© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 134/20 Zur Verfassungsrechtlichkeit der Verschonungsbedarfsprüfung im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Zusammenfassung 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 134/20 Seite 4 1. Einleitung Mit dem „Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ vom 04.11.2016 ist der Gesetzgeber nach langwierigem Verfahren dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 17.12.2014 bestimmten Auftrag einer Korrektur des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) nachgekommen . In seinem Urteil hatte das BVerfG die Verschonungsregelung beim Erwerb betrieblichen Vermögens insgesamt für verfassungswidrig erklärt mit der Folge, dass das ErbStG in toto verfassungswidrig ist. Die gleichheitsrechtlichen Beanstandungen des Gerichts betrafen in erster Linie die zum Zwecke der Abstufung begünstigten und nicht begünstigten Erwerbsvermögens getroffenen Regelungen (im Einzelnen s.u.), während das gesetzgeberische Ziel erbschaftsteuerlicher Begünstigung des Übergangs betrieblichen und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens als grundsätzlich legitim bestätigt wurde. Unverhältnismäßig sei jedoch die Privilegierung betrieblichen Vermögens, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinausgreife.1 Im Folgenden wird untersucht, inwieweit die Reform des ErbStG den verfassungsmäßigen Anforderungen mit besonderem Hinblick auf die vom BVerfG angeführten Einwände entspricht. Hierbei soll die Erörterung anhand einiger Einzelfragen erfolgen. 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen Der Gesetzgeber verfügt im Bereich der Fiskal- und Steuerpolitik über einen im Grundsatz erheblichen Spielraum, welcher lediglich im Rahmen der finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzen und hinsichtlich der betroffenen Freiheitsrechte und Grundrechtspositionen eine Einschränkung erfährt.2 Letztere können allerdings etwa aufgrund einer gleichheitsrechtlichen Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) Anforderungen bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung stellen. So sind bei einer Abweichung von einer einmal getroffenen Entscheidung über Gegenstand und Höhe der Besteuerung jeweils die Grundsätze des Gleichheitssatzes aus Art. 3 GG zu beachten (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands, vgl. BVerfGE 117, 1).3 Wesensgehalt des Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gleichheitssatz, wonach es den Akteuren staatlicher Gewalt grundsätzlich untersagt ist, wesentlich Gleiches ungleich bzw. wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln. Vor diesem Hintergrund bedarf eine differenzierte Besteuerung betrieblichen Erbvermögens einer hinreichenden Rechtfertigung durch Sachgründe, „die dem Ziel und 1 Beck-Online, FD-Erbrecht 364824 - Litzenburger, „BVerfG: Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer ist in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar“. 2 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, Rz. 119. 3 Ebenda, Rz. 123. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 134/20 Seite 5 dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind“.4 Dabei steigen die Ansprüche an die Rechtfertigung proportional mit dem Maß der Ungleichbehandlung. Sie muss über eine bloße Willkürkontrolle hinausgehen und einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.5 3. Überblick über die Reform der Verschonungsregelung Mit der Reform des ErbStG wollte der Gesetzgeber im Wesentlichen die Vorbehalte des BVerfG ansprechen und entsprechende verfassungsrechtliche Probleme beseitigen. Kernaspekt der Ausführungen des Gerichts war die Unverhältnismäßigkeit einer Verschonung solcher unentgeltlichen Erwerbe, die keinen kleinen und mittelständischen Betrieb, sondern Großunternehmen zum Gegenstand haben. Dies gelte jedenfalls insoweit, als eine Regelverschonung ohne vorangegangene Bedürfnisprüfung greife.6 3.1. Verschonungsbedarfsprüfung Dieser Anforderung ist der Gesetzgeber nachgekommen, indem für unentgeltliche Erwerbe mit einer Gesamtsumme von mehr als 26 Mio. Euro die zunächst geltende Bedürfnisvermutung ausgesetzt (vgl. § 13a Abs. 1 ErbStG) und eine entsprechende Bedürfnisprüfung auf Antrag angeordnet hat (vgl. § 28a ErbStG). Für solche Erwerbe gilt grundsätzlich der Verschonungsabschlag in Höhe von einem Prozentpunkt je 750.000 Euro jenseits der 26 Mio. Euro nach § 13c Abs. 1 ErbStG. Dieser kann im Falle eines festgestellten Bedarfs nach § 28a Abs. 1 ErbStG entfallen mit der Folge, dass die Regelverschonung mit 85% oder nach § 13a Abs. 10 ErbStG die Optionsverschonung in Höhe von 100% eintritt. Für die Bedarfsfeststellung in Betracht kommen nach § 13a Abs. 1 ErbStG alle im jeweiligen Zuwendungsverhältnis innerhalb der letzten 10 Jahre erfolgten unentgeltlichen Erwerbe in Summe. Die Prüfschwelle in Höhe von 26 Mio. Euro orientiert sich hierbei an der Steuertarifnorm (§ 19 Abs. 1 ErbStG). Indem der Gesetzgeber die Bedürfnisprüfung auf Großerwerbe in Summe anwendet, trägt er dem steuerrechtlichen Prinzip der individuellen Bereicherung Rechnung.7 Denn es ist durchaus denkbar , dass auch die beim Erwerb eines Großunternehmens anfallende Erbschaftsteuer den Erwerber vor eine finanzielle Belastung stellt, die letztlich zum Abbau von Arbeitskräften oder gar zur Auflösung des Betriebs führt.8 4 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, Rz. 121. 5 Ebenda, Rz. 130. 6 Ebenda, Rz. 170 ff. 7 Crezelius, ZEV 2016, 541, 545. 8 So auch das BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, Rz. 171. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 134/20 Seite 6 3.2. Lohnsummenregelung und Behaltensfrist Der erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Verschonungsabschlag ist zudem an die Lohnsummenregelung gemäß § 13a Abs. 3 ErbStG geknüpft und bestimmt gewisse Behaltensfristen hinsichtlich des unentgeltlich Erworbenen nach § 13a Abs. 6. ErbStG. Danach entfällt die Verschonung mit Wirkung für die Vergangenheit ganz bzw. teilweise, wenn die aufgestellten Bedingungen nicht eingehalten werden. Zweck der Regelung ist es, den Erwerber zum Erhalt von Arbeitsplätzen zu veranlassen. Die durchschnittliche Lohnsumme ist also Indikator für den geforderten Arbeitsplatzerhalt. Es handelt sich insofern um eine wesentliche Regelung zur Erreichung des übergeordneten Zwecks der Verschonungsregelung.9 Im Ausgangsfall eines unentgeltlichen Erwerbs unterhalb der Prüfschwelle von 26 Mio. Euro ist die Lohnsummenregelung eingehalten, wenn für den Zeitraum von 5 Jahren ab Erwerb die Lohnsumme nicht unter 400% der durchschnittlichen Jahreslohnsumme der letzten 5 Jahre vor dem Erwerb sinkt. Für kleine Betriebe gelten entsprechend abgestufte Regelungen.10 Die Behaltensfrist des § 13a Abs. 6 ErbStG stellt den Verschonungsabschlag sowie den Abzugsbetrag des § 13a Abs. 2 ErbStG unter die Bedingung, dass der Erwerber innerhalb von 5 Jahren keine substantielle Veräußerung des begünstigten Vermögens vornimmt. Beide Regelungen gelten verschärft für Großerwerbe jenseits der Prüfschwelle. Nach § 28a Abs. 4 ErbStG darf die Lohnsumme nach 7 Jahren nicht weniger als 700% betragen. Die Behaltensfrist wird entsprechend auf 7 Jahre verlängert. 4. Verfassungsmäßige Gebotenheit einer absoluten Obergrenze Das BVerfG hatte bereits angeführt, dass dem Problem der unverhältnismäßigen Verschonung von Großerwerben auch mit einer absoluten Obergrenze begegnet werden könne, jenseits derer die allgemeine Verschonungsregelung durch eine Stundung der Erbschaftsteuer zu ersetzen wäre.11 Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber freilich nicht getroffen. Vielmehr wurde die Regelverschonung für Großerwerbe durch einen Verschonungsabschlag gemindert bzw. an eine Bedürfnisprüfung gekoppelt. Allerdings hatte auch das Gericht erkannt, dass das Risiko einer gemeinwohlschädlichen Besteuerung von Großerwerben zwar wohl aufgrund des üblicherweise vorhandenen Vermögens der steuerpflichtigen Person geringer, der Schaden im Falle einer finanziellen Überforderung derselben jedoch ungleich höher sei, da womöglich eine wesentlich größere Zahl von Arbeitsplätzen betroffen wäre.12 Entsprechend hatte das BVerfG eine Lösung der Problematik entweder im Wege einer Obergrenze oder durch Einsetzen einer Bedürfnisprüfung 9 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, Rz. 206. 10 Bei bis zu 5 Beschäftigten keine Lohnsummenregel, bei 5-10 Beschäftigten 250% der durchschn. Lohnsumme und bei 10-15 Mitarbeitern 300% der durchschn. Lohnsumme. 11 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, Rz. 175. 12 Ebenda, Rz. 171. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 134/20 Seite 7 gefordert. Welche Regelung letztlich zu treffen sei, hat das Gericht ausdrücklich dem Gesetzgeber überlassen. Die Umsetzung der Erbschaftsteuerreform entspricht somit den für verfassungsrechtlich notwendig erachteten Vorgaben. Die Einführung einer absoluten Obergrenze ist zwar geeignet, um die unverhältnismäßige Verschonung großer unentgeltlicher Erwerbe zu verhindern; sie stellt indes die verhältnismäßig pauschalere Lösung dar, deren Zweck durch eine Bedürfnisprüfung ebenso zielgenau erreicht werden kann. Die umgesetzte Regelung ermöglicht dabei eine angemessenere Bewertung der individuellen Vermögensstrukturen der Betroffenen. 5. Verfassungsmäßigkeit der Stichtagsprüfung im Rahmen des § 28a ErbStG Im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung erfolgt nach § 28a Abs. 2 ErbStG ein Ansatz des „verfügbaren Vermögens“ zum Stichtag der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG). Es handelt sich hierbei um eine Prüfung der Gegenwartssituation, wann und wie in der Vergangenheit Vermögen erworben wurde, kann daher für die Bewertung keine Rolle spielen.13 Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz in § 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ErbStG dahingehend, dass innerhalb von 10 Jahren nach dem Stichtag erworbenes Vermögen im Sinne des § 28a Abs. 2 ErbStG zu einer Nachsteuer führen kann. Die Bedürfnisprüfung bezieht nicht nur das begünstigungsfähige Vermögen, sondern auch das Privatvermögen der Betroffenen, welches zu Steuerzahlungszwecken einsetzbar ist, in die Prüfung ein. Diese Lösung begegnet vereinzelter Kritik, da hier mit dem Zugriff auf vorhandenes Vermögen eine Abkehr vom erbschaftsteuerlichen Bereicherungsprinzip erfolge.14 Es bestünde insofern ein erheblicher Widerspruch zur Systematik des Erbschaftsteuerrechts, das grundsätzlich nur auf das durch den Erbfall Erworbene abstellt. Bei der Erbschaftsteuer handelt es sich um eine Erbanfallsteuer, es wird also der im Erbfall angefallene Vermögenszuwachs der Steuer unterworfen .15 Der Gesetzgeber hatte diesbezüglich die Frage wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit im Blick.16 In Hinsicht auf das legislative Ziel, die Fortführung von im Erb- oder Schenkungswege übertragenen Betrieben nicht zu gefährden, wurde argumentiert, dass das bereits vorhandene Vermögen lediglich als Maßstab zur Bewertung einer möglichen Bedürftigkeit herangezogen und insofern keineswegs der Steuergegenstand erweitert oder ausgetauscht würde.17 Die Einbeziehung dieses Vermögens war vom BVerfG bereits ausdrücklich erwogen worden.18 Eine Gefährdung des Betriebs liegt nicht vor, wenn der Erwerber bereits über ausreichendes Vermögen verfügt, um die 13 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Jülicher, 59. EL Mai 2020, ErbStG § 28a Rn. 7, 11. 14 Stalleiken/Kotzenberg, GmbHR 2015, 673, 679. 15 Vgl. BVerfGE, Beschluss des Ersten Senats vom 07. November 2007 - 1 BvL 10/02 -, Rz. 101. 16 BT-Drs. 353/15, 34. 17 BT-Drs. 353/15, 35. 18 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12, Rz. 175. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 134/20 Seite 8 Steuerlast zu tragen. In einem solchen Falle fehlt es an der verfassungsmäßigen Rechtfertigung einer Verschonung.19 Die Regelung des § 28a Abs. 2 ErbStG erlaubt bisweilen Gestaltungen, die einen zu hohen Ansatz des verfügbaren Vermögens vermeiden. Dies kann etwa der Erwerb durch eine vermögenslose Stiftung sein mit der Folge, dass lediglich das Stiftungskapital zu 50% in die Bewertung des verfügbaren Vermögens einfließt.20 Diese Möglichkeit hat erwartungsgemäß zu einer vermehrten Gründung solcher Familienstiftungen geführt.21 Auch ist zu beobachten, dass die Zahl der steuerlichen Erbfälle im Bereich jenseits der 26 Mio. Euro gering ist, die Zahl der Schenkungen dieser Höhe jedoch steigend.22 Auch dies spricht für eine Zunahme der Gestaltungen im Zusammenhang mit der Bedürfnisprüfung. Ob es sich hierbei im Einzelnen einen Missbrauch der Gestaltungsformen (siehe § 42 Abgabenordnung) handelt, ist nicht eindeutig. Es dürften jedoch hohe Anforderungen an die Missbräuchlichkeit einer solchen Gestaltung gestellt sein; nach höchstrichterlicher Rechtsprechung stehe es den Steuerpflichtigen „grundsätzlich frei, ihre rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, daß sich eine geringere Steuerbelastung ergibt“.23 Ein Missbrauch kann demnach dann vorliegen, wenn die Gestaltung durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.24 Die Möglichkeit einer solchen Steuergestaltung zur Vermeidung hoher Erbschaftsteuerpflichten ist dem Gesetzgeber jedenfalls bekannt.25 Daher hat der Gesetzgeber die Bedürfnisprüfung nach § 28a Abs. 7 ErbStG auch ausdrücklich auf Familienstiftungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG angewandt . Fraglich ist allerdings, ob die Bewertung des verfügbaren Vermögens im Hinblick auf den Gesetzeszweck durch einen weitergehenden Zugriff auf gebundenes Vermögen sachgerechter erfolgen könnte. Ziel der Verschonung ist der Fortbestand von betrieblichen Strukturen und Arbeitsplätzen . Das damit angesprochene Risiko besteht grundsätzlich auch beim unentgeltlichen Erwerb großer Betriebe.26 Die Bedürfnisprüfung des § 28a ErbStG trägt insoweit dem Umstand Rechnung, dass die mit dem Erwerb großer Betrieb durch eine nicht-vermögende Person verbundene Steuerlast unweigerlich zur Zerschlagung der Betriebsstrukturen führen müsste. Diese Gefahr ist jedoch wohl nicht im selben Ausmaß gegeben, wo ein originär zur Bestreitung der Steuerlast ausreichendes Vermögen durch o.g. Gestaltungen „gemindert“ wird. Das Gesetz lässt es mithin zu, dass der 19 BT-Drs. 353/15, 36. 20 Vgl. Werkmüller, ZEV 2018, 446, 448. 21 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Jülicher, 59. EL Mai 2020, ErbStG § 28a Rn. 16. 22 Vgl. BT-Drs. 18/6277, 2. 23 BFH, Urteil vom 12. September 1995 - IX R 54/93, Rz. 12. 24 Ebenda. 25 Siehe etwa BT-Drs. 18/6277, 7. 26 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12, Rz. 171. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 134/20 Seite 9 Erwerber solches Vermögen aus der Bedürfnisprüfung auslagert. Mit Blick auf die Ausführungen des BVerfG ist festzustellen, dass mit dem Wert des unentgeltlich Erworbenen auch der Grad der Ungleichbehandlung gegenüber Erwerbern nicht-begünstigten Vermögens wächst.27 Die Ungleichbehandlung verlangt hier einen korrespondierenden Rechtfertigungsgrund. Dieser liegt nicht in der Be- oder Entlastung des Erwerbers, sondern in der Verschonung des Betriebes.28 Die Regelung des § 28a ErbStG steht im Dienste des Gesetzeszwecks. Indem auch bei großen unentgeltlichen Erwerben – gekoppelt an die Lohnsummenregelung und die Behaltensfrist – eine Verschonung vorgesehen ist, soll die Substanz des Betriebs von der Last der Erbschaftsteuer bewahrt werden. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung könnte es nach dem zuvor Dargestellten bedenklich erscheinen, dass die verfassungsrechtlich notwendige Bedürfnisprüfung nur in geringem Maß über Mechanismen verfügt, die der Ausweitung des Verschonungsprivilegs betrieblichen Vermögens auf vorhandenes Vermögen vorbeugen. 6. Verfassungsmäßigkeit der neuen Lohnsummen- und Behaltensfristregeln Das Gesetz stellt für Großerwerbe im Sinne des § 28a ErbStG im Rahmen der Regelverschonung höhere Anforderungen an den Erwerber. Die so vorgenommene Abstufung bewirkt eine differenzierte Behandlung großer und kleiner bzw. mittelständischer Betriebe, die im Grundsatz den durch das BVerfG aufgestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit entspricht.29 Unterhalb der Prüfschwelle von 26 Mio. Euro unternimmt das Gesetz zudem eine Binnendifferenzierung nach der Anzahl der Beschäftigten des Betriebs. Hintergrund dieser Regelung ist die höchstrichterliche Feststellung, dass die vormals geltende Regelung des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG alter Fassung, nach der die Lohnsummenregelung für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten keine Anwendung fand, eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung in zweifacher Hinsicht darstellte; sowohl gegenüber Erwerbern nicht begünstigten, d.h. etwa nicht-betrieblichen, Vermögens als auch gegenüber Erwerbern größerer Betriebe liege hier eine unverhältnismäßige Privilegierung vor.30 Entsprechend den Vorgaben des BVerfG schränkt die Neuregelung die Privilegierung auf kleine Betriebe mit 5 oder weniger Beschäftigten ein. Hierzu wurden zwar zum Teil Einwände erhoben, weil das Gros der deutschen Betriebe über wenige Mitarbeiter verfügt und entsprechend kein unerheblicher Anteil der begünstigten Vermögen von der Privilegierung profitiert.31 So sah noch der 27 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12, Rz. 171. 28 Ebenda, Rz. 172. 29 Ebenda, Rz. 208. 30 Ebenda, Rz. 213 ff. 31 Durch die Eröffnung der Privilegierung für Betriebe mit weniger als 5 Mitarbeitern sind etwa 80% der deutschen Unternehmen betroffen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 134/20 Seite 10 ursprüngliche Referentenentwurf die Privilegierung nur für Betriebe mit 3 oder weniger Beschäftigten vor. Dem steht allerdings zum einen gegenüber, dass die Mehrzahl der kleinen Betriebe in Deutschland nicht im Sinne des ErbStG übertragen wird, weshalb das vom BVerfG geforderte „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ der Privilegierung im Ergebnis gewahrt ist.32 Ferner berücksichtigt das Gesetz durch diese Regelung, dass bei wenigen Beschäftigten der Wegfall schon eines einzelnen Arbeitsplatzes im Verhältnis ungleich stärkere Auswirkungen auf die Lohnsumme hat, die zu steuern dem Erwerber entsprechend schwieriger fallen wird.33 Es mag zunächst als verfassungswidrige Gleichbehandlung wesentlich Ungleicher erscheinen, dass Erwerbe betrieblichen Vermögens mit geringem Wert und wenigen Beschäftigten im Falle einer Optionsverschonung von 100% denselben Lohnsummenregeln unterworfen sind, wie solche großen Wertes mit wenigen Beschäftigten. Die Regelung des § 28a ErbStG erklärt hier die Lohnsummen des § 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 3-5 ErbStG für entsprechend anwendbar, da es sich bei der Verschonung nach der Bedürfnisprüfung auch um einen Kompletterlass handeln kann.34 Ziel der Regelung ist es, den Erhalt von Arbeitsplätzen zu fördern.35 Dem entspricht es allerdings, dass Anknüpfungspunkt der Regel die Lohnsumme im Mittel der letzten 5 Jahre vor und nicht etwa Bilanz oder Verkehrswert des Betriebes zum Zeitpunkt des Erwerbes ist. Im Hinblick auf Unternehmensstrukturen ist der Wert des begünstigten Vermögens nur bedingt aussagekräftig. Es mag zwar im Anwendungsfall eine Seltenheit sein, dass Betriebe mit nur wenigen Beschäftigten ein begünstigungsfähiges Vermögen von über 26 Mio. Euro tragen; damit ist jedoch eine strengere Lohnsummenregelung nicht indiziert. 7. Zusammenfassung Mit der Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes nahm der Gesetzgeber die Feststellungen des BVerfG auf und schuf eine Regelung, welche den Vorgaben des Gerichts im Wesentlichen entspricht. Der Verzicht auf eine absolute Obergrenze für die Verschonung ist dabei ebenso verfassungsrechtlich unbedenklich, wie die Lohnsummen- und Behaltensfristregelung bei Großerwerben jenseits der 26 Mio. Euro. Weniger eindeutig zu bewerten ist indes die Vermögensprüfung in ihrer jetzigen Ausgestaltung, die diverse steuermindernde Gestaltungen bei Großerwerben zulässt. Hier stößt das verfassungsrechtliche Rechtfertigungspotenzial des gesetzgeberischen Ziels an seine Grenzen. Eine abschließende Beurteilung kann jedoch an dieser Stelle nicht erfolgen. *** 32 Fischer/Pahlke/Wachter/Wachter, ErbStG, § 13a Rn. 262. 33 Vgl. BT-Drs. 18/8911, 37. 34 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Jülicher, 59. EL Mai 2020, ErbStG § 28a Rn. 26-27. Die Verwendung des Wortes „soweit“ in Abs. 1 weist darauf hin, dass eine Verschonung entsprechend des festgestellten Bedürfnisses zwischen 0% - 100% denkbar ist. 35 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, Rz. 206.