrufbar unter: http://www2.weedonline .org/uploads/schattenfinanzzentrum_deutschland.pdf, Seite 37 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 10 gen, Zinsen und Lizenzgebühren vereinbart hat. Demnach liegen die durchschnittlichen Steuersätze mittlerweile unter 10%. Lediglich bei Dividenden aus Portfolioinvestitionen liegt der Mittelwert noch bei 14,6%. Die Autoren stellen fest, dass im Vergleich zu den 15 Prozent Quellensteuern auf Lizenzgebühren oder 25 Prozent Abgeltungssteuer für Zinsen in Deutschland, diese Sätze nicht besonders hoch erscheinen. „Sie liegen aber in Abkommen mit EU-Staaten noch deutlich niedriger bzw. durch die innereuropäischen Richtlinien bei null. Bei der EU handelt es sich aber um einen weitgehend integrierten Wirtschaftsraum, während gegenüber Ländern des globalen Südens ein deutliches Wirtschaftsgefälle besteht. Niedrige Sätze auf beiden Seiten nützen in diesem Falle vor allem Deutschland als Industriestandort.“15 Die von Deutschland abgeschlossenen DBA orientieren sich auch in Bezug auf die Besteuerungsrechte für Zinsen, Lizenzgebühren und Dividenden weitgehend an dem OECD-MA. Dass die Verhandlungsgrundlage des BMF von 2013 in der Abkommenspraxis relevant ist, zeigt sich an den DBA jüngeren Datums: sowohl im DBA Taiwan als auch im DBA Philippinen findet sich die Verfahrensregel des Art. 27 VG (Art. 26 DBA Taiwan und Art. 28 DBA Philippinen). 4. Auswirkungen auf Steueraufkommen und Investitionen in den Entwicklungs- und Schwellenländern Analysen zu den Auswirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen auf Entwicklungsländer finden sich bereits 1974, verstärkt jedoch im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Neue Nahrung bekam die Diskussion unter anderem durch eine Veröffentlichung des Internationalen Währungsfonds , nach der Entwicklungsländer bei Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens wegen der indirekten, gegebenenfalls negativen Wirkungen Vorsicht walten lassen sollten16, durch die BEPS-Initiative der OECD vom Oktober 2015 und durch eine erneute Konferenz der Europäischen Kommission im Juni 2016.17 Eine umfassende Analyse, die sämtliche Auswirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen quantitativ darstellt, ist dem Fachbereich nicht bekannt. In den meisten Untersuchungen werden ausschließlich bestimmte Gestaltungen beziehungsweise Auswirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen beleuchtet. Die Ergebnisse dieser Studien sind unterschiedlich, tendenziell sind 15 Siehe Fn. 14 16 International Monetary Fund: Spillovers in International Corporate Taxation, 9. Mai 2014, Seite 24ff., unter: http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2014/050914.pdf, abgerufen am 30. Januar 2017. 17 European Commission, Directorate-General Taxation and Customs Union: Tax Treaties between Member States and Developing Countries, Juni 2016, unter: https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation /files/docs/body/20160614_paper_tax_treaties_developing_countries.pdf, abgerufen am 31. Januar 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 11 die Auswirkungen auf ein Entwicklungsland aber nachteiliger als bei Doppelbesteuerungsabkommen unter Industrieländern.18 Nachfolgend werden vier Studien mit unterschiedlichen Ansätzen aus der neueren Zeit vorgestellt . Im Oktober 2014 veröffentlichten Julia Braun und Martin Ziegler ihre Untersuchung zur ökonomischen Perspektive der Doppelbesteuerungsabkommen mit und in Entwicklungsländern.19 In dieser Studie wird direkt auf das Ausmaß von Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern eingegangen. Als Quelle wird die Bilateral FDI Statistics der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD)verwendet.20 Die Autoren gehen davon aus, dass eine Verstärkung der Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern einhergeht mit einer Verstärkung des Abflusses der Kapitalerträge in die Industrieländer. Diese Verringerung der Steuerbasis im Entwicklungsland wird in der Regel durch andere Zahlungen des Industrielandes, zum Beispiel in Form von Entwicklungshilfe, kompensiert. Die Studie enthält empirische Studien für bestimmten Staaten. Für Südafrika, Brasilien, Kolumbien und Uruguay wurden jeweils die Veränderung der Direktinvestitionen in Relation zum Bruttosozialprodukt und die Veränderung der Körperschaftsteuereinnahmen, ebenfalls im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, ermittelt und in eine Grafik mit der Anzahl der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen eingetragen. Sollte sich die Thesen bestätigen, müsste mit der Anzahl der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen die Direktinvestitionsquote steigen. Bei der Körperschaftsteuerquote müsste zumindest ein langsamerer Anstieg zu beobachten sein. Bei der Analyse werden andere, durch ein Doppelbesteuerungsabkommen beeinflusste Faktoren wie das Wirtschaftswachstum oder die Liberalisierung ausgeblendet sowie andere Steuern, zum Beispiel auf Zinsen und Lizenzgebühren, aufgrund mangelnder Daten nicht berücksichtigt. Es ist zu beobachten, dass die Direktinvestitionsquote in allen vier Staaten mit der Anzahl der Doppelbesteuerungsabkommen steigt. Bei der Körperschaftsteuerquoten ist das Ergebnis nicht eindeutig, sie bleiben wie im Fall Brasiliens über Jahre unverändert oder entweder annähernd gleich oder steigen auch nach Abschlüssen von Doppelbesteuerungsabkommen wie im Fall von Uruguay. Allerdings sind diese Ergebnisse von weiteren spezifischen Faktoren in den Staaten beeinflusst : So fanden in Südafrika und in Brasilien erhebliche Steuer- beziehungsweise Wirtschaftsreformen statt, die neben den Doppelbesteuerungsabkommen Einfluss auf die Höhe der Steuereinnahmen haben. Kolumbien und insbesondere Uruguay schließen erst seit Beginn des 18 Eine Übersicht über Studien, deren Ergebnisse und Beschränkungen bietet Hearson, Martin (International Centre for Tax and Development – ICTD): Measuring Tax Treaty Negotiation Outcomes: the ActionAid Tax Treaties Dataset, Working Paper 47, Februar 2016. 19 Braun, Julia; Zagler, Martin: An Economic Perspective on Double Tax Treaties with(in) Developing Countries, World Tax Journal October 2014, Seite 244ff. 20 Die Statistik aus 2014 ist abrufbar unter http://unctad.org/en/Pages/DIAE/FDI%20Statistics/FDI-Statistics-Bilateral .aspx. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 12 Jahrtausends vermehrt Doppelbesteuerungsabkommen ab, die zum Teil nach Jahren in Kraft treten , sodass deren Auswirkungen auf die Körperschaftsteuerquote noch nicht ermittelbar sind. Die Regierungen der Niederlande, der Schweiz und Irlands sind die einzigen in Europa, die Studien zu den Wirkungen ihrer Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungsländern in Auftrag gegeben haben.21 Das Gutachten im Auftrag des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten22 befasst sich mit den Bestimmungen in den Doppelbesteuerungsabkommen zu Beteiligungsschwellen und zur maximalen Quellensteuer bei Direktinvestitionen. Die Autorinnen stellen fest, dass die Schweiz in den Doppelbesteuerungsabkommen mit Kasachstan die Beteiligungsschwellen des UN-Musterabkommens und mit Uruguay und Ägypten die Beteiligungsschwellen des OECD-Musterabkommens anwendet. Bei Indien und der Elfenbeinküste wird auf die Unterscheidung zwischen Portfolioinvestment und Direktinvestition verzichtet. In den ab 2009 neu geschlossenen oder revidierten Verträgen wendet die Schweiz bei den Doppelbesteuerungsabkommen mit Mexiko und Georgien das ausschließliche Ansässigkeitsprinzip an, erlaubt also keine Quellenbesteuerung. Bei den Doppelbesteuerungsabkommen mit Peru und Indien weicht sie vom maximalen Wert des OECD-Mustervertrags von 5 Prozent ab und begrenzt das Besteuerungsrecht des Quellenstaats auf 10 Prozent, was Peru und Indien somit mehr entgegenkommt . Bei den Portfolioinvestitionen weicht die Schweiz in den Doppelbesteuerungsabkommen mit Georgien, Indien, Venezuela, Tunesien und China durch die Anwendung von 10 Prozent Quellensteuer und beim Abkommen mit Pakistan durch die Anwendung von 20 Prozent Quellensteuer von der OECD-Vorgabe von 15 Prozent ab. Die Studie stellt zusammenfassend fest, dass auch die Schweiz die einseitige Strategie verfolgt, Entwicklungsländern auf möglichst niedrige Quellensteuersätze festzulegen. Vom Februar 2016 stammt eine Studie, die sich ebenfalls den Doppelbesteuerungsabkommen eines Staates, in diesem Fall Belgien, widmet. Sie wurde jedoch von 11.11.11, einem Zusammenschluss von NGOs, Gewerkschaften und Bewegungen in Flandern erstellt.23 Die Studie geht ausführlich auf die Schätzung der absoluten und relativen Verringerung der Steuereinnahmen aufgrund der Reduzierung der Quellensteuersätze ein. Entwicklungsländern, die mit Belgien ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hatten, gingen 2012 schätzungsweise 35 Millionen Euro an Steuereinnahmen verloren. Dabei handelt es sich nur um den Verlust von Steuereinnahmen aufgrund der Reduzierung der Quellensteuersätze 21 Vgl. dazu Van de Poel, Jan (11.11.11): In search of a new balance. The impact of Belgien tax treaties on developing countries, Februar 2016, Seite 6f, unter: http://www.11.be/en/component /elf/search?q=In%20search%20of%20a%20new%20balance, abgerufen am 01. Februar 2017. 22 Bürgi Bonanomi, Elisabeth; Meyer-Nandi, Sathi: Schweizer Doppelbesteuerungsabkommen: Aktuelle Politik und Entwicklungsrelevanz, Oktober 2013, Seite 21 und 25f., unter: http://www.cde.unibe.ch/about_us/news_archive /e298084/e317392/Doppelbesteuerungsabkommen_eng.pdf, abgerufen am 01. Februar 2017. 23 Van de Poel, Jan (11.11.11): In search of a new balance. The impact of Belgien tax treaties on developing countries , Februar 2016, unter: http://www.11.be/en/component /elf/search?q=In%20search%20of%20a%20new%20balance, abgerufen am 01. Februar 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 13 für Zinsen und Dividenden. Nicht erfasst sind Steuermindereinnahmen aufgrund der Reduzierung des Quellensteuersätze für Lizenzen, aufgrund von Gewinnverlagerungen und durch die Manipulation von Transferpreisen. Der Anteil der Direktinvestitionen von belgischen Unternehmen in Entwicklungsländern, mit denen ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, beträgt 3 Prozent. Die Einzelbetrachtungen ergeben, dass offenbar insbesondere Low-Income-Countries hohe Reduzierungen insbesondere bei den Quellensteuersätzen auf Dividenden in Kauf nehmen. Im Zeitablauf seit 1970 haben sich diese Abschläge erhöht, sodass Entwicklungsländer, die schon früh Doppelbesteuerungsabkommen mit Industrieländern abgeschlossen haben, im Vorteil zu sein scheinen. Bezogen auf die absolute Verringerung der Steuereinnahmen aufgrund der Reduzierung der Quellensteuersätze auf Dividenden und Zinsen stufen die Verfasser Brasilien als Spitzenreiter ein. Der Staat musste 2012 auf ca. 9,4 Millionen Euro Steuereinnahmen verzichten, gefolgt von der Demokratischen Republik Kongo mit 7,8 Millionen Euro. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt verlieren laut dieser Studie insbesondere Staaten wie die Demokratische Republik Kongo, die Mongolei , Gabun und Ghana, deren Wirtschaft in hohen Grade vom Abbau von Rohstoffen geprägt ist. In die Auswertungen wurde auch die Entwicklungshilfe, die Belgien an die Entwicklungsländer zahlt, ausgewiesen. So erhielten die Demokratische Republik Kongo im Jahr 2012 ca. 98 Millionen Euro Entwicklungshilfe, Ghana knapp 11 Millionen Euro. Im Weiteren widmet sich die Studie insbesondere den einzelnen Bestimmungen in den Doppelbesteuerungsabkommen Belgiens mit Ruanda, der Demokratischen Republik Kongo, Marokko, Senegal und Uganda. Dabei wird mit Farbe sichtbar gemacht, ob bestimmte Vorschriften, zum Beispiel zu den Betriebsstätten für die Entwicklungsländer sogar günstiger sind als im UN-Musterabkommen vorgesehen sind, eins zu eins vom UN-Musterabkommen übernommen wurden, sowohl unter der Anwendung des OECD- oder des UN-Musterabkommen riskant sind oder es zu einer Beschränkung des Quellenbesteuerungsrechts kommt. Auch hier lässt sich erkennen, dass ältere Doppelbesteuerungsabkommen, zum Beispiel mit Senegal, günstiger für die Entwicklungsländer sind. Ebenfalls vom Februar 2016 stammt eine Studie des International Centre for Tax and Development (ICTD)24 im Auftrag von ActionAid International.25 24 Hearson, Martin (International Centre for Tax and Development – ICTD): Measuring Tax Treaty Negotiation Outcomes : the ActionAid Tax Treaties Dataset, Working Paper 47, Februar 2016. 25 Harrison, Nadia: Cracking open the world’s tax treaties: How we did it, unter: http://www.actionaid .org/2016/02/cracking-open-worlds-tax-treaties-how-we-did-it, abgerufen am 30. Januar 2017. Die Seite enthält einen Link zu der erstellten Datenbank. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 14 Der Leiter der Forschungsauftrags, Martin Hearson, verfolgt umfassend den neuen Ansatz, die einzelnen Inhalte der Doppelbesteuerungsabkommen zu erfassen und zu bewerten: Das ICTD erstellte eine Datenbank, in der jeder einzelne Artikel von insgesamt 519 Doppelbesteuerungsabkommen mit einer Zahl zwischen 0 und 1 codiert wurde. So gewährt zum Beispiel das UN-Musterabkommen im Vergleich zum OECD-Musterabkommen in 16 Vorschriften den Entwicklungsländern ein zusätzliches Besteuerungsrecht. Enthält das Doppelbesteuerungsabkommen die UN- Vorschrift, erhielt es den Code 1, haben sich die Vertragsstaaten auf die OECD-Vorschrift geeinigt , erhielt es den Code 0. Die Quellenbesteuerungsrechte auf Zinseinkünfte erhielten eine Codierung zwischen 0 für die am geringsten möglichen Rechte und 1, wenn den Entwicklungsländern die höchst möglichen Rechte eingeräumt wurden. Je höher also die Indexierung eines Vertrages ausfällt, desto investitionsfördernder ist dieser Vertrag für das Entwicklungsland. Auch bei dieser Methode müssen Einschränkungen gemacht werden: So werden weder das nationale Steuersystem des Entwicklungslandes noch weitere, zwischen den Vertragspartners vereinbarte Steuerersparnisse berücksichtigt. Es erfolgt keine Gewichtung der einzelnen Vertragsbestimmungen , auch die gegenseitigen Wirkungen der Vertragsbestimmungen untereinander finden keinen Niederschlag. Die Auswertung der Datenbank seit 1970 ergab, dass die asiatischen Staaten Verträge mit besseren Quellenbesteuerungsrechten erhalten haben als afrikanische und dass diese Schere im Zeitablauf weiter auseinandergeht. Sofern Nicht-OECD-Staaten mit Entwicklungsländern Doppelbesteuerungsabkommen abschließen, scheinen sie deren Besteuerungsrechte weniger einzuschränken . Bezüglich der Betriebsstätten-Definition haben sich die Bedingungen für Entwicklungsländer verbessert, gleichzeitig wurde jedoch der Quellenbesteuerungssatz gesenkt. Die Studie geht im Weiteren auf die Bestimmungen zu der Besteuerung von Dienstleistungen, Kapitalgewinnen , Renten sowie dem Schiffsverkehr ein. Die Forscher des ICTD kommen zu dem Schluss, dass sich trotz dieser allgemein feststellbaren Trends kein einheitliches Muster bei den Ergebnissen von Verhandlungen über Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungsländern erkennen lässt. Dies bestätigt sich beim direkten Vergleich von Staaten miteinander, zum Beispiel Kenia, Nigeria und Sambia. Während Sambia seit 2008 bessere Bedingungen aushandeln konnte, verringerten sich die Besteuerungsrechte in Nigeria . Die Forscher hoffen, dass die Datenbank Grundlage für Entwicklungsländer bei anstehenden (Neu)Verhandlungen von Doppelbesteuerungsabkommen sein kann. 5. Bewertungen der deutschen Doppelbesteuerungspolitik gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern Die Kritik aus dem Bereich der Nichtregierungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit setzt bei der Ausrichtung der DBA auf die Sicherung eines möglichst großen Steuersubstrats für Deutschland an. Die Betriebsstättendefinitionen werden als zu eng, die Quellensteuersätze als zu niedrig bewertet. Dies wird mit der Forderung nach einer Veränderung der Verhandlungs- und Abkommensstruktur zu Gunsten der Interessen der Entwicklungs- und Schwellenländer verbunden . „Deutsche Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) sollten im Interesse und auf Wunsch der Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 15 Länder des globalen Südens mit dem Ziel der Vermeidung von Nicht-Besteuerung und Steuerhinterziehung sowie ausreichenden Quellensteuersätzen neu verhandelt werden. Vorbild sind hier die Niederlande, die im Juli 2013 eine Revision und Neuverhandlung ihrer DBA mit Ländern des globalen Südens angekündigt haben, um unfaire Bestandteile zu beseitigen.“26 Ergänzend wird eine Festschreibung eines verbesserten Informationsaustauschs in DBA verlangt.27 Es wird aber auch ein maßgeblicher Veränderungsbedarf in den Besteuerungssystemen der betroffenen Länder konstatiert: „Dreh- und Angelpunkt für die Stärkung der öffentlichen Finanzen in den Ländern des Südens ist eine effektive Unternehmensbesteuerung und die Verhinderung illegaler Formen der Gewinnverlagerung in Steueroasen. Dazu müssen die Regierungen in den betroffenen Ländern zunächst selbst ihre Hausaufgaben machen, eine flächendeckende Unternehmensbesteuerung einführen (wo es sie noch nicht gibt) und die nutzlose, wenn nicht schädliche, Steuerbefreiung (tax holidays) für ausländische Investoren in Sonderwirtschaftszonen abschaffen . Zugleich müssen sie zur Verhinderung der illegalen Gewinnverlagerung durch falsch deklarierte interne Verrechnungspreise wirksame gesetzliche Regelungen zum transfer pricing einführen und die personellen Kapazitäten zur Kontrolle und Steuerprüfung substantiell aufstocken. Das ist angesichts knapper Kassen freilich leichter gesagt als getan.“28 Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik verweist in seiner Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 2016 zu Auswirkungen von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung auf die Entwicklungsländer darauf, dass es „entwicklungsförderlich wäre, soweit möglich multilaterale Ansätze in Betracht zu ziehen, welche die Besteuerung von Unternehmen auf eine einheitliche Grundlage stellen und dafür Sorge tragen, dass die notwendigen Informationen zum Monitoring unternehmerischen Handelns international gesammelt und bereitgestellt werden. So wird zum Beispiel angeregt, Informationen zu den wirtschaftlichen Eigentumsverhältnissen (beneficial ownership) von Unternehmungen in einer weltweiten öffentlichen Datenbank zu sammeln. Auch wird schon seit längerem diskutiert, anstelle des Fremdvergleichsgrundsatzes eine einheitliche Konzernbesteuerung einzuführen, bei der die konsolidierte Gewinnsteuerbasis gemäß festgelegter Schlüsselgrößen aufgeteilt wird (formula apportionment). Aus entwicklungspolitischer Sicht spricht zunächst vieles für einen solchen Ansatz. Er hätte das Potenzial, Besteuerung stärker an wirtschaftlichen Aktivitäten auszurichten , Steuerhinterziehung und –vermeidung zu erschweren und gleichzeitig die weniger leistungsfähigen Staaten zu entlasten. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass die zur Anwendung gebrachte Formel die Interessen der ärmeren und stärker rohstoffbasierten Entwicklungsökonomien auch hinreichend berücksichtigt. Auch muss Sorge dafür getragen werden, dass die oben angesprochenen free riders im Weltsystem – Steueroasen, korrupte Eliten, am Rande der Legalität operierende Unternehmen – eine vertiefte internationale Kooperation in Steuerfragen 26 Henn/Mewes/Meinzer: Schattenfinanzzentrum Deutschland (2013), S. 41, abrufbar unter: http://www2.weedonline .org/uploads/schattenfinanzzentrum_deutschland.pdf, 27 Martens/Obenland: UmSteuern (2011), hrsg. von Misereor, abrufbar unter: https://www.misereor.de/fileadmin /publikationen/bericht-umsteuern-kapitalflucht-steuerhinterziehung-2011.pdf (zuletzt abgerufen am 2.2.2017), S. 41 28 Siehe Fn. 25, S. 43 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 16 nicht unterlaufen. Daher sprechen sich einige Entwicklungsländer im Rahmen der OECD-Konsultationen dafür aus, die Agenda des BEPS-Prozesses zu erweitern und die Problematik eines international ruinösen Steuerwettbewerbs insgesamt in den Blick zu nehmen. Das würde u.a. bedeuten , dass auch das Thema der Steuersubventionen Gegenstand eines Dialogs zwischen Industrieund Entwicklungsländern werden muss.“ 29 Der Sachverständige Pinkernell verweist in seiner Stellungnahme zu der Anhörung des Finanzausschusses darauf, dass „die Maßnahmen des BEPS-Projekts dem Schutz der (wenigen verbliebenen ) DBA-Quellenbesteuerungsrechte (Nr. 6 und 7 des BEPS-Aktionsplans), der Abwehr von Gewinnverlagerungen durch unangemessene Verrechnungspreisgestaltung (Nr. 8 bis 10 und 13 des BEPS-Projekts) und der längst überfälligen Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs (Nr. 2 bis 5 des BEPS-Projekts) dienen. Schwellen- und Entwicklungsländer befinden sich in einer anderen wirtschaftlichen Ausgangslage als die exportorientierten OECD-Mitgliedstaaten, weshalb sie auch eine andere Steuerpolitik verfolgen (müssen). Diese Länder folgen dem UN-MA und behalten sich umfassende Quellenbesteuerungsrechte vor, weil sie sonst aufgrund der asymmetrischen Wirtschaftsbeziehungen Steueraufkommen an die Industriestaaten verlieren würden. Daher kann der Abschluss eines DBA mit einem Schwellen- oder Entwicklungsland, das diesem umfangreiche Quellenbesteuerungsrechte zugesteht, sogar eine Maßnahme der Entwicklungshilfe seitens des Industriestaats darstellen.“30 Kritisch diskutiert wird auch die Forderung nach einem öffentlichen Country by Country Reporting (CbCR) über Kennzahlen zum Gewinn und zur wirtschaftlichen Aktivität der Unternehmen in den einzelnen Staaten. So hebt Meinzer in seiner Stellungnahme für die Anhörung des Finanzausschusses 31 die Bedeutung eines öffentlichen CbCR zur Behebung des Informationsdefizits der Entwicklungs- und Schwellenländer über steuerlich motivierte Gewinnverlagerungen hervor. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) beurteilt ein öffentliches CbCR dagegen kritisch : „Eine Bekämpfung von Steuerausfällen in Entwicklungsländern durch die Einführung eines öffentlichen CbCR ist aus unserer Sicht nicht ersichtlich. Zumal die unterschiedlichen Rechtsrahmen der Rechnungslegung und Steuerregelungen eine Vergleichbarkeit der länderbezogenen Berichtspflichten hindern. Vielmehr scheinen die Entwicklungsländer mit der 29 Stellungnahme von Dr. Christian von Haldenwang, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik im Protokoll-Nr. 18/82 des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/438654/ff363b16b2c4eb44fdb53166dcb91f98/protokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 2.2. 2017) m.w.N., S. 51 30 Stellungnahme von Dr. Reimar Pinkernell, Assozierter Partner der Flick Gocke Schaumburg Rechtsanwälte mbB im Protokoll-Nr. 18/82 des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/438654/ff363b16b2c4eb44fdb53166dcb91f98/protokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 2.2. 2017), S. 83 31 Stellungnahme von Markus Meinzer vom tax justice network im Protokoll-Nr. 18/82 des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/438654/ff363b16b2c4eb44fdb53166dcb91f98/protokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 2.2. 2017) m.w.N., S. 58 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 17 Verarbeitung und Erhebung der Datenmengen des MCAA (multilaterale Verwaltungsvereinbarung zum automatischen Austausch) überfordert und schließen sich aus diesem Grund der Vereinbarung über einen automatischen Informationsaustausch zwischen den Finanzverwaltungen nicht an. Dies zeigt wiederum, dass die Länder im Bereich der Steuerverwaltung unterstützt werden müssen.“32 Fazit: Doppelbesteuerungsabkommen sind in der deutschen Verhandlungspraxis geprägt vom Interesse möglichst viel Steuersubstrat für Deutschland zu sichern. Entwicklungspolitische Aspekte sind in den Abkommen nur vereinzelt nachweisbar. Die Verhandlungsgrundlage 2013 des BMF schafft Transparenz über die Leitlinien der Bundesregierung in zukünftigen Verhandlungen, macht aber auch deutlich, dass entwicklungspolitische Aspekte kaum Berücksichtigung finden. Wie stark sich Deutschlands restriktive Verhandlungsgrundlage durchsetzt, hängt letztlich auch von der Verhandlungsmacht des anderen Vertragsstaats ab. Das DBA Indien beispielsweise zeigt, dass große aufstrebende Schwellenländer stark genug sein können sogar Erweiterungen des Betriebsstättenbegriffes - über das UN-MA hinaus - durchzusetzen. Ähnliche Vereinbarungen dürften für kleinere Entwicklungsländer kaum oder gar nicht durchsetzbar sein, wenn sie überhaupt über die Personalressourcen verfügen, derartige Forderungen in den Verhandlungsprozess einzuspeisen . Jenseits des Verhandlungsergebnisses der Doppelbesteuerungsabkommen, sind erhebliche Vollzugsdefizite in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zu konstatieren. * * * 32 Stellungnahme des BDI im Protokoll-Nr. 18/82 des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, abrufbar unter: http://www.bundestag.de/blob/438654/ff363b16b2c4eb44fdb53166dcb91f98/protokoll-data.pdf (zuletzt abgerufen am 2.2. 2017) m.w.N., S. 43 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 18 6. Literaturverzeichnis Braun, Julia; Zagler, Martin: An Economic Perspective on Double Tax Treaties with(in) Developing Countries, World Tax Journal October 2014 Bürgi Bonanomi, Elisabeth; Meyer-Nandi, Sathi: Schweizer Doppelbesteuerungsabkommen: Aktuelle Politik und Entwicklungsrelevanz, Oktober 2013, unter: http://www.cde.unibe.ch/about_us/news_archive/e298084/e317392/Doppelbesteuerungsabkommen _eng.pdf European Commission, Directorate-General Taxation and Customs Union: Tax Treaties between Member States and Developing Countries, Juni 2016, unter: https://ec.europa.eu/taxation_customs /sites/taxation/files/docs/body/20160614_paper_tax_treaties_developing_countries.pdf Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, Kurzprotokoll der 82. Sitzung der 18. Wahlperiode vom 20. Juni 2016: „Auswirkungen von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung auf die Entwicklungsländer “, Link: http://www.bundestag .de/blob/438654/ff363b16b2c4eb44fdb53166dcb91f98/protokoll-data.pdf Hearson, Martin (International Centre for Tax and Development – ICTD): Measuring Tax Treaty Negotiation Outcomes: the ActionAid Tax Treaties Dataset, Working Paper 47, Februar 2016. Henn, Markus; Mewes, Sarah und Meinzer, Markus (2013). Schattenfinanzzentrum Deutschland . Deutschlands Rolle bei globaler Geldwäsche, Kapitalflucht und Steuervermeidung. Aachen/Berlin/Bonn/Chesham, November 2013. Link: http://www2.weed-online.org/uploads /schattenfinanzzentrum_deutschland.pdf International Monetary Fund: Spillovers in International Corporate Taxation, 9. Mai 2014 Link: http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2014/050914.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 140/16 Seite 19 Martens, Jens und Obenland, Wolfgang (2011). UmSteuern. Folgen von Kapitalflucht und Steuerhinterziehung für die Länder des Südens – und was dagegen zu tun ist. Aachen/Bonn/Osnabrück , Juni 2011. Link: https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/bericht-umsteuern-kapitalflucht -steuerhinterziehung-2011.pdf Rosenberger, Florian; Vitali, Marco; Ziehr, Ulrich (2010): Die Dienstleistungsbetriebsstätte in: IStR-Beihefter 2010, S. 1-36 Rotter, Markus und Welz, Tilo (2013): Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen . Das „Muster“ im Hinblick auf Unternehmensgewinne, Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren in: IWB Nr. 18/2013, S. 628-635 Van de Poel, Jan (11.11.11): In search of a new balance. The impact of Belgien tax treaties on developing countries, Februar 2016, unter: http://www.11.be/en/component /elf/search?q=In%20search%20of%20a%20new%20balance