© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 104/20 Mitteilungspflicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Bilanzkontrollverfahren Bedeutungsgehalt des Begriffs „Tatsache“ nach § 110 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 Wertpapierhandelsgesetz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Gesetzesbegründung und Normzweck 5 3.1. § 110 Abs. 1 WpHG 5 3.2. § 110 Abs. 2 Satz 1 WpHG 5 3.3. § 110 Abs. 2 Satz 2 WpHG 6 4. Erkenntnisse aus dritter Hand 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/20 Seite 4 1. Einleitung Die §§ 106-113 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) regeln die Abschlussprüfung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Im Rahmen der Überwachung ist die BaFin nach § 110 WpHG zur „Mitteilung an andere Stelle“ verpflichtet. Die Norm bestimmt, dass bestimmte Tatsachen an andere Stellen übermittelt werden müssen, namentlich nach § 110 Abs. 1 WpHG an die Strafverfolgungsbehörden, nach § 110 Abs. 2 Satz 1 WpHG an die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) und gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 WpHG an die Börsenaufsichtsbehörde. Die folgende Ausarbeitung ist mit der Frage befasst, welche Erkenntnisse als „Tatsachen“ im Sinne des § 110 WpHG an die betreffenden Stellen weiterzuleiten sind und ob dies auch Informationen aus dritter Hand einbezieht. Aus dem Gesetzestext ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welchen Bedeutungsgehalt der Begriff „Tatsache“ in der betreffenden Norm hat. Die Frage ist bis zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Sachstandes auch nicht Gegenstand eines Urteils oder richterlichen Beschlusses gewesen. Daher kann eine Definition des Begriffes nur näherungsweise vor dem Hintergrund der hergebrachten Grundsätze aus der Gesetzesbegründung, dem rechtlichen Kontext und des Normzwecks erfolgen. 2. Allgemeines zum Begriff Der Begriff der „Tatsache“ wird im Gesetz an verschiedenen Stellen verwendet und ist teilweise mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt versehen. Von größter Prominenz und Relevanz ist die „Tatsache“ wohl im Bereich der Grundrechte, aber auch im Strafgesetzbuch (StGB) und in der Zivilprozessordnung (ZPO).1 Im Kontext der damit verbundenen Rechtsgebiete hat die Rechtswissenschaft ausführliche Definitionen des Begriffes entwickelt. So wird zur Meinungsfreiheit nach Art. 5 des Grundgesetzes (GG) die „Tatsachenbehauptung“ in Abgrenzung zur bloßen Meinung anhand ihrer Beweisbarkeit definiert.2 Ähnlich liegt es im Strafrecht, wo nach herrschender Meinung unter Tatsachen „alle konkreten vergangenen oder gegenwärtigen Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Innenlebens zu verstehen [sind], die sinnlich wahrnehmbar oder zumindest empirisch überprüfbar und damit dem Beweis grundsätzlich zugänglich sind“.3 Den Definitionen ist gemein, dass eine Tatsache sich wesentlich durch ihre Beweisbarkeit auszeichnet und eine bloße Vermutung oder Anschauung somit nicht inbegriffen ist. Entsprechend ist davon auszugehen, dass sich die Mitteilungspflicht der BaFin auch auf solche Informationen 1 Im Rahmen der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz kommt es erheblich auf den Begriff der „Tatsache“ an. Außerdem etwa die Täuschung über Tatsachen bei § 263 Abs. 1 StGB oder die Beweisaufnahme im Zivilprozess nach § 284 ff. ZPO. 2 BeckOK GG/Schemmer GG Art. 5, Rn. 5. 3 Schönke/Schröder/Perron, StGB § 263, Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/20 Seite 5 beschränkt, die hinreichend gesichert und als Beweis für den jeweiligen Tatbestand tauglich sind. 3. Gesetzesbegründung und Normzweck Eine knappe Begründung des § 110 WpHG findet sich in den Gesetzesmaterialien zum Bilanzkontrollgesetz (BilKoG) vom 24.06.2004, mit dem die betreffende Norm neu eingeführt wurde.4 3.1. § 110 Abs. 1 WpHG Die Begründung des § 37r Abs. 1 WpHG a.F., der nunmehr wortgleich in § 110 Abs. 1 WpHG gefasst ist, verweist auf „Erkenntnisse der Bundesanstalt“ die den „Verdacht einer Straftat im Zusammenhang mit der Rechnungslegung des Unternehmens“ begründen.5 Hier kommen insbesondere solche Erkenntnisse in Betracht, die das Vorliegen einer Straftat nach § 331 Handelsgesetzbuch (HGB) oder § 400 Aktiengesetz (AktG) vermuten lassen, also Straftaten im Bereich der falschen Rechnungslegung oder die unrichtige Darstellung der Konzernverhältnisse.6 Ebenfalls erheblich sind Hinweise auf Straftaten, die eine falsche Rechnungslegung erst ermöglichen sollen, etwa Urkundenfälschung, Betrug oder Insolvenzstraftaten. Gegenstand der Norm sind solche Erkenntnisse , die die BaFin bei der Überprüfung der Rechnungslegung gewinnt und die in ihrem jeweiligen Sachzusammenhang erheblich sind. 3.2. § 110 Abs. 2 Satz 1 WpHG Der Begriff der Tatsache aus § 110 Abs. 2 Satz 1 WpHG lässt sich mit Rückgriff auf die Begründung des ebenfalls mit dem Bilanzkontrollgesetz eingeführten § 342b Abs. 8 HGB erläutern. Dieser ist zwar an die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) gerichtet, im Wesentlichen aber wortgleich und zweckidentisch mit § 110 Abs. 2 Satz 1 WpHG. Danach ist der Hauptanwendungsfall der Norm „die Feststellung eines Fehlers in einem geprüften Abschluss […], zu dem gleichwohl ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers erteilt wurde“.7 Darüber hinaus können Tatsachen in Betracht kommen, die einen Verstoß gegen die Berufspflichten der Wirtschaftsprüfer aus §§ 43 ff. der Wirtschaftsprüferordnung (WPO) bzw. der Verordnung Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (AP-VO) vermuten lassen. Hierunter fallen etwa Verstöße gegen das Unabhängigkeitsgebot (§ 43 Abs. 1 WPO) oder das Verbot der parallelen Erbringung von Nichtprüfungsleistungen (Art. 5 AP-VO). 4 Siehe BT-Drs. 15/3421. 5 BT-Drs. 15/3421, S. 19. 6 Schwark/Zimmer/Hennrichs, WpHG § 110, Rn. 1. 7 BT-Drs. 15/3421, S. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/20 Seite 6 3.3. § 110 Abs. 2 Satz 2 WpHG § 110 Abs. 2 Satz 2 WpHG entspricht in seinem Regelungsgehalt § 110 Abs. 1 Satt 1 WpHG mit dem Unterschied, dass er Tatsachen zum Gegenstand hat, die den Verstoß gegen börsenrechtliche Vorschriften vermuten lassen. Dies sind die Vorschriften des Börsengesetzes (BörsG), die in erster Linie der Preis-, Qualitäts- und Marktzugangsregulierung dienen.8 Diese enthalten Performance und Design Standards, Informationspflichten und andere Restriktionen, um die Qualität der Instrumente und Produkte am Finanzmarkt sicherzustellen.9 4. Erkenntnisse aus dritter HHHand Die Systematik der §§ 106-113 WpHG und das darin angelegte zweistufige Enforcement-Verfahrens weisen der BaFin die Bilanzkontrolle auf der zweiten Stufe zu. Dies spricht dafür, dass sich der Begriff der „Tatsachen“ aus § 110 WpHG auf solche beschränkt, die im Rahmen der Bilanzprüfung zutage treten. Ob auch solche Erkenntnisse, die sich aufgrund von Mitteilungen Dritter ergeben, unter die Mitteilungspflicht der BaFin aus § 110 WpHG fallen, erscheint unter diesem Gesichtspunkt zweifelhaft. Eine andere Frage wäre es, inwiefern die BaFin aufgrund von Hinweisen aus dritter Hand zur Ermittlung im Rahmen der Bilanzprüfung angehalten ist. Dies wird allgemein befürwortet.10 Dass wiederum Tatsachen, die sich aus einer anschließenden Prüfung ergeben , der Mitteilungspflicht des § 110 WpHG unterliegen, ist fraglos. Es ginge allerdings zu weit, der Bundesanstalt aus § 110 WpHG eine Pflicht zur Weiterleitung solcher, ohnehin öffentlich zugänglicher , Quellen an die betreffenden Stellen zuzuerkennen. Die Gesetzessystematik spricht vielmehr dafür, dass § 110 WpHG die Übermittlung von straf- bzw. sanktionsrechtlich relevanten Informationen, die sich im spezifischen Zugriffsbereich der BaFin befinden, an die zuständigen Stellen sicherstellen soll. Daher spricht vieles dafür, dass der BaFin keine Pflicht zur Weiterleitung von Presseartikeln betreffend mögliche Wirtschaftsstraftaten oder ähnliches an die Strafverfolgungsbehörden bzw. die Börsenaufsicht oder APAS obliegt. Nähme man eine solche weitergehende Verpflichtung an, so würde die Bundesanstalt quasi zur vorgeschalteten Ermittlungsbehörde der anderen Stellen. *** 8 Schwark/Zimmer, BörsG Einleitung, Rn. 20. 9 Ebenda. 10 Hönsch in Assmann/Schneider/Mülbert WpHG § 108 Rn. 13