© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 121/20 Gewerbesteuerrückzahlungen durch Gemeinden Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 121/20 Seite 2 Gewerbesteuerrückzahlungen durch Gemeinden Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 121/20 Abschluss der Arbeit: 12. November 2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 121/20 Seite 3 1. Gewerbesteuer und Gewerbesteuerrückzahlungen Die Gewerbesteuer ist eine Gemeindesteuer, sie wird von den Gemeinden erhoben. Der Bund und die Länder werden durch eine Umlage an der Gewerbesteuer beteiligt. Steuergegenstand ist der Gewerbebetrieb und seine objektive Ertragskraft. Besteuerungsgrundlage ist der Gewerbeertrag, der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zu ermitteln ist. Das Aufkommen der Gewerbesteuer hängt unmittelbar mit der wirtschaftlichen Lage der Gewerbebetriebe zusammen. Es kommen verschiedene Fälle vor, in denen Gemeinden verpflichtet sind, die zuvor vom Steuerpflichtigen vereinnahmte Gewerbesteuer an ihn zurückzuzahlen. Dazu gehören zum Beispiel die Rückzahlung zu hoher Vorauszahlungen nach Feststellung des tatsächlichen steuerpflichtigen Gewinns, Steuerrechtsänderungen zugunsten des Steuerpflichtigen, eine für den Steuerpflichtigen positiv verlaufende Betriebsprüfung oder eine steuerwirksame Anpassung der Bemessungsgrundlage durch den Steuerpflichtigen selbst. Im weiteren Text wird zur Eingrenzung des Themas davon ausgegangen, dass es sich bei der Steuerpflichtigen um eine Kapitalgesellschaft handelt, die ihren steuerlichen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt und somit beim Finanzamt unter anderem eine (Steuer)Bilanz einreicht. Ferner soll sie in den vorherigen Jahren zu hohe Gewinne ausgewiesen haben. 2. Änderungen von Bilanzen und Steuerfestsetzungen Ausgangspunkt für die Bemessung der Körperschaftsteuer ist der nach den steuerlichen Vorschriften ermittelte Gewinn. Inwieweit eine nachträgliche Korrektur der Gewinnermittlung steuerrechtlich zulässig ist, beschreibt § 4 Abs. 2 EStG: „Der Steuerpflichtige darf die Vermögensübersicht (Bilanz) auch nach ihrer Einreichung beim Finanzamt ändern, soweit sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes nicht entspricht; diese Änderung ist nicht zulässig, wenn die Vermögensübersicht (Bilanz) einer Steuerfestsetzung zugrunde liegt, die nicht mehr aufgehoben oder geändert werden kann. Darüber hinaus ist eine Änderung der Vermögensübersicht (Bilanz) nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Änderung nach Satz 1 steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach Satz 1 auf den Gewinn reicht.“ Die Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) R 4.4 unterscheiden zwischen einer Bilanzänderung und einer Bilanzberichtigung: – Bei einer Bilanzänderung wird ein möglicher steuerlich zulässiger Bilanzansatz durch einen anderen steuerlich zulässigen Bilanzansatz ersetzt. Die strengen Voraussetzungen in Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 121/20 Seite 4 § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG sollen bloße Bilanzänderungen einschränken Sie eröffnen dem Steuerpflichtigen aber andererseits die Möglichkeit, Mehrgewinne zum Beispiel nach einer Betriebsprüfung durch eine Neuausübung von Bilanzierungswahlrechten zu kompensieren.1 – Ist der Ansatz in der Bilanz unrichtig, kann der Steuerpflichtige den Fehler durch eine entspreche Mitteilung an das Finanzamt berichtigen (Bilanzberichtigung). Ein Bilanzansatz ist unrichtig, wenn er gegen zwingende Vorschriften des EStG oder des Handelsrechts oder gegen die einkommensteuerrechtlich zu beachtenden handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verstößt. Dabei spielen subjektive Fehler des Steuerpflichtigen keine Rolle. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass Verwaltung und Gerichte verpflichtet sind, ihrer Entscheidung die objektiv richtige Rechtslage zugrunde zu legen, weil an der gesetzmäßigen, das heißt insbesondere gleichmäßigen Besteuerung ein hohes öffentliches Interesse besteht, das in grundlegenden verfassungsrechtlichen Garantien verankert ist. „Den vom Steuerpflichtigen vertretenen Rechtsansichten kommt auch dann keine Bedeutung zu, wenn sie bei der Aufstellung der Bilanz vertretbar waren oder der damals herrschenden Auffassung entsprachen.“2 Die Bilanzberichtigung wird bei einer Kapitalgesellschaft durch den gesetzlichen Vertreter vorgenommen.3 Soweit eine Bilanzberichtigung nicht möglich ist, ist der falsche Bilanzansatz grundsätzlich in der Schlussbilanz des ersten Jahres, dessen Veranlagung geändert werden kann, erfolgswirksam richtig zu stellen. Die aufgrund der Bilanz erfolgte Steuerfestsetzung ist durch eine Bilanzänderung in vollem Umfang änderbar, wenn der Steuerbescheid gemäß § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht.4 Sie ist eingeschränkt änderbar, soweit der Bescheid nach § 165 AO vorläufig festgesetzt ist.5 Ist der Steuerbescheid hingegen bestandskräftig, wäre eine danach erfolgte Bilanzberichtigung grundsätzlich ohne Wirkung. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen die Steuerfestsetzung auch nach ihrer Bestandkraft geändert werden muss. Von den zahlreichen denkbaren Fallkonstellationen sind insbesondere die Fälle gemäß H 4.4 EStR zu nennen, nach denen insoweit auch eine Bilanzberichtigung noch möglich ist. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, „soweit 1 Licht, Daniel; Müller, Florian: Bilanzänderung und Bilanzberichtigung, Haufe Steuer Office Kanzlei-Edition Online , (HI1093764), Randziffern 50 und 53. 2 Bundesfinanzhof Großer Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013, GrS 1/10, Randziffer 61f. in der Onlinefassung des BFH. 3 Licht, Daniel; Müller, Florian: Bilanzänderung und Bilanzberichtigung, Haufe Steuer Office Kanzlei-Edition Online , (HI1093764), Randziffer 93. Im Falle einer Insolvenz bleiben nach § 155 Abs. 1 Insolvenzordnung die Handels - und steuerrechtliche Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung unberührt. In bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter diese Pflichten zu erfüllen. 4 Der Vorbehalt der Nachprüfung kann bestehen bleiben, „solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist.“ (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO). 5 „Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden.“ (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 121/20 Seite 5 Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.“ Grobes Verschulden bedeutet Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Vorsätzlich handelt, wer seine Erklärungs- und Mitwirkungspflichten kennt und ihre Verletzung will oder bewusst in Kauf nimmt.6 Der Steuerbescheid und auch die Bilanz(en) müssten also nicht berichtigt werden, wenn sich die Steuern verringerten und den Steuerpflichtigen eine Schuld am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen trifft. 3. Ausgleich der Gewerbesteuerrückzahlung für die Gemeinde Die Rückzahlung von Gewerbesteuer wie auch die Herabsetzungen von Vorauszahlungen, zumal wenn sie große Unternehmen und -- beispielsweise nach Betriebsprüfungen -- mehrere Jahre betrifft , kann den Haushalt einer Gemeinde erheblich belasten. Nachfolgend sollen daher Aspekte eines finanziellen Ausgleichs kurz beleuchtet werden. Originärer Ausgleichsmechanismus bei den Gemeindefinanzen ist der kommunale Finanzausgleich in den Ländern. Dabei spielt die Gewerbesteuerkraft einer Gemeinde eine zentrale Rolle. Im kommunalen Finanzausgleich werden die den Gemeinden zustehenden Anteile vor allem an der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer auf die Gemeinden verteilt. Dabei werden die durchschnittlichen Ausgabebelastung mit der eigenen (Gewerbe-)Steuerkraft verglichen und die fehlende Steuerkraft zu einem Prozentsatz ausglichen.7 Im Januar 2020 befasste sich die Onlinezeitschrift Kommunal in einem Artikel anhand mehrerer Beispiele mit den Schwierigkeiten der Gemeinden, wenn eine Gewerbesteuerrückzahlung aufgrund lange zurückliegender Ereignisse zu leisten ist oder wenn von den Unternehmen (bewusst) zu hohe Gewerbesteuer-Vorauszahlungen in Kauf genommen werden. Die Gemeinden müssen die Rückzahlungen aufgrund hoher Erstattungszinsen sehr kurzfristig leisten. Der Artikel berichtet , dass Sachsen seit 2020 erstmals zinslose Darlehen für entsprechend von der Rückzahlung der Gewerbesteuern betroffenen Kommunen anbietet.8 Aktuell werden die Gemeinden durch den pandemiebedingen Rückgang der Wirtschaftsleistung durch hohe Ausfälle bei den gemeindlichen Steuereinnahmen belastet. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zum Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden infolge der COVID-19-Pandemie durch Bund und Länder“9 einen pauschalierten Ausgleich der erwarteten Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden 2020 in Höhe von rund 6 Rüsken, Reinhart: § 173 AO, Randnummer 112, in: Klein, Abgabenordnung, 15. Auflage 2020. Von Wedelstädt, Alexander: § 173 AO, Randziffer 85, in Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand 1. August 2019. 7 Vgl. zum Beispiel Bayerisches Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden (Bayerisches Finanzausgleichsgesetz – BayFAG). 8 Erhardt, Christian: Wenn das Finanzamt bei der Kommune zuschlägt, in: Kommunal., 27. Januar 2020, unter: https://kommunal.de/gewerbesteuern-r%C3%BCckzahlung, abgerufen am 11. November 2020. 9 Gesetz zum Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden infolge der COVID-19-Pandemie durch Bund und Länder, Artikel 1 des Gesetzes zur finanziellen Entlastung der Kommunen und der neuen Länder vom 6. Oktober 2020, Bundesgesetzblatt (BGBl.) I, Seite 2072. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 121/20 Seite 6 11,8 Mrd. Euro geregelt. Die Entlastung wird hälftig von Bund und Ländern finanziert. Die den Gemeinden noch im Jahr 2020 zufließenden Ausgleichszahlungen sollen verhindern, dass Gemeinden durch die krisenbedingten Steuerausfälle kurzfristig in Haushaltsnotlagen geraten.10 Die Verteilung auf die Gemeinden orientiert sich an den erwarteten Gewerbesteuermindereinahmen und obliegt im Einzelnen den Ländern (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Gesetz zum Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden infolge der COVID-19-Pandemie durch Bund und Länder). In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausgeführt, dass sich die erwarteten Gewerbesteuereinnahmen aus den regionalisierten Ergebnissen der Steuerschätzungen ergeben.11 Die Länder müssen dem Bundesministerium der Finanzen bis Ende März 2021 über die erfolgte Weitergabe der Bundes- und Landesmittel an die Gemeinden, ihr Vorgehen bei der Verteilung der Mittel und insbesondere über die jeweilige Höhe der ihnen bekannten Gewerbesteuereinnahmen und die jeweilige Höhe der ihnen bekannten Gewerbesteuerstundungen „gemeindescharf“ für 2020 berichten (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Gesetz zum Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden infolge der COVID-19-Pandemie durch Bund und Länder). Allein der Titel des Gesetzes, die ausnahmsweise, einmalige und pauschale Beteiligung des Bundes 12, der Bezug auf nicht eingenommene Gewerbesteuereinnahmen (Mindereinnahmen) und die vom Haushaltsausschuss in den parlamentarischen Beratungen vorgenommene Verschärfung der Berichtspflichten der Länder13 legen den Schluss nahe, dass die Mittel nicht für andere Gewerbesteuerkompensationen genutzt werden dürfen. * * * 10 Bundesministerium der Finanzen: Die Finanzsituation der Kommunen – gemeinsam aus der Krise, Monatsbericht Oktober 2020, Seite 21ff. 11 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur finanziellen Entlastung der Kommunen und der neuen Länder, Bundestags-Drucksache 19/20598, Seite 14. 12 Artikel 143h Grundgesetz. 13 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses … zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur finanziellen Entlastung der Kommunen und der neuen Länder, Bundestags-Drucksache 19/22586, Seite 14.