© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 129/19 Pflicht zur Ausweitung der Mehrwertsteuerermäßigung für den Bahnfernverkehr auf den Busfernverkehr? Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Der Auftraggeber möchte wissen, ob für Tickets im Busfernverkehr ebenfalls der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten muss, der im Rahmen des Klimapakets für Tickets im Bahnfernverkehr von der Regierungskoalition geplant ist. 2. Der Ermäßigungstatbestand des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG und der Gesetzentwurf zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht Artikel 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ermöglicht grundsätzlich den Mitgliedstaaten der EU die Anwendung von bis zu zwei ermäßigten Steuersätzen, die jedoch mindestens 5 Prozent betragen müssen und nur auf solche Lieferungen und Dienstleistungen angewandt werden dürfen, die in Anhang III der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSysRL) aufgeführt sind. Anhang III Nummer 5 MwStSysRL nennt die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks als Ermäßigungstatbestand . Deutschland hat im Umsatzsteuergesetz bislang die Beförderungen von Personen im Schienenbahnverkehr , im Verkehr mit Oberleitungsomnibussen, im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen , im Verkehr mit Taxen, mit Drahtseilbahnen und sonstigen mechanischen Aufstiegshilfen aller Art und im genehmigten Linienverkehr mit Schiffen sowie die Beförderungen im Fährverkehr innerhalb einer Gemeinde oder wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 Kilometer beträgt (§ 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG) mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz besteuert. Darunter sind der öffentliche und private Bahnverkehr im Nah- und Fernbereich zu verstehen sowie der öffentliche und private Busverkehr im Nah- und Fernbereich. Die Bundesregierung sieht in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht1 vor, dass die Beförderung von Personen im Schienenbahnverkehr künftig generell nur mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz besteuert wird. Der Verkehr mit Oberleitungsomnibussen, im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen, im Verkehr mit Taxen, mit Drahtseilbahnen und sonstigen mechanischen Aufstiegshilfen aller Art und im genehmigten Linienverkehr mit Schiffen sowie die Beförderungen im Fährverkehr soll weiterhin nur innerhalb einer Gemeinde oder bei Beförderungsstrecken unter 50 km ermäßigt besteuert werden. Damit würde die Gleichbehandlung der Verkehrsträger im Ermäßigungstatbestand aufgehoben. 3. Unionrechtliche Verpflichtung zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auch auf Tickets im Fernlinienbusverkehr? Da der Inhalt der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie dem nicht entgegensteht, wäre es möglich, durch eine potentielle Änderung des § 12 Absatz 2 Nummer 10 UStG die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes auch auf Umsätze mit anderen Verkehrsträgern bei Beförderungen von Personen 1 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht; Artikel 3 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen /Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/G-Umsetzung-Klimaschutzprogramm-Steuerrecht /2-Regierungsentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [zuletzt abgerufen am 22.10.2019] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 129/19 Seite 5 und des mitgeführten Gepäcks außerhalb einer Gemeinde und über einer Strecke von 50 Kilometern auszuweiten. Fraglich ist jedoch, ob es eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Verkehrsträger bei der Anwendung des Ermäßigungstatbestandes gibt und somit auch die sonstigen Verkehrsträger unabhängig von der Streckenentfernung nur noch dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterfallen müssen. Nach den verbindlichen Vorgaben der MwStSysRL können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz auf die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks anwenden (Artikel 98 Absatz 2 in Verbindung mit Anhang III Nummer 5 MwStSystRL). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) können die Mitgliedstaaten eine Steuerermäßigung auch selektiv – d. h. nicht auf alle denkbaren Formen der Beförderung – anwenden. Hierbei müssen die Mitgliedstaaten jedoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten.2 Der Grundsatz der Neutralität lässt es nicht zu, gleichartige Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.3 Bei der Beantwortung der Frage, ob Gegenstände oder Dienstleistungen gleichartig sind, ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Bei Leistungen von Fernbusunternehmen könnte es sich jedoch um gleichartige und deshalb in Wettbewerb mit der Bahn stehende Dienstleistungen handeln, die als Konsequenz auch gleich besteuert werden müssten, wollte man nicht den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzen . Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Dienstleistungen gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen.4 Die Bundesregierung geht im Gesetzentwurf nicht von einer Gleichartigkeit des Schienenverkehrs und der Beförderung mittels anderer Verkehrsträger aus: „Die isolierte Begünstigung des Schienenbahnfernverkehrs stellt demgemäß keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer dar, weil eine Beförderung im Schienenbahnfernverkehr und eine Beförde- 2 EuGH, Urteil vom 9. März 2017, Oxycure Belgium, C 573/15, EU:C:2017:189, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung 3 EuGH, Urteil vom 11. September 2014, K, C 219/13, EU:C:2014:2207, Rn. 24, und vom 9. März 2017, Oxycure Belgium, C 573/15, EU:C:2017:189, Rn. 30 4 EuGH, Urteile vom 11. September 2014, K, C 219/13, EU:C:2014:2207, Rn. 25, und vom 9. November 2017, Az: C 499/16, EU:C:2017:846, Rn. 31 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 129/19 Seite 6 rung mittels anderer Verkehrsträger nach der maßgeblichen Sichtweise eines Durchschnittsverbrauchers nicht gleichartig sind. So sichert der Schienenbahnfernverkehr aufgrund des Streckennetzes wie kein anderer Verkehrsträger die Mobilität und Flexibilität der Bürger.“5 Unzweifelhaft erbringen beide Arten des Fernverkehrs eine Beförderungsleistung von Personen (Legaldefinition von Beförderung in § 3 Absatz 6 Satz 2 UStG), wobei die Beförderung des Gepäcks als unselbständige Nebenleistung der Beförderung anzusehen ist. Unterschiedlich sind die verwendeten Beförderungsmittel, wobei sowohl Bahn als auch Bus geeignet sind, weitere Strecken als im Nahverkehr zurückzulegen sowie mitgeführtes Gepäck zu befördern. Beide Transportmittel dienen generell dazu, das gestiegene Bedürfnis der Bevölkerung nach Mobilität zu befriedigen . Unterschiede können im Komfort, beispielsweise Größe des Sitzplatzes und Ganges, der Toilettenanlagen , des Speisewagens etc. gesehen werden. Das Streckennetz ist auch wesentlich umfassender und die Taktfrequenz auf den einzelnen Strecken ist bei der Deutschen Bahn höher als bei den Fernbusanbietern. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Unterschiede so gravierend sind, dass sie die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen Bahnangeboten und Fernbusfahrten erheblich beeinflussen. Das geringere Strecken- und Fahrtenangebot wird durch im Durchschnitt günstigere Preise bei den Fernbusanbietern ausgeglichen. Andererseits sehen Fernbusanbieter wie Flixbus ihren Hauptkonkurrenten im Auto und nicht im Bahnangebot: „Hauptkonkurrent der Fernbusse ist laut Flixbus-Sprecher Mangiapia nach wie vor das Auto.“6 Letztlich ist auch der Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen, der betont, dass der Schienenbahnfernverkehr aufgrund des Streckennetzes wie kein anderer Verkehrsträger die Mobilität und Flexibilität der Bürger sichert. 4. Zusammenfassung Angebot und Umfang der Transportdienstleistung weichen zwischen Bahn und Fernbussen erheblich voneinander ab. Es ist daher davon auszugehen ist, dass einen Durchschnittsbürger die bestehenden Unterschiede zwischen Bahnfernverkehr und Busfernverkehr entscheidungserheblich beeinflussen. Er würde den Bahnfernverkehr daher nicht als gleichartig mit dem Busfernverkehr ansehen. Somit ist eine Gleichbehandlung des Busfernverkehrs mit der Mehrwertsteuerermäßigung für den Bahnfernverkehr unionsrechtlich nicht zwingend erforderlich. Eine verbindliche Beurteilung dieser Rechtsfrage bleibt jedoch dem EuGH vorbehalten. *** 5 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht; siehe Fn. 1; S. 30 6 „Fernbus oder Bahn – was ist besser? Ein Vergleich.“ Welt-online: https://www.welt.de/reise/deutschland/article 199791914/Fernbus-oder-Bahn-zwei-Verkehrsmittel-im-Vergleich.html [zuletzt abgerufen am 22.10.2019]