Deutscher Bundestag Einzelfragen zur Treuhandanstalt Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 – 126/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 2 Einzelfragen zur Treuhandanstalt Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 4 – 3000 – 126/11 Abschluss der Arbeit: 09. August 2011 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Wie lässt sich das damalige Konstrukt der Treuhandanstalt aus rechtlicher Sicht darstellen? 4 3. Wie viele Freiheiten besaß die THA im Rahmen ihres Handelns und ihrer Entscheidungen? 6 4. In welchen Fällen durfte die Treuhandanstalt keine eigenständige Entscheidung treffen? 6 5. In welchem Umfang übte das Bundesfinanzministerium seine Aufsicht über die Treuhandanstalt aus? 7 6. Sind bedeutende Meinungsverschiedenheiten zwischen der Treuhandanstalt und dem Bundesfinanzministerium im Rahmen der Aufsicht bekannt? 9 7. Wie sah die Kooperation der Treuhandanstalt mit den Städten und Kommunen im Konkreten aus? 9 8. Welche Klageverfahren gab es gegen Entscheidungen der Treuhandanstalt? Wie gingen diese aus? 10 9. Sind aktuell noch Klageverfahren anhängig? Wenn ja, in welchen Angelegenheiten? 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 4 1. Einleitung Nur 4 Monate nach dem Fall der Mauer wurde am 1. März 1990 durch Beschluss des Ministerrats der DDR die Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt- THA) gegründet, die fast die gesamte Volkswirtschaft der DDR nach marktwirtschaftlichen Prinzipien an die westdeutschen Verhältnisse anpassen, d.h. die Kombinate entflechten und die Volkseigene Betriebe (VEB) in Kapitalgesellschaften (AGs, GmbHs) umwandeln sollte. Mit der Wiedervereinigung und dem Einigungsvertrag wurde der Auftrag der THA erweitert: Innerhalb von 4 Jahren sollten über 8.000 Firmen, deren Anzahl sich durch Ausgründungen zwischenzeitlich auf über 15.000 Betriebe und Betriebsteile erhöhte, 45.000 Betriebsstätten mit zusammen vier Millionen Beschäftigten, 20.000 Gaststätten und Ladengeschäfte, 1.839 Apotheken, 390 Hotels , zahlreiche Kinos, die gesamte Energie- und Wasserversorgung sowie die Betriebe des öffentlichen Nahverkehrs privatisiert oder stillgelegt werden1. Die geringe Zahl der noch unter der Modrow-Regierung dafür zunächst eingesetzten 150 DDR-Fachkräfte belegt, wie sehr diese Mammutaufgabe unterschätzt wurde. So waren im Jahr 1994 bereits um die 4.000 Angestellte bei der THA mit der Abwicklung der DDR-Wirtschaft beschäftigt2. Um die Übertragung und Anpassung der marktwirtschaftlichen Verhältnisse der Bundesrepublik auf des Territorium der neuen Bundesländer herzustellen, war die THA für die weltweit größte Privatisierung einer sozialistischen Volkswirtschaft zuständig und avancierte zwischenzeitlich zur größten Holding der Welt. Im Zuge der Privatisierung wurden ca. 50.000 Verträge innerhalb von 3 Jahren geschlossen.3 Mit Ende des Jahre 1994 wurde die THA aufgelöst und alle noch nicht abgeschlossenen Aufgaben von der Nachfolgerin, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), übernommen. Die BvS stellte ihrerseits ihre Tätigkeit zum 31. Dezember 2000 weitgehend ein und befindet sich seit 2004 in Abwicklung. 2. Wie lässt sich das damalige Konstrukt der Treuhandanstalt aus rechtlicher Sicht darstellen ? Die Treuhandanstalt wurde ursprünglich im März 1990 durch Beschluss des Ministerrates der DDR als Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums errichtet. Durch den Beschluss wurden die VEBs und Kombinate gleichsam in das Eigentum der Treuhandanstalt überführt. Diese Ur-Treuhand verfolgte jedoch noch keine marktkapitalistischen Ziele, sondern wollte das Volkseigentum wahren und im Interesse der Allgemeinheit verwalten. Der letzten SED-Regierung unter dem Ministerpräsidenten Hans Modrow ging es unter prinzipieller Aufrechterhaltung einer staatliche gelenkten Wirtschaft vor allem darum, an Investitionen, frisches Geld und moderne Technik zu kommen, die man insbesondere aus dem Westen erhoffte. Mit 1 Vgl. Kemmler, Marc: Die Entstehung der Treuhandanstalt. Von der Wahrung zur Privatisierung des DDR-Volkseigentums , Frankfurt/New York: Campus 1994, 175. 2 Vgl. Czada, Roland, Vom Plan zum Markt, onlineversion: http://www.politik.uni-osnabrueck.de/POLSYS/Archive /fs_tha/einleit.htm [abgerufen am 11.7.2011]. 3 Vgl. Czada, Roland, Vom Plan zum Markt, onlineversion: http://www.politik.uni-osnabrueck.de/POLSYS/Archive /fs_tha/aufgaben.htm [abgerufen am 11.7.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 5 dem am 17. Juni 1990 beschlossenen Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (DTreuhG) wurde der Auftrag der THA um das Ziel erweitert, die VEBs der DDR zu privatisieren und die ökonomische Tätigkeit des Staates zurückzufahren sowie die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herzustellen und somit Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen4. Durch Art. 25 Abs. 1 S. 2 des Einigungsvertrages vom 31. August 19905 wurde die THA zu einer rechtsfähigen, bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts . Eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts ist eine eigene Rechtspersönlichkeit, die zur Erfüllung einer besonderen Verwaltungsaufgabe errichtet wurde. Bundesunmittelbar sind juristische Personen dann, wenn sie der Aufsicht des Organisationsgefüge des Bundes unterworfen sind6. Damit wurde die THA zu einem organisatorisch ausgegliederten Teil der Bundesverwaltung im Sinne von Art. 86, 87 Abs. 3 S. 1 GG. Tatsächlich war die THA eine in der deutschen Institutionslandschaft „einmalige Zwitterkonstruktion, angesiedelt an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Exekutive“, vielleicht am besten charakterisierbar als eine „Behörde im Gewande einer Holding“7. Die THA diente auch im wiedervereinigten Deutschland der Privatisierung und Verwertung volkseigenen Vermögens nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft (§ 2 Abs. 1 S. 2 DTreuhG). Sitz der THA war gem. § 2 Abs. 8 DTreuhG Berlin. Daneben existierten insgesamt 15 Außenstellen (später: Niederlassungen) der THA in den ehemaligen Bezirksstädten der DDR8. Die Organe der Treuhand waren der Vorstand und der Verwaltungsrat. Nach § 3 DTreuhG vom 17. Juni 1990 wurde die THA von einem Vorstand geleitet, der sich aus dem Präsidenten und mindestens vier weiteren Vorstandsmitgliedern zusammen setzte. Der Präsident und die Mitglieder des Vorstandes wurden durch den Verwaltungsrat berufen und abberufen (§ 3 Abs. 2 DTreuhG). Der Vorstand vertrat die THA im Rechtsverkehr (§ 3 Abs. 2 DTreuhG) und führte die laufenden Geschäfte. Nach § 4 Abs. 1 DTreuhG hatte der Verwaltungsrat – vergleichbar dem Aufsichtsrat eines Unternehmens – die Geschäfte des Vorstandes zu überwachen und zu unterstützen . Ursprünglich zählte der Verwaltungsrat 16, später 24 Mitglieder. Außer Wirtschaftsvertretern (überwiegend West-Manager) waren auch Vertreter der Gewerkschaften, die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer sowie die Staatssekretäre des Bundesministerium der Finanzen (BMF) und des Bundesministerium der Wirtschaft (BMWi) vertreten. Der Präsident des Vorstandes hatte den Vorsitzenden des Verwaltungsrates über alle wichtigen Geschäftsangelegenheiten 4 Vgl. Eingangsformel des Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (DTreuhG) v. 17.06.1990. 5 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag), BGBl. II 1990, S. 889. 6 Dreier/Hermes, GG Art.86 Rn.30/31. 7 Cadel, Georg: Die Kontrolle der Treuhandanstalt und ihrer Unternehmen durch das Finanzministerium, den Rechnungshof und das Parlament, in: Berliner Arbeitshefte und Berichte zur Sozialwissenschaftlichen Forschung , Nr. 90, 1994, S. 12. 8 Bezirksstädte der DDR waren: Rostock, Neubrandenburg, Schwerin, Postdam, Frankfurt (Oder), Magdeburg, Cottbus, Halle, Leipzig, Erfurt, Dresden, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Gera, Suhl, Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 6 zu unterrichten. Der Verwaltungsrat konnte den Vorstand auch in Grundfragen, insbesondere der Privatisierung und Verwertung volkseigenen Vermögens nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft sowie in allen weiteren Aufgaben gem. § 2 DTreuhG beraten. Daraus folgte im Umkehrschluss , dass ein Beratungsrecht in Einzelfragen, die keine Grundfragen darstellen, nicht bestand . Die THA handelte primär auf der Grundlage des Einigungsvertrages und des Treuhandgesetzes9. Der Bundesrechnungshof hatte gem. § 111 Abs. 1 BHO10 ein Prüfungsrecht über die THA. Gegenüber den Treuhandunternehmen und den neugegründeten Gesellschaften zur Erfüllung von Treuhandaufgaben, griff diese Vorschrift nicht11. 3. Wie viele Freiheiten besaß die THA im Rahmen ihres Handelns und ihrer Entscheidungen ? Die THA besaß alle Freiheiten, die ihr als bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts auf der Grundlage der Gesetze eingeräumt wurden und die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigte . Lediglich bei der Privatisierungen von Unternehmen einer gewissen Größe war die THA nicht allein entscheidungsbefugt und musste um die Zustimmung des BMF nachfragen12. Die exponierte Stellung, die die THA während des Vereinigungsprozesses einnahm, verschaffte der THA eine außergewöhnliche Autonomie13. 4. In welchen Fällen durfte die Treuhandanstalt keine eigenständige Entscheidung treffen? In den Fällen des § 2a Abs. 3 DTreuhG durfte die THA keine eigenständige Entscheidung treffen. Bei der Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen war die THA auf das Einvernehmen des BMF und des BMWi angewiesen. Ferner ist nach § 65 BHO die Zustimmung des Finanzministeriums bei Unternehmensveräußerungen zwingend erforderlich. Um den durch diese Regelung entstehenden Konflikt mit der schnellen Privatisierung einer großen Anzahl von Unternehmen aufzulösen, hat der Bundesfinanzminister von seiner in der BHO vorgesehenen Möglichkeit, auf die Ausübung seiner Befugnisse teilweise zu verzichten, Gebrauch 9 Ferner waren auch das Vermögenszuordnungsgesetz, das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz sowie das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen als Rechtsgrundlagen für die Arbeit der THA relevant. 10 BHO= Bundeshaushaltsordnung v. 19.08.1969 (BGBl. I S. 1284). 11 Cloes, Roger: Die Treuhandanstalt und ihre Kontrolle, Die Bank 7/92., S.381. 12 Vgl. Karliczek/Theile, Rahmenbedingungen der Arbeit der Treuhand, in: Boers/Nelles/Theile (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, Baden-Baden 2010, S. 160. 13 Vgl. Karliczek/Theile, Rahmenbedingungen der Arbeit der Treuhand, in: Boers/Nelles/Theile (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, Baden-Baden 2010, S. 167. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 7 gemacht und seine Genehmigungspflicht nur auf die bedeutendsten Unternehmensverkäufe beschränkt . Nach diesem sog. „vereinfachten haushaltsrechtlichen Verfahren“ bedurften Veräußerungen der Einwilligung nur, wenn zwei der drei folgenden Merkmale erfüllt waren:14 - Umsatzerlöse des Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils im letzten Geschäftsjahr oder voraussichtlich im laufenden Geschäftsjahr von mehr als 300 Mio. DM, - bilanzieller Zu- oder Abgang von mehr als 100 Mio. DM, - mehr als 2.000 Arbeitnehmer in den Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil. Beigefügt ist eine Liste über die Vorgänge, die die THA dem BMF zur Genehmigung gem. § 65 BHO vorgelegt hatte (Anlage 1)15. 5. In welchem Umfang übte das Bundesfinanzministerium seine Aufsicht über die Treuhandanstalt aus? Seit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 oblag dem BMF die Rechts- und Fachaufsicht über die THA. Die Fachaufsicht wurde dabei im Einvernehmen mit dem BMWi und dem jeweils zuständigen Bundesministerium wahrgenommen16. Im Rahmen der Rechtsaufsicht war sicherzustellen , dass die THA ihre Arbeit im Rahmen der bestehenden Gesetze erfüllte und sich innerhalb des für sie definierten Auftrages bewegte. Bei der Ausübung der Rechtsaufsicht war insbesondere die Regelung des § 65 BHO für die Beteiligung des Bundes an privatrechtlichen Unternehmen und für das haushaltsrechtliche Genehmigungsverfahren zu beachten. Jedoch sei in dieser Zeit nach Ansicht von Karliczek/Theile „de facto keine Aufsicht über die Treuhandanstalt ausgeübt“ worden17. Die Bundesregierung hatte der THA eine weitreichende Handlungsautonomie eingeräumt. Aufgrund der bestehenden Rechtslage war die THA in der Gestaltung des Privatisierungsprozesses weitgehend frei. Noch im Januar 1992 sprach Bundeskanzler Kohl öffentlich davon, dass die THA ihre Aufgaben nur erfüllen könne, „wenn sie die notwendigen Entscheidungen mit großer Unabhängigkeit treffen kann“ und „die Bundesregierung alles tun wird, um diese Unabhängigkeit […] zu garantieren und sicherzustellen.“18 Auf ein Schreiben der Präsidentin der THA, Birgit Breuel, vom Oktober 1993 an den Bundesfinanzminister, Theo Waigel, im Zusammenhang mit der Rechts- und Fachaufsicht versicherte dieser, dass es keine Notwendigkeit gebe, die Praxis ihrer an der besonderen Stellung und Aufgabe der THA ausgerichteten Rechts- und 14 Vgl. dazu Treuhandanstalt (Hrsg.), Dokumentation 1990-1994. Band 10, S. 843. 15 Vgl. Treuhandanstalt (Hrsg.) a.a.O., S. 882-885. 16 Vgl. § 2 Abs. 2 DTreuhG (Treuhandgesetz= Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens ), v. 17.06.1990 (GBl. DDR 1990 I S. 300), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840, 2859). 17 Karliczek/Theile, Rahmenbedingungen der Arbeit der Treuhand, in: Boers/Nelles/Theile (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, Baden-Baden 2010, S. 155. 18 Treuhandanstalt (Hrsg.), Dokumentation 1990-1994. Band 10, S. 880. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 8 Fachaufsicht in der Schlussphase zu verändern. An den seit über drei Jahren angewandten Grundsätzen sollte sich auch im Jahr 1994 nichts ändern19. Die parlamentarische Kontrolle übernahm zunächst ein speziell zur Überwachung der THA eingerichteter „Unterausschuss Treuhand“ des Haushaltsausschuss, ab Februar 1993 dann ein eigenständiger Ausschuss „Treuhand“. Nach Ansicht von Karliczek/Theile20 standen im Ergebnis weder dem Parlament noch dem BMF probate Mittel für eine Steuerung oder Kontrolle der THA zur Verfügung. Aufgrund der der THA eingeräumten Handlungsautonomie geht jedenfalls Karliczek/Theile21 davon aus, dass die Bundesregierung kein Interesse an einer weitreichenden Kontrolle der THA und des Privatisierungsprozesses hatte. Zu der gleichen Einschätzung gelangt man, wenn man die Antwort der Bundesregierung vom 8. März 199422 auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Fritz Schumann und der Gruppe der PDS heranzieht. Darin heißt es auf die Frage Nr. 1, wie die Bundesregierung gedenke, die Forderung des Bundesrechnungshofes nach eigenen stichprobenweisen Kontrollen der Treuhandanstalt zu erfüllen, um weitere Verluste abzuwenden, wie folgt: „Das strategische Ziel der Bundesregierung war und ist die rasche Privatisierung insbesondere des Unternehmensbestandes der Treuhandanstalt (THA). Vor diesem Hintergrund verfolgt das Bundesministerium der Finanzen (BMF) das Konzept einer mittelbaren, abgestuften Aufsichtsführung , in welchem der THA weitgehender Handlungsspielraum eingeräumt wird, während sich das BMF auf Vorgänge von großer finanzieller Tragweite konzentriert. Die vom BMF zur Informationsbeschaffung genutzten Erkenntnisquellen haben sich insgesamt als Basis der Aufsichtstätigkeit bewährt; dies schließt unterschiedliche Wertungen im Einzelfall über die Frage, welche Informationen die THA der Fach- und Rechtsaufsicht unaufgefordert zukommen lassen muss, nicht aus. Eigene Aufsichtserhebungen und bürokratische Kontrollmechanismen passen nicht in das Konzept einer mittelbaren Aufsichtsführung des BMF. Sie würden einen erheblich höheren Verwaltungsaufwand mit den entsprechenden investitionshemmenden Folgen bewirken.“ Des Weiteren unterlagen die THA und ihre Unternehmen nach § 17 der Satzung der Treuhandanstalt vom 18. Juli 199023 der externen Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofes. Auch der Bundesrechnungshof besaß gegenüber der THA eine Kontrollfunktion. Diese beschränkte sich aber 19 Vgl. Treuhandanstalt (Hrsg.), Dokumentation 1990-1994. Band 10, S. 888. 20 Vgl. Karliczek/Theile, Rahmenbedingungen der Arbeit der Treuhand, in: Boers/Nelles/Theile (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, Baden-Baden 2010, S. 158. 21 Vgl. Karliczek/Theile, Rahmenbedingungen der Arbeit der Treuhand, in: Boers/Nelles/Theile (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, Baden-Baden 2010, S. 169. 22 Vgl. Bundestags-Drs. 12/7001. 23 Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr.46, S. 809. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 9 auf ein Prüfungsrecht der Haushalts- und Wirtschaftführung, nicht jedoch auf die Führung der Treuhandunternehmen und deren Privatisierung24. Die durch die Berichte des Bundesrechnungshofes ausgelösten Debatten blieben im Ergebnis folgenlos , da der Haushalt der THA nicht Teil des Bundeshaushaltes war und insoweit nicht der parlamentarischen Kontrolle unterlag. Mit den Entscheidungsprozessen der THA und der Ausübung der Fach- und Rechtsaufsicht durch das BMF befasste sich sehr ausführlich auch der Untersuchungsausschuss „Treuhandanstalt “ des Bundestages (UA 2/12). 6. Sind bedeutende Meinungsverschiedenheiten zwischen der Treuhandanstalt und dem Bundesfinanzministerium im Rahmen der Aufsicht bekannt? Nach hiesiger Recherche sind keine größeren Meinungsverschiedenheiten zwischen THA und BMF hinsichtlich der Aufsicht bekannt. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit der Beantwortung der vorherigen Frage. Ebenso belegen die damaligen Schreiben der Treuhandpräsidenten Rohwedder und Breuel an das BMF und des damaligen Staatssekretärs des BMF, Horst Köhler, an die THA, dass beide Seiten eine Verlängerung des vereinfachten Kontrollverfahrens anstrebten25. In den Schriftwechseln zwischen THA und BMF lassen sich aber auch Beispiele für gewisse Unstimmigkeiten im Rahmen der Aufsicht finden. So bemängelte etwa Dr. von Freyend (BMF) in einem Schreiben an die THA, dass die THA Gesellschaften gegründet habe, ohne vorher die Zustimmung des BMF nach § 65 BHO eingeholt zu haben. Als Beispiel führte er die Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt und die Treuhand Osteuropa-Beratung GmbH an26. In einem weiteren Beispiel rügte Birgit Breuel in einem Brief an den Staatsekretär Dr. Haller (BMF), dass Weisungen auch unterhalb der Ebene des Vorstandes erteilt werden würden und daher nicht deutlich sei, was als Weisung des BMF zu verstehen sei27. 7. Wie sah die Kooperation der Treuhandanstalt mit den Städten und Kommunen im Konkreten aus? Nach Auskunft der BvS waren die Niederlassungen der THA bemüht, die örtlichen Probleme im Benehmen mit den Städten und Kommunen zu regeln. In der Zentrale der THA gab es ein eigenes Direktorat für Fragen der Kommunalisierung . 24 Vgl. Karliczek/Theile, Rahmenbedingungen der Arbeit der Treuhand, in: Boers/Nelles/Theile (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, Baden-Baden 2010, S. 169. 25 Vgl. Treuhandanstalt (Hrsg.), Dokumentation 1990-1994. Band 10, S. 841-889. 26 Vgl. Treuhandanstalt (Hrsg.), Dokumentation 1990-1994. Band 10, S. 866-867. 27 Vgl. Treuhandanstalt (Hrsg.), Dokumentation 1990-1994. Band 10, S. 892-893. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 – 126/11 Seite 10 Zudem gab es die Organisationseinheit „Beziehungen zu den Ländern“, die in Regionen untergliedert war. Die Länder selbst waren durch ihre Ministerpräsidenten im Verwaltungsrat der THA vertreten. In den Jahren 1995 und 1996 führte der Vorsitzende des Verwaltungsrates mit Vertretern der Städte und Gemeinden zwei Konferenzen durch. 8. Welche Klageverfahren gab es gegen Entscheidungen der Treuhandanstalt? Wie gingen diese aus? Laut Auskunft der BvS war die THA (bzw. die BvS) an rund 26.500 Rechtsstreitigkeiten beteiligt. Sie trat hierbei als Klägerin, Beklagte, Beigeladene und Streitverkündete auf. Über den jeweiligen Ausgang der Verfahren konnte die BvS keine Angaben machen. 9. Sind aktuell noch Klageverfahren anhängig? Wenn ja, in welchen Angelegenheiten? Die 99 aktuell noch geführten Rechtsstreitigkeiten sind als Liste mit Schlagwort und Beteiligungsart beigefügt (Anlage 2).