© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 131/19 Fragen zu den Geldschöpfungsgewinnen (Seigniorage) der Notenbanken Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 131/19 Seite 2 Fragen zu den Geldschöpfungsgewinnen (Seigniorage) der Notenbanken Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 131/19 Abschluss der Arbeit: 20. November 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 131/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Wie hat sich die Seigniorage in Deutschland im Zeitraum von 1990 bis heute entwickelt? 4 2. Welche Auswirkungen hat die Europäische Währungsunion auf die deutsche Seigniorage? 5 3. Wie wird die Seigniorage bei der Europäischen Zentralbank berechnet? 5 4. Welchen Anteil erhält Deutschland (jährlich seit Einführung der Währungsunion)? 5 5. Wie hat sich der Ausgleichsmechanismus entwickelt? 6 6. Ist der von Prof. Sinn 1997 prognostizierte Milliardenverlust für Deutschland eingetreten oder lag Prof. Nikolaus K.A. Läufer 2002 richtig, als er einen Verlust von 450 Euro pro deutschen Kopf berechnete? Wie hoch ist der Verlust bis heute gewesen? 8 7. Inwieweit ist das Bundesbank-Vermögen samt Alterträgen (Wertpapierbestand etc.) zu 100% an die EZB übergegangen? 8 8. Wie hoch ist die Minderung der deutschen Seigniorage speziell mit Blick auf die Balkanstaaten, die seit der Währungsunion keine DM, sondern den Euro nutzen? 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 131/19 Seite 4 1. Wie hat sich die Seigniorage in Deutschland im Zeitraum von 1990 bis heute entwickelt? Der Begriff Seigniorage ist nicht eindeutig definiert und wird unterschiedlich verwendet. So wird darunter unter anderem der Gewinn einer Notenbank oder der Gewinn aus der Geldschöpfung angesehen. Im Folgenden sind abgebildet a) der Bilanzgewinn der Bundesbank und b) der Nettozinsertrag, wie er sich insbesondere aus den Zinserträgen und –aufwendungen aus der Geldpolitik ergab:1 1 Die Antworten zu den Fragen 1, 2, 4, 5 und 7 basieren auf Informationen der Deutschen Bundesbank, die dem Fachbereich auf Anfrage zur Verfügung gestellt wurden. Bilanzgewinn Nettozinsertrag 1 1990 4.659 8.503 1991 7.778 10.619 1992 7.529 12.329 1993 9.630 10.803 1994 5.552 8.008 1995 5.587 7.305 1996 4.820 6.327 1997 12.388 6.808 1998 8.295 6.776 1999 3.903 5.012 2000 8.353 7.181 2001 11.238 6.598 2002 5.324 4.156 2003 248 3.281 2004 676 3.161 2005 2.860 3.833 2006 4.205 5.436 2007 4.285 7.502 2008 6.261 8.429 2009 4.147 4.156 2010 2.206 3.570 2011 643 4.770 2012 664 8.259 2013 4.591 5.566 2014 2.954 3.141 2015 3.189 2.299 2016 399 3.319 2017 1.902 4.172 2018 2.433 4.920 1 Nettozinsertrag bis 1998: Ermittelt als Saldo aus GuV- Positionen „Zinsen“ und „Zinsaufwand“ basierend auf HGB-Regeln, ab 1999 Anwendung der ESZB- Rechnungslegungsregeln. in Mio. € Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 131/19 Seite 5 2. Welche Auswirkungen hat die Europäische Währungsunion auf die deutsche Seigniorage? Die Seigniorage wird (unabhängig von der konkreten Definition) durch zahlreiche Faktoren beeinflusst . Hierzu zählen gesamtwirtschaftliche und finanzmarktliche Entwicklungen sowie geldpolitische Entscheidungen. Wie sich diese ohne Europäische Währungsunion (EWU) dargestellt hätten, lässt sich aus Sicht der Bundesbank nicht annähernd verlässlich abschätzen. 3. Wie wird die Seigniorage bei der Europäischen Zentralbank berechnet? Auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) selbst keine Euro-Banknoten ausgibt, wurde die Vereinbarung getroffen, dass ihr rechnerisch 8 Prozent des Wertes aller im Euro-Währungsgebiet umlaufenden Geldscheine zugewiesen werden.2 Die Nationalen Zentralbanken (NZBen) geben die Geldscheine für die EZB in Verkehr, und die EZB erhält durch ihre Forderungen gegenüber den NZBen Seigniorage-Einkünfte für besagte 8 Prozent. Die Zinszahlungen für diese Forderungen werden täglich zum jeweils geltenden marginalen Zinssatz berechnet, der bei den Tenderoperationen des Eurosystems für seine Hauptrefinanzierungsgeschäfte Anwendung findet. Seit dem 16. März 2016 liegt der Zinssatz, der bei den Tendern des Eurosystems für seine Hauptrefinanzierungsgeschäfte Anwendung findet, bei 0,00 Prozent.3 4. Welchen Anteil erhält Deutschland (jährlich seit Einführung der Währungsunion)? Der Anteil der Bundesbank an den monetären Einkünften im Eurosystem ergibt sich aus dem EZB-Kapitalschlüssel.4 Dieser hat sich seit Einführung der Währungsunion wie folgt entwickelt: 2 Beschluss EZB/2010/29 vom 13. Dezember 2010 über die Ausgabe von Euro-Banknoten (ABl. L 35 vom 9. Februar 2011, Seite 26). 3 Europäische Zentralbank: Jahresbericht 2017, Erweiterter Jahresabschluss der EZB, Erläuterungen zur Bilanz, A 40. 4 Beschluss (EU) 2016/2248 der Europäischen Zentralbank vom 3. November 2016 über die Verteilung der monetären Einkünfte der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (EZB/2016/36) (Neufassung), ABl. L 347 vom 20. Dezember 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 131/19 Seite 6 Die Bemessung des Betrages der monetären Einkünfte jeder NZB erfolgt seit dem Jahr 2003 auf Grundlage der tatsächlichen Einkünfte, die sich aus den gesondert erfassten Vermögenswerten ergeben, die sie als Gegenposten zu ihrer monetären Basis hält. Die monetäre Basis beinhaltet insbesondere folgende Positionen: Passivposition 1 „Banknotenumlauf “, Passivposition 2 „Verbindlichkeiten in Euro aus geldpolitischen Operationen gegenüber Kreditinstituten im Euro-Währungsgebiet“, Passivunterposition 9.2 „Verbindlichkeiten aus der Verteilung des Euro-Banknotenumlaufs innerhalb des Eurosystems“ und die in der Passivunterposition 9.3 „Sonstige Verbindlichkeiten“ enthaltene TARGET2-Verbindlichkeit. Alle darauf geleisteten beziehungsweise aufgrund der Negativverzinsung erhaltenen Zinsen verringern beziehungsweise erhöhen den Betrag der abzuführenden monetären Einkünfte der jeweiligen nationalen Zentralbank. Die gesondert erfassten Aktiva einer nationalen Zentralbank setzen sich hauptsächlich aus den folgenden Positionen zusammen: Aktivposition 5 „Forderungen in Euro aus geldpolitischen Operationen an Kreditinstitute im Euro-Währungsgebiet“, Aktivunterposition 7.1 „Wertpapiere für geldpolitische Zwecke“, Aktivunterposition 9.2 „Forderungen aus der Übertragung von Währungsreserven an die EZB“, Aktivunterposition 9.3 „Forderungen aus der Verteilung des Euro- Banknotenumlaufs innerhalb des Eurosystems“, die in der Aktivunterposition 9.4 „Sonstige Forderungen “ enthaltene TARGET2-Forderung und einem begrenzten Teil der Goldbestände der nationalen Zentralbanken entsprechend ihrem Anteil am voll eingezahlten Kapital der EZB. Dabei wird davon ausgegangen, dass mit dem Gold keine Erträge erwirtschaftet werden und die im Rahmen des CBPP und CBPP2 erworbenen gedeckten Schuldverschreibungen sowie die im Rahmen des PSPP5 erworbenen Staatsanleihen (einschl. Anleihen regionaler Gebietskörperschaften und zu-gelassener gebietsansässiger Emittenten mit Förderauftrag) Erträge in Höhe des jeweils geltenden Hauptrefinanzierungssatzes erzielen, da der EZB-Rat bei diesen Papieren eine Risiko- und Ertragsteilung zwischen den nationalen Zentralbanken ausgeschlossen hat. Liegt der Wert der gesondert erfassten Vermögenswerte einer nationalen Zentralbank über oder unter dem Wert ihrer monetären Basis, wird der Unterschiedsbetrag zum jeweils geltenden Hauptrefinanzierungssatz verzinst angerechnet. 5. Wie hat sich der Ausgleichsmechanismus entwickelt? Zum Verfahren der Ertragsglättung bei der Euro-Bargeldeinführung: Im Jahr der Bargeldumstellung und in den folgenden fünf Jahren wurden die Intra-Eurosystem-Salden aus der Verteilung des Euro-Banknotenumlaufs im Eurosystem angepasst, um wesentliche Veränderungen der laufenden relativen Einkünfte der nationalen Zentralbanken im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren auszugleichen. Grundlage dieser Anpassung war die Differenz zwischen dem Durchschnittswert der im Referenzzeitraum im Umlauf befindlichen Banknoten jeder nationalen Zentralbank und dem Durchschnittswert der Banknoten, die ihnen nach dem Kapitalschlüssel der EZB in diesem Zeitraum jeweils zugeteilt worden wären. Die Anpassungen wurden bis zum ersten Tag des sechsten Jahres nach dem Jahr der Bargeldumstellung in jährlichen Schritten zurückgeführt . 5 Bei CBPP, CBPP2 und PSPP handelt es sich um Wertpapierkaufprogramme der EZB. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 131/19 Seite 7 Seit 2008 gilt der folgende Ausgleichsmechanismus beim Banknotenumlauf: Die EZB und die nationalen Zentralbanken der Euro-Länder, die zusammen das Eurosystem bilden, geben auf Euro lautende Banknoten aus. Für den Ausweis des Euro-Banknotenumlaufs in den Finanzausweisen der einzelnen Zentralbanken des Eurosystems ist folgendes Verteilungsverfahren beschlossen worden: Die jeweiligen Anteile am Gesamtwert des Euro-Banknotenumlaufs für die Zentralbanken im Eurosystem werden am letzten Geschäftstag jedes Monats nach dem Schlüssel für die Verteilung der Euro-Banknoten ermittelt. Auf die EZB entfällt ein Anteil von 8 Prozent des Gesamtwerts der jeweils umlaufenden Euro-Banknoten, 92 Prozent der Euro-Banknoten werden auf die nationalen Zentral-banken entsprechend ihrer Anteile am eingezahlten EZB-Kapital verteilt. Zum 31. Dezember 2018 hat die Bundesbank einen Anteil am voll eingezahlten EZB-Kapital von 25,6 Prozent, somit ergibt sich ein Schlüssel für die Verteilung der Euro-Banknoten von 23,5 Prozent . Dieser hat sich seit Einführung der Währungsunion wie folgt entwickelt: Der Anteil der Bundesbank an den vom Eurosystem insgesamt ausgegebenen Euro-Banknoten wird auf der Passivseite der Bilanz unter Position 1 „Banknotenumlauf“ ausgewiesen. Die Differenz zwischen dem Wert der Euro-Banknoten, der jeder Zentralbank des Eurosystems gemäß dem Schlüssel für die Verteilung der Euro-Banknoten zugeteilt wird, und dem Wert der Euro-Banknoten, die diese Zentralbank tatsächlich in Umlauf gegeben hat, führt zu verzinslichen Intra-Eurosystem-Salden. Liegt der Wert der tatsächlich ausgegebenen Euro-Banknoten über dem Wert nach dem Verteilungsschlüssel, entsteht in Höhe der Differenz eine Intra-Eurosystem-Verbindlichkeit , die in der Bilanz unter der Passivunterposition 9.2 „Verbindlichkeiten aus der Verteilung des Euro-Banknotenumlaufs innerhalb des Eurosystems“ ausgewiesen wird. Liegt der Wert der tatsächlich ausgegebenen Euro-Banknoten unter dem Wert nach dem Verteilungsschlüssel , wird die Differenz unter der Aktivunterposition 9.3 „Forderungen aus der Verteilung des Euro-Banknotenumlaufs innerhalb des Eurosystems“ ausgewiesen. Die Verzinsung dieser Salden erfolgt zum jeweils geltenden Hauptrefinanzierungssatz. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 131/19 Seite 8 6. Ist der von Prof. Sinn 1997 prognostizierte Milliardenverlust für Deutschland eingetreten oder lag Prof. Nikolaus K.A. Läufer 2002 richtig, als er einen Verlust von 450 Euro pro deutschen Kopf berechnete? Wie hoch ist der Verlust bis heute gewesen? Vor dem Start der EWU vor rund 20 Jahren wurden zahlreiche sogenannte Seigniorage-Studien erstellt. Rösl erwähnt in seiner Untersuchung allein 19 Studien.6 Dazu gehören unter anderem auch die in der Frage zitierten Studien.7 Diese Studien versuchten mit zum Teil sehr unterschiedlichen Annahmen und Berechnungsmethoden Seignioragezugewinne bzw. –einbußen durch Vergleich der Seigniorage bei nationaler Geldpolitik der Deutschen Bundesbank und dem prognostizierten deutschen Anteil an dem Seigniorage-Pool der EWU abzuschätzen. Es konnte keine Studie ermittelt werden, die den umgekehrten Weg geht, indem sie den deutschen Anteil an dem Seigniorage-Pool der EWU mit der Seigniorage der Deutschen Bundesbank in einer hypothetischen Welt ohne Währungsunion vergleicht. 7. Inwieweit ist das Bundesbank-Vermögen samt Alterträgen (Wertpapierbestand etc.) zu 100% an die EZB übergegangen? Mit Errichtung der EZB und Beitritt zum Eurosystem erfolgte die Einzahlung des Kapitalanteils der Bundesbank sowie die Übertragung von Teilen der Währungsreserven an die EZB. Entsprechende Erläuterungen aus dem Geschäftsbericht der Bundesbank 1999 in Auszügen: 6 Rösl, Gerhard: Seigniorage in der EWU: Eine Analyse der Notenbankgewinnentstehung und -verwendung des Eurosystems, Schriften zur Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Nr. 25, 2002, Peter Lang International Academic Publishers, Berlin. 7 Sinn, Hans-Werner; Feist, Holger: Eurowinners and Eurolosers: The Distribution of Seigniorage Wealth in EMU, National Bureau of Economic Research (NBER) Working Paper 6072, Juni 1997. Läufer, Nikolaus K. A.: Seigniorage -Pool der EWU, Pool-Verzerrung und Seigniorage-Veränderungen durch den Euro, Universität Konstanz revidierte Fassung, 10. Juni 2002. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 131/19 Seite 9 Seitdem wurden die Beträge jeweils an den aktuellen Kapitalanteil der Bank an der EZB angepasst . Darüber hinaus fand 2010 eine Kapitalerhöhung der EZB statt, die in drei Schritten eingezahlt wurde. Entsprechende Erläuterungen finden sich in den Geschäftsberichten der Bank, hier beispielhaft aus dem Jahr 2012: Weitergehende Vermögensübertragungen fanden nicht statt. 8. Wie hoch ist die Minderung der deutschen Seigniorage speziell mit Blick auf die Balkanstaaten , die seit der Währungsunion keine DM, sondern den Euro nutzen? Eine Studie, die die „Minderung der deutschen Seigniorage“ unter dem oben genannten Aspekt abschätzt, konnte nicht ermittelt werden (vgl. auch Antwort zu Frage 6). Der Auslandsumlauf deutscher Euro-Banknoten wurde aktuell in einer Studie der Deutschen Bundesbank geschätzt.8 * * * 8 Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Nachfrage nach Euro-Banknoten bei der Deutschen Bundesbank, Monatsbericht März 2018, Seiten 37 bis 52.