© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 103/16 Reichweite des Kooperationsverbots beim Bildungs- und Teilhabepaket Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 103/16 Seite 2 Reichweite des Kooperationsverbots beim Bildungs- und Teilhabepaket Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 103/16 Abschluss der Arbeit: 02.09.2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 103/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Das Kooperationsverbot des Art. 104a Grundgesetz (GG) als Prüfungsmaßstab für das Bildungs- und Teilhabepaket 4 2.1. Anwendung des Art. 104a GG auf das Bildungs- und Teilhabepaket 4 2.2. Die indirekte Finanzierung des Bildungs- und Teilhabepakets durch den Bund 5 3. Wechselwirkung zwischen Kooperationsverbot und Kreis der Leistungsbeziehenden? 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 103/16 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber möchte wissen, ob die Einbeziehung von Wohngeld- und Kinderzuschlagempfängern in das Bildungs- und Teilhabepaket einen Verstoß gegen das finanzverfassungsrechtliche Kooperationsverbot darstellt. Zudem soll erläutert werden, welche Grenze das Kooperationsverbot beim Kreis der Leistungsberechtigten definiert. 2. Das Kooperationsverbot des Art. 104a Grundgesetz (GG) als Prüfungsmaßstab für das Bildungs- und Teilhabepaket 2.1. Anwendung des Art. 104a GG auf das Bildungs- und Teilhabepaket Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 9. Februar 20101 die Berechnungsmodelle für die sozialrechtlichen Regelleistungen für Kinder nach SGB II mit dem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt. Im Rahmen des darauf folgenden Gesetzgebungsverfahrens für ein Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches2 waren zwei Vermittlungsverfahren erforderlich, um die Zustimmung des Bundesrates zu erlangen. Hierbei wurden auch das sog. Bildungs- und Teilhabepaket für den Mehrbedarf von Kindern und Jugendlich mit § 28 SGB II eingeführt. Im zweiten Vermittlungsverfahren verständigten sich die Mitglieder des Vermittlungsausschusses auf eine Berechnungsformel für den Zuschuss, den der Bund an die Länder für die Kosten für Unterkunft und Heizung gewähren soll, § 46 Abs. 6 und 7 SGB II. In diese Berechnungsformel wurden auch die Kosten für das Bildungs- und Teilhabepaket einbezogen. Für die Verteilung der Ausgabenverantwortung zwischen Bund und Ländern legt die Finanzverfassung des Grundgesetzes in Art. 104a Abs. 1 fest, dass Bund und Länder die Ausgaben grundsätzlich gesondert tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. „Art. 104 a Abs. 1 GG erfasst die Länder einschließlich der Gemeinden. Anders als auf der Einnahmeseite, auf der das Grundgesetz den Gemeinden in Art. 106 GG bestimmte Einnahmen zuweist, ist die Ausgabenverantwortung in Art. 104a Abs. 1 GG nur zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Die Gemeinden sind Teil der Länder.“3 1 BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09-, BVerfGE 125, 175-260 2 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drs. 17/3404 sowie Gesetzentwurf der Bundesregierung , BT-Drs. 17/3958, 17/3982 und Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drs. 17/4032 3 Maunz/Dürig, GG Art. 104a Rn. 27, abgerufen unter www.beck-online.de Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 103/16 Seite 5 Als Träger der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket hat der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II die kreisfreien Städte und Kreise bestimmt. Damit wurde die Leistungsträgerschaft den Ländern zugewiesen, was nach Art. 104 a Abs. 1 GG auch eine Finanzierungspflicht durch die Länder nach sich ziehen würde. Gleiches gilt für Kinder von Kinderzuschlagsempfängern gem. §§ 6b, 7 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Zwar sieht Art. 104a Abs. 3 GG einen Ausnahmetatbestand der Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern vor. Voraussetzung für diese Ausnahme ist jedoch ein Bundesgesetz, das Geldleistungen gewährt. Ansprüche auf Sachleistungen sind kein Anwendungsfall des Ausnahmetatbestands des Art. 104a Abs. 3 GG.4 „Bei Gesetzen, die nur teilweise Geldleistungsbestimmungen , im Übrigen aber andere Kosten verursachende Bestimmungen enthalten, darf sich der Bund nur an den Kosten der Geldleistungsbestimmungen beteiligen, da nur insoweit Art. 104a Abs. 3 Anwendung finden kann.“5 § 28 SGB II enthält Sach- und Geldleistungen. So wird der Anspruch auf außerschulische Nachhilfe gemäß § 28 Abs. 5 iVm § 29 Abs. 1 Satz 2 SGB II als Sachleistung in Form von Gutscheinen erbracht. Die Ansprüche aus § 28 Abs. 3 und 4 SGB II sind dagegen als Geldleistungen ausgestaltet , § 29 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Zwischenergebnis: Der Bund dürfte somit nur die Geldleistungen in § 28 SGB II finanzieren. 2.2. Die indirekte Finanzierung des Bildungs- und Teilhabepakets durch den Bund Da es jedoch dem damaligen politischen Willen im Vermittlungsausschuss entsprach sämtliche Ausgaben für das Bildungs- und Teilhabepaket durch den Bund finanzieren zu lassen, wurde eine indirekte Finanzierungsform im Wege der Berechnungsformel des § 46 Abs. 6 SGB II gewählt . „Nach § 46 Abs. 5 SGB II beteiligt der Bund sich an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II. Diese Beteiligung beträgt ab 2014 in Baden-Württemberg 31,6 v.H., in Rheinland-Pfalz 37,6 v.H. und in den übrigen Ländern 27,6 v.H. der Leistungen, jeweils zuzüglich einer Erhöhungszahl, welche sich nach § 46 Abs. 6 SGB II berechnet.“6 Gemäß § 46 Abs. 6 SGB II erhöhen sich die in Absatz 5 Satz 2 bis 5 genannten Prozentsätze jeweils um einen Wert in Prozentpunkten. Dieser entspricht den Gesamtausgaben für die Leistungen nach § 28 sowie nach § 6b des Bundeskindergeldgesetzes (Bildungs- und Teilhabepaket) des abgeschlossenen Vorjahres geteilt durch die Gesamtausgaben für die Leistungen nach Absatz 5 Satz 1 des abgeschlossenen Vorjahres multipliziert mit 100. Bis zum Jahr 2013 beträgt dieser Wert 5,4 Prozentpunkte. 4 Maunz/Dürig, GG, Art. 104a, Rn. 33 5 Maunz/Dürig, GG, Art. 104a, Rn. 40 6 Kempny/Reimer, Neuordnung der Finanzbeziehungen – Aufgabengerechte Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, Gutachten D zum 70. Deutschen Juristentag Hannover 2014, D 35 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 103/16 Seite 6 „Die Erhöhung des Bundesanteils mittels der Erhöhungszahl nach § 46 Abs. 6 SGB II wurde 2011 (im Vermittlungsverfahren) eingeführt, um den Ländern und Gemeinden die Kostenlast der sog. Leistungen für Bildung und Teilhabe (§ 19 Abs. 2, § 28 SGB II, § 34 SGB XII, § 6b BKGG) abzunehmen . Eine offene Übernahme durch den Bund schied aus, weil es sich nicht durchweg um Geldleistungen handelt. Da der politische Wille aber ungeachtet der verfassungsrechtlichen Lage da war, übernahm der Bund die Kosten verdeckt, indem eine Erhöhung der Kostenübernahme für eine zumindest regelmäßig als Geldleistung erbrachte Leistung ins Gesetz geschrieben wurde, die sich nach den Kosten für eine Nichtgeldleistung bemisst. Diese Umgehung der Beschränkung des Kostenübernahmerechts des Bundes nach Art. 104a Abs. 3 S. 1 GG ist verfassungsrechtlich und –politisch fragwürdig.“7 3. Wechselwirkung zwischen Kooperationsverbot und Kreis der Leistungsbeziehenden? Der Auftrag richtet den Fokus insbesondere auf die Frage, ob das Kooperationsverbot Folgewirkungen für den Kreis der Leistungsberechtigten haben kann. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 9. Februar 20108 die Verpflichtung für den Gesetzgeber zur Neuregelung des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden , nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs auf die Leistungsberechtigten nach § 7 SGB II begrenzt. Aus der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung ergab sich somit keine Verpflichtung das Bildungs- und Teilhabepaket auch auf Kinder von Wohngeldempfängern oder Kinderzuschlagsbeziehenden auszuweiten. Die Freiwilligkeit der Leistungsgewährung für den Gesetzgeber entfaltet jedoch keine Folgewirkung auf die Aspekte der Ausgabenverteilung und das zu beachtende Kooperationsverbot des Art. 104a GG. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich frei, ob und in welchem Ausmaß er Mischfinanzierungen für reine Geldleistungsansprüche einführt oder nicht. Für den Ausnahmetatbestand des Art. 104a Abs. 3 GG ist sogar eine Voraussetzung, dass das Bundesgesetz Geldleistungen gewährt. „Das ist nur dann der Fall, wenn der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes frei ist, ob er die Geldleistungen vorsieht oder nicht. Geldleistungen, zu denen der Staat auf Grund übergeordneter verfassungsrechtlicher Bestimmungen verpflichtet ist oder die nur die Gegenleistung im Rahmen eines Austauschverhältnisses darstellen, werden nicht durch den Gesetzgeber gewährt, wenn er das Nähere regelt. Die Verpflichtung zu den Geldleistungen besteht bereits vorher.“9 7 siehe Fn. 6 8 siehe Fn. 1 9 Maunz/Dürig, GG, Art. 104a, Rn. 34 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 103/16 Seite 7 Fazit: Das Kooperationsverbot des Art. 104a GG entfaltet keine begrenzende Wirkung für den Kreis möglicher Leistungsempfänger des Bildungs- und Teilhabepakets. Ende der Bearbeitung