© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 115/20 Verfassungsmäßigkeit eines „gesplitteten Grunderwerbsteuersatzes“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Vereinbarkeit einer „gesplitteten Grunderwerbsteuer“ mit dem GG 8 3.3. Folge einer fehlenden ausschließlichen Länderkompetenz 9 4. Zusammenfassung 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 115/20 Seite 4 1. Hintergrund Bis zum 31.08.2006 betrug die Grunderwerbsteuer in der Bundesrepublik Deutschland einheitlich 3,5 % des Kaufpreises von bebauten oder unbebauten Grundstücken. Mit der Föderalismusreform 1 ging die Zuständigkeit zur Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer auf die Länder über, die diesen teilweise auf bis zu 6,5 % erhöht haben. Vor dem Hintergrund steigender Mietpreise und einer deutschlandweit niedrigen Wohneigentumsquote wird auch die Grunderwerbsquote diskutiert. 2 Beispielsweise plädiert das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen auf Bundesebene für eine Absenkung der Grunderwerbsteuer auf ein „investitionsfreundliches Niveau“ und analysiert: „Hohe Grunderwerbsteuersätze verteuern Immobilientransaktionen und den Wohnungsneubau. Dies ist angesichts der Bestrebungen, insbesondere den Bau bezahlbarer Wohnungen anzukurbeln, kontraproduktiv.“3 Zusätzlich wird an der Grunderwerbsteuer kritisiert, dass diese besonders häufig junge Familien als typische Erwerber von Wohneigentum treffe und dies dem Schutz der Familie in Art. 6 Abs. 1 GG entgegenstehe.4 Nach der Vorstellung des Auftraggebers könnte die landesrechtliche Einführung von sog. gesplitteten Grunderwerbsteuersätzen, die neben der bestehenden Regel-Grunderwerbsteuer existieren würden, zu einer gezielten Entlastung für bestimmte Erwerbsvorgänge führen. So könnte der Regel -Grunderwerbsteuersatz in einem Bundesland 6 % betragen und sich für den Fall eines bestimmten Erwerbsvorganges – bspw. der Erwerb einer Immobilie zur eigenen Nutzung als Wohngebäude – auf einen Grunderwerbsteuersatz von 2 % ermäßigen.5 Der vorliegende Sachstand befasst sich vor diesem Hintergrund mit der Frage, ob die Einführung „gesplitteter Grunderwerbsteuersätze“ mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Nicht Gegenstand dieses Gutachtens sind Fragen zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.06.2015 über die Verfassungswidrigkeit der Einheitswerte als Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer (Az.: 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11). 1 Vgl. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 28.08.2006, BGBl. 2006 I, 2034, 2037. 2 Vgl. v. Malottki/Cischinsky, in: ZBW 2018, 284, 284 („Führt eine Senkung der Grunderwerbsteuer zu niedrigeren Wohnkosten?“). 3 BT-Drs. 18/7825 (Unterrichtung durch die Bundesregierung v. 11.03.2016): https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/078/1807825.pdf [zuletzt aufgerufen am 13.10.2020]. 4 Seiler, in: Maunz/Dürig, 90. EL Februar 2020, GG Art. 105 Rn. 181. 5 So ist es bspw. in den Niederlanden geregelt: Dort beträgt der Steuersatz 6 % und ermäßigt sich im Fall eines Erwerbs zur eigenen Nutzung als Wohngebäude auf einen Steuersatz von 2 %, vgl. Gutachten „Rechtsrahmen und Reformoptionen für die Behandlung von share deals im deutschen Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) nach dem Vorbild des niederländischen Wertdurchgriffsmodells“ v. 03.06.2016, S. 46 : https://www.gruene-bundestag .de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/steuern/PDF/190603-gutachten-grunderwerbsteuer.pdf [zuletzt aufgerufen am 13.10.2020]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 115/20 Seite 5 2. Verfassungsrechtlicher Rahmen 2.1. Begriff der Grunderwerbsteuer Die Grunderwerbsteuer wird auf Grundlage des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) erhoben. Sie zählt zu den Verkehrssteuern und erfasst den Rechtsträgerwechsel von inländischen Grundstücken .6 Sie ist zugleich eine Rechtsverkehrssteuer, weil sie an Vorgänge des Rechtsverkehrs – etwa an den Abschluss eines Kaufvertrages über eine Immobilie gemäß §§ 433, 311b BGB – geknüpft ist.7 Die Grunderwerbsteuer entsteht gemäß § 38 der Abgabenordnung (AO) zu dem Zeitpunkt , zu dem der übernehmende oder neue Rechtsträger das zivilrechtliche Eigentum erwirbt.8 Das Aufkommen der Grunderwerbsteuer steht nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG den Ländern zu. Sie können unabhängig vom Bund bestimmen, ob und inwieweit das Aufkommen der Grunderwerbsteuer den Gemeinden (Gemeindeverbänden) zufließt.9 2.2. Gesetzgebungskompetenz Im Ausgangspunkt stehen den Ländern nach Art. 30, 70 GG die Gesetzgebungskompetenzen zu, sofern das Grundgesetz nicht eine andere Regelung trifft oder zulässt. Die Gesetzgebungskompetenz für Steuern ist in Art. 105 GG abschließend geregelt.10 Die Vorschrift ist lex specialis im Verhältnis zu den allgemeinen Kompetenzregelungen in den Art. 70 ff. GG.11 Nach Art. 105 Abs. 2a S.2 GG sind die Länder für die Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer zuständig. Es handelt sich dabei um eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder (Übertragung der Steuersatzautonomie),12 die jede Neuregelung durch den Bund versperrt.13 Die Vorschrift wurde im Rahmen der Föderalismusreform zum 01.09.2006 neu 6 Lahme, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzlexikon, Ed. 52, 01.01.2020, Grunderwerbsteuer, Rn. 1. 7 Vgl. § 1 Nr. 1 GrEStG. 8 Schwerin, in: RNotZ 2003, 480, 482. 9 Viskorf in: Boruttau, 19. Aufl. 2018, GrEStG § 11 Rn. 21. 10 BVerfG NJW 2017, 2249, 2251. 11 Wienbacke, in: JuS 2019, 673, 674. 12 Kube, in BeckOK Grundgesetz, 44. Ed. 15.08.2020, GG Art. 105 Rn. 52. 13 Seiler, in: Maunz/Dürig, 90 EL. Februar 2020, GG Art. 105 Rn. 178. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 115/20 Seite 6 in das Grundgesetz eingefügt.14 Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift liegt in der Stärkung der Länderautonomie15 und der Ermöglichung eines Wettbewerbsföderalismus.16 2.3. Befugnis der Länder zur Bestimmungen des Steuersatzes Vor der Föderalismusreform hatte der Bund die Kompetenz zur Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer.17 Nach § 11 Abs. 1 GrEStG, der alten bundesrechtlichen Regelung, beträgt die Grunderwerbsteuer 3,5 % von Hundert. Soweit die Länder keinen Steuersatz für die Grunderwerbsteuer bestimmen, gilt § 11 Abs. 1 GrEStG für die Bundesländer fort (Art. 125a GG). Ausgehend von einem Steuersatz von 3,5 % im Jahr 2006 wurde der Steuersatz seit 2007 von fast allen Ländern erhöht. Mittlerweile beträgt der Spitzensteuersatz in Brandenburg, Nordrhein- Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen 6,5 %. Nur noch in den Bundesländern Bayern und Sachsen gilt der Steuersatz von 3,5 % unverändert.18 Einen Überblick über die unterschiedlichen Steuersätze ist dieser Aufstellung vom 15.10.2020 zu entnehmen: Bundesland Letzte Rechtsgrundlage Steuersatz Gültig seit Baden-Württemberg G. v. 26.10.11, GBl. 11, 493 5 % 05.11.2011 Bayern § 11 Abs. 1 GrEStG 3,5 % 01.09.2006 Berlin G. v. 14.11.2013, GVBl. 13, 583 6 % 01.01.2014 Brandenburg G. v. 24.06.2015, GVBl. I 15 Nr. 16 1 6,5 % 01.07.2015 Bremen G. v. 16.10.2010, Brem.GBl. S. 574 5,0 % 01.01.2014 Hamburg G- v. 16.12.2008, GVBl. S. 433 4,5 % 01.01.2009 Mecklenburg-Vorpommern G. v. 22.06.2012, GVOBl., S. 208 6,0 % 01.07.2019 Niedersachsen G. v. 17.12.2010, GVBl. S. 631 5,0 % 01.01.2014 Nordrhein-Westfalen G. v. 25.07.2011, GV S. 389 6,5 % 01.01.2015 Rheinland-Pfalz G. v. 31.01.2012, GVBl. S. 41 5,0 % 01.03.2012 14 Vgl. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 28.08.2006, BGBl. 2006 I, S. 2034, 2037. 15 Siekmann, in: Sachs, 8. Aufl. 2018, GG Art. 105 Rn. 47. 16 Kube, in: BeckOK Grundgesetz, 44. Ed. 15.08.2020, GG Art. 105 Rn. 52. 17 Dies ergab sich aus Art. 105 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG. 18 Broer, in: ZKF 2018, 217, 218. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 115/20 Seite 7 Saarland G. v. 08.12.2010, Amtsbl. S. 1522 6,5 % 01.01.2015 Sachsen § 11 Abs. 1 GrEStG 3,5 % 01.09.2006 Sachsen-Anhalt G. v. 17.02.2010, GVBl. S. 69 5,0 % 01.03.2012 Schleswig-Holstein G. v. 17.12.2010, GVOBl. S. 789 6,5 % 01.01.2014 Thüringen G. v. 29.03.2011, GVBl. S. 66 6,5 % 01.01.2017 3. Verfassungsmäßigkeit einer landesrechtlichen Einführung einer ermäßigten Grunderwerbsteuer für bestimmte gemeinwohldienliche Erwerbsvorgänge Es stellt sich die Frage, ob die landesrechtliche Einführung einer ermäßigten Grunderwerbsteuer für bestimmte gemeinwohldienliche Erwerbsvorgänge („gesplittete Grunderwerbsteuer“) verfassungsmäßig sein könnte. Dabei ist zu differenzieren zwischen der Verfassungsmäßigkeit einer landesrechtlichen Ermäßigung des Grunderwerbsteuersatzes unterhalb der Schwelle von 3,5 % und der Verfassungsmäßigkeit eines „gesplitteten Grunderwerbsteuersatzes“ zur Förderung bestimmter Erwerbsvorgänge. 3.1. Vereinbarkeit einer Ermäßigung des Grunderwerbsteuersatzes mit dem GG Bislang haben die Länder ihre Steuersatzautonomie ausschließlich dazu genutzt, die Grunderwerbssteuer zu erhöhen bzw. bei 3,5 % zu belassen (s.o.). Dabei steht dem Wortlaut von Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG eine Senkung des Grunderwerbsteuersatzes, auch unterhalb des Bundestarifs von 3,5 %19, nicht entgegen. Denn in Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Untergrenze „zur Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer“ nicht normiert . Im Umkehrschluss kann daraus gefolgert werden, dass die Länder generell befugt sind, den Grunderwerbsteuersatz zu erhöhen oder abzusenken. Ob die Länder auch dazu befugt wären, den Grunderwerbsteuersatz auf „null“ festzusetzen, kann in Ermangelung einer eindeutigen gesetzlichen Regelung sowie fehlender Rechtsprechung nicht abschließend beantwortet werden. Der offene Wortlaut von Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG spricht grundsätzlich dafür, dass auch ein Verzicht auf die Grunderwerbsteuer zulässig sein dürfte. Dagegen kann allerdings angeführt werden, dass Nullsteuersätze einer Steuerbefreiung gleichkämen, was mit Blick auf die Steuerbefreiungsregeln des Bundesgesetzgebers eher für eine Unzulässigkeit sprechen dürfte.20 In §§ 3 f. GrEStG hat der Bundesgesetzgeber für die Grunderwerbsteuer bereits entschieden, welche Sachverhalte von der Grunderwerbsteuer ausgenommen sind. 19 Vgl. § 11 Abs. 1 GrEStG. 20 Jahndorf/Kister, in: Grunderwerbsteuer in der Beratungspraxis, 2019, Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 115/20 Seite 8 3.2. Vereinbarkeit einer „gesplitteten Grunderwerbsteuer“ mit dem GG Die landesrechtliche Einführung einer „gesplitteten Grunderwerbsteuer“ ist mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn sie nicht gegen formelles und/oder materielles Verfassungsrecht verstößt. Mit Blick auf die Fragestellung des Auftraggebers sollen sich die folgenden Ausführungen auf die Frage fokussieren, ob die Bundesländer für die Einführung einer „gesplitteten Grunderwerbsteuer “ die Gesetzgebungskompetenz hätten (formelle Verfassungsmäßigkeit). Bislang existiert in den jeweiligen Bundesländern lediglich ein einheitlicher Grunderwerbsteuersatz . Es ist den Wissenschaftlichen Diensten nicht bekannt, dass es einen aktuellen Gesetzesentwurf gäbe, der die Einführung differenzierter Grunderwerbsteuersätze zum Gegenstand hätte. Folglich liegen auch keine Stellungnahmen o.Ä. vor. Im Grundsatz wäre die Einführung „gesplitteter Grunderwerbsteuersätze“ allerdings im Wege der Änderung bzw. Erweiterung der landesrechtlichen „Gesetze über die Festsetzung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer“, soweit diese vorhanden sind, denkbar. Fraglich ist, ob die Regelung des Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG eine „gesplittete Grunderwerbsteuer“ durch den Landesgesetzgeber ermöglicht. Diese Frage ist gesetzlich nicht geregelt und in der Literatur bloß rudimentär diskutiert worden. Ein gefestigter Meinungsstand existiert ebenfalls nicht. Nach dem Wortlaut des Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG sind die Länder zur Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer befugt. Die Formulierung im Singular („Bestimmung des Steuersatzes “) deutet darauf hin, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Länder lediglich zur Einführung eines Grunderwerbsteuersatzes ermächtigen wollte. Gegen dieses enge Wortlautverständnis wird jedoch angeführt, dass eine singuläre Formulierung auch an anderer Stelle des Grundgesetzes – etwa in Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG („Statistik für Bundeszwecke“) – vorgenommen wurde und daraus keine kompetenzrechtliche Begrenzung abgeleitet wird.21 Gleichwohl ermächtigt die Formulierung des Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG die Länder ausdrücklich bloß zur Bestimmung des „Steuersatzes“ und nicht etwa zur Regelung der Grunderwerbsteuer als solche, was für eine Beschränkung des Steuersatzbestimmungsrechts der Länder auf ihre Höhe spricht. In der Gesetzesbegründung zu Art. 105 Abs. 2a GG wurde die Möglichkeit einer „gesplitteten Grunderwerbsteuer“ nicht erörtert.22 In der Föderalismuskommission I wurde auch nicht generell auf die Frage eingegangen, ob die Landesgesetzgeber vom Wortlaut des Art. 105 Abs. 2 a S. 2 GG abweichen könnten.23 Aus dieser Gesetzeshistorie lässt sich daher kein Ansatz für einen weiten Interpretationsspielraum für die Verfassungsmäßigkeit differenzierter Steuersätze herleiten. Im 21 Jahndorf/Kister, in: Grunderwerbsteuer in der Beratungspraxis, 2019, Rn. 14. 22 Vgl. BT-Drs. 16/813, Gesetzesentwurf v. 07.03.2006, S. 20, http://dip21.bundestag .de/dip21/btd/16/008/1600813.pdf [zuletzt aufgerufen am 14.10.2020]. 23 Es wird insoweit Bezug genommen auf eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste zum Thema „Progressive Staffelung der Grunderwerbsteuer“ (WD 4 – 3000 – 129/18), S. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 115/20 Seite 9 Grundgesetz finden sich zudem keine vergleichbaren Formulierungen, aus denen abgeleitet werden könnte, dass aus dem Wortlaut des Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG auch mehrere Steuersätze im Sinne einer „gesplitteten Grunderwerbsteuer“ durch die Länder geregelt werden könnte. Es gibt teleologische Erwägungen, die für eine finanzverfassungsrechtliche Zulässigkeit „gesplitteter Steuersätze“ sprechen. Insbesondere die Motivation für die Einführung des Art. 105 Abs. 2a S. 2GG – die Stärkung der Länderautonomie (s.o) – spricht dafür, dass die Länder weitergehende Kompetenzen als das bloße Erhöhen oder Herabsenken des Grunderwerbsteuersatzes haben sollten . Es wird daher vertreten, dass mit dem Begriff „Steuersatz“ in Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG nicht nur ein Hebesatz gemeint gewesen sein könne.24 Ferner wird angeführt, dass die erweiterte Steuersatzautonomie auch die Verfolgung von Sozialzwecken durch differenzierte Steuersätze, jedenfalls in den Grenzen der bundesrechtlichen Belastungsentscheidung, umfassen könne.25 Es gibt aber auch Stimmen in der Literatur, die trotz der mit Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG bezweckten Stärkung der Steuerautonomie der Länder ohne Wenn und Aber meinen, dass der Länderkompetenz nur der Steuertarif unterfallen würde.26 Im Übrigen wird die Ausgestaltung der jetzigen Grunderwerbsteuer in der Literatur kritisiert, ohne sich mit einem Lösungsmodell wie der „gesplitteten Grunderwerbsteuer“ auseinanderzusetzen: „[Die Grunderwerbsteuer] fällt nur punktuell an, greift dann aber besonders intensiv zu, verteilt also ihre Lasten eher zufällig. Dabei knüpft sie regelmäßig an einen fremdfinanzierten Rechtsakt an und belastet auf diese Weise nicht die Verwendung von Einkommen, sondern von Bankkrediten, bildet also die Leistungsfähigkeit ungenau ab.“27 Da Kredite nur für die Baukosten gewährt werden, nicht aber für Baunebenkosten, belastet eine hohe Grunderwerbsteuerbelastung schließlich Bauvorhaben direkt, was auch dazu führen könne, dass einzelne Bauvorhaben verhindert werden.28 Insgesamt sprechen bei strikter Lesart des Wortlautes von Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG („Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer“) gute Argumente gegen eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder zur Einführung eines „gesplitteten Grunderwerbsteuersatzes“. Es ist aber zu beachten, dass die Rechtslage diesbezüglich nicht eindeutig und klar ist. 3.3. Folge einer fehlenden ausschließlichen Länderkompetenz Geht man davon aus, dass die Länder keine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG zur Einführung eines „gesplitteten Grunderwerbsteuersatzes“ haben, stellt sich die Frage, wie das vom Auftraggeber angeführte Regel-Ausnahme-Modell eingeführt werden könnte. Als ausschließliche Länderkompetenz versperrt die Steuersatzautonomie jede Neuregelung durch den 24 Siekmann, in: Sachs, 8. Aufl. 2018, GG Art. 105 Rn. 47. 25 Jahndorf/Kister, in: Grunderwerbsteuer in der Beratungspraxis, 2019, Rn. 14. 26 Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG Art. 105 Rn. 65. 27 Seiler, in: Maunz/Dürig, 90 EL. Februar 2020, GG Art. 105 Rn. 181. 28 Broer, in: ZKF 2018, 217, 217. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 115/20 Seite 10 Bund (s.o.). Somit bedürfte es einer Verfassungsänderung, um eine „gesplittete Grunderwerbsteuer “ zu ermöglichen. Selbst wenn für die Länder nach einer Grundgesetzänderung eine Gesetzgebungskompetenz für die Einführung einer „gesplitteten Grunderwerbsteuer“ bestünde, ist darauf hinzuweisen, dass ein solches Gesetzesvorhaben auch noch materiell verfassungsmäßig sein müsste. Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG ist auch der Steuergesetzgeber an die verfassungsmäßige Ordnung sowie die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden. Der Steuergesetzgeber darf seine Steuergesetzgebungskompetenz grundsätzlich auch ausüben, um Lenkungswirkungen zu erzielen.29 Eine gesplittete Grunderwerbsteuer dürfte nichtsdestotrotz an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen sein. Der allgemeine Gleichheitssatz beinhaltet für den Sachbereich des Steuerrechts den Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten, d.h. die möglichst gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen .30 Eine steuerliche Belastung hat daher nach sachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich zu erfolgen.31 4. Zusammenfassung Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG gibt den Ländern seit dem 01.09.2006 eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zur Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer. Dies hat bislang ausschließlich zu einer Erhöhung der Grunderwerbsteuer geführt. Eine Ermäßigung der Grunderwerbsteuer dürfte aber grundsätzlich verfassungskonform sein, solange sie sich nicht auf „null“ reduziert. Denn Nullsteuersätze gleichen einer Steuerbefreiung und dürften daher mit Blick auf die bundesrechtlichen Steuerbefreiungsregeln in § 3 f. GrEStG unzulässig sein. Die landesrechtliche Einführung „gesplitteter Grunderwerbsteuersätze“ wurde in der Literatur bis heute nur rudimentär diskutiert. Der Wortlaut von Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG spricht tendenziell dafür, eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Einführung einer gesplitteten Grunderwerbsteuer nicht anzunehmen, weil sich die Formulierung einerseits auf eine Grunderwerbsteuer bezieht und zudem der Begriff „Steuersatz“ nicht die gesamte Grunderwerbsteuer erfasst. Demgegenüber spricht der Telos der Vorschrift, nämlich die Steuerautonomie der Länder zu stärken, für eine weitreichendere Gesetzgebungskompetenz der Länder. *** 29 Reus/Mühlhausen, Haushaltsrecht in Bund und Ländern, 1. Aufl. 2015, Rn. 116. 30 Vgl. BVerfGE 110, 274, 292. 31 Reus/Mühlhausen, Haushaltsrecht in Bund und Ländern, 1. Aufl. 2015, Rn. 115.