© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 104/19 Einzelfragen zur Reform der Grundsteuer Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/19 Seite 2 Einzelfragen zur Reform der Grundsteuer Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 104/19 Abschluss der Arbeit: 28. August 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Regelungen im Gesetzentwurf 4 3. Bewertung einer „Schattenrechnung“ 4 4. Verfassungsmäßigkeit einer makroökonomischen Verrechnungsformel 4 5. Grundsteueraufkommen bei einem Flächenmodell 6 6. Auswirkungen auf den bundesstaatlichen Finanzausgleich 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/19 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber bittet um Beantwortung diverser Einzelfragen zum Gesetzentwurf zur Reform der Grundsteuer und die Auswirkungen auf den bundesstaatlichen Finanzausgleich. 2. Regelungen im Gesetzentwurf Durch die geplante Einführung einer Länderöffnungsklausel bestünde künftig für die Bundesländer die Möglichkeit, eine vom Bundesrecht abweichende Regelung für die Grundsteuer zu treffen . Dies hat unmittelbar Auswirkungen auf den bundesstaatlichen Finanzausgleich bei der Berechnung der Finanzkraft der einzelnen Bundesländer. Insofern ist es im Rahmen einer Vergleichbarkeit der Finanzkraft erforderlich, dass diese von einer bundeseinheitlichen Bemessungsgrundlage ausgehend berechnet wird. Daher sieht Artikel 17 des Grundsteuer-Reformgesetzes in § 8 Abs. 2 FAG eine entsprechende Anpassung vor, so dass für alle Bundesländer eine Bewertung der wirtschaftlichen Einheiten nach dem dann neu gefassten Bewertungsgesetz erfolgen muss. Dies gilt auch für die Berechnungsweise der Grundbeträge für die Grundsteuer durch das Statistische Bundesamt. Folglich müssen zunächst alle Bundesländer, nach Implementierung der Grundsteuerreform, die bundesgesetzlich normierte Bewertung umsetzen. Davon abweichende Regelungen einzelner Bundesländer im Rahmen der Öffnungsklausel müssten zusätzlich durchgeführt werden. 3. Bewertung einer „Schattenrechnung“ Eine Bewertung oder wissenschaftliche Einordnung sogenannter „Schattenrechnungen“ im Rahmen der Grundsteuerreform ist bisher durch Fachpublikationen nicht erfolgt, da der Vorschlag einer Länderöffnungsklausel erst im Laufe des aktuellen Jahres eingebracht wurde. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zu den unterschiedlichen Modellen zur Grundsteuerreform sind bisher davon ausgegangen, dass eine bundeseinheitliche Regelung umgesetzt wird. 4. Verfassungsmäßigkeit einer makroökonomischen Verrechnungsformel Gefragt wird nach der Verfassungsmäßigkeit einer makroökonomischen Verrechnungsformel als Ersatz für das im Gesetzentwurf beschriebene Verfahren zur Berücksichtigung des Aufkommens der Grundsteuer im bundesstaatlichen Finanzausgleich. Art. 107 Abs. 2 GG konstituiert eine Rechtspflicht zu einer wirksamen Ausgleichsregelung, solange die Finanzausstattung der verschiedenen Länder nach Durchführung des vorläufigen Finanzausgleichs nach Art. 107 Abs. 1 GG noch unangemessen große Unterschiede aufweist, zumal ein Ausgleich auf anderem Wege wegen des abschließenden Charakters des Art. 107 Abs. 2 GG unzulässig ist.1 Bei der Ermittlung der Finanzkraft wird vom Finanzausgleichsgesetz auch in seiner ab dem 01.01.2020 geltenden Fassung fast ausschließlich auf das tatsächliche Aufkommen abgestellt, die Steueranspannung bleibt weitgehend unberücksichtigt. Allein bei der Berücksichtigung der Realsteuern der Gemeinden werden die Steuereinnahmen auf einheitliche Hebesätze 1 Dreier/Heun/Thiele, GG, Art. 107, Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/19 Seite 5 umgerechnet, da die Steueranspannung in den Kommunen erhebliche Unterschiede aufweist.2 Die Finanzkraft der Gemeinden und Gemeindeverbände ist gemäß Art. 107 Abs. 2 S. 1 2. Hs. GG bei dem betreffenden Land zu berücksichtigen. Deshalb sind grundsätzlich auch die gemeindlichen Einnahmen in die Ermittlung einzubeziehen. Allerdings war es schon für die bisherige Regelung zu rechtfertigen, die kommunalen Einnahmen, die »einen speziellen Bezug zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaften aufweisen, nicht voll in die Finanzkraft des Landes einzubeziehen «. Deshalb ist es auch für die bisherige Regelung für zulässig erachtet worden, Realsteuern mit örtlichem Bezug, die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern sowie die Konzessionsabgaben , die von Versorgungsunternehmen an die Kommunen gezahlt werden, (teilweise) außer Ansatz zu lassen.3 Das ist denn auch weiterhin in § 8 III FAG in der ab 1. 1. 2020 geltenden Fassung vorgesehen, allerdings ist der Anteil der zu berücksichtigenden Steuereinnahmen von 64% auf 75% erhöht worden.4 Bei der Umsetzung von Art. 107 Abs. 2 GG sind dem Gesetzgeber jedoch beachtliche Einschätzungs - und Gestaltungsspielräume zuzubilligen.5 Aus Art. 107 Abs. 2 GG lassen sich jedoch auch das Nivellierungsverbot und das Verbot zur Veränderung der Finanzkraftreihenfolge ableiten. Durch den bundesstaatlichen Finanzausgleich dürfen finanzstarke Länder deshalb nicht entscheidend in ihrer Leistungsfähigkeit geschwächt und ihre Leistungsbereitschaft gehemmt werden . Ausgeschlossen ist folglich eine Nivellierung der Finanzkraft der Bundesländer. Ebenso wenig darf es zu einer Änderung der Finanzkraftreihenfolge unter den Bundesländern kommen.6 Sogenannte Schattenrechnungen oder makroökonomische Verrechnungsformeln setzen nicht am Ist-Aufkommen an, sondern berechnen ein fiktives mögliches Aufkommen. Derartige Berechnungen finden schon jetzt im bundesstaatlichen Finanzausgleich bei der Ermittlung der Finanzkraft der Bundesländer statt. § 7 Abs. 1 Satz 2-4 Finanzausgleichsgesetz (FAG) erfasst die Steuerkraftzahlen der Grunderwerbsteuer. Die aus der Steuersatzautonomie für die einzelnen Bundesländer resultierenden Folgen müssen aus gleichheitsrechtlichen Gründen berücksichtigt und für den Verbund bereinigt werden. „Dies folgt aus der Auslegung der dortigen Leitbegriffe „Einnahmen“ und „Finanzkraft“. Eine besondere Regelung im Maßstäbegesetz (MaßstG) war deshalb nicht notwendig .“7 Somit wird „zur Berechnung der Finanzkraft eines Bundeslandes– anders als bei den anderen relevanten Steuerarten – nicht die tatsächlichen Steuereinnahmen eines Landes herangezogen . Vielmehr wird eine fiktive Steuerkraft ermittelt, indem der Anteil eines Bundeslandes am 2 Dreier/Heun/Thiele, GG, Art. 107, Rn. 34. 3 Maunz/Dürig/Seiler, GG, Art. 107 GG, Rn. 95. 4 Dreier/Heun/Thiele, GG, Art. 107, Rn. 35. 5 Dreier/Heun/Thiele, GG, Art. 107, Rn. 38. 6 BeckOK, Grundgesetz/Kube, GG, Art. 107, Rn. 13. 7 Nomos-BR/Hidien, FAG, Jürgen W. Hidien, FAG § 7, Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/19 Seite 6 bundesweiten Transaktionsvolumen als Bemessungsgrundlage mit dem bundesweiten, effektiven Durchschnittssteuersatz multipliziert wird.“8 Die Verfassungsmäßigkeit einer makroökonomischen Verrechnungsmethode hängt somit von deren konkreten Ausgestaltung ab und müsste sich in dem dargestellten verfassungsrechtlichen Rahmen bewegen. 5. Grundsteueraufkommen bei einem Flächenmodell Eine Studie des ifo-Instituts von August 2018 hat die Belastungs- und Aufkommenswirkung der zu dem damaligen Zeitpunkt vorliegenden Reformvorschläge untersucht. Als Modell einer flächenbasierten Grundsteuer wurde in dieser das Äquivalenzmodell (auch Südmodell) betrachtet. Die Berechnungen wurden unter der Annahme durchgeführt, dass insgesamt Aufkommensneutralität gewahrt bleibt und die Hebesätze sich nicht verändern. Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen: „Vom Äquivalenzmodell würden vor allem die Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern profitieren. Im Durchschnitt liegen die Aufkommenszuwächse hier bei fast 40%, wobei kleine und mittelgroße Kommunen in stärkerem Maße an Aufkommen dazugewinnen als Großstädte. Neben den Kommunen in den neuen Bundesländern profitieren auch die kleineren Gemeinden mit bis zu 20.000 Einwohnern in Westdeutschland beim Äquivalenzmodell. Hier beträgt der geschätzte Aufkommenszuwachs durchschnittlich 19%. Größere Städte und Gemeinden im Westen sowie die Stadtstaaten zählen dagegen zu den Verlierern des Äquivalenzmodells. Die geschätzten Aufkommensverluste betragen bei den Stadtstaaten 21%, bei den westdeutschen Großstädten gar 35%. (…) Beim Äquivalenzmodell fallen die Einkommenszuwächse bei den Kommunen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern am größten aus. Aber auch unter den westdeutschen Bundesländern gibt es mit dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen Bundesländer, deren Kommunen beim Äquivalenzmodell im Durchschnitt einen Aufkommenszuwachs verzeichnen. Zu den größten Verlierern des Äquivalenzmodells zählen vor allem die Stadtstaaten.“9 In Bezug auf die Grundsteuerbelastung für Grundeigentümer bzw. Mieter in den Gemeinden kommt die ifo-Studie zu folgenden Ergebnissen für das Äquivalenzmodell: „Das Äquivalenzmodell zeichnet sich durch eine gleichmäßige Verteilung der Grundsteuerlast und eine moderate Höhe der durchschnittlichen Grundsteuerschuld über das Bundesgebiet hinweg sowie zwischen Immobilieneigentümern in kleineren und größeren Städten und Gemeinden aus. Im Vergleich zum gegenwärtigen Grundsteuermodell werden beim Äquivalenzmodell vor allem die Eigentümer bzw. Mieter von Wohnungen in den Stadtstaaten sowie den westdeutschen 8 Hentze, Tobias: Fehlanreize bei der Grunderwerbsteuer im Länderfinanzausgleich, IW Kurzbericht, 31. Januar 2017, im Internet unter: https://www.iwkoeln.de/studien/iw-kurzberichte/beitrag/tobias-hentze-fehlanreize-beider -grunderwerbsteuer-im-laenderfinanzausgleich-320403.html [23.05.19]. 9 Ifo-Institut: Die Grundsteuer in Deutschland: Finanzwissenschaftliche Analyse und Reformoptionen, August 2018, im Internet unter: https://www.cesifo-group.de/DocDL/ifo-studie-2018-fuest-etal-grundsteuer.pdf [22.08.2019], S. 20ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/19 Seite 7 Flächenländern finanziell bessergestellt. In den Stadtstaaten und den größeren Städten und Gemeinden in Westdeutschland (ab 100.000 Einwohnern) halbiert sich die durchschnittliche Grundsteuerlast für Eigentümer bzw. Mieter von Wohnungen nahezu. Bei den Einfamilienhäusern führt das Äquivalenzmodell in den westdeutschen Flächenländern in Städten und Gemeinden ab einer Größe von 20.000 Einwohnern im Schnitt zu einer Verringerung der Grundsteuerlast . Schlechter gestellt werden im Vergleich zum Status Quo dagegen die Eigentümer bzw. Mieter von Einfamilienhäusern in kleineren westdeutschen Städten und Gemeinden (bis 20.000 Einwohner ) sowie in den ostdeutschen Flächenländern insgesamt, da sie beim Äquivalenzmodell eine höhere Grundsteuerlast zu tragen haben als gegenwärtig. Allerdings fällt die finanzielle Mehrbelastung hier in der Regel moderat aus.“10 6. Auswirkungen auf den bundesstaatlichen Finanzausgleich Durch die beschlossene Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen erfolgt ab 2020 eine Angleichung der Finanzkraftunterschiede der Länder über Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuerverteilung und Sonderbedarfsergänzungszuweisungen des Bundes. Bei der Berechnung der Finanzkraft eines Landes findet auch die kommunale Steuerkraft (ab 2020 75%) Berücksichtigung. „Eine Grundsteuerreform, die mit Anpassungen der Wertverhältnisse einhergeht, wird sich somit – wenn auch minimal – immer auch auf den Bund-Länder-Finanzausgleich auswirken.“11 Ob die Gesetzgebungskompetenz für die Reform der Grundsteuer beim Bund verbleibt oder durch die Länder künftig ausgeführt werden müsste, ist für die möglichen Auswirkungen in den föderalen Finanzbeziehungen unerheblich. Die Studie des ifo-Instituts aus dem August 2018 hat die Auswirkungen der damals diskutierten Reformmodelle (Äquivalenzmodell, Verkehrswertmodell, Bodenwertsteuer) auf den Länder-Finanzausgleich untersucht. Dabei kann konstatiert werden, dass die einzelnen Reformmodelle keinen Einfluss auf den Status als Geber- oder Nehmerland hätten. Durch die Untersuchung wird aufgezeigt, „dass es eine beachtliche Korrespondenz gibt zwischen den Lagern, die die einzelnen Reformmodelle unterstützen, und den Auswirkungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs; die Befürworter der einzelnen Reformmodelle sind zumeist gleichzeitig auch deren Profiteure. So würde unseren Schätzungen zufolge die Einführung des Äquivalenzmodells dazu führen, dass die drei Urheber des Modells Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, die gleichzeitig Geberländer sind, in Zukunft einen geringeren Beitrag im Rahmen des Finanzausgleichs zu leisten hätten, während es mit Ausnahme Hamburgs insbesondere aktuelle Nehmerländer sind, die durch das Äquivalenzmodell im Finanzausgleich verlieren. Insgesamt würde das Transfervolumen im Äquivalenzmodell abnehmen. Beim Verkehrswertmodell sind es dagegen abgesehen von Berlin ausschließlich die Geberländer, die sich durch die Reform im Länderfinanzausgleich schlechter stellen, da sie höhere Beiträge zu leisten haben. Dementsprechend nimmt das Transfervolumen insgesamt zu. Am stärksten betroffen ist dabei Bayern, dessen Beiträge beim Verkehrswertmodell den Schätzungen zufolge um fast 600 Millionen EUR ansteigen würden. Berlin verliert zwar ebenfalls, und dass, obwohl es als Befürworterin des Verkehrswertmodells gilt; als Stadtstaat 10 Ifo-Institut: Die Grundsteuer in Deutschland: Finanzwissenschaftliche Analyse und Reformoptionen, August 2018, im Internet unter: https://www.cesifo-group.de/DocDL/ifo-studie-2018-fuest-etal-grundsteuer.pdf [22.08.2019], S. 23. 11 Färber, Gisela: Eine schnelle und gerechte Grundsteuerreform ist nötig, in: Zeitgespräch, ZBW 2018, S. 168. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 104/19 Seite 8 steht Berlin jedoch das Grundsteueraufkommen zu, wodurch hier ein deutlich positiver Saldo zu Buche steht. Bei der Bodenwertsteuer sind es neben Berlin noch drei von vier Geberländern, die als Reformverlierer dastehen. Auch hier ist Bayern im Finanzausgleich mit einem zusätzlichen Beitrag 717 Millionen EUR der größte Verlierer.“12 *** 12 Ifo-Institut: Die Grundsteuer in Deutschland: Finanzwissenschaftliche Analyse und Reformoptionen, August 2018, im Internet unter: https://www.cesifo-group.de/DocDL/ifo-studie-2018-fuest-etal-grundsteuer.pdf [22.08.2019], S. 29.