© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 116/16 Begründung für die Einkommensunabhängigkeit des Kindergeldes nach Einkommensteuergesetz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 116/16 Seite 2 Begründung für die Einkommensunabhängigkeit des Kindergeldes nach Einkommensteuergesetz Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 116/16 Abschluss der Arbeit: 05. Oktober 2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 116/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Kindergeld als Mittel der sozialen Unterstützung 4 3. Urteile des Bundesverfassungsgerichts: Kindergeld als Mittel der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums 5 4. Neuordnung des Familienleistungsausgleichs 5 5. Aktueller Wegfall der Einkünfte- und Bezügegrenze für volljährige Kinder 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 116/16 Seite 4 1. Fragestellung Auf welcher Grundlage beziehungsweise mit welcher Begründung ist das Kindergeld einkommensunabhängig ? 2. Kindergeld als Mittel der sozialen Unterstützung Im Einkommensteuerrecht der Bundesrepublik Deutschland fanden Kinder stets Berücksichtigung , zuerst in Form der sogenannten Kinderermäßigung beim Tarif, seit 1958 in Form der Kinderfreibeträge , die gesondert vom Einkommen abgezogen werden.1 Hilfen für Familien mit der Bezeichnung „Kindergeld“ wurden seit dem 1. Januar 1955 für einen bestimmten Personenkreis gewährt.2 Die notwendigen Mittel für die Familienausgleichskassen, die bei den Berufsgenossenschaften angesiedelt waren, brachten Arbeitgeber und Selbständige durch Beiträge auf. Mehrere Gesetzesmodifizierungen erweiterten den Kreis der Kindergeldberechtigten , außerdem wurde Kindergeld von 1961 an nicht mehr nur für dritte und weitere Kinder , sondern auch für das zweite Kind gewährt, allerdings hatten darauf nur einkommensschwache Familien einen Anspruch.3 Seit 1964 wird das Kindergeld aus dem Bundeshaushalt finanziert.4 Das Bundeskindergeldgesetz in der Neufassung vom 31. Januar 19755 sah zum ersten Mal Kindergeld auch für das erste Kind vor. Außerdem wurde von nun an für alle Kinder, also auch für das zweite und weitere Kinder, einkommensunabhängig Kindergeld gezahlt. Im Gegenzug entfielen die kindbedingten Freibeträge im Einkommensteuerrecht – und damit das duale System aus Kindergeld und Kinderfreibeträgen - durch das Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung.6 Die Freibeträge für Kinder wurden jedoch mit Wirkung vom 1. Januar 1983 mit dem Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983)7 wieder eingeführt. Eltern, die den Steuerfreibetrag nicht oder nur teilweise nutzten konnten, hatten Anspruch auf einen Kindergeldzuschlag. Gleichzeitig galten 1 Grönke-Reimann, Jens, in: Hermann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz , Allgemeine Erläuterungen zu § 32 EStG, Anmerkung 2, 259. Lieferung, September 2013. 2 Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen – Kindergeldgesetz , Bundesgesetzblatt (BGBl.) I vom 15. November 1954, Seite 333. 3 Gesetz über die Gewährung von Kindergeld für zweite Kinder und die Errichtung einer Kindergeldkasse – BGBl. I vom 22. Juli 1961, Seite 1001. 4 Bundeskindergeldgesetz – BKGG, BGBl. I vom 18. April 1964, Seite 265. 5 BGBl. I vom 6. Februar 1975, Seite 412. 6 Einkommensteuerreformgesetz – EStRG, BGBl. I vom 10. August 1974, Seite 1769. 7 BGBl. I vom 20. Dezember 1982, Seite 1857. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 116/16 Seite 5 beim Kindergeld, neben einer Absenkung, erneut Einkommensgrenzen für das zweite Kind und weitere Kinder. Mit diesen Regelungen begann die Rückkehr zum dualen System aus Kindergeld und Kinderfreibeträgen. 3. Urteile des Bundesverfassungsgerichts: Kindergeld als Mittel der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums Gegen die oben erläuterte Kürzung des Kindergeldes 1983 und 1984 wurde Klage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht. Das BVerfG beschloss am 29. Mai 19908, dass die Kürzung des Kindergeldes nach Bundeskindergeldgesetz verfassungsrechtlich nicht bedenklich ist, soweit es in seiner Eigenschaft als Sozialleistung betroffen ist (Randziffer 82). Die Kürzung ist jedoch zu beanstanden, weil das gekürzte Kindergeld für den fraglichen Zeitraum „nicht mehr in verfassungsmäßiger Weise seiner Funktion gerecht geworden sei, der Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen, die durch den Unterhalt ihrer Kinder bedingt ist, Rechnung zu tragen.“ (Randziffer 95) Dabei steht es dem Gesetzgeber frei, „die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen oder ihr statt dessen im Sozialrecht durch die Gewährung eines dafür ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen oder auch eine Entlastung im Steuerrecht und eine solche durch das Kindergeld miteinander zu kombinieren.“ (Randziffer 96) Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist der Grundsatz, dass der Staat dem Steuerpflichtigen und sämtlichen Familienmitgliedern, also auch den Kindern, das Einkommen in Höhe des Existenzminimums steuerfrei belassen muss (Randziffer 99ff.). In einem weiteren Beschluss vom 12. Juni 19909 stellte das BVerfG klar, dass auch die Kinderfreibeträge des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 nicht mit der Verfassung vereinbart sind. Es gelten dieselben Gründe wie für das Kindergeld in Bezug auf die Nichtfreistellung des Existenzminimums. 4. Neuordnung des Familienleistungsausgleichs Mit dem Jahressteuergesetz 199610 erfolgte die Neuordnung des Familienleistungsausgleichs. Der Bezug von Kindergeld richtet sich seitdem nach den Vorschriften des X. Abschnitts (§§ 62 bis 78) EStG. Der Gesetzgeber hat in § 31 EStG bestimmt, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach §§62ff. EStG bewirkt wird. Das Gesetz bestimmt, dass zunächst jeder unbeschränkt Steuerpflichtige das nach einem Antrag festgesetzte Kindergeld erhält. Das Kindergeld ist eine Steuervergütung. Denn nach Ablauf des 8 BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, Aktenzeichen 1 BvL 20/84. Die nachfolgenden Randziffern entsprechen der Urteilsfassung in juris. Die Unterstreichungen sind hinzugefügt. 9 BVerfG, Beschluss vom 12. Juni 1990, Aktenzeichen 1 BvL 72/86. 10 BGBl. I vom 20. Oktober 1995, Seite 1250. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 116/16 Seite 6 Kalenderjahres prüft das Finanzamt von Amts wegen bei der Veranlagung der Eltern zur Einkommensteuer , ob mit dem Anspruch auf Kindergeld das Existenzminimum der Kinder steuerfrei gestellt wurde. Dazu wird die Einkommensteuer zunächst vor und dann nach Abzug der Freibeträge ermittelt. Die beiden Steuerbeträge werden miteinander verglichen (sogenannte Günstigerprüfung ): – Ist die Steuerersparnis höher als das Kindergeld, bewirken die Freibeträge die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums. Das gezahlte Kindergeld muss vom Steuerpflichtigen erstattet werden. Dies geschieht abrechnungstechnisch, indem die erhaltenen Kindergeldbeträge mit der Steuererstattung gegengerechnet werden. – Ist die Steuerersparnis niedriger als der Kindergeldanspruch, entfällt der Anspruch auf die Freibeträge. In diesem Fall behält der Steuerpflichtige das gezahlte Kindergeld jedoch vollständig , der die gebotene steuerliche Freistellung übersteigende Betrag muss nicht zurückgezahlt werden. Nur dieser übersteigende Betrag dient der Familienförderung und ist insoweit eine Sozialleistung. 5. Aktueller Wegfall der Einkünfte- und Bezügegrenze für volljährige Kinder Im Verlauf der Geschichte des Kindergeldes wurden zwischenzeitlich die eigenen Einkünfte volljähriger Kinder auf die Leistung angerechnet, in anderen Jahren blieben sie unberücksichtigt. Aktuell gilt, dass bis zum 31. Dezember 2011 Kindergeld beziehungsweise Kinderfreibeträge für volljährige Kinder nur geltend gemacht werden konnten, wenn diese nicht über eigenen Einkünfte oder Bezüge von mehr als 8.004 Euro im Jahr verfügten. Mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011 (BGBl. I, Seite 2131) entfiel diese Grenze. Zur Begründung führt der Gesetzentwurf aus, dass sich die Berechnung der Einkünfte und Bezüge in vielen Fällen kompliziert und aufwändig gestalte, demgegenüber die Grenze jedoch nur von einer relativ kleinen Gruppe von berechtigten Kindern überschritten werde.11 - Ende der Bearbeitung - 11 Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Steuervereinfachungsgesetzes 2011, Bundestags-Drucksache 17/5125, Seite 41.