© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 106/17 Gewinnabführungsverträge im Versicherungsaufsichtsrecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 2 Gewinnabführungsverträge im Versicherungsaufsichtsrecht Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 106/17 Abschluss der Arbeit: 30. Januar 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Problembeschreibung 4 2.1. Die Rückstellung für Beitragsrückerstattung 4 2.2. Gesetzliche Änderungen für die Rückstellung für Beitragsrückerstattung 5 3. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab 6 3.1. Schutzbereich der Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG 6 3.2. Eingriff in den Schutzbereich 7 3.2.1. Eingriffsqualität bei Gewinnabführungsverträgen 7 3.2.2. Eingriffsqualität bei Nachrangdarlehen und Genussrechten 7 3.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 7 3.3.1. Vorgaben des BVerfG zum gesetzgeberischen Schutzzweck der Überschussbeteiligung 8 3.3.2. Die Ausschüttungssperre des § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG 2016 9 3.3.3. Erforderlichkeit von Ausschüttungssperren 10 3.3.4. Angemessenheit 11 3.3.4.1. Angemessenheit der Sperre für Gewinnabführungsverträge 11 3.3.4.2. Angemessenheit einer Sperre für Genussrechte und Nachrangdarlehen 12 4. Umsetzungsmöglichkeiten im VAG 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber erkundigt sich nach Möglichkeiten der Anpassung des § 139 Absatz 2 Satz 3 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) bezüglich der Sicherung von Überschussbeteiligungsansprüchen der Versicherten. Es soll geprüft werden, ob eine Ausweitung der sogenannten Ausschüttungssperre auf Gewinn- und Ergebnisabführungsverträge verfassungsrechtlich zulässig wäre. Ferner stehen Darlehenszahlungen innerhalb eines Mutter-Tochter-Konzerns sowie die Bedienung von Genussrechten im Fokus. Ob und wie man deren Nichteinbeziehung in die Ausschüttungssperre gesetzlich begegnet könnte, soll geprüft werden. 2. Problembeschreibung 2.1. Die Rückstellung für Beitragsrückerstattung Bei Kapitallebensversicherungen werden die Versicherungsnehmer regelmäßig auch an den Überschüssen beteiligt, die die Versicherungsgesellschaft bei der vermögensverwaltenden Anlage der Versicherungsprämien erwirtschaftet. Art und Umfang dieser sogenannten Überschussbeteiligung waren und sind Gegenstand einer kontroversen Diskussion in der Rechtsprechung, im Gesetzgebungsverfahren und in der Literatur. „Gesetzlich ist eine Mindesthöhe der Verwendung für die Überschussbeteiligung der Versicherten vorgeschrieben (§ 140 VAG 2016 in Verbindung mit der Mindestzuführungsverordnung) und zwar 90 % der Kapitalerträge, 90 % des Risikoergebnisses und 50 % des übrigen Ergebnisses (§ 4 Mindestzuführungsverordnung). Eine Querverrechnung zwischen den einzelnen Überschussquellen war ab 2008 völlig untersagt, um einen zentralen, auch vom BVerfG beanstandeten Kritikpunkt am alten Recht Rechnung zu tragen.“ 1 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte mit Urteil vom 26.07.20052 die Schutzpflicht des Gesetzgebers im Bereich der kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung für verletzt angesehen. Insbesondere beanstandete das BVerfG, dass der Gesetzgeber keine hinreichenden rechtlichen Vorkehrungen dafür vorgesehen habe, dass bei der Ermittlung eines bei Vertragsende zuzuteilenden Schlussüberschusses die durch die Prämienzahlungen geschaffenen Vermögenswerte angemessen berücksichtigt werden. Die Schutzpflicht des Gesetzgebers leitete das BVerfG aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG ab. Die Versicherungsgesellschaften hatten und haben auch nach den gegenwärtig gültigen gesetzlichen Vorgaben mehrere Optionen, wie sie die Versicherungsnehmer an den bilanziellen Überschüssen beteiligen wollen. So kann die Rückstellung durch Zuteilung für die einzelnen Verträge (Direktgutschrift) oder durch Zuführung zur Rückstellung für Beitragsrückerstattung (abgekürzt: RfB, § 139 VAG 2016) 1 Wandt: Versicherungsrecht, M. III. Rn. 1236 2 BVerfG, Urteil vom 26.07.2005, Az: 1 BvR 80/95 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 5 erfolgen.3 „Die RfB ist nicht Teil der Deckungsrückstellung sondern eine eigene versicherungstechnische Rückstellung (§§ 341 e, 341 f HGB). Die der RfB zugewiesenen Beträge dürfen grundsätzlich nur für die Überschussbeteiligung der Versicherten einschließlich ihrer durch § 153 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) vorgeschriebenen Beteiligung an den Bewertungsreserven verwendet werden (§ 140 Abs. 1 Satz 1 VAG 2016). Nur ausnahmsweise darf der Versicherer die RfB, soweit sie nicht auf bereits festgelegte Überschussanteile entfällt, mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde im Interesse der Versicherten heranziehen, (1.) um einen drohenden Zustand abzuwenden , oder (2.) um unvorhersehbare Verluste aus den überschussberechtigten Versicherungsverträgen auszugleichen, die auf allgemeine Änderungen der Verhältnisse zurückzuführen sind, oder (3.) um die Deckungsrückstellung zu erhöhen, wenn die Rechnungsgrundlagen aufgrund einer unvorhersehbaren und nicht nur vorübergehenden Änderung der Verhältnisse angepasst werden müssen (§ 140 Abs. 1 Satz 2 VAG 2016).“4 2.2. Gesetzliche Änderungen für die Rückstellung für Beitragsrückerstattung Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber im Urteil vom 26.7.2005 aufgegeben bis zum 31.12.2007 eine Regelung zu treffen, die den Anforderungen der Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gerecht wird. Daraufhin präzisierte der Gesetzgeber den § 56a VAG aF5 dahingehend, dass die Ausnahmefälle, in denen die Versicherungsgesellschaft Rückstellungen für Beitragsrückerstattung, soweit sie nicht auf bereits festgelegte Überschußanteile entfallen, im Interesse der Versicherten heranziehen darf, genau definiert wurden. Nach der Gesetzesfassung vor 2008 war hierfür die Abwendung eines Notstandes ausreichend gewesen. Mit dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG), das zum August 2014 in Kraft trat, fügte der Gesetzgeber die Beschränkung für die Ausschüttung von Bilanzgewinnen in § 56a Abs. 2 Satz 3 VAG aF ein, wonach derartige Ausschüttungen nur zu einem den Sicherungsbedarf übersteigenden Anteil erfolgen dürfen. Diese Regelung findet sich nunmehr unverändert auch in § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG 2016. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung führt zur Begründung aus: „Absatz 2 regelt neu, dass die Ausschüttung des Bilanzgewinns nur soweit zulässig ist, wie er den Sicherungsbedarf des Unternehmens übersteigt. Dadurch wird erreicht, dass keine Mittel aus dem Unternehmen abfließen, die bei unveränderten Kapitalmarktzinsen für die Erfüllung der Versicherungsverträge benötigt werden. Die Regelung hat zudem zur Folge, dass, solange die Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven wegen eines Sicherungsbedarfs des Unternehmens eingeschränkt ist, in entsprechender Höhe auch die Ausschüttung eines Bilanzgewinns 3 Wandt: s. Fn. 1, Rn. 1239 4 Wandt: s. Fn. 1, Rn. 1239 5 Korrespondierende Regelung im alten VAG zu § 139 VAG 2016 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 6 unzulässig ist. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass ausscheidende Versicherte und Eigentümer des Versicherungsunternehmens gemeinsam zur Sicherung der Garantien der verbleibenden Versicherten beitragen.“6 Bereits in der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses zum LVRG am 30.06.20147 wurde von einzelnen Sachverständigen8 eine Ausweitung der Ausschüttungssperre auch auf Gewinnabführungsverträge gefordert. 3. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab Die zu prüfende Verschärfung der versicherungsaufsichtsrechtlichen Bestimmungen könnten einen Eingriff in die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Privatautonomie des Art. 2 Abs. 1 GG zu Lasten der Versicherungsgesellschaften darstellen. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte. 3.1. Schutzbereich der Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG „Der Abschluss obligatorischer und dinglicher Verträge über die Veräußerung, Nutzung oder Belastung von Eigentumsgegenständen ist Ausfluss der Eigentumsfreiheit. Denn die Eigentumsgarantie beinhaltet das Recht des „Habens“ und des „Gebrauchmachens“, also auch des Nutzens und des Verfügens in Ansehung der Eigentumsgegenstände. Dem Eigentümer ist die Vertragsfreiheit mithin durch Art. 14 gewährleistet, für den Vertragspartner dagegen wird in aller Regel die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1) zum Tragen kommen, da Art. 14 Abs. 1 nicht auch die „Erwerbsfreiheit“ gewährleistet.“9 Die Versicherungsgesellschaft vereinnahmt die Prämienzahlungen ihrer Versicherungsnehmer und verwaltet diese im Sinne der im Versicherungsvertrag festgelegten Anlage- und Absicherungszwecke . Als alleinig Verfügungsberechtigte kann die Versicherungsgesellschaft sich in Bezug auf die Verwendung der Versicherungsprämien auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG berufen. Die diesbezügliche Privatautonomie der Versicherungsgesellschaft ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. 6 BT-Drs. 18/1772, S. 22 7 Protokoll 18/15 abrufbar unter: https://www.bundestag .de/blob/285928/a7492131b53cf87228807d4039743e40/protokoll-data.pdf 8 Insbesondere der Bund der Versicherten äußerte diese Forderung sowohl in der Anhörung (Seite 27 des Protokolls ) als auch in seiner eingereichten Stellungnahme (Anlage 2 zum Protokoll 18/15 des Finanzausschusses, Seite 51) 9 Maunz/Dürig/Papier GG Art. 14 Rn. 228-234, beck-online Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 7 3.2. Eingriff in den Schutzbereich Der Auftraggeber bittet um Prüfung, ob eine Ausweitung des Ausschüttungsverbots des § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG 2016 auf Gewinnabführungsverträge verfassungskonform möglich wäre. Zudem sollen gewinnmindernde Maßnahmen wie Nachrangdarlehen und der Zinsaufwand für Genussrechte nicht zu einer Minderung des für Sicherungszwecke zur Verfügung stehenden Bilanzgewinns genutzt werden können. 3.2.1. Eingriffsqualität bei Gewinnabführungsverträgen Mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs der Ausschüttungssperre würde die regulierende Wirkung dieser Norm erhöht. Die betroffene Versicherungsgesellschaft dürfte auch die Überschüsse aus Gewinnabführungsverträgen nur insoweit zur Ausschüttung bringen, wie der Sicherungsbedarf nach § 139 Abs. 4 VAG 2016 nicht gefährdet wäre. Damit wird die unternehmerische Freiheit der Versicherungsgesellschaft zur Disposition über den erwirtschafteten Überschuss weiter eingeschränkt. Zugleich sind einzelvertragliche Rückwirkungen eines derartigen Ausschüttungsverbots auf die Gewinnabführungsverträge denkbar. So könnten Ansprüche aus Gewinnabführungsverträgen nicht erfüllt werden, da die Ausschüttung gegen das Verbot des § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG verstoßen würde. Hier wäre ggf. mit privatrechtlichen Nachteilen für die Versicherungsgesellschaft (Schadensersatzpflicht) zu rechnen, wenn sie ihren vertraglichen Verpflichtungen zur Gewinnabführung wegen eines gesetzlichen Verbots nicht nachkommen könnte. 3.2.2. Eingriffsqualität bei Nachrangdarlehen und Genussrechten Ähnlich ist der Eingriffscharakter für die geplante Änderung bei Nachrangdarlehen und Genussrechten zu beurteilen. Die Verwendungssperre für Genussrechte und Nachrangdarlehen besitzt jedoch eine höhere Eingriffsintensität als eine Sperre für Gewinnabführungsverträge. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Gewinnabführungsverträge individualvertragliche Regelungen zwischen der Versicherungsgesellschaft und Dritten sind, während es sich bei Genussrechten und Nachrangdarlehen um wichtige Finanzierungsinstrumente für die Unternehmen handelt, die teilweise eigenkapitalersetzend eingesetzt werden. Entscheidet sich der Gesetzgeber bei Kapitallebensversicherungen für einen Vorrang des Sicherungszwecks gegenüber der freien Nutzbarkeit von Genussrechten und Nachrangdarlehen, so führt diese Regelung faktisch zu einer Untersagung dieser Finanzierungsinstrumente. Dies würde einen erheblichen Eingriff in die Eigentumsgarantie und Privatautonomie der Versicherungsgesellschaft bedeuten. Zwischenergebnis: Beide Maßnahmen stellen einen Eingriff in die Eigentumsgarantie der Versicherungsgesellschaft und die Privatautonomie entsprechend Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG dar. 3.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs sind insbesondere die Grundrechte Dritter sowie Schutzpflichten des Gesetzgebers in das Verhältnis zu den Grundrechten des vom Eingriff Betroffenen zu setzen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 8 3.3.1. Vorgaben des BVerfG zum gesetzgeberischen Schutzzweck der Überschussbeteiligung Den grundrechtlichen Schutz aus Art. 2 Abs. 1 GG können sowohl der einzelne Versicherungsnehmer als auch der aus dem Versicherungsverhältnis (vorzeitig) ausscheidende Versicherungsnehmer für sich in Anspruch nehmen. Es handelt sich insoweit um eigentumsrechtlich geschützte Rechtspositionen.10 Zusätzlich können sich die Versicherungsnehmer auf ihre allgemeine Handlungsfreiheit hier insbesondere die Privatautonomie berufen, die es ihnen ermöglichen soll auf Vertragsgestaltungen möglichst gleichberechtigt Einfluss nehmen zu können. Das BVerfG konstatierte jedoch in seinem Urteil vom 26.7.200511, dass „angesichts der fehlenden Möglichkeiten der Versicherungsnehmer, ihre Belange zum Schutz der auch von der Eigentumsgarantie umfassten rechtlichen Positionen selbst und eigenständig effektiv zu verfolgen, […] den Gesetzgeber ein Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG“12 treffe. „In gleicher Weise ist der Gesetzgeber im Bereich der kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung verpflichtet vorzusorgen, dass die durch die Prämienzahlungen im Rahmen der unternehmerischen Entscheidungen des Versicherers geschaffenen Vermögenswerte als Grundlage einer Schlussüberschussbeteiligung einsetzbar sind, soweit sie nicht durch vertragsgemäße Dispositionen, etwa für die Verrechnung mit Abschluss- und laufenden Verwaltungskosten und die Erbringung der vereinbarten Versicherungsleistungen, verbraucht worden sind. Der objektivrechtliche Schutz aus Art. 14 Abs. 1 GG erstreckt sich auf die Sicherung des zunächst nur dem Grunde nach bestehenden, während der Laufzeit des Vertrags zu konkretisierenden und zu realisierenden Anspruchs auf Überschussbeteiligung. Dazu gehören die Berücksichtigung der beim Versicherer geschaffenen Vermögenswerte als Quellen für die Erwirtschaftung und darauf aufbauend die Berechnung von Überschüssen. Die Schutzpflicht folgt ergänzend aus Art. 2 Abs. 1 GG, da die Versicherungsnehmer nicht über effektive Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer rechtlich geschützten Interessen im Rahmen privatautonomer Entscheidungen verfügen.“13 „Die Effektivität des Grundrechtsschutzes fordert Maßstäbe und Möglichkeiten einer rechtlichen Überprüfung daraufhin, ob die maßgebenden Vermögenswerte bei der Berechnung des Schlussüberschusses angemessen berücksichtigt worden sind. Das Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit ist auch bei der Erfüllung von Schutzaufträgen zu beachten14. Dafür hat der Gesetzgeber hinreichend klare Maßstäbe bereitzustellen. Die Bestimmtheit der Norm soll unter anderem vor Rechtsverletzungen schützen, sei es durch den Staat selbst oder – soweit die Norm die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander regelt – auch durch diese. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, soweit Bürger an einer sie betreffenden Entscheidung nicht beteiligt sind, so dass sie ihre Interessen nicht selbst verfolgen können. Schließlich dienen die Normenbestimmt 10 So BVerfGE 114, 73 – 104, Urteil vom 26.7.2005, Rn. 81 (juris) 11 Siehe Fn. 10 12 BVerfG: ebenda, Rn. 81 13 BVerfG, Urteil vom 26.07.2005, Az: 1 BvR 80/95, Rn. 65 – 66 (juris) 14 vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Juli 2005, 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, C I 3 a Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 9 heit und die Normenklarheit dazu, die Gerichte in die Lage zu versetzen, getroffene Maßnahmen anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren. Die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Normen verlangen auch Vorgaben dafür , ob und wie weit stille Reserven bei der Berechnung des Rohüberschusses zu berücksichtigen sind und Querverrechnungen den Schlussüberschuss verringern dürfen. Die Versicherten haben nach dem vorliegend maßgebenden Recht keine hinreichende Möglichkeit, ihre entsprechenden Belange durch eigenes Handeln und darauf bezogenen gerichtlichen Rechtsschutz effektiv zu verfolgen . Die zum Ausgleich geschaffenen Vorkehrungen des Versicherungsaufsichtsrechts reichen zur Erfüllung des gesetzlichen Schutzauftrags nicht. Hinreichend bestimmte Normen sind zum Schutz der Versicherten unabdingbar, soweit diese ihre rechtlich erheblichen Belange nicht selbst und eigenständig effektiv verfolgen können. So liegt es im Rahmen der kapitalbildenden Lebensversicherung bei der Überschussermittlung. Es fehlen insbesondere Vorkehrungen dafür, dass stille Reserven bei Vermögenswerten, die mit Hilfe der Prämienzahlungen der Versicherungsnehmer gebildet worden sind, bei der Berechnung des Rohüberschusses berücksichtigt und dass Querverrechnungen von Kosten, soweit sie den Schlussüberschuss verringern, begrenzt werden.“15 Das BVerfG erklärte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2005 ausdrücklich auch die damaligen Regelungen des Versicherungsaufsichtsrechts für ungenügend, um der Schutzpflicht des Gesetzgebers gegenüber den Versicherteninteressen nachzukommen: „Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, rechtliche Maßstäbe vorzugeben und deren Prüfung im Interesse der Versicherungsnehmer dahingehend zu ermöglichen, ob die mit den Versicherungsprämien des jeweiligen Versicherungsnehmers bei dem Versicherer geschaffenen Vermögenswerte in einer einen gerechten Interessenausgleich ermöglichenden Weise der Ermittlung des Schlussüberschusses zu Grunde gelegt werden. Der Gesetzgeber hat weder im Versicherungsvertragsrecht noch im Versicherungsaufsichtsrecht für hinreichende Schutzvorkehrungen gesorgt. Diese - jeweils teilweise unterschiedliche Ziele verfolgenden - Teilrechtsordnungen belassen ein Schutzdefizit zu Lasten der Versicherten hinsichtlich der anzuwendenden Maßstäbe und der Verfahren der Interessendurchsetzung. Sie verweisen bei entscheidenden Weichenstellungen auf die jeweils andere Rechtsordnung, ohne dass dort für die erforderliche Berücksichtigung der Interessen der Versicherten gesorgt ist.“16 3.3.2. Die Ausschüttungssperre des § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG 2016 Die 2014 mit dem LVRG eingefügte Ausschüttungssperre des § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG 2016 soll den Sicherungsbedarf für die Versicherungsverträge mit Zinsgarantie absichern. Ausschüttungen an die Anteilseigner werden nur insoweit zugelassen wie der Sicherungsbedarf für die Versicherungsverträge mit Zinsgarantie nicht dadurch gefährdet wird. Damit dient die Ausschüttungssperre in ihrem jetzigen Regelungsgehalt dem Schutzziel, das dem Gesetzgeber vom BVerfG in seinem Urteil aus dem Jahre 2005 auferlegt wurde. Es soll gesetzlich abgesichert werden, dass die 15 BVerfG, Urteil vom 26.7.2005, Rn. 67 – 69 (juris) 16 BVerfG: ebenda, Rn. 82 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 10 vertraglich vereinbarten Zinsansprüche von der Versicherungsgesellschaft auch tatsächlich erfüllt und nicht durch etwaige zu hohe Gewinnausschüttungen an die Anteilseigner gefährdet würden. In einem großen Versicherungsunternehmen können jedoch nicht allein die Gewinnbeteiligungsansprüche der Anteilseigner (Aktionäre) den Sicherungsbedarf für die Versicherungsverträge gefährden . Vielmehr ist es plausibel, dass auch hohe Zahlungsverpflichtungen aus individualvertraglichen Gewinnabführungsvereinbarungen geeignet sein können, die Zins- und Überschussbeteiligungsansprüche der Versicherungsnehmer zu gefährden. Entsprechende Hinweise wurden bereits in der Anhörung des Finanzausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum LVRG am 30.6.2014 gegeben. So äußerte der Sachverständige Dr. Ellenbürger vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.17, dass Gewinn- und Ergebnisabführungsverträge nicht von der Ausschüttungssperre des § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG 2016 erfasst seien. Er sprach sich dafür aus hierzu eine Klarstellung im Gesetz selbst oder dessen Begründung vorzunehmen. Der Sachverständige Kleinlein vom Bund der Versicherten e.V.18 äußerte sich ähnlich. Er forderte in der Anhörung explizit eine Ausweitung der Ausschüttungssperre auch auf Gewinn- und Ergebnisabführungsverträge , um die Ansprüche der Versicherten gegenüber hohen Gewinnabführungsverträgen zu sichern. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit ist somit davon auszugehen, dass die hier zu prüfende Erweiterung der Ausschüttungssperre geeignet wäre einen legitimen Zweck, nämlich die Sicherung der Überschussbeteiligungsansprüche der Versicherten, zu gewährleisten. 3.3.3. Erforderlichkeit von Ausschüttungssperren Die Gesetzesänderungen müssten zudem erforderlich sein. Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn kein anderes weniger grundrechtsinvasives Mittel in gleicher Art und Weise geeignet ist, den legitimen Zweck zu erreichen. Die Ausweitung der Ausschüttungssperre auf Gewinnabführungsverträge wäre erforderlich, um das angestrebte Ziel der effektiven Gewährleistung des Sicherungsbedarfs zu erreichen. Eine alternativ denkbare freiwillige Verpflichtung der Versicherungswirtschaft auf die Beachtung des Sicherungsbedarfs bei der Erfüllung von Gewinnabführungsverträgen weist nicht die rechtliche Verbindlichkeit auf, die mit einer gesetzlichen Ausschüttungssperre verbunden ist. Letztlich würden sich Ansprüche aus Gewinnabführungsverträgen gerichtlich durchsetzen lassen, während einer freiwilligen Verpflichtung diese Vollziehbarkeit fehlen würde. Auch bei einem Verbot für Darlehenszahlungen im Mutter-Tochter-Verhältnis sowie der Bedienung von Ansprüchen aus Genussrechten, liegt eine Erforderlichkeit des Grundrechtseingriffs vor. Mit diesen Einschränkungen der Gewinnverwendung soll erreicht werden, dass das Versicherungsunternehmen nicht durch Zahlungen an Dritte seinen an die Versicherungsnehmer auszahlbaren Gewinn zielgerichtet reduziert, um so einen geringen Betrag für den Sicherungszweck nach § 139 VAG 2016 bereithalten zu müssen. Mit einer freiwilligen Vereinbarung kann nicht 17 Protokoll des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 30.6.2014, siehe Fn. 7, Seite 26 18 Protokoll des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 30.6.2014, siehe Fn. 7, Seite 27 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 11 rechtsverbindlich sichergestellt werden, dass die beabsichtigte vorrangige Verwendung des Gewinns für den Sicherungszweck von den Versicherungsgesellschaften beachtet würde. 3.3.4. Angemessenheit 3.3.4.1. Angemessenheit der Sperre für Gewinnabführungsverträge Die zu prüfende Gesetzesänderung müsste zudem angemessen bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Das heißt, dass der Grundrechtseingriff zu Lasten der Versicherungsunternehmen sich dadurch legitimiert, dass er unmittelbaren verfassungsrechtlichen Zielen, bspw. Schutzzielen die an den Gesetzgeber gestellt werden, dient. So verhält es sich im vorliegenden Fall: Die Ausweitung der Ausschüttungssperre auf Gewinnund Ergebnisabführungsverträge dient der effektiven Absicherung der Überschussbeteiligung aus den Versicherungsverträgen. Diese hat das BVerfG als Schutzziel des Gesetzgebers definiert. Wie der Gesetzgeber die Erfüllung des Schutzzieles ausgestaltet, bleibt innerhalb bestimmter verfassungsrechtlicher Vorgaben seinem Gestaltungsspielraum überlassen. „Dabei ist er nicht auf die bisherigen im Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertragsrecht vorgesehenen Instrumente beschränkt. Unter Nutzung der verschiedenen das Versicherungsrecht gestaltenden Teilrechtsordnungen stehen ihm unterschiedliche Wege offen. Angesichts der nicht zuletzt durch Richtlinien der Europäischen Union und den gestiegenen Wettbewerb zwischen inund ausländischen Versicherungsunternehmen ausgelösten Anstöße zur Anpassung des deutschen Rechts an die rechtlichen und tatsächlichen Entwicklungen wird der Gesetzgeber insbesondere zu klären haben, ob die zukünftige Zuordnung der Rechtspositionen der verschiedenen Versicherten und der Versicherer im vorhandenen rechtlichen Rahmen oder im Zuge weiterer Veränderungen der rechtlichen Strukturen des Lebensversicherungsrechts und des mit ihm verknüpften Gesellschaftsrechts sowie des Bilanzrechts erfolgen soll. In die Prüfung können Möglichkeiten zur Sicherung größerer Transparenz hinsichtlich der Entwicklung von Überschussquellen und der Auskehrung von Überschüssen und zur Verbesserung des Informationszugangs für die Betroffenen ebenso einbezogen werden wie neue verfahrensmäßige Wege zum Schutz der betroffenen Belange. Auch kann die Funktionsweise des Wettbewerbs durch ergänzende Informationen , etwa über Abschluss- und Verwaltungskosten sowie über Möglichkeiten der Querverrechnung und sonstige Konditionen der weiteren Abwicklung des Versicherungsvertrags, verbessert werden. In die gleiche Richtung können erleichterte Möglichkeiten zum Wechsel des Versicherers unter weitgehendem Erhalt der schon angesparten Rechtsposition wirken - etwa in Anlehnung an die Regelungen in § 7 und § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 des Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz - AltZertG) vom 26. Juni 2001 (BGBl I S. 1322). In Betracht kommen auch Regelungen über eine versicherungsspezifische Bilanzierung der Vermögenswerte unter detaillierter Offenlegung von Bewertungsreserven, die eine teilweise Berücksichtigung bei der Überschussbeteiligung ermöglichen, ohne dass stille Reserven realisiert werden müssten.“19 In diesen Rahmen unterschiedlicher gesetzlicher Gestaltungsoptionen fügt sich eine Ausweitung der Ausschüttungssperre für Gewinn- und Ergebnisabführungsverträge ein. Sie wäre eine mögli- 19 BVerfGE 114, 73 – 104, s. Fn. 13, Rn. 97 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 12 che Option um die Gewähr für die Schutzpflichtbeachtung zu Gunsten der Versicherten sicherzustellen . Ein Eingriff in den Kernbereich der Privatautonomie und der Eigentumsgarantie der Versicherungsunternehmen wäre mit der gesetzlichen Änderung nicht verbunden. Der Abschluss und die Erfüllung von Gewinnabführungsverträgen sind den Versicherungsgesellschaften weiterhin gestattet. Es wird lediglich ein Anteil am Überschuss zu Gunsten der Versicherteninteressen gesichert, damit der Überschussbeteiligungsanspruch nicht durch hohe Zahlungen an Einzelpersonen auf Grund von Gewinnabführungsverträgen ins Leere geht. 3.3.4.2. Angemessenheit einer Sperre für Genussrechte und Nachrangdarlehen Die o.g. höhere Eingriffsintensität in die Grundrechte der Versicherungsgesellschaft durch eine Gewinnverwendungssperre für Genussrechte und Nachrangdarlehen zieht folgerichtig auch eine intensivere verfassungsrechtliche Rechtfertigungsanforderung für diesen Eingriff nach sich. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es sich bei der Einschränkung der Gewinnverwendungsfreiheit um kein explizites Verbot von Genussrechten und Nachrangdarlehen handeln würde. Vielmehr würde die Ausschüttungssperre des § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG in seinem Anwendungsbereich auf Genussrechte und Nachrangdarlehen ausgeweitet. Dies würde wohl als faktische Verhinderung einer Bedienung von Genussrechten und Nachrangdarlehen aus der Kapitallebensversicherung wirken. Das BVerfG hat in den Mittelpunkt seines Urteils zur Überschussbeteiligung bei Kapitallebensversicherungen die Schutzbedürfnisse der Versicherten gestellt. Dabei betonte es: „Wenn die Rechtsordnung daran festhält, dass der Versicherte auf die in die Überschussbildung eingehenden Faktoren und die darauf aufbauende Errechnung der Überschussbeteiligung keinen Einfluss nehmen und deren Rechtmäßigkeit nicht gerichtlich überprüfen lassen kann, verlangt es die grundrechtliche Schutzpflicht, dass der Gesetzgeber Schutz auf andere Weise gewährt. Will er insofern weiterhin auf die Versicherungsaufsicht vertrauen, muss er dieser Maßstäbe zur Verfügung stellen, an denen die Rechtmäßigkeit der Überschussberechnung auch unter Berücksichtigung der individuellen Belange der Versicherten aufsichtsbehördlich überprüft werden kann. Dabei fordert das Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit vollzugsfähige normative Vorgaben, die dem Umstand Rechnung tragen, dass die Versicherungsnehmer an den sie betreffenden Maßnahmen nicht beteiligt sind, so dass sie ihre Interessen nicht selbst verfolgen können. Eine allgemein auf die Belange der Versicherten bezogene Generalklausel reicht für diese Prüfung ebenso wenig aus wie für die Klärung, ob Vermögenswerte aus Anlass einer Bestandsübertragung der Überschussbeteiligung entzogen worden sind.“20 Das BVerfG erwähnt hierbei ausdrücklich die unterschiedlichen Interessengruppen, die bei einer Neuregelung zur Berechnung und Auszahlung des Schlussüberschusses zu berücksichtigen sind: „Allerdings ist der Gesetzgeber gehindert, die Feststellung des Schlussüberschusses ausschließlich am Interesse der oder eines einzelnen Versicherten oder gar an dem Interesse eines aus dem Versicherungsverhältnis Ausscheidenden an der Optimierung der an ihn auszukehrenden Leistungen auszurichten. Dies widerspräche dem für das Versicherungsrecht typischen Grundgedanken einer Risikogemeinschaft und damit des Ausgleichs der verschiedenen, weder im Zeitablauf 20 BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005 – 1 BvR 80/95 –, Rn. 94, juris Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 13 noch hinsichtlich des Gegenstands stets identischen Interessen der Beteiligten. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht gebietet es auch nicht, die Versicherten mit eigenen Verfahrensrechten an der Aufsicht zu beteiligen oder Möglichkeiten des verwaltungsprozessualen Individualrechtsschutzes zur Durchsetzung von aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen vorzusehen, sofern auf andere Weise für hinreichenden Schutz gesorgt ist.“21 Für das Bundesverfassungsgericht sind unterschiedliche gesetzgeberische Maßnahmen denkbar, die zu einer Sicherstellung des Versichertenschutzes im Sinne der Schutzpflicht führen würden: „Dabei ist er nicht auf die bisherigen im Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertragsrecht vorgesehenen Instrumente beschränkt. Unter Nutzung der verschiedenen das Versicherungsrecht gestaltenden Teilrechtsordnungen stehen ihm unterschiedliche Wege offen. Angesichts der nicht zuletzt durch Richtlinien der Europäischen Union und den gestiegenen Wettbewerb zwischen inund ausländischen Versicherungsunternehmen ausgelösten Anstöße zur Anpassung des deutschen Rechts an die rechtlichen und tatsächlichen Entwicklungen wird der Gesetzgeber insbesondere zu klären haben, ob die zukünftige Zuordnung der Rechtspositionen der verschiedenen Versicherten und der Versicherer im vorhandenen rechtlichen Rahmen oder im Zuge weiterer Veränderungen der rechtlichen Strukturen des Lebensversicherungsrechts und des mit ihm verknüpften Gesellschaftsrechts sowie des Bilanzrechts erfolgen soll. In die Prüfung können Möglichkeiten zur Sicherung größerer Transparenz hinsichtlich der Entwicklung von Überschussquellen und der Auskehrung von Überschüssen und zur Verbesserung des Informationszugangs für die Betroffenen ebenso einbezogen werden wie neue verfahrensmäßige Wege zum Schutz der betroffenen Belange. Auch kann die Funktionsweise des Wettbewerbs durch ergänzende Informationen , etwa über Abschluss- und Verwaltungskosten sowie über Möglichkeiten der Querverrechnung und sonstige Konditionen der weiteren Abwicklung des Versicherungsvertrags, verbessert werden. In die gleiche Richtung können erleichterte Möglichkeiten zum Wechsel des Versicherers unter weitgehendem Erhalt der schon angesparten Rechtsposition wirken - etwa in Anlehnung an die Regelungen in § 7 und § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 des Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen22. In Betracht kommen auch Regelungen über eine versicherungsspezifische Bilanzierung der Vermögenswerte unter detaillierter Offenlegung von Bewertungsreserven , die eine teilweise Berücksichtigung bei der Überschussbeteiligung ermöglichen, ohne dass stille Reserven realisiert werden müssten.“23 Damit billigt das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Einschätzungsspielraum über die zur Erfüllung der Schutzpflicht zu treffenden Maßnahmen zu. Unter die Formulierung „Sicherung größerer Transparenz hinsichtlich der Entwicklung von Überschussquellen und der Auskehrung von Überschüssen“ könnte man auch das hier zu prüfende Vorhaben einer Sperre zur Absicherung des Sicherungszwecks gegenüber Genussrechten und der Bedienung von Nachrangdarlehen rechnen . Die Rechtsposition der Versicherungen beschreibt das BVerfG dabei folgendermaßen: „Die Versicherungsnehmer übertragen den Versicherungsunternehmen durch ihre Prämienzahlungen Ver- 21 BVerfG: ebenda, Rn. 95 22 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz - AltZertG vom 26. Juni 2001 (BGBl I S. 1322) 23 BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005 – 1 BvR 80/95 –, Rn. 97, juris Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 14 mögen, das vollständig in das unternehmerische Eigentum übergeht. Es entspricht den Grundannahmen einer privatwirtschaftlichen Versicherungsordnung, dass die Versicherungsunternehmen ihre Geschäftspolitik selbst gestalten und damit in unternehmerischer Eigenverantwortung über den wirtschaftlichen Erfolg entscheiden. Die Rechtsordnung, insbesondere das öffentlich-rechtliche Versicherungsaufsichtsrecht, begrenzt zwar die Dispositionsmöglichkeiten der Versicherungsunternehmen im Interesse der Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens und zum Schutz der Belange der Versicherten insgesamt, lässt aber den Grundsatz unternehmerischer Eigenverantwortung der Versicherungsunternehmen unberührt.“24 Das BVerfG beurteilt jedoch in diesem Zusammenhang die fehlende Ausweisung von stillen Reserven in den Bilanzen der Versicherungsgesellschaften kritisch. Geht man davon aus, dass entsprechend den Feststellungen des BVerfG „die Versicherten […] weiterhin keine Möglichkeit (haben), die Einbeziehung nicht realisierter stiller Reserven in die Überschussberechnung insoweit zu bewirken, als die Vermögenswerte auf den von ihnen erbrachten Prämienzahlungen beruhen“25, so könnte man die hier zu prüfenden Einschränkungen der Gewinnverwendung zugunsten des Sicherungsbedarfs als Ausgleich für die fehlende Nachprüfbarkeit der Bilanzen der Versicherungsgesellschaften für den einzelnen Versicherten ansehen . Diese Einschränkungen der Gewinnverwendung wären zudem gesetzgeberische Sicherungsmaßnahmen , die einen Ausgleich für die nach wie vor fehlenden individuellen Rechtschutzmöglichkeiten der Versicherten bilden. Bei der Abwägung der Grundrechtspositionen der Versicherten mit denen der Versicherungsgesellschaft sind zudem die vom BVerfG beanstandeten Unzulänglichkeiten im Versicherungsvertrags- und –aufsichtsrecht zu berücksichtigen: Für die Benachteiligung der Versicherungsnehmer durch die einseitige Gestellung der Vertragsbedingungen durch die Versicherungsgesellschaften, die fehlende Nachprüfbarkeit der versicherungsinternen Berechnung der Überschussbeteiligung und das Fehlen von Rechtsschutzmöglichkeit muss seitens des Gesetzgebers ein adäquater Ausgleich geschaffen werden, der die grundrechtlich geschützten Vermögenspositionen der Versicherten gewährleistet. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung auch die vollständige Abschaffung von stillen Reserven im Bilanzrecht der Versicherungen als eine denkbare Maßnahme des Gesetzgebers erwähnt. Diese Maßnahme dürfte ähnlich invasiv in die Grundrechte der Versicherung eingreifen, wie eine gesetzliche Sperre für die Bedienung von Genussrechten und Nachrangdarlehen aus den Überschüssen . Bei einer entsprechenden Bilanzierung würde der Bilanzgewinn mit den aktuellen Zeitwerten der Vermögenspositionen gebildet. Damit wären höhere Bilanzgewinne und somit auch eine höhere Besteuerungsgrundlage verbunden. Den Versicherungen würde die unternehmerische Freiheit zur Bestimmung des Zeitpunkts der Aufdeckung der stillen Reserven vollständig entzogen. 24 BVerfG: ebenda, Rn. 71, juris 25 BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005 – 1 BvR 80/95 –, Rn. 74, juris Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 15 Das BVerfG nimmt in seinem Urteil auch keine Abwägung der erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung des gesetzgeberischen Schutzzwecks und den Grundrechten der Versicherungsgesellschaften vor. Es erwähnt die Rechtsposition der Versicherungen nicht einmal als Schranke bei der Bestimmung der gesetzgeberischen Maßnahmen. Das bedeutet natürlich nicht, dass das BVerfG diese Rechtspositionen ignoriert. Es gibt jedoch einen deutlichen Hinweis darauf wie erheblich das Verfassungsgericht den Handlungsbedarf für den Gesetzgeber in diesem Urteil einschätzt . Dass das BVerfG auch am gegenwärtigen Regelungsgehalt des Versicherungsaufsichtsrechts unzureichende Regelungen erkennt, belegt ein obiter dicta aus dem Nichtannahmebeschluss vom 17.2.201726: „Allerdings werden die Zivilgerichte bei der zukünftigen Bestimmung des Umfangs und des Inhalts von Auskunftsansprüchen im Zusammenhang mit der Überschussbeteiligung gemäß § 153 VVG zu berücksichtigen haben, dass die Effektivität des Grundrechtsschutzes nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 Maßstäbe und Möglichkeiten einer rechtlichen Überprüfung daraufhin fordert, ob die maßgebenden Vermögenswerte bei der Berechnung des Schlussüberschusses angemessen berücksichtigt worden sind. Denn im Versicherungsaufsichtsrecht besteht nach wie vor eine bloße Missstandsaufsicht, die nur die "ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten" gewährleistet, und keine Rechtmäßigkeitsaufsicht, die unter Berücksichtigung der individuellen Belange der Versicherten erfolgt (vgl. § 294 Abs. 2 Satz 2 VAG bzw. § 81 Abs. 1 Satz 2 VAG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung); die Aufsichtsbehörde nimmt ihre Aufgaben gemäß § 294 Abs. 8 VAG (§ 81 Abs. 1 Satz 3 VAG a.F.) nur im öffentlichen Interesse wahr. Ob die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze ausreichen, um einen effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten, wird die weitere Entwicklung der Rechtsprechung zeigen.“27 Für eine Optimierung des Versicherungsaufsichtsrechts besteht aus Sicht des BVerfG somit weiterhin Handlungsspielraum. Es ist davon auszugehen, dass eine mögliche Ausweitung der Ausschüttungssperre und eine Verwendungssperre für Genussrechte und Nachrangdarlehen auch vor diesem Hintergrund vom BVerfG beurteilt werden würden. Die Gesetzesänderungen wären somit wohl verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, um Defizite bei der Sicherung der Versichertenansprüche zu beheben. 4. Umsetzungsmöglichkeiten im VAG § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG enthält bislang lediglich eine Ausschüttungssperre, die den Bilanzgewinn mit dem Sicherungsbedarf verknüpft. Demnach dürfen Bilanzgewinne nur insoweit ausgeschüttet werden, wie der Sicherungsbedarf gesichert ist. § 139 Abs. 4 VAG regelt sodann, wie sich der Sicherungsbedarf errechnet. 26 BVerfG, Beschluss vom 17.2.2017, Az: 1 BvR 781/15 27 BVerfG: ebenda, Rn. 40 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 106/17 Seite 16 Soll in die Ausschüttungssperre die Bedienung von Gewinnabführungsverträgen mit einbezogen werden, so müsste diese Begrenzung in § 139 Abs. 2 Satz 3 VAG eingefügt werden. Eine ähnliche Regelung müsste auch für die Bedienung von Genussrechten und Nachrangdarlehen getroffen werden. Hier wäre eine Zahlung auch nur noch insoweit zuzulassen, wie der Sicherungsbedarf des § 139 Abs. 4 VAG 2016 gesichert wäre. ***