© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 123/20 Die Wahrnehmung der Rechte eines Untersuchungsausschusses im Anwendungsbereich des Steuergeheimnisses Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 2 Die Wahrnehmung der Rechte eines Untersuchungsausschusses im Anwendungsbereich des Steuergeheimnisses Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 123/20 Abschluss der Arbeit: 24. November 2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Die Rechte eines Untersuchungsausschusses im Bereich des Steuergeheimnisses 4 3. Anwendungsvoraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO 7 4. Rechtsprechung zu Fällen des zwingenden öffentlichen Interesses im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO 8 4.1. Entscheidungen zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen 8 4.2. Der presserechtliche Auskunftsanspruch und das Steuergeheimnis 9 4.3. Offenbarung von Steuerdaten im Gewerbeuntersagungsverfahren 10 5. Mögliche Rechte eines Untersuchungsausschusses im Fall „Warburg-Bank“ 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Auftraggeberin möchte einen Überblick über die Rechte eines Untersuchungsausschusses im Anwendungsbereich der Schranken des Steuergeheimnisses erhalten. Dazu stellt sie folgende Fragen: 1. Auf Basis welcher Rechtsgrundlagen kann ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Ausnahmen vom Steuergeheimnis nach §30 AO (Einschränkung/Aufhebung) für seine Arbeit beanspruchen ? 2. Welche konkreten Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit nach § 30 Absatz 4, Nummer 5 AO ein "zwingendes öffentliches Interesse" vorliegt? 3. Welche Entscheidungen in der Rechtsprechung gibt es, bei denen die Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten im Rahmen des § 30 AO als zulässig erachtet wurde und auf Grundlage welcher konkreten Voraussetzungen wurde die Offenbarung gewährt? 4. Welche Gründe könnten dafür sprechen, dass die Aufhebung des Steuergeheimnisses im Fall der Warburg Bank im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Hamburg möglich ist? 5. Welche erweiterten Rechte vermittelt die StPO einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss bei der Beweiserhebung in Steuerangelegenheiten, insbesondere im Hinblick auf § 30 AO?1 2. Die Rechte eines Untersuchungsausschusses im Bereich des Steuergeheimnisses Parlamentarische Untersuchungsausschüsse erhalten ihre rechtliche Legitimation unmittelbar aus dem Grundgesetz bzw. den Landesverfassungen. So sieht Art. 44 Abs. 1 GG2 vor, dass der Bundestag das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht hat, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt . Absatz 2 erklärt zur Bestimmung des Beweiserhebungsrechts von Untersuchungsausschüssen die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) für sinngemäß anwendbar. Art. 44 Abs. 3 GG verpflichtet Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Rechts- und Amtshilfe gegenüber einem Untersuchungsausschuss. Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (PUAG) enthält seit dem Jahr 2001 auf einfachgesetzlicher Ebene weitere konkretisierende Regelungen. „Zur Erfüllung des Untersuchungsauftrages stellt Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG für Beweiserhebungen die Vorschriften über den Strafprozess zur Verfügung, allerdings nur sinngemäß. Art. 44 Abs. 2 1 Diese Fragestellung wird in der Kurzinformation WD 7 – 3000 – 119/20 beantwortet. 2 In den Landesverfassungen gelten ähnliche Regelungen: so bspw. Art. 26 Hamburgische Landesverfassung, Art. 41 Verfassung des Landes NRW Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 5 Satz 1 GG stellt damit die Beweiserhebungen, die einen wesentlichen Teil der Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse darstellen, da sie nach Art. 44 Abs. 1 GG eingesetzt sind, um die „erforderlichen Beweise“ zu erheben, unter ein besonderes Rechtsregime: der sinngemäßen Anwendung der Vorschriften über den Strafprozess. Beweiserhebungen sind damit nicht nur von Amtshilfeersuchen , sondern auch von internen Verfahren des Untersuchungsausschusses abgehoben. Werden sie durchgeführt, sind die Vorschriften über den Strafprozess in sinngemäßer Anwendung heranzuziehen. Unzweifelhaft sind dadurch die Vorschriften der Strafprozessordnung gemeint , die Beweiserhebungen regeln: Das sind die Vorschriften, die sich mit den Beweismitteln Zeuge, Sachverständiger, Augenschein und Urkunde befassen: §§ 48 bis 111n StPO. Außerdem sind anwendbar die Bestimmungen, die auf die Beweisaufnahme in einer Verhandlung bezogen sind: §§ 226 ff. StPO.“3 Art. 44 Abs. 3 GG sieht dagegen ein Recht auf Amtshilfe für die Untersuchungsausschüsse vor. Das BVerfG hat die Rechte eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses aus Art. 44 Abs. 3 GG jedoch weit ausgelegt: „Das Recht auf Aktenvorlage kann nicht lediglich als Teil des Rechts auf Amtshilfe gedeutet werden. Wenn ein Untersuchungsausschuss des Bundestages von Behörden , die seiner Kontrolle nicht unterliegen, also etwa solchen der Länder und der Gemeinden, Akten anfordert, mag dies als Inanspruchnahme von Amtshilfe anzusehen sein. Das Recht auf Vorlage von Akten der dem Bundestag verantwortlichen Regierung ist demgegenüber Bestandteil des parlamentarischen Kontrollrechts. Die Beziehungen zwischen Bundestag und Bundesregierung können nicht durch den in anderen Bereichen entwickelten Begriff der Amtshilfe beschrieben werden; sie sind durch ihre verfassungsrechtlichen Kompetenzen bestimmt.“4 Das Steuergeheimnis ist in § 30 der Abgabenordnung (AO) geregelt. „Das Steuergeheimnis hat zwar nicht den Rang eines Grundrechts, der Schutz der durch § 30 geschützten Daten kann aber gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG verfassungsrechtlich geboten sein.5 Er ist Ausfluss des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung. Der tiefgreifende Einblick, der dem Staat in die persönlichen Verhältnisse des Bürgers durch die Offenbarungs- und Mitwirkungspflichten nach der AO gewährt wird, fordert, dass die so erlangten Informationen nur zweckgerichtet verwendet werden dürfen und ihre Weitergabe nur unter gesetzlich genau definierten Voraussetzungen erfolgen darf. § 30 gewährleistet den verfassungsrechtlich notwendigen Schutz des Bürgers vor einer Zweckentfremdung der durch die Behörden erhobenen Daten und sichert den verfassungsrechtlichen Anspruch des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung6.“7 3 Stern, Klaus: „Die Kompetenz der Untersuchungsausschüsse nach Artikel 44 Grundgesetz im Verhältnis zur Exekutive unter besonderer Berücksichtigung des Steuergeheimnisses“ in AöR 1984, S. 199 ff. (233) 4 BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 – 2 BvE 11/83 –, BStBl II 1984, 634, BVerfGE 67, 100-146, Rn. 99 (Flick-Ausschuss ) 5 ebenda 6 BVerfG 2 BvR 1493/89, BStBl. II 1991, 654; BFH II R 15/12, BFH/NV 2013, 1277 7 Koenig/Intemann, 3. Aufl. 2014, AO § 30 Rn. 5; beck-online Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 6 „Dem Auskunfts- und Vorlagebegehren von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen steht das Steuergeheimnis grundsätzlich nur dann nicht entgegen, wenn der Untersuchungsausschuss im Rahmen politischer Kontrolle handelt und nicht lediglich Verwaltungskontrolle ausüben will, da diese in die Zuständigkeit der Rechnungshöfe fällt. Die Kontrollbefugnis des Parlaments erstreckt sich grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge; es kann nicht in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen eingreifen. Beweiserhebungsrecht und grundrechtlicher Datenschutz müssen im konkreten Fall einander so zugeordnet werden, dass beide so weit wie möglich ihre Wirkungen entfalten. Das Kontrollrecht des Parlaments gestattet in aller Regel dann keine Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Eigentumsschutzes, wenn Parlament und Regierung Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte Zusammenwirken beider Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten, und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.“8 Ein Offenbarungsanspruch des Untersuchungsausschusses setzt ferner voraus, dass der Ausschuss in Ausübung von politischer Parlamentskontrolle mit einem hinreichend bestimmten Untersuchungsauftrag zur Aufklärung von Sachverhalten tätig wird, die in einem sachlichen Zusammenhang zu den vom Ausschuss erbetenen Auskünften und Akten stehen.9 Das Auskunftsbegehren darf den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, das heißt die Intimsphäre eines Betroffenen nicht berühren. Es darf sich nicht auf solche Informationen erstrecken, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar ist10 oder deren Offenbarung mit dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen unvereinbar wäre.11 Vor der Offenbarung von Steuergeheimnissen hat sich die Finanzbehörde in eigener Verantwortung zu vergewissern, ob die von dem Untersuchungsausschuss getroffenen Geheimschutzvorkehrungen ausreichend sind.“12 In der Literatur werden vereinzelt, auf Grund ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung, auch weitreichendere Befugnisse für Untersuchungsausschüsse befürwortet. So vertrat Rupert Scholz die Auffassung, dass auf Grund des evidenten Unterschieds zwischen dem Status und den Funktionen von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen einerseits und Gerichten andererseits sich jede pauschale Gleichstellung von vornherein verbiete.13 Für Scholz ist kraft der „Teil-Verfassungsorganqualität der Untersuchungsausschüsse ein Vergleich nur mit dem Bundesverfassungsgericht angebracht und damit „rechtspolitisch“ eine Analogie zu § 28 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) erwägenswert. Daraus folgert er, „dass vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nämlich und prinzipiell keine Arkanzone der Exekutive gelten kann; dass 8 BVerfG BStBl 84, 634 = BVerfGE 67, 100 (139 ff); BVerfG 21.10.2014 – 2 BvE 5/11, BVerfGE 137, 185; FG Saarl 27.4.2016 – 2 V 1088/16, StRE 2016, 1388 9 BFH/NV 93, 579 10 BVerfGE 67, 140, 144 11 VerfGH NRW 19.8.2008 – 7/07, NVwZ-RR 2009, 41 12 BVerfGE 67, 100 (140, 144) 13 Scholz, Rupert: „Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis“ in Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 1980, 564-622 (608) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 7 vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen prinzipiell kein Geheimnisschutz zugunsten der öffentlichen Verwaltung gelten kann – abgesehen von bestimmten noch zu präzisierenden Ausnahmen“14, nämlich in eng begrenzten Angelegenheiten eines „lebenswichtigen Staatsinteresses “15. Dass dazu nicht das Steuergeheimnis gehört, steht für Scholz außer Frage.16 Ungeachtet dieses Einzelergebnisses ist für Scholz maßgeblich, dass zwar von einer prinzipiellen Anwendbarkeit der §§ 54, 96 StPO auszugehen ist, dass aber eine verfassungskonforme Auslegung dieser Bestimmungen lediglich zu einem „Verfahrensvorbehalt“ in dem Sinne führt, dass Entscheidungen des Dienstherrn bzw. der obersten Dienstbehörde „vorgeschaltet bleiben“17. „Materielle Weigerungsgründe ergeben sich daraus nicht, es sei denn lebenswichtige Interessen des Bundes oder der Länder oder Grundrechte des Bürgers werden verletzt.“18 3. Anwendungsvoraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO gestattet die Offenbarung von Steuerdaten, wenn dies im „zwingenden öffentlichen Interesse“ liegt. „Die Rechtsprechung lässt weitgehende Durchbrechungen des Steuergeheimnisses aufgrund eines angeblich zwingenden öffentlichen Interesses zu.19 Aus der Auflistung in § 30 Abs. 4 ergibt sich als Auslegungsrichtschnur, dass nach dem Willen des Gesetzgebers weder das Informationsinteresse Einzelner20, auch nicht ohne weiteres das der Öffentlichkeit 21, noch die allgemeinen Kontrollrechte des Parlaments ein zwingendes öffentliches Interesse im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 begründen. Insofern ist eine Offenbarung von Steuerdaten grundsätzlich nur mit dem Einverständnis des Betroffenen zulässig (§ 30 Abs. 4 Nr. 3). Die in § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchstaben a bis c nicht benannten Fälle müssen den dort genannten gleichwertig sein, um eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses zu rechtfertigen. Es gibt aber kein Gebot, § 30 Abs. 4 Nr. 5 „restriktiv“ anzuwenden.22“23 14 Scholz: ebenda 15 Scholz: aaO., S. 611 16 Scholz: aaO., S. 616 17 Scholz: aaO., S. 615 18 Scholz: aaO., S. 616 ff. 19 Vgl. BFH BStBl 08, 337; BGH NJW 2005, 763 20 BFH BStBl 69, 676; BFH/NV 86, 195 21 Stahl/Demuth DStR 08, 600 für ein bloßes „Sensationsinteresse“ 22 Vgl. BFH BStBl 03, 828 23 Klein/Rüsken, 15. Aufl. 2020 Rn. 182, AO § 30 Rn. 182 (beck-online) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 8 Hey beschreibt das zwingende öffentliche Interesse in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO als „die Achillesferse des Steuergeheimnisses. Zudem behindert die Kasuistik des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO eine teleologisch folgerichtige Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffs zwingendes öffentliches Interesse , weil unklar ist, ob die einzelnen Beispielsmerkmale methodisch zum Umkehrschluss führen oder ob der Rechtsanwender stets auf die Generalklausel zurückgreifen darf, weil im Buchstabenkatalog des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Hs. 2 AO nur Beispiele aufgeführt sind.“24 4. Rechtsprechung zu Fällen des zwingenden öffentlichen Interesses im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO Die Rechtsprechung hat sowohl für den Bereich der Untersuchungsausschüsse als auch für den presserechtlichen Auskunftsanspruch und für gewerberechtliche Unterlassungsverfahren Kriterien für das Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses festgelegt. 4.1. Entscheidungen zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen BVerfGE 67, 100 (Flick-Ausschuss): Gegenstand der zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Organstreitverfahren war die Frage, ob die Bundesregierung, der Bundesminister der Finanzen und der Bundesminister für Wirtschaft dadurch gegen Art. 44 GG verstoßen haben, dass sie die vom 1. Untersuchungsausschuss des 10. Deutschen Bundestages (sogenannter Flick-Ausschuss ) angeforderten Akten unter Berufung auf das Steuergeheimnis nur unvollständig vorgelegt haben. „Die Vorschriften über das Steuergeheimnis in § 30 AO enthalten überdies selbst Ausnahmetatbestände zugunsten einer Offenbarung von Daten, die dem Steuergeheimnis unterliegen. Hinsichtlich der parlamentarischen Kontrolle durch Untersuchungsausschüsse kommt die Vorschrift des Abs. 4 Nr. 5 in Betracht, wonach die Offenbarung zulässig ist, wenn für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Dieses ist - unbeschadet grundrechtlicher Schranken - namentlich dann gegeben, wenn die Offenbarung zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen erforderlich ist, die geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern (§ 30 AO Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO). Dieser Ausnahmetatbestand ist verfassungskonform so auszulegen, dass er auch den Fall des Aktenvorlageverlangens des Untersuchungsausschusses trifft, mit dem der Bundestag in der Öffentlichkeit verbreiteten Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit der Exekutive nachgeht, die auch die Steuermoral der Bürger nachhaltig erschüttern könnten.“25 BFH/NV 93, 579 (Aktenherausgabe): Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte über die Rechtmäßigkeit der Aktenherausgabe an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des saarländischen Landtags im einstweiligen Rechtsschutz zu entscheiden. Im Beschluss heißt es zu den Anforderungen an das öffentliche Interesse im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO bei Untersuchungsausschüssen : 24 Tipke/Lang/Hey: Steuerrecht, Kapitel 21, C, Rn. 21.21 (juris) 25 BVerfGE 67, 100, Beschluss v. 17. Juli 1984, Az: 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83, Rn. 133 (juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 9 „Ein Aktenherausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses, der im öffentlichen Interesse die Durchbrechung des Steuergeheimnisses rechtfertigt (vgl. § 30 Abs.4 Nr.5 AO 1977), kann nur dann bestehen, wenn der Ausschuss in Ausübung von politischer Parlamentskontrolle zur Aufklärung von Sachverhalten tätig wird (§ 38 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes). Daraus folgt, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Untersuchungsauftrag und den vom Ausschuss erbetenen Auskünften und Akten bestehen muss. Die Regierung bzw. die Verwaltung hat deshalb gegenüber einem Aktenherausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses zunächst zu prüfen, ob sich überhaupt geheimzuhaltende Tatsachen in jenen Akten befinden, die mit dem Untersuchungsauftrag im Zusammenhang stehen. Wie das BVerfG hierzu ausgeführt hat, ist im Rahmen der Verpflichtung der Behörden zur Unterstützung der Ausübung des Kontrollrechts des Parlaments die Geheimhaltung solcher Tatsachen unproblematisch, die mit dem Kontrollauftrag eines Untersuchungsausschusses, wie ihn das Parlament formuliert hat, in keinem sachlichen Zusammenhang stehen. Insoweit nimmt die Regierung ihre eigene Verantwortung wahr, wenn sie dafür sorgt, dass geheimzuhaltende Tatsachen nicht ohne Notwendigkeit dritten Stellen, seien es solche der Exekutive, der Legislative oder der Judikative, zugänglich werden. Jede Weitergabe eines Dienstgeheimnisses vermehrt die Gefahr, dass es allgemein bekannt wird. Erst wenn der notwendige Zusammenhang des Akteninhalts mit dem Untersuchungsauftrag festgestellt worden ist, hat die Regierung nach dem Urteil des BVerfG weiter zu prüfen, wie dem Kontrollauftrag des Parlaments genügt und zugleich das Dienst- bzw. Steuergeheimnis gewahrt werden kann oder ob dieses im übergeordneten öffentlichen Interesse durchbrochen werden muss.“26 4.2. Der presserechtliche Auskunftsanspruch und das Steuergeheimnis FG Berlin-Brandenburg 7 V 7357/07: Das Finanzgericht hatte eine Weitergabe von Steuerdaten an die Presse auf Grund des Vorwurfs unberechtigter Außenprüfungen bei mehreren Abgeordneten zu bewerten. Bezüglich des öffentlichen Interesses stellte das Finanzgericht fest: „Aufgrund der im Verfahren nach § 114 Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen summarischen Prüfung ist das Gericht davon überzeugt, dass in der Öffentlichkeit unwahre Tatsachen verbreitet worden sind. Dabei ist unerheblich, ob der durch das Steuergeheimnis geschützte Steuerpflichtige selbst oder Dritte die Tatsachen verbreitet haben. Im Rahmen der Ermessensausübung ist jedoch zu würdigen, inwieweit der Steuerpflichtige an der Veröffentlichung mitgewirkt hat. […] Die Verbreitung [der Steuerdaten] ist im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO erforderlich, um die oben dargestellten unwahren Tatsachen in der Öffentlichkeit richtig zu stellen, die geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern.“27 BVerwG (7 C 33/17): Der Kläger ist Journalist bei einer überregionalen Tageszeitung. Er begehrte vom Beklagten Auskünfte zu einem Einsatz von Polizei und Steuerfahndung in einem Swinger- Club. Der Kläger beantragte unter Bezugnahme auf § 4 Pressegesetz NRW beim Finanzministerium des Beklagten die Erteilung von Auskünften zu fünf den Einsatz betreffenden Fragen. Der Beklagte lehnte den Antrag unter Berufung auf das Steuergeheimnis ab. 26 BFH, Beschluss vom 01. Dezember 1992 – VII B 126/92 –, Rn. 37 (juris). 27 FG Berlin-Brbg., Beschluss v. 24.10.2007, Az: 7 V 7357/07, Rn. 50, 56 (juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 10 Zum öffentlichen Interesse im Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs führte das Bundesverwaltungsgericht aus: „Die Regelbeispiele [des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO] engen den Spielraum für die behördliche Entscheidung zwar insoweit ein, als für eine freie Abwägung im Einzelfall kein Raum mehr bleibt, weil der Gesetzgeber damit den Maßstab für das zwingende öffentliche Interesse vorgegeben und die Behörde sich hieran auch für die Anwendung auf unbenannte Fälle zu orientieren hat.28 Das begegnet aber keinen Bedenken. Die Regelbeispiele sind das Ergebnis einer wertenden Betrachtung der normativen Eigenarten des hier betroffenen Verwaltungsbereichs durch den Gesetzgeber. Eine solche bereichsspezifische Vorstrukturierung und Vorprägung der Abwägung ist dem Gesetzgeber auch in Ansehung der Pressefreiheit nicht versagt . Im Gegenteil war gerade der (Steuer)Gesetzgeber dazu berufen, sachspezifisch die hier geregelte Problemlage in den Blick zu nehmen und den Sach- und Rechtsstrukturen der betroffenen Sachmaterie Rechnung zu tragen.“29 4.3. Offenbarung von Steuerdaten im Gewerbeuntersagungsverfahren BFH (VII R 77/84): „Ein zwingendes öffentliches Interesse zur Offenbarung der dem Steuergeheimnis unterliegenden Verhältnisse ist dann anzunehmen, wenn im Falle des Unterbleibens der Mitteilung die Gefahr besteht, dass schwere Nachteile für das allgemeine Wohl des Bundes, eines Landes oder einer anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaft eintreten.“30 „Mitteilungen über Steuerrückstände an die Gewerbebehörden sind nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO nicht zulässig, wenn sie dem Finanzamt lediglich als Druckmittel dienen, den Gewerbetreibenden zur Zahlung seiner Steuern anzuhalten.“31 Zum öffentlichen Interesse für die Weitergabe von Steuerdaten in Verwaltungsverfahren zur Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit führt der Senat aus: „Wie sich aus den gesetzlichen Voraussetzungen für die Offenbarungsbefugnis im Zusammenhang mit der Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten (§ 30 Abs.4 Nr.5 b) AO) ergibt, ist ein schwerer Nachteil für das allgemeine Wohl, der eine Auskunftserteilung wegen zwingendem öffentlichen Interesse gestattet, insbesondere dann anzunehmen, wenn die Gefahr einer erheblichen Störung der wirtschaftlichen Ordnung oder die Gefahr einer Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des Geschäftsverkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden zu besorgen ist. Das BVerwG hat entschieden, dass eine solche Situation auch im Falle der steuerlichen Unzuverlässigkeit von Gewerbetreibenden gegeben sein kann, und deshalb die Mitteilung erheblicher Steuerschulden durch das Finanzamt an die Gewerbebehörde im Rahmen eines Gewerbeuntersagungsverfahrens für zulässig angesehen. Es hat ausgeführt, die Tätigkeit eines einzelnen unzuverlässigen Gewerbetreibenden werde zwar nur in seltenen Fällen geeignet sein, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören. Wäre es aber der Gewerbebehörde verwehrt, im Rahmen des Untersagungsverfahrens auf die Erkenntnisse der Finanzbehörde zurückzugreifen, so 28 BVerfG, Kammerbeschluss vom 6. Mai 2008 - 2 BvR 336/07 - Rn. 15 (juris) 29 BVerwG, Urteil v. 29. August 2019; Az: 7 C 33/17 Rn. 16 (juris) 30 BFH, Urteil v. 10. Februar 1987, Az: VII R 77/84, Orientierungssatz 3 (juris). 31 BFH ebenda, Orientierungssatz 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 11 könnten in einer Vielzahl von Fällen unzuverlässige Gewerbetreibende nicht von weiterer gewerblicher Tätigkeit ausgeschlossen werden. Diese über den Einzelfall hinausreichende Wirkung einer Verpflichtung der Finanzbehörde zur Auskunftsverweigerung würde eine erhebliche Störung der wirtschaftlichen Ordnung darstellen. Das öffentliche Interesse an der Offenbarung werde durch die Tatsache begründet, dass eine wirksame Anwendung des § 35 Gewerbeordnung (GewO) zu einem erheblichen Teil von der Offenbarungsbefugnis der Finanzbehörde abhänge. Wenn die Finanzbehörde als Informationsquelle ausfalle, könne das öffentliche Interesse an der Eliminierung unzuverlässiger Gewerbetreibender weitgehend nicht befriedigt werden. Ein zwingendes öffentliches Interesse an der Offenbarung sei demnach dann zu bejahen, wenn sich aus den zu offenbarenden Tatsachen ergebe, dass der Gewerbetreibende unzuverlässig und die Gewerbeuntersagung nach den Grundsätzen des § 35 GewO erforderlich sei.“32 „Der erkennende Senat schließt sich der vorstehend wiedergegebenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an. Nach § 35 Abs.1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Eine Unzuverlässigkeit in diesem Sinne kann auch dann vorliegen, wenn der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt, insbesondere, die sich auf den Betrieb gründenden Steuern nicht entrichtet . […] Auch bei steuerlicher Unzuverlässigkeit ist die Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO jedenfalls zum Schutze der Allgemeinheit in der Regel erforderlich. Denn ein Gewerbetreibender, der seine Steuern nicht entrichtet, verschafft sich auf Kosten der Allgemeinheit Wettbewerbsvorteile gegenüber den steuerlich zuverlässigen Mitbewerbern.“33 5. Mögliche Rechte eines Untersuchungsausschusses im Fall „Warburg-Bank“ Die Hamburgische Bürgerschaft hat einen Untersuchungsausschuss zum Umgang des Senats mit den sogenannten „Cum-Ex“ Fällen der Warburg Bank eingerichtet. In dem Antrag auf Einrichtung des Untersuchungsausschusses wird der Untersuchungsauftrag bestimmt. Dieser enthält u.a. folgende Sachverhalte und Fragestellungen: „Vorgänge in der Hamburger Steuerverwaltung, den Fachbehörden, im Senat und sonstigen beteiligten Stellen im Zusammenhang mit den Cum-Ex Geschäften des Bankhauses M.M.Warburg & CO, einschließlich von ihr unmittelbar oder mittelbar initiierter oder verwalteter Fonds beziehungsweise mit ihr verbundener Unternehmen oder Einzelpersonen als vertretungsberechtigtes Organ oder Anteilseigner beziehungsweise selbstständige oder unselbstständige Vermögensmassen (im Folgenden zusammengefasst aufgeführt als Bankhaus M.M.Warburg & CO) seit 1. Januar 2014 bis zum Zeitpunkt dieses Einsetzungsbeschlusses des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses . […] Warum hat die Stadt Hamburg es unterlassen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Rückzahlung der Steuern durch das Bankhaus M. M. Warburg & Co. in Höhe von 47 Millionen Euro im Jahre 2016 32 BFH, Urteil vom 10. Februar 1987, Az: VII R 77/84 –, BFHE 149, 387, Rn. 20 (juris) 33 ebenda, Rn. 21 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 12 durchzusetzen, was und wer trug hierbei konkret zur Entscheidungsfindung bei, inwiefern wurden Prüfberichte, das Vorgehen anderer Bundesländer, die Rechtsprechung und weitere Erkenntnisse und Faktoren berücksichtigt?“34 Der Untersuchungsauftrag stellt das Verhalten der politischen Verantwortungsträger und ihre Interaktion mit den Vertretern des Bankhauses Warburg in den Mittelpunkt. Das rechtmäßige Verwaltungshandeln des Finanzamtes im steuerlichen Einzelfall ist dagegen nicht Bestandteil des Untersuchungsauftrages. Damit beachten die Antragsteller die Abgrenzungskriterien der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zwischen der Aufgabe der politischen Entscheidungs- und Verhaltenskontrolle der Regierung die zum originären Zuständigkeitsbereich eines Untersuchungsausschusses gehört und der Kontrolle des Verwaltungshandelns in steuerrechtlichen Einzelfällen , die zum Zuständigkeitsbereich der Rechnungshöfe gezählt wird. Bei der öffentlichen Berichterstattung zur Warburg-Bank und dem Verhalten des damaligen Ersten Bürgermeisters der Stadt Hamburg steht der Vorwurf im Raum, dass politischer Druck auf die Entscheidungen des zuständigen Finanzamtes ausgeübt wurde, die Rückforderungsansprüche der Stadt Hamburg gegen die Warburg-Bank auf Rückerstattung der unrechtmäßig erhaltenen Steuererstattungen nicht rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfristen geltend zu machen. Dieser Vorwurf ist geeignet, das Vertrauen in die Integrität der Finanzverwaltung zu erschüttern. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Flick-Untersuchungsausschuss hat das BVerfG anerkannt, dass der Ausnahmetatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 5 c) AO verfassungskonform so auszulegen ist, dass er auch den Fall des Aktenvorlageverlangens des Untersuchungsausschusses erfasst, mit dem der Bundestag in der Öffentlichkeit verbreiteten Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit der Exekutive nachgeht, die auch die Steuermoral der Bürger nachhaltig erschüttern könnten.35 Da Art. 26 der Hamburgischen Landesverfassung eine vergleichbare Regelung für Untersuchungsausschüsse enthält wie Art. 44 GG sind die Grundsätze der BVerfG-Entscheidung auf einen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft übertragbar. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zudem klargestellt, dass nur im Bereich der „exekutiven Eigenverantwortung“ eine Nichtvorlage von Unterlagen, die den Untersuchungsauftrag des Parlamentes betreffen, möglich erscheint: „Die Bundesregierung hat hiernach gegenüber einem Aktenherausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses zunächst zu prüfen, ob sich überhaupt geheim zuhaltende Tatsachen in jenen Akten befinden, die mit dem Untersuchungsauftrag im Zusammenhang stehen. Ist dies der Fall, so eröffnet die Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages Möglichkeiten, dem von der Bundesregierung festzulegenden Geheimhaltungsgrad Rechnung zu tragen. Nimmt die Bundesregierung das Recht für sich in Anspruch, geheim zuhaltende Tatsachen dem Untersuchungsausschuss vorzuenthalten, so muss sie den Ausschuss, gegebenenfalls in vertraulicher Sitzung, de- 34 Hamburgische Bürgerschaft Drucksache 22/1762, S. 3 f. 35 BVerfG, 2 BvE 11/83 –,BVerfGE 67, 100-146; Leitsatz 4.2 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 123/20 Seite 13 tailliert und umfassend über die Art der Schriftstücke, die Natur der zurückgehaltenen Informationen , die Notwendigkeit der Geheimhaltung und den Grad der Geheimhaltungsbedürftigkeit unterrichten , der diesen Tatsachen ihrer Auffassung nach zukommt. Dazu ist die Regierung gehalten , dem Untersuchungsausschuss für die Erörterung ihres Standpunktes zur Verfügung zu stehen . Hat der Untersuchungsausschuss Grund zu der Annahme, dass zurückgehaltene Informationen mit dem ihm erteilten Kontrollauftrag zu tun haben und besteht er deshalb auf Herausgabe der Akten, so hat die Regierung die vom Untersuchungsausschuss genannten Gründe zu erwägen und, sollten sie ihre Auffassung nicht erschüttern können, zu prüfen, welche Wege beschritten werden können, um den Untersuchungsausschuss davon zu überzeugen, dass seine Annahme nicht zutrifft. In der Vergangenheit hat die Bundesregierung zu diesem Zweck gelegentlich dem Vorsitzenden des Ausschusses und seinem Stellvertreter Akteneinsicht gewährt. Das ist eine der möglichen Verfahrensweisen.“36 „Angesichts dieser Verfassungslage und Verfahrensmöglichkeiten dürften sich nur unter ganz besonderen Umständen Gründe finden lassen, dem Untersuchungsausschuss Akten unter Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes vorzuenthalten. Solche Gründe können sich insbesondere aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ergeben. Die Verantwortung der Regierung gegenüber Parlament und Volk37 setzt notwendigerweise einen "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung " voraus38, der einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Dazu gehört zum Beispiel die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht. Die Kontrollkompetenz des Bundestages erstreckt sich demnach grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge. Sie enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. Aber auch bei abgeschlossenen Vorgängen sind Fälle möglich, in denen die Regierung aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung geheimzuhaltende Tatsachen mitzuteilen nicht verpflichtet ist.“39 *** 36 ebenda, Rn. 125 f. (juris) 37 vgl. BVerfGE 9, 268 (281) 38 Scholz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 598. 39 BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 – 2 BvE 11/83 –, BVerfGE 67, 100-146, Rn. 127 f. (juris).