© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 100/20 Einzelfrage zur ressortübergreifenden Mittelveranschlagung im Bundeshaushalt Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 100/20 Seite 2 Einzelfrage zur ressortübergreifenden Mittelveranschlagung im Bundeshaushalt Aktenzeichen: WD 4 - 3000 – 100/20 Abschluss der Arbeit: 18. September 2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 100/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Grundsätze der Haushaltsveranschlagung 4 3. Haushaltspraxis 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 100/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftrag zielt auf die Frage ab, ob eine ressortübergreifende Mittelveranschlagung und –bewirtschaftung im Bundeshaushalt haushaltsrechtlich zulässig ist. 2. Grundsätze der Haushaltsveranschlagung Die Gliederung des Haushaltsplanes ist mit übereinstimmendem Wortlaut in § 10 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGRG)1 und § 13 Bundeshaushaltsordnung (BHO)2 rechtsverbindlich festgelegt . Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BHO gibt es zwei Prinzipien, nach denen die Einzelpläne gegliedert werden können3: - Ministerial- oder Ressortprinzip; die Einzelpläne enthalten alle Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen eines einzelnen Verwaltungszweiges. Die Gliederung erfolgt nach Aufgabeträgern und damit nach der organisatorischen Zuständigkeit. - Realprinzip/Funktionalprinzip; die Einzelpläne enthalten bestimmte Gruppen von Einnahmen , Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen. Die Gliederung wird ohne Rücksicht auf die Verwaltungsorganisation und damit ressortübergreifend nach Aufgaben vorgenommen . Die Haushaltsgliederung nach dem Ressortprinzip trägt am ehesten dem in Artikel 65 Grundgesetz enthaltenen Grundsatz der Ressortverantwortung sowie den haushaltsmäßigen Erfordernissen Rechnung, die für die Aufstellung, Bewirtschaftung und Kontrolle des Haushalts gelten.4 Sie ermöglicht einerseits eine sachgemäße Vertretung und Begründung der Einzelanforderungen der Fachressorts gegenüber dem Finanzministerium und dem Parlament. Andererseits gewährleistet sie eine möglichst überschaubare Durchführung des Haushaltsplans sowie die ordnungsgemäße Haushaltskontrolle.5 Demgegenüber liegt dem Realprinzip der Gedanke zugrunde, sachlich zusammenhängende Ausgaben unabhängig von der Ressortverantwortung im Einzelplan des Ressorts zu veranschlagen, bei dem der Schwerpunkt der Aufgaben liegt.6 Dem Vorteil der hierdurch gewonnenen Übersichtlichkeit steht jedoch der Nachteil gegenüber, dass die Finanzverantwortung und die Sachkompetenz bei unterschiedlichen Ministerien angesiedelt sind und damit auseinanderfallen. Daraus resultieren Unzuträglichkeiten im Hinblick auf die Vertretung und Begründung der Mittelanforde- 1 Vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Art. 10 G v. 14.8.2017, BGBl. I S. 3122. 2 Vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284), zuletzt geändert durch Art. 212, V v. 19.6.2020, BGBl. I S. 1328. 3 Hugo, in: Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht, Stand Juni 2012, § 13 Rn 5. 4 Ebenda; Häußer, in: Gröpl, 2. Auflage 2019, BHO, § 13 Rn 21. 5 Knörzer, in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 45. Erg.-Lfg. Januar 2011, § 13 Rn.5. 6 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 100/20 Seite 5 rungen gegenüber dem Finanzminister und Parlament sowie hinsichtlich der Haushaltskontrolle .7 Das Realprinzip bietet sich daher vor allem bei Haushaltsmitteln an, die entweder nicht einem einzelnen Ressortbereich8 zugeordnet werden können oder aber unterschiedliche Ressortbereiche 9 berühren.10 Ausnahmsweise können auch politische Gründe, etwa gemeinsame Verantwortung der Bundesregierung bzw. mehrerer Ministerien für bestimmte politisch sensible Ausgaben , 11 ausschlaggebend dafür sein, dass eine Veranschlagung nach dem Ressortprinzip ausscheidet .12 3. Haushaltspraxis In der modernen Haushaltswirtschaft hat sich die Gliederung der Einzelpläne nach dem Ministerialprinzip weitestgehend durchgesetzt. Aktuell sind von 22 Einzelplänen des Bundeshaushaltes 20 nach dem Ministerialprinzip und nur zwei nach dem Realprinzip (Bundesschuld und Finanzverwaltung ) gegliedert. Bis zum Haushaltsjahr 2005 gab es als weiteren Realplan den Einzelplan Versorgung. Seit dem Haushaltsjahr 2006 werden die Versorgungsausgaben dezentral veranschlagt , um die Zusammenführung von Fach- und Finanzverantwortung zu fördern.13 Eine ressortübergreifende Mittelveranschlagung nach dem Realprinzip kommt hingegen nur ausnahmsweise zur Anwendung. Beispiel hierfür ist die „Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“ im Einzelplan 60 Kapitel 6002 Titel 68730. Die Ausgaben hierfür lassen sich nicht einem einzelnen Ressort zuordnen. 14 Die Mittelbewirtschaftung erfolgt einvernehmlich durch das Bundesministerium der Verteidigung und dem Auswärtigen Amt.15 Eine weitere Ausnahme bildet die mit dem Ersten Nachtragshaushalt 202016 im Einzelplan 60 Kapitel 6002 Titel 97107 veranschlagte „Globale Mehrausgabe Corona-Pandemie“ i. H. v. 55 Mrd. €. Diese „zentrale“ Mittelveranschlagung war in Anbetracht der Eilbedürftigkeit 7 Knörzer, a.a.O. 8 Z. B.: Zinsangaben des Bundes (Kapitel 3205), Zuschuss an die Postbeamtenversorgungskasse (Kapitel 6002 Titel 68501). 9 Z. B. Verstärkung von Ausgaben im Personalsektor (Kapitel 6002 Titelgruppe 01). 10 Hugo, in: Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht, Stand Juni 2012, § 13 Rn 5. 11 Z. B. Beitrag zur Beschaffung von Verteidigungssystemen für Israel (Kapitel 6002 Titel 55901). 12 Hugo, a.a.O., § 13 Rn 5. 13 Hugo, a.a.O., § 13 Rn 6. 14 Vgl. Begründung im Vorwort zum Einzelplan 60, Bundeshaushaltsplan 2020, S. 2. 15 Vgl. Erläuterung Nr. 1 zum Titel 68703. 16 Vom 27.3.2020, BGBl. I S. 556. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 100/20 Seite 6 und der Unsicherheiten im Hinblick auf den Finanzbedarf und die Folgen der Corona-Krise begründet .17 Im Rahmen des Zweiten Nachtragshaushalts 202018 wurden die Globale Mehrausgabe aufgelöst und die restlichen Mittel nach dem Ressortprinzip zugeordnet. *** 17 Die Inanspruchnahme der Globalen Mehrausgabe durch die einzelnen Ressorts bedurfte der Einwilligung des Bundesministers der Finanzen und ab einem Betrag von 200 Mio. € auch der Vorabunterrichtung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. 18 Vom 14.7.2020, BGBl. I S. 1669.