© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 124/19 Einzelfragen zur Schuldenbremse Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 2 Einzelfragen zur Schuldenbremse Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 124/19 Abschluss der Arbeit: 7. Oktober 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Rechtliche Grundlagen 4 2.1. Regelungen im Grundgesetz 4 2.2. Regelungen auf europäischer Ebene 5 2.3. Zusammenfassende tabellarische Übersicht zu den Defizitobergrenzen 7 3. Nicht durch Art. 109 Abs. 3 GG erfasste Verschuldungen 7 4. Kreditermächtigungen für die Bundesregierung 8 5. Wie lässt sich die Infrastrukturgesellschaft des Bundes in diesen Rahmen einordnen? Hat sie eine eigene Kreditermächtigung? Werden die Schulden der Infrastrukturgesellschaft der Schuldenbremse hinzugerechnet? 9 6. Einordnung des Vorschlags von Bundeswirtschaftsminister Altmaier zu einer „Klima- Stiftung“ in Abgrenzung zu einem „Extra-Haushalt“ mit Blick auf die „Schuldenbremse“ 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 4 1. Fragestellung Die Auftraggeberin bittet um Beantwortung diverser Einzelfragen zu den Regeln zur Schuldenbegrenzung auf nationaler und europäischer Ebene. 2. Rechtliche Grundlagen 2.1. Regelungen im Grundgesetz Art. 109 Abs. 3 GG begründet ein grundsätzliches Verbot struktureller, also konjunkturunabhängiger , Neuverschuldung für die Länder, wobei für den Bund die Neuverschuldung auf maximal 0,35 % des nominellen Bruttoinlandsprodukts begrenzt wird.1 Ausnahmen sind im Fall von Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen erlaubt. Für die Länder ist allein Art. 109 Abs. 3 GG maßgeblich , während für den Bund ergänzend Art. 115 Abs. 2 GG hinzutritt. Ausnahmen vom Verbot des Art. 109 Abs. 3 GG müssen landesrechtlich geregelt werden und dürfen das Regelungsziel nicht unterlaufen. Mit dem in Art. 109 GG für Bund und Länder gemeinsam verankerten Grundsatz des (strukturell) ausgeglichenen Haushalts wird der Grundgedanke der Goldenen Regel des alten Art. 115 GG abgelöst , die Reform der Verschuldensregeln folgt damit der Philosophie des Europäischen Stabilitäts - und Wachstumspakts, wonach die Haushalte der Mitgliedstaaten „annähernd ausgeglichen sein oder einen Überschuss aufweisen“ sollen (mittelfristiges Haushaltsziel).2 Um eine langfristig tragfähige Entwicklung der öffentlichen Finanzen zu sichern, sehen die europäischen Vorgaben eine Begrenzung des strukturellen Defizits auf das länderspezifische mittelfristige Haushaltsziel vor. Dieses liegt für Deutschland (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen, jeweils einschließlich Extrahaushalten) bei einem strukturellen Defizit von maximal 0,5 % des BIP. Um eine möglichst große Annäherung des für die Schuldenbremse maßgeblichen Haushaltssaldos an den für die europäischen Vorgaben relevanten Finanzierungssaldo zu erreichen, werden – anders als im Art. 115 GG a.F. – Einnahmen und Ausgaben bei der Ermittlung der Neuverschuldungsobergrenze um finanzielle Transaktionen bereinigt (§ 3 Ausführungsgesetz zu Art. 115 GG – G 115). Erlöse aus Privatisierungen beispielsweise können nicht zur Einhaltung der Kreditgrenzen beitragen.3 Im Rahmen des Grundsatzes ausgeglichener Haushalte gewährt Art. 115 GG in der aktuellen Fassung dem Bund einen eng begrenzten strukturellen, also unabhängig von der konjunkturellen Lage bestehenden, Verschuldungsspielraum. Die Einhaltung der 0,35-Prozent-Grenze ist für den Bund seit dem Jahr 2016 zwingend, das Verbot der Nettokreditaufnahme der Länder tritt ab dem Jahr 2020 in Kraft. Die 0,35-Prozent-Grenze des Art. 115 GG kann nicht mehr durch Einrichtung von Sondervermögen umgangen werden, da alle seit 2011 gegründeten Sondervermögen im Rah- 1 Vgl. Dreier/Heun, 3. Aufl. 2018, GG Art. 109 Rn. 35. 2 BMF, Kompendium zur Schuldenbremse des Bundes, S. 6. 3 BMF, Kompendium zur Schuldenbremse des Bundes, S. 8 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 5 men der Schuldenbremse berücksichtigt werden. Die Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse wird nach Art. 109a Abs. 2 GG, § 2 S. 2 StabiRatG durch den Stabilitätsrat überwacht, wodurch die Schuldenbremse institutionell und prozedural verstärkt wird.4 2.2. Regelungen auf europäischer Ebene Die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten der EU wird durch das Zusammenwachsen auf wirtschafts - und währungspolitischem Gebiet seit Beginn der 1990er Jahre (Vertrag von Maastricht vom 7.2.1992, ABl. 92/C 191 S. 1) beeinflusst.5 Der im Jahr 1997 geschlossene Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) ist ein regelbasierter Rahmen für die Koordinierung und Überwachung der nationalen Finanzpolitiken, mit dem Ziel, solide öffentliche Finanzen zu garantieren, als Voraussetzung für das korrekte Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion.6 Der SWP ist kein Abkommen im engeren Sinn, sondern besteht aus drei Teilen.7 Aus der Entschließung des Europäischen Rats vom 17.6.1997(i), ergänzt durch den Bericht über die Verbesserung der Umsetzung des SWP, einer präventiven Komponente , der sogenannten Wirtschaftspolitiken-Koordinierungsverordnung8(ii), die sich auf Art. 121 Abs. 6 AEUV stützt. Diese schafft ein „Frühwarnsystem“, das die wirtschaftspolitische Überwachung nach Art. 121 AEUV mit dem Defizitkontrollsystem des Art. 126 AEUV verbindet, wodurch die Gefahr einer Staatsverschuldungskrise verringert werden soll.9 Außerdem werden die Mitgliedstaaten verpflichtet mittelfristige Haushaltsziele und Stabilitätsprogramme zu erstellen und umzusetzen. Die sogenannte Defizitverfahrensverordung10(iii) als repressive Komponente des SWP (näheres zum Defizitverfahren unten).11 Von Art. 109 Abs. 2 GG nicht erwähnt wird der sogenannte „Fiskalpakt“.12 Die Bezeichnung steht für den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion vom 2.3.2012, dessen Art. 3-8 bilden den „Fiskalpolitischen Pakt“. Mit dem Ziel einer 4 Vgl. Kube in Maunz/Dürig, 86. EL Januar 2019, GG Art. 109a Rn. 8. 5 Gröpl in BHO/Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO Einleitung Rn. 63.. 6 BMF, https://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Europa/Stabilisierung_des_Euroraums/Haushaltspolitische _Ueberwachung_der_EU/Stabilitaets_und_Wachstumspakt/stabilitaets_und_wachstumspakt .html. 7 Gröpl in BHO/Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO Einleitung Rn. 84ff. 8 VO (EG) 1466/97 v. 7.7.1997 (ABl. L 209 S. 1), zuletzt geändert durch VO (EU) 1175/2011 v. 16.11.2011 (ABl. L 306 S. 12). 9 Gröpl in BHO/Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO Einleitung Rn. 85. 10 VO (EG) 1467/97 v. 7.7.1997 (ABl. L 209 S. 6), zuletzt geändert durch VO (EU) 1177/2011 v. 8.11.2011 (ABl. L 306 S. 33). 11 Gröpl in BHO/Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO Einleitung Rn. 86. 12 Gröpl in BHO/Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO Einleitung Rn. 101. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 6 nachhaltigen Haushaltspolitik wird ein maximales Defizit von 0,5 % des BIP zugelassen, gleichzeitig soll die Gesamtverschuldung gesenkt werden, wenn diese mehr als 60 % des BIP beträgt. Als eigenständiger völkerrechtlicher Vertrag tritt der „Fiskalpakt“ paraunional neben den Rechtsrahmen der EU.13 Die nationalen Schuldenbremsen in Art. 109 Abs. 3, 115 Abs. 2 GG setzen Grenzen, die unter den defizitbezogenen Vorgaben des Unionsrechts (Art. 126 AEUV und diverse Verordnungen) sowie des „Fiskalpakts“ liegen.14 Außerhalb des GG nimmt das deutsche Recht unmittelbar auf das Unionsrecht Bezug. Nach § 51 Abs. 1 HGrG berät der Stabilitätsrat Bund, Länder und Kommunen, um eine bessere Koordinierung der Haushalts- und Finanzplanung zu gewährleisten. Rechtsakte der EU aufgrund von Art. 121, 126 und 136 AEUV zu befolgen ist darin ausdrücklich vorgeschrieben . Nach § 51 Abs. 2 HGrG darf das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit von 0,5 % des BIP auch von Gemeinden und Sozialversicherungen nicht überschritten werden.15 Art. 109 Abs. 2 GG verpflichtet nicht nur den Bund, sondern auch die Länder zur Einhaltung der Defizitgrenzen des Art. 104 EGV (heute Art. 126 AEUV). Art. 126 AEUV wird durch Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (Defizitprotokoll16) konkretisiert. Das Defizitprotokoll ist Bestandteil des Primärrechts.17 Alle Mitgliedstaaten der EU sind danach verpflichtet , keine übermäßigen öffentlichen Defizite zu verursachen, die Einhaltung wird von der EU-Kommission überwacht, Art. 126 Abs. 2 AEUV. Im Falle eines Verstoßes wird ein Verfahren gegen den Mitgliedsstaat eingeleitet, das in Art. 126 Abs. 3 – 14 geregelt ist.18 Sofern die EU Sanktionen gegen Deutschland nach Art. 126 AEUV verhängt, sind diese nach Art. 109 Abs. 5 S. 1 GG von Bund und Ländern im Verhältnis 65 zu 35 zu tragen. Nach Art. 109 Abs. 5 S. 2 GG wird die Sanktionslast zu 35 % nach der Zahl der Einwohner bemessen („Solidarbeitrag“) und zu 65 % nach dem Verursachungsbeitrag. Näheres ist im Gesetz zur innerstaatlichen Aufteilung von Sanktionszahlungen zur Sicherstellung der Haushaltsdisziplin in der Europäischen Union (Sanktionszahlungs AufteilungsG) festgelegt. Innerstaatlich erfüllen Bund und Länder gemeinsam die nach außen allein den Bund treffende Verpflichtung aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt.19 Dabei ist der Bund für Defizite der ihm 13 Gröpl in BHO/Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO Einleitung Rn. 95, 101. 14 Gröpl in BHO/Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO Einleitung Rn. 102. 15 Gröpl in BHO/Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO Einleitung Rn. 104. 16 BGBl 1992 II, 1309. 17 Vgl. Art. 51 EUV. 18 Vgl. dazu Häde, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. (2011), AEUV Art. 126 Rdnrn. 12 ff.; Hahn/Häde, Währungs R, 2. Aufl. 2010, § 27 Rdnrn. 29 ff.; Kramer/Hinrichsen/Lauterbach, Die Schuldenbremse des Grundgesetzes , JuS 2012, 899. 19 Kramer/Hinrichsen/Lauterbach, Die Schuldenbremse des Grundgesetzes, JuS 2012, 896. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 7 zugeordneten Sozialversicherungsträger und sind die Länder für Defizite der Gemeinden und Gemeindeverbände verantwortlich.20 Dem folgt auch die Aufteilung der Folgen von Sanktionsmaßnahmen nach Art. 109 Abs. 5 GG. In welchem Umfang Bund und Länder jeweils die vom Unionsrecht eröffneten Verschuldungsspielräume, insbesondere die 3%-Grenze für die Neuverschuldung , nutzen dürfen und wer somit letztendlich für eine Überschreitung des Gesamtdefizitrahmens verantwortlich ist, ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt.21 Diese Problematik wird in gewissem Umfang dadurch relativiert, dass innerstaatlich Art. 109 Abs. 3 GG der Neuverschuldung von Bund und Ländern unter den Unionsvorgaben liegende Grenzen setzt.22 2.3. Zusammenfassende tabellarische Übersicht zu den Defizitobergrenzen Rechtsgrundlage Prozentsatz Bezugsgröße Defizitsaldo Art. 126 AEUV i.V.m. Defizitprotokoll 3% Nominales BIP = BIP zu Marktpreisen (nicht inflationsbereinigt ) Nicht konjunkturbereinigt Art. 2a II VO(EG) 1466/97 i.d.F. der VO(EU) 1175/2011 (§ 51 II HGrG) Bis 1%, Deutschland 0,5% (mittelfristiges Ziel) Strukturell (konjunkturbereinigt ) Art. 3 SKSV – „Fiskalpakt “ (51 II HGrG) 0,5% Art. 109 III (i.V.m. Art. 115 III) GG 0,35% Bund 0% Länder Quelle: Gröpl, BHO, 2. Auflage 2019, Rn. 105. 3. Nicht durch Art. 109 Abs. 3 GG erfasste Verschuldungen Von der Regelung des Art. 109 Abs. 3 GG werden andere Rechtsträger des öffentlichen Rechts und des Privatrechts wie Gemeinden, Gemeindeverbände, Sozialversicherungsträger und sonstige rechtlich selbstständige Sondervermögen und Gesellschaften ausdrücklich nicht erfasst.23 Obwohl deren Defizite zum überwiegenden Teil im Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts berücksichtigt werden, wurde auf eine Unterstellung unter die Regelung des 20 Vgl. BT-Dr 16/12410, S. 11; Christ, NVwZ 2009, 1333, 1338. 21 Dazu Kube, in: Maunz/Dürig, Art. 109 Rn. 82. 22 Zum Folgenden Kube, in: Maunz/Dürig, 86. EL Januar 2019, GG Art. 109 Rn. 83 m.w.N. 23 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 109 Rdnr. 11; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, Suppl. 2010 zur 2. Aufl. 2008, Art. 109 Rdnr. 36. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 8 Art. 109 Abs. 3 GG verzichtet, dies in erster Linie aus Gründen der Praktikabilität.24 Dies wird teilweise kritisiert und in diesem Zusammenhang eine verfassungsrechtliche Anpassung gefordert .25 Davon zu trennen ist aber die Frage nach den gegenständlich einbezogenen Haushalten. Schon unter Art. 109 Abs. 2 a.F. hatte das BVerfG für die Untergliederungen der Länder, namentlich die Gemeinden und Gemeindeverbände, eine unmittelbare Bindung bislang offen gelassen.26 Die heutige Formulierung des Art. 109 Abs. 3 S. 1 GG lässt offen, ob die Haushalte der mittelbaren Staatsverwaltung miterfasst werden. Daher wird die Anwendbarkeit der Defizitbegrenzung auf die kommunalen Haushalte unterschiedlich beurteilt.27 Die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen durch den Bund unterliegen dem Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 115 Abs. 1 GG, nicht aber den materiellen Grenzen des Art. 115 Abs. 2 GG.28 Darunter fallen alle Sicherheitsleistungen durch den Bund, Kreditaufträge bei denen der Bund einem anderen den Auftrag erteilt, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einem Dritten einen Kredit zu geben.29 Voraussetzung ist, dass sich diese kreditähnlichen Verpflichtungen erst in einem zukünftigen Rechnungsjahr realisieren.30 4. Kreditermächtigungen für die Bundesregierung Die Aufnahme von Krediten oder kreditähnlichen Verpflichtungen steht unter dem Vorbehalt des Gesetzes und unterliegt damit nach Grund und Höhe besonderen Bestimmtheitsanforderungen.31 Das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung für Kredite ergänzt das Ausgabenbewilligungsrecht des Parlaments und gehört zum Kern des parlamentarischen Budgetrechts.32 Üblicherweise 24 BT-Drucks. 16/12 410, S. 10 f. („unerfüllbare Informationsanforderungen“); auch Kienemund, in: Hömig (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2010, Art. 109 Rdnr. 9. Freilich müssen die einzelnen Defizite, soweit sie im Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts erfasst werden, auch gemeldet werden und mithin bekannt sein; ähnlich G. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 109 Rdnr. 83 (unter Verweis auf die Einbeziehung der Defizite von Sozialversicherungsträgern in die Staatshaushalte einzelner Länder); kritisch zur Begründung des Gesetzentwurfs auch Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2011, Art. 109 Rdnr. 49; Reimer, in: BeckOK zum GG, Stand: 15. Januar 2011, Art. 109 Rdnr. 50. 25 So z.B. Kube in : Maunz/Dürig, 86. EL Januar 2019, GG Art. 109 Rn. 119. 26 BVerfG NVwZ 1990, 357 unter II.3.b. 27 statt aller Groh, Schuldenbremse und kommunale Selbstverwaltungsgarantie, LKV 2010, 1 28 Reimer in BeckOK Grundgesetz/Reimer, 41. Ed. 1.3.2015, GG Art. 115 Rn. 23. 29 Reimer in BeckOK Grundgesetz/Reimer, 41. Ed. 1.3.2015, GG Art. 115 Rn. 24; Kube in: Maunz/Dürig, 86. EL Januar 2019, GG Art. 115 Rn. 79-81. 30 Reimer in BeckOK Grundgesetz/Reimer, 41. Ed. 1.3.2015, GG Art. 115 Rn. 25. 31 BeckOK Grrundgesetz/Reimer, GG, Art. 115, Rn. 26. 32 Dreier GG/Heun, GG. Art. 115, Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 9 geschieht dies durch Aufnahme in das Haushaltsgesetz. Zulässig wäre aber auch eine Kreditermächtigung durch jedes andere (förmliche) Bundesgesetz.33 Die Ermächtigung kann befristet (z.B. im Haushaltsgesetz) oder unbefristet sein (z.B. § 6 III StabG), sie muss aber ausdrücklich erfolgen. Die Ermächtigungen bestimmen den Höchstbetrag der Kredite und Gewährleistungen. Der Höchstbetrag der Kredite bezieht sich nicht nur auf die Nettokreditaufnahme, sondern schließt auch die Kredite zur Tilgung früherer Kredite ein (Bruttokreditaufnahme). Die Ermächtigung muss in der Regel bestimmt, zumindest aber bestimmbar sein. Bestimmbarkeit bedeutet, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der künftigen Verbindlichkeiten so festgelegt sein müssen, dass daraus der Höchstbetrag ableitbar ist. Gewährleistungsermächtigungen müssen hingegen gemäß § 39 I BHO der Höhe nach immer bestimmt sein, können allerdings wiederholt ausgenutzt werden .34 Die Kreditobergrenze bildet die Strukturkomponente in Höhe von 0,35 vom Hundert des Bruttoinlandsprodukts , die um die konjunkturabhängige Komponente erhöht bzw. reduziert wird. 5. Wie lässt sich die Infrastrukturgesellschaft des Bundes in diesen Rahmen einordnen? Hat sie eine eigene Kreditermächtigung? Werden die Schulden der Infrastrukturgesellschaft der Schuldenbremse hinzugerechnet? Umstritten war in den Gesetzesberatungen, ob es der „Bundesautobahngesellschaft“ erlaubt sein sollte, Kredite aufzunehmen. Bejahendenfalls könnte der Bund die Gesellschaft anweisen, den Bau und die Erhaltung von Bundesautobahnen maßgeblich durch Einsatz von Fremdkapital zu finanzieren. Auf diese Weise könnte der Bund versucht sein, eine eigene Kreditaufnahme zur Finanzierung der Bundesautobahnen auf die Gesellschaft zu verlagern. Dies begründete die Gefahr nicht nur einer Umgehung der nationalen „Schuldenbremse“ gem. Art. 109 Abs. 3 GG und Art. 115 Abs. 2 GG, sondern auch einer Verletzung der sog Maastricht-Kriterien des Unionsrechts (Art. 126 AEUV) und des europäischen Fiskalpakts.35 Verfassungsrechtlich wurde dazu keine besondere Regelung in Art. 90 GG aufgenommen, so dass sich die Frage stellt, ob eine mögliche Kreditaufnahme der „Bundesautobahngesellschaft“ mit Blick auf Art. 109 Abs. 3 GG und Art. 115 Abs. 2 GG dem Bund zuzurechnen wäre. Eindeutig ist die einfachgesetzliche Rechtslage: § 7 Abs. 1 S. 3 InfrGG verbietet der Gesellschaft, Kredite am Markt aufzunehmen. Zudem ist aus § 5 Abs. 2 S. 3 und Abs. 1 S. 4 InfrGG zu entnehmen , dass eine „Finanzierungsprivatisierung“ nicht zulässig ist, weil die „Bundesautobahngesellschaft “ Private zwar bei Planung, Bau, Betrieb und Erhalt von Bundesautobahnen einbeziehen darf, nicht aber bei deren Finanzierung. Abgesehen davon schließt § 1 Abs. 2 S. 3 33 BeckOK Grrundgesetz/Reimer, GG, Art. 115, Rn. 27. 34 Dreier GG/Heun, GG. Art. 115, Rn. 19. 35 Maunz/Dürig/Gröpl, GG, Art. 90, Rn. 60. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 10 InfrGG eine Übertragung von (Alt-)Schulden des Bundes oder Dritter auf die Gesellschaft aus. Auch das ist verfassungsrechtlich indessen nicht eindeutig vorgegeben.36 Noch im Gesetzgebungsvorverfahren wollte der Bundesrat in Art. 90 GG sichergestellt wissen, dass bei einer Zuordnung von Schulden zur „Bundesautobahngesellschaft“ deren Überschuldung ausgeschlossen werde und dass der Bund eine „Staatsgarantie“ übernehme, um günstige Zinsbedingungen für die Gesellschaft zu erreichen. All dies lehnte die Bundesregierung ab; nach ihrer Ansicht sollen der „Bundesautobahngesellschaft“ keine Altschulden zugeordnet werden.37 In das Grundgesetz wurden keine einschlägigen Regelungen aufgenommen. 6. Einordnung des Vorschlags von Bundeswirtschaftsminister Altmaier zu einer „Klima-Stiftung “ in Abgrenzung zu einem „Extra-Haushalt“ mit Blick auf die „Schuldenbremse“ Extra-Haushalte oder Sondervermögen des Bundes sind wirtschaftlich verselbstständigte, rechtlich unselbstständige Vermögensteile, die aus dem Bundesvermögen getrennt und mit eigenem Haushalt versehen sind, um Aufgaben zu erfüllen, die sonst das Budget hätte übernehmen müssen . Nach Art. 115 Absatz 1 GG neuer Fassung unterliegen die Kreditermächtigungen des Kernhaushalts und der Sondervermögen der maximal zulässigen Nettokreditaufnahme. Die zum 31.12.2010 bestehenden Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben davon unberührt.38 Stiftungen können in unterschiedlichen Rechtsformen begründet werden. Stiftungen können sowohl als juristische Personen (rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts) als auch in Trägerschaft eines Treuhänders (nichtrechtsfähige, unselbstständige, treuhänderische oder fiduziarische Stiftung) errichtet werden. Stiftungsähnliche juristische Personen können außerdem in der Rechtsform der Stiftungs-GmbH, der Stiftungs-AG oder des Stiftungs-Vereins errichtet werden. Die konkrete Konzeption der sogenannten „Klima-Stiftung“ kann der medialen Berichterstattung nicht im Detail entnommen werden. Zu vermuten ist jedoch, dass diese als rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts begründet werden könnte. In dieser Rechtsform unterliegt sie nicht den Regelungen aus Art. 109 Abs. 3 GG. Diese Nichtgeltung der Art. 109 Abs. 3 und 115 Abs. 2 GG für selbstständige juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts wird selbst dann angenommen, wenn die juristische Person vom Bund finanziert wird oder der Bund für die Verbindlichkeiten der juristischen Person haftet.39 Die Haushalte werden jedoch dem Bundeshaushalt zugerechnet, wenn sie offensichtlich missbräuchlich zur Umgehung der 36 Maunz/Dürig/Gröpl, GG, Art. 90, Rn. 60. 37 BT-Drs. 18/11186, S. 1. 38 Gabler, Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/sondervermoegen-des-bundes- 46461/version-269741 [30.09.19]. 39 Hermes, Privatisierung der Infrastruktur als Weg aus der Schuldenbremse?, Frankfurt am Main, Dezember 2016, S. 17. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 124/19 Seite 11 Schuldenbremse genutzt werden. Nach Hermes werden dazu in der Literatur folgende Fallkonstellationen benannt:40 - Private Dritte nehmen Kredite im Auftrag und für Rechnung des Bundes auf; also die Konstellation, dass der Bund einen Dritten beauftragt, für Rechnung des Bundes Kredite zur Finanzierung von Bundesaufgaben aufzunehmen. - Kreditaufnahme durch Dritte – zwar auf eigene Rechnung, der Bund ist aber an dem Dritten wesentlich beteiligt, übernimmt den Schuldendienst und hat die Konstellation mit dem maßgeblichen Motiv gewählt, Schulden formal auszulagern. - Es werden mit den Krediteinnahmen Bundes- bzw. Landesaufgaben finanziert und der Schuldendienst wird von Bund bzw. Land getragen. - Private Dritte nehmen Kredite auf im Auftrag des Bundes, zwar auf eigene Rechnung, aber allein zur Finanzierung von Bundesaufgaben. - Juristische Personen des öffentlichen Rechts ohne eigene Sachaufgaben sind zur Kreditaufnahme ermächtigt und dienen somit allein der Finanzierung des Bundes. Hermes vertritt daher die Ansicht, dass der Bund den selbstständigen juristischen Personen nur eine hinreichend gehaltvolle Sachaufgabe zuweisen müsste, um nicht unter die Schuldenbremse zu fallen.41 Mit dem „Klimaschutz“ könnte im vorliegenden Fall eine entsprechend gehaltvolle Sachaufgabe vorliegen. Jedoch könnte auch argumentiert werden, dass die Bundesregierung den Klimaschutz als zentrale Herausforderung und politisches Ziel definiert hat und folglich mit dem Stiftungsmodell der Versuch unternehmen würde, die Regelungen aus Art. 109 Abs. 3 GG bewusst zu unterlaufen . Folglich würde sie dann unter die Regelungen des Art. 109 Abs. 3 i.V.m. Art. 115 GG fallen . Eine abschließende Prüfung ist jedoch nur möglich, wenn ein detailliertes Umsetzungskonzept vorliegt. *** 40 Hermes, Privatisierung der Infrastruktur als Weg aus der Schuldenbremse?`, Frankfurt am Main, Dezember 2016, S. 18. 41 Hermes, Privatisierung der Infrastruktur als Weg aus der Schuldenbremse?`, Frankfurt am Main, Dezember 2016, S. 18.