© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 131/20 Förderale Finanzverwaltung und Digitalisierung Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Art. 108 Abs. 4 GG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Die erforderliche Mehrheit im Sinne des Art. 108 Abs. 4 Satz 3 GG 9 7. Das Kriterium „Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird“ 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 131/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Auftraggeberin erkundigt sich nach den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für eine Kompetenzverlagerung im Bereich der Digitalisierung der Steuerverwaltung von den Ländern an eine Bundesfinanzbehörde. Im Einzelnen wurde gefragt: 1. Welche negativen Auswirkungen für die Koordinierung, insbesondere von Digitalisierungsprozessen , bestehen aufgrund der föderalistische Struktur der deutschen Steuerverwaltung und wie sind diese zu rechtfertigen? 2. Könnte nach Maßgabe von Art. 108 Abs. 4 GG eine Bundesbehörde zur Planung, Koordinierung und Umsetzung sämtlicher IT-Verfahren/Digitalisierungsprozesse geschaffen werden, an welche die 16 Bundesländer punktuell ihre Verwaltungskompetenz für diese Bereiche übertragen? 3. Könnte alternativ das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) durch alle 16 Bundesländer nach Maßgabe von Art. 108 Abs. 4 GG mit der Planung, Koordinierung und Umsetzung sämtlicher IT-Verfahren/Digitalisierungsprozesse für die 16 Landesfinanzverwaltungen beauftragt werden? 4. Inwieweit wären die unter Fragen 2 und 3 beschriebenen Verfahren ein auf Teilbereiche beschränktes Durchbrechen der Bestimmungen aus dem Grundgesetz und somit zulässig ? 5. Inwieweit könnten die unter Fragen 2 und 3 skizzierten Behörden ihre Aufgaben rechtlich bindend für die Landesfinanzverwaltungen um- und durchsetzen? Oder ergeben sich hierbei Konflikte in Hinblick auf Art. 83 GG (Verwaltung durch die Länder in eigenen Angelegenheiten)? 6. Kann die Übertragung der Verwaltungskompetenz im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Steuerverwaltung (Digitalforschung, IT-Entwicklung und -verfahrensbetreuung , Anwendungsumsetzung und -betreuung, Mitarbeiterschulungen/Fortbildungen,...) als punktuelle Abweichung gegenüber Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG (Durchbrechung i.S. eines Teilbereichs) angesehen und per gesetzlicher Grundlage in Form eines zustimmungsbedürftigen Bundesgesetzes von den Ländern an den Bund übertragen werden? 7. Welche Anzahl von Ländern müsste einem Gesetz i.S.v. Art. 108 Abs. 4 Satz 3 GG zustimmen , damit es für alle Länder verbindlich werden würde? 8. Können Fortschritte bei der Digitalisierung und im Bereich der IT-Verfahren/Prozesse auch trotz der bereits umfassenden Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im KONSENS-Verbund, als Rechtfertigung für ein Zusammenwirken von Landes- und Bundesbehörden i.S.v. Art. 108 Abs. 4 GG gesehen werden, weil hierdurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird? Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 131/20 Seite 5 2. Digitalisierung der föderalen Steuerverwaltung Gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 Finanzverwaltungsgesetz (FVG) bestimmen die obersten Landesbehörden über Art, Umfang und Organisation der Automatisierung von Einrichtungen zur Festsetzung und Erhebung der von ihnen verwalteten Steuern; dabei verfolgen sie das Ziel, unter Einbindung des Bundesfinanzministeriums gleiche Programmergebnisse und einen ausgewogenen Leistungsstand zu gewährleisten. „Seit Ende der 60er Jahre gibt es im Bereich der Steuererhebung zwar mit dem „Integrierten Automatisierten Besteuerungs-Verfahren (IABV)“ einen großen Programmierverbund , in dem gemeinsame Programme entwickelt wurden, allerdings ohne die Länder NRW, Saarland und Schleswig-Holstein, die eigene Projekte verfolgten. Im Festsetzungsbereich bestanden aber neben dem IABV noch vier weitere Programmierverbünde, und zwar: Niedersachsen, NRW, Schleswig-Holstein sowie das Land Bayern gemeinsam mit dem Saarland und den neuen Bundesländern.“1 Mit dem KONSENS-Gesetz wurde ein rechtlicher Rahmen für die Entwicklung und den Einsatz einheitlicher Software in den Steuerverwaltungen der Länder geschaffen. Dabei wurde der Grundsatz der Einstimmigkeit im KONSENS-Gesetz aufgegeben. Die Entwicklungsprozesse sind aber weiterhin langwierig, da die Softwareentwicklung projektbezogen durch die fünf auftragnehmenden Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erfolgt.2 Das gegenwärtige Modell der Aufgabenwahrnehmung hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung Stand. „Die arbeitsteilige, digitale und länderübergreifende Zusammenarbeit von Finanzbehörden der Länder und des Bundes ist daher eine zulässige Form der Mischverwaltung. Denn die grundsätzliche Trennung der Verwaltungskompetenzen wird dadurch nicht aufgehoben, sondern nur punktuell durchbrochen. So können zum Beispiel Bundesfinanzbehörden (§ 1 FVG) nicht die Unterstützung nach § 29 a Abgabenordnung (AO) anordnen. Allerdings ist Voraussetzung, dass durch die organisatorischen Maßnahmen der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird; insoweit hat der einfache Gesetzgeber bezüglich der Festlegung und der Intensität der Mitwirkung freie Hand.“3 3. Übertragung von punktuellen Koordinierungs- und Planungsaufgaben der IT auf Bundesfinanzbehörden Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG sieht vor, dass durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, für von den Ländern verwaltete Steuern die Verwaltung durch Bundesfinanzbehörden vorgesehen werden kann, wenn und soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird. 1 Senger, Eike Alexander: „Die Reform der Finanzverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland“ (2009) 2 https://www.steuer-it-konsens.de/darum-gehts/wie-wir-arbeiten/ [zuletzt abgerufen am 6.12.2020] 3 Heller, Robert; Kniel, Mona: „Die Organisation der Steuerverwaltung von Bund und Ländern“ in: NVwZ 2019, 935 - 938 (937) (beck-online) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 131/20 Seite 6 „Modifikationen nach Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG dürfen allerdings nicht die Grundstruktur der Zuständigkeitsverteilung des Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG umstoßen, vielmehr müssen Durchbrechungen auf Teilbereiche beschränkt bleiben. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Regelungen ist zudem an die Bedingung geknüpft, dass der Vollzug der Steuergesetze dadurch erheblich verbessert oder vereinfacht wird. Richtigerweise […] ist dabei ein Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum des Bundesgesetzgebers anzuerkennen, der der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht entzogen ist.“4 Die Planung, Koordinierung und Umsetzung sämtlicher IT-Verfahren und Digitalisierungsprozesse durch eine neu einzurichtende Bundesbehörde an welche die 16 Bundesländer punktuell ihre Verwaltungskompetenz für diese Bereiche übertragen, stellt keine Durchbrechung der Zuständigkeitsverteilung des Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG dar. Die Verteilung der Verwaltungszuständigkeiten in Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG erfolgt nach den Steuerarten . Dabei sieht Art. 108 Abs. 2 GG eine Verwaltungszuständigkeit der Länder für alle Steuern vor, die nicht explizit in Art. 108 Abs. 1 GG dem Bund zur Verwaltung zugewiesen sind. Die Planung, Koordinierung und Umsetzung sämtlicher IT-Verfahren betrifft nur einen Teilbereich der Verwaltungszuständigkeit der Länder. Von der Aufgabenübertragung wären die Festsetzung, Erhebung, die Außenprüfung und die Bearbeitung von Einspruchsverfahren nicht betroffen. IT- Verfahren sind zwar Querschnittsaufgabenbereiche, die viele Tätigkeitsfelder der Finanzverwaltung beeinflussen und mitbestimmen. Eine punktuelle Übertragung der Verwaltungszuständigkeit für die IT-Verfahren auf eine Bundesbehörde würde die bisherige Verwaltungszuständigkeit der Länder im steuerlichen Bereich jedoch nicht grundlegend umstoßen. Diese verfassungsrechtliche Einschätzung ist letztlich unabhängig von dem konkreten Verwaltungsorganisationsmodell , mit dem diese Aufgabenübertragung durchgeführt werden soll. Denn der Prüfungsmaßstab für eine Übertragung von steuerlichen Verwaltungskompetenzen von den Ländern auf den Bund im Rahmen des Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG ist auf den Umfang der zu übertragenen Kompetenzen und weniger auf das Organisationsmodell der die übertragene Kompetenz ausführenden Bundesbehörde ausgerichtet. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen (BMF). Seine Aufgaben sind in § 5 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) festgelegt. Mit einem Zustimmungsgesetz könnten die Aufgaben des BZSt um die IT-Infrastruktur/Digitalisierung der Finanzverwaltung entsprechend erweitert werden. Ebenso ist die Schaffung einer neuen Bundesbehörde denkbar, der die Planungs- und Koordinierungsaufgaben übertragen würden. 4. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Weisungsrechte des Bundes aus übertragenen punktuellen Verwaltungskompetenzen im IT-Bereich Fraglich ist, inwieweit Behörden des Bundes ihre punktuell von den Ländern übertragenen Aufgaben rechtlich bindend für die Landesfinanzverwaltungen um- und durchsetzen könnten. 4 Dreier/Heun/Thiele, 3. Aufl. 2018, GG Art. 108 Rn. 24 (beck-online) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 131/20 Seite 7 Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG gestattet keine vollständige Übertragung von steuerlichen Verwaltungskompetenzen von den Ländern auf den Bund. „Die Verschiebungen dürfen indessen nicht zur Veränderung der Grundstruktur des föderalen Steuervollzugs führen sondern nur punktuell Kompetenzen ändern. Deswegen ist § 21a FVG, der dem Bund ein Recht zur Erteilung allgemeiner fachlicher Weisungen zusprechen will, nicht auf die Gestattung eines Zusammenwirkens zu stützen. Denn damit wird eine die gesamte Steuerverwaltung umfassende Weisungshierarchie geschaffen.“5 Die Länder führen die Steuergesetze des Bundes entweder als Landeseigenverwaltung (Art. 108 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 83 GG) oder als Bundesauftragsverwaltung (Art. 108 Abs. 3 Satz 1 GG i.V.m. Art. 85 GG) aus. Die Landeseigenverwaltung wird für Steuern ausgeübt, an deren Einnahmen der Bund nicht beteiligt ist. Hier sind insbesondere die Erbschaft- und Grunderwerbsteuer zu nennen. Die Bundesauftragsverwaltung erstreckt sich dagegen auf alle Steuern, an deren Einnahmen der Bund beteiligt ist. „Es handelt sich um obligatorische Landesverwaltung, die nur durch Zustimmungsgesetz des Bundes nach Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG durch eine Mischverwaltung oder durch die Bundesverwaltung ersetzt werden kann.“6 „Kommt bei der Auftragsverwaltung landesstaatliche Gewalt zum Ausdruck, so unterscheidet sie sich doch vom Regeltypus der Landeseigenverwaltung durch die intensiven Einflussmöglichkeiten des Bundes. Die Einrichtung der Behörden und – ungeachtet des insoweit von Art. 84 Abs. 1 abweichenden Wortlauts – die Regelung des Verwaltungsverfahrens sind dem Bundesgesetzgeber mit Zustimmung des Bundesrates eröffnet, ergänzt um den ebenfalls von der Zustimmung des Bundesrates abhängigen Erlass von Verwaltungsvorschriften. Die Möglichkeit, die einheitliche Ausbildung der Beamten und Angestellten zu regeln und das Einvernehmen des Bestellens von Leitern der Mittelbehörden zeigen schon eine gegenüber dem Regeltypus der Landeseigenverwaltung gesteigerte Einflussnahme auf Personal und Organisation der Landesverwaltung an. Vollends deutlich wird dies in dem unbeschränkten Weisungsrecht, das die Landesbehörden in gewisser Weise in einem Instanzenzug mit den Bundesbehörden; diese in der Sache in ein hierarchisches Unterstellungsverhältnis zum Bund bringen. Das stellt zweifellos einen erheblichen Einbruch in die Landesorganisationsgewalt und damit eine deutliche Modifikation des Regeltypus des Art. 83 dar. Die Bundesaufsicht ist ebenfalls erweitert und erstreckt sich in Konsequenz des unbegrenzten Weisungsrechts auf die Recht- und Zweckmäßigkeit der Ausführung. Hinzu kommt noch, dass der Bund nach Art. 104a Abs. 2 die sich aus der Ausführung im Auftrag ergebenden Kosten trägt, allerdings begrenzt auf die Zweckausgaben. Das ist Folge der weitgehend inhaltlichen Determinationsmöglichkeiten, die finanzverfassungsrechtlich die Ausführung als Wahrnehmung von Aufgaben des Bundes durch die Länder erscheinen lässt. Ungeachtet dessen sind die Vollzugsakte auch weiterhin solche der Länder, die Länder haften dem Bund für die ordnungsgemäße Ausführung der Auftragsangelegenheit (Art. 104a Abs. 5).“7 5 v. Mangoldt/Klein/Starck/Kirchhof, 7. Aufl. 2018, GG Art. 108 Rn. 65 (beck-online) 6 v. Mangoldt/Klein/Starck/Kirchhof, 7. Aufl. 2018, GG Art. 108 Rn. 47 7 v. Mangoldt/Klein/Starck/Trute, 7. Aufl. 2018, GG Art. 85 Rn. 5 (beck-online) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 131/20 Seite 8 Zum Art. 85 GG, der die allgemeinen Regelungen zum Bundesauftragsverwaltung enthält, vermerkt die Literatur: „Insoweit lässt sich das Verhältnis von Landesorganisationsgewalt und Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Kurzform bringen, dass den Ländern die Wahrnehmungskompetenz zugewiesen ist, dem Bund die Sachkompetenz. Die Wahrnehmungskompetenz beinhaltet neben der Befugnis zur Einrichtung der Behörden und der Personalhoheit in den Grenzen von Abs. 1, Abs. 2 vor allem die unentziehbare Befugnis der Länder, im Verhältnis zu Dritten zu handeln und das Gesetz auszuführen, also die gesetzesvollziehende, rechtsverbindliche Tätigkeit nach außen. Verbunden ist damit die Zurechnung dieser Maßnahmen zum Land, selbst dann, wenn der Bund von seinem Weisungsrecht in der Sache Gebrauch gemacht hat.“8 Übertragen die Länder punktuell ihre Kompetenzen für die IT-Infrastruktur auf eine Bundesfinanzbehörde , so bleibt dennoch die Landeseigenverwaltung für die Landessteuern bestehen. Auch für die Steuern, die in Form der Bundesauftragsverwaltung administriert werden, muss ein Kernbereich der Wahrnehmungskompetenz verbleiben. Etwaige Weisungsrechte könnten zwar für den Bereich der Bundesauftragsverwaltung gesetzlich verankert werden. Diese Weisungsrechte würden aber nicht so weit reichen, dass sie die Länder zu konkreten Investitionen in ihre IT-Infrastruktur, sei es im Bereich der Hard- oder auch der Software, verpflichten könnten. Bereits vor dem Hintergrund der Haushaltsautonomie der jeweiligen Landtage als auch im Hinblick auf den Kernbereich der Wahrnehmungskompetenz, wären derartige weitreichende Vorgaben des Bundes gegenüber den Ländern verfassungsrechtlich problematisch. Eine Wahrnehmung von Weisungsrechten im Bereich der IT-Koordinierung und der Sicherstellung einer bundeseinheitlichen IT-Steuerung in den Finanzämtern dürfte dagegen vom Anwendungsbereich des Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG gedeckt sein und widerspräche auch nicht den Vorgaben des Art. 83 GG, da dieser für die Bundesauftragsverwaltung nicht anwendbar ist. Im Bereich der Landessteuern, die in Form der Landeseigenverwaltung administriert werden, wäre die Anwendungstiefe einer punktuellen Übertragung der IT-Verwaltungskompetenz dagegen wesentlich zurückhaltender auszulegen. Der Bund bekäme in diesem Bereich erstmals eine Verwaltungskompetenz, ohne dass er sich auf die Weisungsrechte der Bundesauftragsverwaltung berufen könnte. Eine punktuelle Übertragung von Koordinierungsfunktionen für die Digitalisierung bliebe im Bereich der Landessteuern daher auf die Reichweite der übertragenen Aufgaben beschränkt, ohne dass der Bund daraus weitergehende Weisungsrechte gegenüber den Ländern aus der Aufgabenübertragung ableiten könnte. 5. Übertragung der Verwaltungskompetenz im Zusammenhang mit der Digitalisierung Bei der Übertragung einer umfassenden Verwaltungskompetenz im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Steuerverwaltung stellt sich erneut die Frage, ob die damit verbundenen Durchbrechungen auf Teilbereiche der Zuständigkeitsverteilung des Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG beschränkt blieben. In der Fragestellung werden beispielhaft die Digitalforschung, IT-Entwicklung und Verfahrensbetreuung , Anwendungsumsetzung und –betreuung sowie Mitarbeiterschulungen und Fortbildun- 8 v. Mangoldt/Klein/Starck/Trute, 7. Aufl. 2018, GG Art. 85 Rn. 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 131/20 Seite 9 gen genannt. Dieses Aufgabenspektrum entspricht den Zuständigkeiten, wie sie die Rechenzentren der Landesfinanzbehörden derzeit wahrnehmen. Zwar betrifft dieses Aufgabenspektrum die Verwaltung aller Hauptsteuerarten, es liegt jedoch kein so tiefgreifender Eingriff vor, dass damit der Kernbereich der Steuerverwaltungskompetenz der Länder beeinträchtigt wäre. Die materiellrechtlichen Entscheidungen der Steuerfestsetzung, Außenprüfung, Steuererhebung und der Rechtsbehelfsstellen verblieben in der Verwaltungskompetenz der Länder. Problematisch könnte allerdings die verbindliche Anordnung von Mitarbeiterschulungen und Fortbildungen sein, da die Finanzbeamten weiterhin Beamte ihres Bundeslandes sein werden. Der Bund könnte aus seiner von den Ländern übertragenen Verwaltungskompetenz für die IT- Entwicklung keine Annexkompetenz zu verbindlichen Fortbildungsanordnungen für einzelne Landesfinanzbeamte ableiten. Dies wäre nur im Einvernehmen mit dem jeweiligen Bundesland möglich, das auch die Abordnung der fortzubildenden Beamten vornehmen müsste. 6. Die erforderliche Mehrheit im Sinne des Art. 108 Abs. 4 Satz 3 GG Gemäß Art. 108 Abs. 4 Satz 3 GG kann ein Bundesgesetz für ein Zusammenwirken von Bund und Ländern bestimmen, dass bei Zustimmung einer im Gesetz genannten Mehrheit Regelungen für den Vollzug von Steuergesetzen für alle Länder verbindlich werden. In der Gesetzesbegründung heißt es zum neuen Satz 3 des Absatzes 4: „Zusätzlich zu den bereits nach Satz 1 möglichen Mehrheitsentscheidungen im Kreise des Bundes und aller Länder erlaubt Satz 3 die bundesgesetzliche Verankerung von Mehrheitsentscheidungen in weiterem Umfang, zum Beispiel indem ein kleiner Kreis aus Bund und einer begrenzten Anzahl an Ländern Mehrheitsentscheidungen trifft, die zugunsten und zulasten aller Länder Geltung entfalten.“9 „Mit der Ermächtigung in Art. 108 Abs. 4 Satz 3 GG will der Verfassungsgeber insbesondere den bundeseinheitlichen Einsatz von Programmen zur automatisierten Datenverarbeitung zur Verbesserung oder Erleichterung des gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze sicherstellen.10 Dies soll dadurch erreicht werden, dass beim Zusammenwirken von Bund und Ländern bei den von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern (Art. 108 Abs. 3 GG) nicht mehr das Einvernehmen aller Länder und des Bundes erforderlich ist, sondern eine qualifizierte Mehrheit von elf Ländern genügt. Deshalb bedürfen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 FVG Art, Umfang und Organisation des Einsatzes der automatischen Einrichtung für die Festsetzung und Erhebung der Steuern des Einvernehmens des BMF. Wird dieses nicht erzielt, kann gemäß § 20 Abs. 2 Satz 3 FVG das BMF Vorgaben hierzu erlassen, wenn nicht mindestens elf Länder widersprechen. Im Falle von Vorgaben des BMF sind die Länder verpflichtet, die für die Umsetzung erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen (§ 20 Abs. 2 Satz 4 FVG).“11 9 BT-Drs. 18/11131, S. 19 10 BT-Drs. 18/11131, S. 18 f. 11 Heller, Robert; Kniel, Mona: „Die Organisation der Steuerverwaltung von Bund und Ländern“ in: NVwZ 2019, 935 - 938 (936) (beck-online) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 131/20 Seite 10 Damit hat sich der Bundesgesetzgeber auf einfachgesetzlicher Ebene für eine qualifizierte Mehrheit der Länder als Voraussetzung für das Inkrafttreten einer Regelung für automatische Einrichtungen in den Steuerverwaltungen der Länder entschieden. Verfassungsrechtlich zwingend fordert Art. 108 Abs. 4 Satz 3 GG diese qualifizierte Mehrheit jedoch nicht. In der Literatur wird vielmehr ein offener Mehrheitsbegriff aus dem Grundgesetz hergeleitet: „Dies bedeutet zunächst, dass nicht etwa das Gesetz die verbindlichen Vollzugsvereinbarungen anordnet; vielmehr bedarf es einer zeitlich nachgelagerten Mehrheitsentscheidung, wobei sich der Vorschrift nicht entnehmen lässt, welche Mehrheit (einfache oder qualifizierte) denn erforderlich ist. Auch ist der Bestimmung nicht zu entnehmen, ob der Bund selbst an der Mehrheitsentscheidung zu beteiligen ist. Dafür spricht der Regelungskomplex, nämlich ein Zusammenwirken von Bund und Ländern; dagegen spricht die Tatsache, dass gemeinsame Vollzugsregelungen für die Länder geschaffen werden sollen, an denen der Bund zuvor nicht beteiligt war. Nimmt man aber das Ziel eines gleichmäßigen und gerechten Steuervollzugs als zentrales Anliegen, dann dürfte eine Beteiligung des Bundes an der Mehrheitsentscheidung sachgerecht sein, weil dieses zentrale Anliegen auch und gerade im Bundesinteresse besteht.“12 Die Gesetzesbegründung enthält zur Frage des Mehrheitsbegriffs des Art. 108 Abs. 4 Satz 3 GG keine weiteren Konkretisierungen, sodass auch einfache Mehrheiten der Länder als zulässig angesehen werden können. 7. Das Kriterium „Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird“ Art. 108 Abs. 4 GG erklärt in Satz 1 eine gesetzliche Übertragung von Steuervollzugskompetenzen nur insoweit für zulässig, wie durch die Übertragung der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird. Satz 3 des Art. 108 Abs. 4 GG nimmt Bezug auf die Voraussetzungen des ersten Satzes und damit auch auf das Kriterium der erheblichen Verbesserung des Vollzugs der Steuergesetze. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat 2002 zum gleichlautenden § 8 Abs. 3 Satz 1 FVG festgehalten : „§ 8 Abs. 3 Satz 1 FVG setzt voraus, dass durch die Aufgabenübertragung „der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert wird. Es handelt sich dabei um unbestimmte Gesetzesbegriffe , die vom Verordnungsgeber Entscheidungen mit prognostischen Elementen fordern. Der Verordnungsgeber muss einschätzen, wie auf Grund sich wandelnder Rahmenbedingungen - insbesondere im Zusammenhang mit dem Rückgang von Aufgaben der Bundesvermögensverwaltung sowie mit den Veränderungen im Zuge der europäischen Einigung - die künftige Aufgabenstellung sich entwickeln wird und welches und wie viel Personal an den jeweiligen Standorten zur Aufgabenerfüllung erforderlich sein wird. Der Beurteilung von Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers legt das Bundesverfassungsgericht je nach Zusammenhang differenzierte Maßstäbe zu Grunde, die von einer Evidenz - über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen. Im Einzelnen maßgebend sind Faktoren wie die Eigenart des 12 Maunz/Dürig/Schwarz, 91. EL April 2020, GG Art. 108 Rn. 50 (beck-online) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 131/20 Seite 11 in Rede stehenden Sachbereichs, die Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden , und die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter.“13 An den Gesetzgeber der sich auf Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG beruft, werden in der Literatur unterschiedliche Anforderungen gestellt. So geht Kirchhof davon aus, dass dem Gesetzgeber bei der Ausfüllung dieser weiten und unbestimmten Rechtsbegriffe eine Einschätzungsprärogative zusteht .14 Schwarz spricht sich dagegen für erhöhte Anforderungen an die Begründung des Gesetzgebers aus und nimmt dabei auf den Wortlaut des Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG Bezug: „Gerade weil der Gesetzgeber mit dem Merkmal der „erheblichen“ Verbesserung oder Erleichterung nicht jede Verbesserung oder Erleichterung legitimieren will, wird man unbeschadet der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in Art. 108 Abs. 4 GG nicht von einem nicht-justiziablen Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers und einer bloßen Vertretbarkeitskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht ausgehen können; vielmehr erscheint es sachgerecht, vom Gesetzgeber zu verlangen, dass er darlegt, welche substantiellen Verbesserungen und Erleichterungen mit der Änderung verbunden sind.“15 Fortschritte bei der Digitalisierung und im Bereich der IT-Verfahren/Prozesse sind als gesetzgeberische Prognoseentscheidung für eine Verlagerung von Verwaltungskompetenzen der Länder an den Bund jedenfalls nicht von vornherein durch den Verweis auf den KONSENS-Verbund ausgeschlossen . Das KONSENS-Projekt sieht unterschiedliche Programmierungsverantwortlichkeiten einzelner Bundesländer vor. Es handelt sich zwar um ein zwischen den Bundesländern abgestimmtes IT-Verfahren für die Steuerverwaltungen, dass im KONSENS-Gesetz geregelt ist. Der Anwendungsbereich des KONSENS-Gesetzes erstreckt sich jedoch nur auf die Software; nicht jedoch auf die Hardware. Außerdem werden nur Softwareprojekte realisiert, die im Auftraggeber- Gremium eine Mehrheit finden (§ 8 KONSENS-Gesetz). Damit bleibt auch mit dem KONSENS-Projekt genügend Raum für weitere Verbesserungen des Steuervollzugs durch eine Übertragung der Verwaltungskompetenz an den Bund. Insbesondere die dezentrale Programmierung der Software in den Ländern kann als Begründung für eine mögliche Verbesserung des Steuervollzugs angenommen werden, wenn die Beauftragung und Programmierung der Softwareprojekte einheitlich vom Bund verantwortet würde. Das KONSENS-Gesetz schließt daher die Berufung des Bundesgesetzgebers auf eine wesentliche Verbesserung des Steuervollzugs durch Übertragung von Verwaltungskompetenzen zur Digitalisierung von den Ländern auf den Bund nicht aus. *** 13 BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2002, Az: 2 BvF 4/98; BVerfGE 106, 1 (16) beck-online 14 v. Mangoldt/Klein/Starck/Kirchhof, 7. Aufl. 2018, GG Art. 108 Rn. 64 (beck-online) 15 Maunz/Dürig/Schwarz, 91. EL April 2020, GG Art. 108 Rn. 47 (beck-online) m.w.Nw.