© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 132/16 Zur Möglichkeit der Aussetzung der Heranführungshilfe der EU an die Türkei Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Rechtsgrundlagen für die Gewährung der Heranführungshilfe Den Rechtsrahmen für die Gewährung der Heranführungshilfe der EU an die Türkei im Zeitraum vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2020 bilden die Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates (EU) Nr. 231/2014 vom 11.03.2014 zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA II)1, (EU) Nr. 236/2014 vom 11.3.2014 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften und Verfahren für die Anwendung der Instrumente der Union für die Finanzierung des auswärtigen Handelns2, die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 447/2014 der Kommission vom 2.5.2014 mit spezifischen Vorschriften für die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 231/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA II)3 und die gemäß Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 231/2014 abgeschlossene Rahmenvereinbarung 4 zwischen der Türkei und der Kommission über die Durchführung der Heranführungshilfe (IPA II). Die vorgenannten Verordnungen sind im Hinblick auf die Gewährung und Durchführung der Heranführungshilfe an die Türkei Bestandteil der Rahmenvereinbarung geworden. 2.1. Konditionalität des Instruments der Heranführungshilfe Die Verordnung (EG) Nr. 1085/2006 des Rates vom 17.7.2006 zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA)5 für den Zeitraum 2006 – 2013 enthielt in Artikel 21 eine Klausel über die Aussetzung der Heranführungshilfe. Nach dieser Klausel war die Wahrung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze, der Menschenrechte, der Rechte der Minderheiten und der Grundfreiheiten ein wesentliches Element für die Anwendung dieser Verordnung sowie eine Voraussetzung für die Gewährung der Hilfe. Bei Nichteinhaltung dieser Grundsätze oder der in der Beitrittspartnerschaft mit der EU verankerten Verpflichtungen oder Erzielung keiner befriedigenden Fortschritte bei der Erfüllung der Beitrittskriterien durch ein Empfängerland konnte der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit geeignete Maßnahmen in Bezug auf die Gewährung der Heranführungshilfe beschließen. Hierzu gehörte auch die Aussetzung dieser Hilfe. 1 ABl. L 77/11 vom 15.3.2014. 2 ABl. L 77/95 vom 15.3.2014. 3 ABl. L 132/32 vom 3.5.2014. 4 Framework Agreement between the Republic of Turkey and the European Commission on the Agreeements for Implementation of Union Financial Assistance to the Republic of Turkey under die Instrument for Pre-Accession Assistance (IPA II), abgerufen am 30.11.2016 unter: http://www.ab.gov.tr/files/ipaii_framework_agreement _original.pdf 5 ABl. L 210/82 vom 31.7.2006. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 132/16 Seite 4 Die aktuell für den Zeitraum 2014 – 2020 geltende Verordnung (EU) Nr. 231/2014 sieht eine derartige Konditionalität hinsichtlich der Gewährung der Heranführungshilfe nicht vor.6 In Ermangelung der Klausel über die Aussetzung der Heranführungshilfe in dieser Verordnung und damit auch in der Rahmenvereinbarung über die Gewährung und Durchführung der Hilfe zwischen der Türkei und der Kommission ist nicht erkennbar, auf welche Rechtsgrundlage eine Suspendierung der Hilfe gestützt werden könnte, solange das Beitrittsverfahren der Türkei andauert und damit die Türkei im Anwendungsbereich des Instruments der Heranführungshilfe verbleibt.7 2.2. Schutz finanzieller Interessen der EU Nach Artikel 7 der Verordnung (EU) Nr. 236/2014 ist die Kommission verpflichtet, bei der Durchführung der nach dieser Verordnung finanzierten Aktionen den Schutz der finanziellen Interessen der Union durch geeignete Präventivmaßnahmen gegen Betrug, Korruption und sonstige rechtswidrige Handlungen, durch wirksame Kontrollen und – bei Feststellung von Unregelmäßigkeiten – durch Einziehung oder gegebenenfalls Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge und gegebenenfalls durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende verwaltungsrechtliche und finanzielle Sanktionen zu gewährleisten. In der Rahmenvereinbarung mit der Türkei hat die Kommission diese Verpflichtung umgesetzt und auch die Befugnis des Rechnungshofs und des OLAF, Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durchzuführen, geregelt.8 Nach der Studie des Europäischen Rechnungshofs vom 23.5.20169 unterliegt die Heranführungshilfe in der Türkei, wie in anderen Kandidatenländern, umfassenden, systematischen Kontrollen, die EU- und nationale Anforderungen erfüllen, und türkische und europäische Institutionen einbeziehen .10 In Abhängigkeit von der Art der Unregelmäßigkeiten11 steht der Kommission ein Sanktionsinstrumentarium zur Verfügung, das unbeschadet der Strafverfolgung von der Zahlungseinstellung über die Rückforderung bis hin zur Beendigung der betroffenen Programme reicht. Der rechtliche Sanktionsmechanismus bleibt allerdings auf die betroffenen Maßnahmen und Programme beschränkt. 6 Vgl. zum Wegfall der Ausschlussklausel auch die Erklärung des Europäischen Parlaments zur Aussetzung der Unterstützung im Rahmen der Finanzierungsinstrumente, ABl. L 77/11 vom 15.3.2014, S. 25. 7 Das bedeutet allerdings nicht, dass die Türkei einen Anspruch auf die Heranführungshilfe hätte oder diese konditionslos gewährt würde. Die Durchführung der finanziellen Hilfe erfolgt im Rahmen ein- und mehrjähriger Programme, die mit dem vereinbarten Strategiepapier für die Türkei für den Zeitraum 2014 – 2020 im Einklang stehen und von der Kommission angenommen werden müssen (Artikel 6 der VO (EU) Nr. 231/2014). Diese Konditionalität erschöpft sich allerdings auf der Verfahrensebene und vermag daher nicht, der Türkei den Zugang zu dem Instrument der Heranführungshilfe zu versperren. 8 Vgl. S. 30ff. der Rahmenvereinbarung. 9 Europäischer Rechnungshof, Studie: „Turkey: How the pre-accession funds have been spent, managed, controlled and the monitoring system?”, abgerufen am 30.11.2016 unter: http://www.europarl.europa.eu/Reg- Data/etudes/STUD/2016/572699/IPOL_STU(2016)572699_EN.pdf 10 Ebenda, S. 18. 11 Zum Umfang der Unregelmäßigkeiten vgl. ebenda S. 18f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 132/16 Seite 5 3. Ergebnis Eine Aussetzung der Heranführungshilfe der EU zugunsten der Türkei ist in Ermangelung entsprechender Rechtsgrundlage in den einschlägigen Verordnungen und der Rahmenvereinbarung zur Anwendung und Durchführung des Instruments der Heranführungshilfe nicht möglich, solange das Beitrittsverfahren der Türkei läuft und damit die Türkei im Anwendungsbereich des Instruments der Heranführungshilfe verbleibt. Die Reichweite der rechtlichen Sanktionen im Rahmen der Durchführung der Heranführungshilfe ist auf die von den Unregelmäßigkeiten betroffenen Maßnahmen bzw. Programmen beschränkt . Die Anwendung des Instruments der Heranführungshilfe zugunsten der Türkei bleibt im Übrigen davon unberührt. ***