© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 106/19 Verfassungsrechtliche Aspekte der Weiterentwicklung bestehender Energiesteuern um eine CO2-Komponente Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Die Auftraggeber erkundigen sich in Ergänzung zum Sachstand „Verfassungsrechtliche Einzelaspekte einer CO2-Steuer“1 nach der verfassungsrechtlichen Beurteilung einer mittelbaren Besteuerung , die den Verbrauch von CO2-intensiver Güter in die Bemessungsgrundlage integrieren will.(2.) Ferner soll eine verfassungsrechtliche Einschätzung zur Zulässigkeit einer 100%igen „Rückverteilung“ der Einnahmen aus einer CO2-Steuer an die Bürger gegeben werden.(3.) 2. Verfassungsrechtliche Aspekte einer Weiterentwicklung bestehender Energiesteuern um eine CO2-Komponente In der Entscheidung zur Kernbrennstoffsteuer hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)2 zum verfassungsrechtlich unzulässigen Steuererfindungsrecht ausgeführt: „Die Geschlossenheit und Ordnungsfunktion der Finanzverfassung sichert zudem das Vertrauen der Bürger darauf, nur in dem durch die Finanzverfassung vorgegebenen Rahmen belastet zu werden. Art. 105 und Art. 106 GG kommt insoweit eine eigenständige individualschützende Funktion zu. Der Schutz der Bürger vor einer unübersehbaren Vielzahl von Steuern ist ein originärer und eigenständiger Zweck der Kompetenznormen der Finanzverfassung, mit dem die Annahme eines Steuererfindungsrechts nicht in Einklang zu bringen wäre. Es könnten beliebig "neue" Steuern und Steuerarten eingeführt werden. Die steuerliche Art des Zugriffs auf die Ressourcen des Bürgers wäre damit weitgehend unbeschränkt; insbesondere die in der Finanzverfassung ausdrücklich genannten Steuern und Steuerarten würden ihrer begrenzenden Funktion entkleidet.“3 Die Gefahr einer Erstarrung der Finanzverfassung sieht das BVerfG nicht, da „dem Gesetzgeber […] im Rahmen der durch Art. 105 und Art. 106 GG vorgegebenen Steuern und Steuerarten eine sehr weitreichende Gestaltungsfreiheit [verbleibt], von der er in der Vergangenheit häufiger Gebrauch gemacht hat.“4 Inwiefern eine CO2-Besteuerung innerhalb der durch Art. 105 und Art. 106 GG vorgegebenen Steuern und Steuerarten möglich sein kann, wird in der Literatur strittig diskutiert. Dabei wird die Besteuerungsmöglichkeit eines Verbrauchs bestimmter CO2-intensiver Güter als mögliche Option gesehen. So führen Kahl und Simmel5 in ihrer Studie an, dass zwar die in der Entscheidung relevanten Kernbrennstoffe ganz offensichtlich kein Gut sind, das auch Verbraucher konsumtiv nutzen können, so sei dies bei anderen (fossilen) Primärenergieträgern, weit weniger eindeutig. 1 Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes WD 4 – 095/19: „Verfassungsrechtliche Einzelaspekte einer CO2- Steuer“ 2 BVerfG, Beschluss vom 13. April 2017 – 2 BvL 6/13 –, BVerfGE 145, 171-248 3 BVerfG, ebenda, Rn. 98 (juris) 4 BVerfG, ebenda, Rn. 93 (juris) 5 Kahl, Hartmut und Simmel, Lea: „Europa- und verfassungsrechtliche Spielräume einer CO2-Bepreisung in Deutschland“ abrufbar unter: https://stiftung-umweltenergierecht.de/wp-content/uploads/2017/10/stiftung_umweltenergierecht _wuestudien_06_co2_bepreisung.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 106/19 Seite 5 „Kohle und Erdgas etwa können auch vom Endverbraucher genutzt werden, denkt man an die Kraftwerke für den industriellen Eigenverbrauch oder im privaten Bereich an KWK-Blockheizkraftwerke im Heizungskeller. Fossile Energieträger sind also – anders als Kernbrennstoffe – durchaus als „zumindest auch konsumtiv nutzbarer Güter“ vorstellbar, sodass der strenge Maßstab für „reine Produktionsmittel“ hier nicht einmal zwingend einschlägig scheint. Doch selbst für die „reinen Produktionsmittel“, für die das Gericht jetzt die restriktivere Linie der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Besteuerung fährt, lässt es zwei Ausnahmen zu: (1) Erste Ausnahme: Besteuerter Rohstoff ist körperlich im Endprodukt vorhanden“6 und (2) Wahrung einer geschlossenen, systemgerechten Besteuerung mit Lenkungseffekt „Die zweite Ausnahme von einer Besteuerung des Rohstoffs beim Unternehmen soll dann greifen , wenn „die Einbeziehung einzelner Güter zur Wahrung einer geschlossenen Besteuerung bestimmter Warengruppen im Rahmen einer ansonsten systemgerechten Steuer notwendig war, insbesondere zum Schutz des Besteuerungsaufkommens vor dem Ersatz der Waren, die für die Besteuerung zum Ausgangspunkt genommen werden, durch funktionsgleiche, aber unbesteuerte Substitute.““7 „Mit Blick (nur auf die) Kernbrennstoffsteuer heißt es beim BVerfG ergänzend: „Zwar unterliegen auch andere Rohstoffe zur Energiegewinnung dem Zugriff durch Verbrauchsteuern. Eine geschlossene Besteuerung der Energieträger, in die sich die Kernbrennstoffsteuer einfügen ließe, ist jedoch nicht festzustellen. Im Bereich der Energieträgerbesteuerung verfolgt die Besteuerung oftmals das Ziel der Verhaltenssteuerung und nicht ausschließlich fiskalische Zwecke. Daher ist steuerlich von vornherein keine Vergleichbarkeit der einzelnen Energieträger gegeben.“8 Ersichtlich geht es dem BVerfG hier darum aufzuzeigen, dass die Kernbrennstoffsteuer mit sonstigen Energiesteuern nicht vergleichbar ist, da sie rein fiskalische Zwecke verfolgt, demnach nicht verhaltenssteuernd konzipiert ist und sich gerade deshalb nicht in eine geschlossene Besteuerung von Energieträgern einfügt.“9 Kahl und Simmel folgern daraus, dass dies im Umkehrschluss heiße, dass es im Übrigen sehr wohl eine Verbrauchsbesteuerung von Rohstoffen zur Energiegewinnung geben könne, wenn ihr im Rahmen einer geschlossenen Besteuerungssystematik ein verhaltenssteuerndes Ziel zugrunde liege. „Dabei ist der Schutz des Besteuerungsaufkommens durch ein sonst befürchtetes Ausweichen auf unbesteuerte Substitute nur ein Beispiel für die Gefahr einer nicht systemgerechten Besteuerung , wie die Formulierung „insbesondere“ deutlich macht. Die Adressierung anderer Gefahren für eine systemgerechte Besteuerung ist durch die Benennung dieses Beispiels mitnichten 6 Kahl, Hartmut und Simmel, Lea: „Europa- und verfassungsrechtliche Spielräume einer CO2-Bepreisung in Deutschland“ abrufbar unter: https://stiftung-umweltenergierecht.de/wp-content/uploads/2017/10/stiftung_umweltenergierecht _wuestudien_06_co2_bepreisung.pdf, S. 34 7 BVerfG, Beschluss vom 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, Rn. 157 8 BVerfG, Beschluss vom 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, Rn. 158 9 Siehe Fn. 4 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 106/19 Seite 6 ausgeschlossen. Ist das Ziel einer systemgerechten Besteuerung von Primärenergieträgern ausdrücklich die Verhaltenssteuerung hin zu einer weniger CO2-intensiven Stromerzeugung, kann dies ebenfalls die Besteuerung beim Unternehmen rechtfertigen, wenn der erstrebte Lenkungseffekt durch eine Besteuerung des Stroms beim Endverbraucher nicht gleichwertig eintritt.“10 Eine entsprechende Anpassung der Energie- und Stromsteuer würde insoweit keine neue Steuerart darstellen, sondern wäre eine Weiterentwicklung der bereits gegenwärtig existierenden Energiesteuern , sodass deren Kompetenztitel zur Gesetzgebung in Anspruch genommen werden könnte. Die Möglichkeit der Weiterentwicklung der anerkannten, bereits bestehenden Energiesteuern wird auch von den Autoren der IKEM-Studie nicht bestritten: „Insoweit sei aber darauf hingewiesen, dass dies den Gesetzgeber nicht daran hindert, bei der Bemessung bestehender, als zulässig anerkannter Steuern, die damit verbundenen CO2-Emissionen zu berücksichtigen. Dies kann zum Zweck der Dekarbonisierung, wie z. B. schon bei der Kfz-Steuer, auch bei der Energiesteuer erfolgen.“11 Diese Möglichkeit wird sodann im Abschnitt 2.3.2. der IKEM-Studie näher ausgeführt: „Als zulässige und dem Grundgesetz nicht fremde Verbrauchsteuern könnten die bestehenden Energiesteuern hin zu einer indirekten CO2-Steuer entwickelt werden, ohne dass man rechtliche Hürden einer Verfassungsänderung nehmen muss. Die Bemessungsgrundlage könnte sich an dem CO2- Ausstoß, der mit dem Verbrauch des jeweiligen Energieerzeugnisses einhergeht, orientieren. Steuergegenstand würde nach wie vor das einzelne Energieerzeugnis darstellen. Einer Verfassungsänderung , wie im Fall der direkten CO2-Steuer, bedarf es nicht: Energiesteuern sind als Verbrauchsteuern (finanz-)verfassungsrechtlich unbedenklich, wobei die Einnahmen nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG dem Bund zustehen. Neben einer reinen Ausrichtung der Energiesteuern am CO2-Gehalt des Energieerzeugnisses, wäre es möglich, die allgemeinen Energieverbrauchsteuersätze am Energiegehalt des jeweiligen Energieerzeugnisses zu orientieren, diesen aber mit einer CO2-Komponente zu kombinieren. Durch eine derartige Reform der Energiebesteuerung hin zu einer kombinierten CO2-/Energiesteuer würde die Bemessungs-grundlage der Steuer weiter, an dem für den Verbrauch von Energie relevanten Spezifikum anknüpfen und so der Charakter der Energiesteuern als Verbrauchsteuer sichergestellt. Eine Ausrichtung der Energiesteuern am CO2- Gehalt, und sei es nur durch eine CO2-Komponente neben einer konsequent am Energiegehalt ausgerichteten Energieverbrauchsteuer, würde das klimapolitisches Potential der Energiesteuern zur Dekarbonisierung heben. Vorteil einer kombinierten CO2-/Energiesteuer wäre zudem, dass auf diesem Wege neben der Lenkungswirkung zur Dekarbonisierung auch die Energieeffizienz gefördert würde.“12 Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass eine verfassungsrechtlich unzulässige Steuererfindung außerhalb der Steuertypen der Finanzverfassung nicht vorliegt insoweit gegenwärtig bereits bestehende Energiesteuern um eine CO2-Komponente erweitert würden. 10 Siehe Fn. 4 11 Antoni, Johannes und Rodi, Michael; Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V. (IKEM): „Möglichkeiten einer flankierenden CO2-Bepreisung durch öffentlich-rechtliche Abgaben“, Seite 11 12 Siehe Fn. 10, Seite 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 106/19 Seite 7 3. Staatliche Einnahmeerzielung als verfassungsrechtliche Voraussetzung für Steuern Das BVerfG verlangt in ständiger Rechtsprechung zur verfassungsrechtlichen Legitimation einer Steuer, dass sie „zur Erzielung von Einnahmen für den Bund den Steuerschuldnern eine Geldzahlungspflicht ohne konkrete Gegenleistung hoheitlich auferlegt“13. Bei der Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer 100%igen Rückverteilung der Steuer kommt es somit auf das Zusammenspiel von Rückgewähranspruch und der Geldleistungspflicht14 an. Sind diese untrennbar miteinander verbunden und bilden eine gesetzgeberische Gesamtkonzeption der Abgabe , so liegt nach der Rechtsprechung des BVerfG keine staatliche Einnahmeerzielung und somit auch keine Steuer im finanzverfassungsrechtlichen Sinne vor. So führte das BVerfG zur Investitionshilfeabgabe 1983 aus: „Die Einheit von Geldleistungspflicht und Rückzahlungsanspruch reiht die Investitionshilfeabgabe unter die Zwangsanleihen ein. Diese dienen zwar der Erzielung von (vorübergehenden) Einnahmen, bewirken aber keine (endgültigen ) Einkünfte. Das ergibt sich deutlich aus der historischen Interpretation. Das jüngste Beispiel einer Zwangsanleihe in Deutschland bildet das Reichsgesetz über die Zwangsanleihe vom 20. Juli 1922 (RGBl. I S. 601). Finanzwissenschaft und Steuerrechtswissenschaft haben zwar die enge Verwandtschaft zwischen Zwangsanleihen und Steuern betont, beide aber stets deutlich voneinander geschieden.“15 Anders verhält es sich, wenn die Erstattung des vollen Steuerbetrages bloße (unbeabsichtigte) Nebenfolge der Besteuerung ist. So kann in einem umfassenden Berechnungssystem zur Ermittlung der individuellen Steuerschuld auch eine Nichtbesteuerung bzw. eine vollständige Erstattung der geleisteten Vorauszahlungen im Abrechnungsbescheid ausgewiesen werden. Derartige individuelle Vollerstattungen lassen den Steuercharakter und die damit verbundene staatliche Einnahmeerzielung nicht entfallen. Es handelt sich hierbei um Einzelfälle der Nichtbesteuerung, die in einem darauffolgenden Veranlagungszeitraum oder bei veränderter Besteuerungsgrundlage nicht erneut auftreten müssen. Eine neuere Studie von Kahles und Kahl16 zeigt zudem die rechtlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten unterschiedlicher Rückerstattungsmodelle auf. *** 13 BVerfG, Urteil vom 05. November 2014 (Luftverkehrsteuer) – 1 BvF 3/11 –, BVerfGE 137, 350-378, Rn. 29 14 BVerfG, Urteil vom 06. November 1984 – 2 BvL 19/83 –, BStBl II 1984, 858, BVerfGE 67, 256-290, Rn. 77 15 BVerfG, Urteil vom 06. November 1984 –, Rn. 78 16 Kahles, Markus und Kahl, Hartmut: „Europa- und verfassungsrechtliche Spielräume für die Rückerstattung einer CO2-Bepreisung“, Würzburger Studien zum Umweltenergierecht Nr. 13, Juli 2019. https://stiftung-umweltenergierecht .de/wp-content/uploads/2019/07/Stiftung_Umweltenergierecht_13.-WuerzburgerStudien_2019-06- 30.pdf [zuletzt abgerufen am 21.08.2019]