© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 099/19 Zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Solidaritätszuschlags in aktueller Konzeption und der Verfassungsmäßigkeit geplanter Änderungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Solidarpakt I & II – Einführung und Entwicklung bis 2020 5 2.3. Rechtliche Einordnung des Solidaritätszuschlags 6 2.3.1. Einordnung des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe unter die Art. 104 ff. GG 7 2.3.2. Verhältnis von Solidaritätszuschlag und Solidarpakt I & II 8 2.4. Maßgebliche Rechtsprechung von BVerfG und BFH zur Ergänzungsabgabe und zum Solidaritätszuschlag 10 2.4.1. Bundesverfassungsgerichts-Beschluss vom 9.2.1972 zur Vereinbarkeit der Ergänzungsabgabe 1968 mit dem Grundgesetz 10 2.4.2. Bundesverfassungsgerichts-Beschluss vom 8.9.2010 zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags im Jahre 2007 12 2.4.3. BFH-Urteil vom 21.07.2011 zur rechtmäßigen Erhebung des Solidaritätszuschlags im Veranlagungszeitraum ab 2005 13 3. Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages ab Ende 2019 14 3.1. Solidaritätszuschlag erfüllt Voraussetzungen der Erhebung einer Sonderabgabe nicht mehr 15 3.2. Möglichkeit einer Umwidmung? 16 4. Verfassungsmäßigkeit der „90%-Lösung“ aus dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung 17 4.1. Verfassungswidrigkeit jedweder Erhebung über 2019 hinaus 18 4.2. Verstoß der „90%-Lösung“ gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG? 19 4.2.1. Ungleichbehandlung von natürlichen Personen 19 4.2.2. Ungleichbehandlung von Unternehmen 20 4.3. Verstoß der „90%-Lösung“ gegen die Finanzverfassung? 21 5. Zusammenfassung 22 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 4 1. Fragestellung Gefragt ist nach einer Bewertung der Verfassungsmäßigkeit des im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD geplanten und mittlerweile im Regierungsentwurf1 umgesetzten Vorhabens, nur einen Teil der Steuerzahler beim Abbau des Solidaritätszuschlags zu berücksichtigen , und zwar vor dem Hintergrund der generellen Kritik an der fortlaufenden Erhebung des Solidaritätszuschlags über den Ablauf des Solidarpaktes II hinaus. Zur Beantwortung der Frage sind zunächst die Entstehungsgeschichte des Solidaritätszuschlags sowie der Status quo in rechtlicher wie in wirtschaftlicher Hinsicht aufzuzeigen (2.). Dann wird die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des aktuell bestehenden Solidaritätszuschlags über das Ende 2019 hinaus analysiert (3.), bevor schlussendlich die Verfassungsmäßigkeit der Lösung aus dem aktuellen Koalitionsvertrag2 zwischen CDU, CSU und der SPD (im Folgenden: 90%-Lösung) adressiert wird (4.) und eine Zusammenfassung der Bewertung im Gesamten erfolgt (5.). 2. Vorbemerkungen und rechtliche Grundlagen Für die Bewertung der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags ist zunächst ein kurzer Überblick zur Einführung des Solidaritätszuschlages zu geben (2.1). Sodann muss die Weiterentwicklung der rechtlichen und wirtschaftlichen Situation, insbesondere im Zusammenhang mit der Ausführung der Solidarpakte I & II dargestellt werden (2.2). Zum anderen ist es nötig eine rechtliche Einordnung des Solidaritätszuschlages, insbesondere in das Steuersystem der Verfassung vorzunehmen (2.3), und schließlich die Leitlinien der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzuzeigen (2.4). 2.1. Einführung, Begründung und Entwicklung des Solidaritätszuschlags Der Solidaritätszuschlag in seiner ursprünglichen Idee ist zwischen 1991 und 1992 eingeführt worden.3 Als Sinn und Zweck der Erhebung sind damals die finanziellen Auswirkungen des Golfkrieges sowie die Mehrbelastungen resultierend aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1 Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2019/08/2019-08-21- Gesetzentwurf-Abschaffung-Soli.pdf;jsessionid=C23B8C5BD6D4EA5BF4851097069D7288?__blob=publication- File&v=2, im Internet (zuletzt abgerufen am 28.08.2019). 2 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, im Internet: https://www.bundesregierung .de/resource/blob/656734/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertragdata .pdf?download=1 (zuletzt abgerufen am 28.08.2019). 3 Gesetz zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags und zur Änderung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen (Solidaritätsgesetz), BGBl. I 1991, 1318. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 5 und der Wiedervereinigung angeführt worden.4 Dieser erste Solidaritätszuschlag war zeitlich befristet , vom 1. Juli 1991 bis zum 30. Juni 1992 und wurde zunächst nicht verlängert, so dass er Mitte 1992 auslief.5 Nach einer Pause wurde das – noch heute gültige – Solidaritätszuschlaggesetz 1995 (SolzG) eingeführt .6 Das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG)7, welches die Einführung des Solidaritätszuschlags in Art. 31 vorsah, begründete dessen Notwendigkeit damals wie folgt: „Zur Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands ist ein solidarisches finanzielles Opfer aller Bevölkerungsgruppen unausweichlich. Die Bundesregierung schlägt deshalb mit Wirkung ab 1. Januar 1995 einen — mittelfristig zu überprüfenden — Zuschlag zur Lohn-, Einkommen - und Körperschaftsteuer für alle Steuerpflichtigen vor. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit der richtige Lösungsweg. Der Zuschlag ohne Einkommensgrenzen belastet alle Steuerpflichtigen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit. Mehrfachbelastungen (z. B. sog. Kaskadeneffekt bei mehrstufigem Unternehmensaufbau) werden vermieden. […]“8 Seitdem folgten nur redaktionelle Anpassungen im Rahmen der Einführung anderweitiger bezugnehmender Gesetze sowie Anpassungen in der Höhe der Abgabe, die bis 1997 bei 7,5%, ab 1998 dann 5,5% der Bemessungsgrundlage betrug.9 Die Gesetzesbegründung, bzw. die rechtliche Grundlage für die Erhebung des Solidaritätszuschlags selbst ist seither aber weder angepasst noch ergänzt worden. Im Zuge der Absenkung des Prozentsatzes auf 5,5% ist lediglich angeführt worden, dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags auch weiterhin notwendig sei, um den finanziellen Mehraufwand resultierend aus der Wiedervereinigung abzudecken und die Absenkung nur konjunkturelle Gründe habe.10 2.2. Solidarpakt I & II – Einführung und Entwicklung bis 2020 Neben dem Solidaritätszuschlag gab es weitere finanzpolitische Maßnahmen, um insbesondere die wirtschaftliche Schwäche der neuen Bundesländer, die aus dem Gesamtprozess der Wiedervereinigung resultierte, anzugehen. Sowohl der Solidarpakt I als auch der Solidarpakt II stellten 4 BT Drs. 12/220. 5 Siehe § 3 des Gesetzesentwurfs, BT Drs. 12/220. 6 Es war Teil des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms und trat am 1. Januar 1995 in Kraft; vgl. BGBl. I 1993, 944. 7 Gesetz über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte vom 23.06.1995. 8 BT Drs. 12/4401, S. 51. 9 Kube, Verfassungsrechtliche Problematik der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags, DStR 2017, 1792, 1793. 10 BT Drs. 13/8701, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 6 bzw. stellen dabei eine Einigung zwischen Bund und Ländern dar, wonach besondere Maßnahmen , unter anderem finanzieller Art, vorgesehen sind, um die neuen Bundesländer von teilungsbedingten Sonderlasten zu befreien. Im Rahmen des Solidarpakt I, der 1994 in Kraft trat und 2004 auslief, waren insgesamt ca. 95 Milliarden EUR11 an die neuen Bundesländer gezahlt worden.12 Dennoch wurde festgestellt, dass mit der Bereitstellung der Maßnahmen des Solidarpakts I das Ziel, wirtschaftliche Augenhöhe zwischen den Bundesländern zu erreichen, noch nicht erreicht war.13 So wurde bereits im Jahre 2001 der Solidarpakt II auf den Weg gebracht, der den Solidarpakt I ab 2005 ablöste und Ende 2019 ausläuft. Er besteht aus zwei Körben, die insgesamt ein Volumen von ca. 156 Milliarden EUR umfassen.14 Der größere Korb I enthält ca. 105 Milliarden EUR, die zur Deckung teilungsbedingter Sonderlasten aus dem bestehenden infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft dienen.15 Der zweite Korb mit ca. 51 Milliarden EUR dient überproportionalen Leistungen in mit den neuen Ländern abgestimmten Politikfeldern.16 Ab 2020 werden die finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Ländern neu geregelt. Ab dann liegt dem Finanzausgleich wieder die „verfassungsrechtliche Normallage“ zugrunde.17 2.3. Rechtliche Einordnung des Solidaritätszuschlags Um die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags bzw. einer Änderung dessen adäquat zu beantworten, muss zunächst dessen Charakter als Ergänzungsabgabe im System der Finanzverfassung erläutert (2.3.1) und vor diesem Hintergrund auch das Verhältnis zu den bereits angesprochenen Solidarpakten I & II dargestellt werden (2.3.2). 11 Diese Werte kamen zustande u.a. durch die Abgabe von sieben Umsatzsteuerpunkten an die Länder, die Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich, sowie der Einführung des später in die Bundesschuld integrierten Erblastentilgungsfonds, siehe Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Abbau des Solidaritätszuschlags vom 4. Juni 2019, Gz.: I 2 – 90 08 04, S. 10, Fn. 17. 12 Kube, Verfassungsrechtliche Problematik der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags, DStR 2017, 1792, 1792. 13 Kube, Verfassungsrechtliche Problematik der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags, DStR 2017, 1792, 1792. 14 Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Abbau des Solidaritätszuschlags vom 4. Juni 2019, Gz.: I 2 – 90 08 04, S. 10. 15 Ebd. 16 Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Abbau des Solidaritätszuschlags vom 4. Juni 2019, Gz.: I 2 – 90 08 04, S. 11, Fn. 18 m.w.N. 17 Kube, Verfassungsrechtliche Problematik der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags, DStR 2017, 1792, 1799; Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Abbau des Solidaritätszuschlags vom 4. Juni 2019, Gz.: I 2 – 90 08 04, S. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 7 2.3.1. Einordnung des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe unter die Art. 104 ff. GG Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer . Die Ergänzungsabgabe stellt – in der Literatur beinahe unstreitig – eine echte Steuer im Sinne von § 3 AO dar.18 Die Einnahmen stehen allein dem Bund zu und er hat auch die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass einer derartigen Abgabe, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG. Da die Einnahmen dem Bund zustehen, muss der Bundesrat einem Bundesgesetz über eine derartige Abgabe nicht zustimmen.19 Wird eine Ergänzungsabgabe eingeführt, handelt es sich bei dem maßgeblichen Gesetz – so auch beim SolzG 1995 – um ein Einspruchsgesetz.20 Entsprechend besteht eine Bindung des Gesetzgebers an den Steuertypenkatalog des Art. 106 GG. Die Voraussetzungen an den einschlägigen Steuertypus – im Rahmen des Solidaritätszuschlags also die Anforderungen an eine Ergänzungsabgabe – sind stets zu wahren.21 Dem Bundesgesetzgeber steht kein Steuererfindungsrecht zu.22 Werden die Grenzen überschritten, so wäre eine derartige Abgabe verfassungswidrig.23 Problematisch ist insoweit, dass der Begriff der Ergänzungsabgabe nicht in der Verfassung legaldefiniert ist und die benannten Grenzen sich zunächst nicht klar umreißen lassen. Tappe vertritt die Meinung, materiell seien allein die allgemein auf Steuern anwendbaren Grundrechte heranzuziehen , im Kern seien dies der allgemeine Gleichheitssatz und daneben die allgemeine Handlungsfreiheit.24 Der Großteil der Literatur hingegen schränkt den Begriff der Ergänzungsabgabe deutlich weiter ein. Danach sei ein allgemeiner Finanzierungsbedarf des Bundes nicht ausreichend , um die Erhebung einer Sonderabgabe auf das Einkommen als solche zu rechtfertigen. Vielmehr müssten weitergehende, außerordentliche und legitimierende Gründe vorliegen.25 Originärer Zweck der Ergänzungsabgabe im Gesamtsteuersystem sei die Abdeckung eines besonde- 18 Siehe Tappe, Schriftliche Stellungnahme zu PA 7 – 19/1179, 19/1083 – Öffentliches Fachgespräch am 27. Juni 2018 zu den Anträgen BT-Drs. 19/1038 und 19/1179 (Solidaritätszuschlag), S. 2, m.w.N.; vgl. auch Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Verfassungskonformität und Zukunft des Solidaritätszuschlags – auch unter Berücksichtigung der Diskussion um den Abbau der kalten Progression, DStR 2014, 1309. 19 Wernsmann, Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags verfassungsmäßig?, NJW 2018, 916, 916. 20 Wernsmann, Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags verfassungsmäßig?, NJW 2018, 916, 916. 21 Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2410. 22 Kube, Verfassungsrechtliche Problematik der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags, DStR 2017, 1792, 1794. 23 Vgl. dazu Wernsmann, Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags verfassungsmäßig?, NJW 2018, 916, 916. 24 Tappe, Schriftliche Stellungnahme zu PA 7 – 19/1179, 19/1083 – Öffentliches Fachgespräch am 27. Juni 2018 zu den Anträgen BT-Drs. 19/1038 und 19/1179 (Solidaritätszuschlag), S. 3. 25 Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2410 f.; Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 8 ren Finanzbedarfs des Bundes durch nicht anderweitig auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt .26 Diese Sichtweise stützt sich vor allem auf die Gesetzesbegründung27 zur Einführung der Ergänzungsabgabe als Steuertypus aus dem Jahre 1955. Dort heißt es: „Die Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer ist dazu bestimmt, anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken, den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes in begrenztem Rahmen eine elastische, der jeweiligen Konjunkturlage und dem jeweiligen Haushaltsbedarf angepaßte Finanzpolitik zu ermöglichen und das Steuerverteilungssystem im Verhältnis zwischen Bund und Ländern dadurch zu festigen, daß die Notwendigkeit einer Revision der Steuerbeteiligungsquoten (vgl. Nr. 115) auf solche Mehrbelastungen des Bundes beschränkt wird, die nicht aus dieser beweglichen Steuerreserve gedeckt werden können (vgl. Entwurf eines Gesetzes über die Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer —BT-Drucksache Nr. 484 —). Aus dieser Funktion der Ergänzungsabgabe ergibt sich die Notwendigkeit, das Aufkommen ausschließlich dem Bund zuzuweisen.“ Vor diesem Hintergrund geht die überwiegende Meinung in der Fachliteratur davon aus, dass die Ergänzungsabgabe an konkrete Umstände zu knüpfen ist, die einen Bedarf des Bundes allein begründen und gerade nicht zu einem Dauerfinanzierungsinstrument werden dürfe.28 Auf dieser Basis wird weiter angenommen, dass eine ursprünglich verfassungskonform eingeführte Ergänzungsabgabe mit Zeitablauf verfassungswidrig werden kann, wenn der beschriebene Sonderbedarf dauerhaft wegfällt.29 2.3.2. Verhältnis von Solidaritätszuschlag und Solidarpakt I & II Vor dem oben dargestellten Problem der genauen Grenzen der Ergänzungsabgabe als Steuertypus stellt sich auch die Frage des Zusammenhangs zwischen dem Solidaritätszuschlag und den verabschiedeten Solidarpakten. Unstreitig besteht jedenfalls eine politische Verbindung.30 Tappe allerdings geht davon aus, dass wegen der fehlenden Grenzen des Begriffs der Ergänzungsabgabe keine rechtliche Verbindung zum Solidarpakt I & II bestehe. In Bezug auf die Termini „Bedarfsspitzen“ und „zusätzlicher Finanzbedarf“ aus der Gesetzesbegründung schließt Tappe: „Für die Frage, was einen solchen Bedarf bildet und wann ein solcher Bedarf anzunehmen ist, 26 Dies ergibt sich schon aus der Gesetzesbegründung des Gesetzes zur Änderung und Anpassung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz), BT Drs. II/480, S. 72 f., sowie aus der Rechtsprechung des BVerfG, siehe dazu etwa BVerfG, NJW 1972, 757, 758. 27 BT Drs. II/480, S. 72 f. 28 Siehe Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten ? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2411, m.w.N. 29 Kube, Verfassungsrechtliche Problematik der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags, DStR 2017, 1792, 1798; Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten ? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2411, m.w.N. 30 Tappe, Schriftliche Stellungnahme zu PA 7 – 19/1179, 19/1083 – Öffentliches Fachgespräch am 27. Juni 2018 zu den Anträgen BT-Drs. 19/1038 und 19/1179 (Solidaritätszuschlag), S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 9 bestehen allerdings sehr weite Einschätzungs- und Beurteilungsspielräume des Gesetzgebers. Keinesfalls ist es so, dass Steuern (auch der Solidaritätszuschlag ist eine Steuer) einem bestimmten Zweck dienen, dies unterscheidet Steuern gerade von anderen Abgabearten wie Gebühren, Beiträgen oder Sonderabgaben.“31 Dieser Argumentation verschließt sich auch der Großteil der Literatur nicht vollständig. Hoch räumt insoweit ein: „Zwar mag es insoweit keine derart enge (verfassungs-)rechtliche Verbindung geben, dass allein das Auslaufen des Solidarpaktes II die Legitimation des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe sozusagen ipso iure entfiele und dessen Erhebung zwangsläufig verfassungswidrig würde.“32 Dennoch bedürfe eine Ergänzungsabgabe aber wegen ihres besonderen Typus einer Legitimation. Papier führt aus, die Legitimation habe zunächst unstreitig in dem zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes im Rahmen der Wiedervereinigung gelegen.33 Insofern werde hinsichtlich des Solidaritätszuschlags zurecht auf den Solidarpakt I und auch II verwiesen.34 Weiter heißt es: „Da der Solidarpakt II Ende 2019 ausläuft, kann die finanzpolitische und finanzverfassungsrechtliche Sonderlage einer besonderen Aufbauhilfe zugunsten der neuen Länder als beendet betrachtet werden.“ Dies zeige zugleich, dass der ursprüngliche Erhebungszweck entfallen sei.35 Dem folgt auch ein Großteil der Literatur.36 Hoch resümiert (bezugnehmend auf Tappe): „Die Annahme, dass es keinen „direkten rechtlichen Zusammenhang zwischen dem Solidaritätszuschlag und dem Solidarpaket II“ gäbe, ist insoweit nicht nachvollziehbar.“37 Eine Verbindung des ursprünglichen Erhebungszwecks des Solidaritätszuschlags und dem Solidarpakt I bzw. II lässt sich damit nicht abstreiten. Fraglich ist allein deren rechtliche Auswirkung . Eine rechtstechnische Verknüpfung, die das Schicksal des Solidaritätszuschlags an das Auslaufen des Solidarpaktes knüpft gibt es sicherlich nicht. Da es aber laut Verfassungsgesetzgeber „anderweitig nicht auszugleichende[r] Bedarfsspitzen“ für die Einführung einer Ergänzungsabgabe bedarf und die Wiedervereinigung als Hauptzweck dem Solidaritätszuschlag noch immer 31 Tappe, Schriftliche Stellungnahme zu PA 7 – 19/1179, 19/1083 – Öffentliches Fachgespräch am 27. Juni 2018 zu den Anträgen BT-Drs. 19/1038 und 19/1179 (Solidaritätszuschlag), S. 6. 32 Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2413. 33 Papier, Schriftliche Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995, S. 4. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 So etwa Kube, Verfassungsrechtliche Problematik der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags, DStR 2017, 1792, 1799 ff. oder auch Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Verfassungskonformität und Zukunft des Solidaritätszuschlags – auch unter Berücksichtigung der Diskussion um den Abbau der kalten Progression, DStR 2014, 1309 die einen jedenfalls „losen Konnex“ zwischen Solidarpakt II und der Rechtfertigung des Solidaritätszuschlags sehen; im Ergebnis auch Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Abbau des Solidaritätszuschlags vom 4. Juni 2019, Gz.: I 2 – 90 08 04, S. 11. 37 Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2413. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 10 zugrunde liegt, kann das Auslaufen des Solidarpakts II auch nicht als rechtlich unbedeutend für den Solidaritätszuschlag erachtet werden. Die Frage ist, ob der Wegfall zur Verfassungswidrigkeit führt. 2.4. Maßgebliche Rechtsprechung von BVerfG und BFH zur Ergänzungsabgabe und zum Solidaritätszuschlag 2.4.1. Bundesverfassungsgerichts-Beschluss vom 9.2.1972 zur Vereinbarkeit der Ergänzungsabgabe 1968 mit dem Grundgesetz Die erste und auch eine der wenigen wegweisenden Entscheidungen des BVerfG zur Einordnung einer Ergänzungsabgabe erging bereits im Jahre 1972.38 Im damaligen Beschluss hatte das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Ergänzungsabgabe 1968 zu befinden. Diese wurde einst eingeführt und sollte der „Wiederherstellung und Stärkung des Vertrauens der Wirtschaft in die Finanzpolitik , die mit der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes und mit der Stabilität der Bundesfinanzen erreicht werden soll“39 dienen. Insbesondere war zu klären, ob es zulässig war, dass vor allem höhere Einkommen dadurch belastet wurden. Zu den Grenzen des Erhebungsrechts einer Ergänzungsabgabe stellte das BVerfG zunächst fest: „Der Bund wäre jedoch nicht berechtigt, unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe” eine Steuer einzuführen, die den Vorstellungen widerspricht, die der Verfassungsgeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden hat. […]So dürfte der Bund z.B. keine Ergänzungsabgabe einführen, die wegen ihrer Ausgestaltung, insbesondere wegen ihrer Höhe die Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehende Einkommensteuer und Körperschaftsteuer oder die den Ländern zustehende Vermögensteuer aushöhlen würde.“ Zur Einordnung der Ergänzungsabgabe stellte das Gericht weiter fest: „Die Abgabe stellt eine Ergänzung der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer dar; sie ähnelt in der Struktur diesen Steuern und baut auf ihrer Systematik auf. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig und geboten. Deshalb konnte der Gesetzgeber auch bei der Ergänzungsabgabe, die im Ergebnis eine Verschärfung der Einkommensteuer darstellt, solchen Erwägungen Rechnung tragen. Die Ergänzungsabgabe sollte mit der stärkeren Besteuerung der höheren Einkommen der Verteilung der zusätzlichen Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit in besonderem Maße Rechnung tragen und ein Gegengewicht zur gleichzeitigen Erhöhung der Umsatzsteuer schaffen […]Aus dem Wesen der Ergänzungsabgabe ergeben sich auch Beschränkungen in der Höhe. […] Aber auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung muß sich die Ergänzungsabgabe in einem angemessenen Verhältnis zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer halten, um deren Aushöhlung zu vermeiden.“ 38 BVerfG, Beschluss vom 9.2.1972, Az: 1 BvL 16/69 39 BT-Drs. V/2087, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 11 Außerdem äußerte sich das Gericht grundlegend zur Frage, ob eine Ergänzungsabgabe wegen ihres Charakters zeitlich zu begrenzen sei: „Es ist von der Verfassung her nicht geboten, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen. Der Begriff Ergänzungsabgabe besagt lediglich, daß diese Abgabe die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer , also auf Dauer angelegte Steuern, ergänzen, d.h. in einer gewissen Akzessorietät zu ihnen stehen soll. Gegen eine Befristung spricht insbesondere die Funktion, die die Ergänzungsabgabe im gesamten Steuersystem erfüllen soll. Bei der Schaffung des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a.F. ging man davon aus, daß ein zusätzlicher Finanzbedarf des Bundes gedeckt, eine Erhöhung der Verbrauchsteuern aber vermieden werden sollte. […] Da die Einführung oder Erhöhung indirekter Steuern erfahrungsgemäß für längere Dauer erfolgt, weist diese gedankliche Verknüpfung darauf hin, daß auch die Ergänzungsabgabe nicht nur für einen ganz kurzen Zeitraum erhoben werden darf, und insbesondere darauf, daß eine Befristung der Ergänzungsabgabe sich nicht von vornherein aus dem Begriff der Ergänzungsabgabe in Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG a.F. ergibt. […] Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren, die Ergänzungsabgabe müsse zur Befriedigung „anderweitig nicht auszugleichender Bedarfsspitzen im Haushalt”, „für den Fall einer unumgänglichen und nicht anderweitig zu deckenden Steigerung seines (des Bundes) Finanzbedarfs” und „in Notfällen ” erhoben werden, sind zu unbestimmt, als daß daraus hergeleitet werden könnte, eine Ergänzungsabgabe dürfe nur befristet eingeführt werden.“ Ferner nahm das Gericht dazu Stellung, wie eng die Zweckbindung einer Ergänzungsabgabe ist, ließ aber einen entscheidenden Punkt offen: „Während des Laufes der Ergänzungsabgabe können sich zudem für den Bund neue Aufgaben ergeben, für deren Erfüllung die bei der allgemeinen Verteilung des Steueraufkommens zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht ausreichen, so daß die erneute Einführung der Ergänzungsabgabe und damit auch die Fortführung einer bereits bestehenden gerechtfertigt wäre. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben, insbesondere welche Reformmaßnahmen in Angriff genommen werden, und wie sie finanziert werden sollen, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich der Nachprüfung des BVerfG entzieht. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob ein verfassungsrechtlicher Zwang zur Aufhebung der Ergänzungsabgabe sich ergeben würde, wenn die Voraussetzungen für die Erhebung dieser Abgabe evident entfielen, etwa weil die dem Bund im vertikalen Finanzausgleich zufallenden Steuern, möglicherweise nach einer grundsätzlichen Steuer- und Finanzverfassungsreform, zur Erfüllung seiner Aufgaben für die Dauer offensichtlich ausreichen.“ Schlussendlich nahm das BVerfG noch zu der Frage Stellung, inwieweit durch eine Belastung nur eines Teils der Steuerpflichtigen Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sei: „Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß infolge der Einführung der Freigrenze in § 4 Abs. 2 des Ergänzungsabgabengesetzes ein Teil der Einkommensteuerpflichtigen nicht erfaßt wird. Wie bereits ausgeführt (C I 3 a S. 8), rechtfertigt sich diese Unterscheidung aus sozialstaatlichen Erwägungen .“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 12 2.4.2. Bundesverfassungsgerichts-Beschluss vom 8.9.2010 zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags im Jahre 2007 Im Jahre 2010 hatte sich das BVerfG40 dann mit einer Vorlage des Finanzgerichts (FG) Niedersachsen 41 zu befassen. Das Finanzgericht legte dem BVerfG die Frage vor, ob der Solidaritätszuschlag verfassungsmäßig sei. In seinem Beschluss führte das Niedersächsische FG aus, es halte das Solidaritätszuschlaggesetz in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung für verfassungswidrig . Das FG führte aus, in seiner Konzeption sei eine Ergänzungsabgabe die Ausnahme von der Regel. Sie dürfe nicht zu einer dauerhaften Besteuerung führen. Beim Verständnis käme der Gesetzesbegründung zur Einführung der Ergänzungsabgabe eine hohe Bedeutung zu. Danach sei eine Bedarfsspitze zur Rechtfertigung erforderlich, die „logischerweise“ nicht auf Dauer vorliegen könne. Diesen Anforderungen würde der Solidaritätszuschlag nicht mehr genügen. Dem Vorliegen einer Finanzierungslücke, die nach der Gesetzesbegründung erforderlich sei, widerspreche es schon, dass es im Laufe der Geltung des SolzG 1995 immer wieder zu Steuersenkungen kam. Ferner sei es zwar möglich, dass eine Bedarfsspitze auch über mehrere Jahre vorliege, für den Zeitraum bis 2007 seien aber mehr als zehn Jahre vergangen, so dass mittlerweile eine unzulässige Dauerfinanzierung angenommen werden müsse.42 Das BVerfG wies die Vorlage als unzulässig zurück. Dabei stellte es vor allem darauf ab, dass das vorlegende Gericht im Zuge der konkreten Normenkontrolle prüfen müsse, ob sich aus bereits ergangener Rechtsprechung des BVerfG die Vorlagefrage beantworten ließe. In diesem Sinne habe das FG Niedersachsen den Beschluss des BVerfG vom 9.2.1972 (s.o. 2.4.1) nicht ausreichend berücksichtigt . Es führte aus: „Zwar hat sich das BVerfG mit der Verfassungsmäßigkeit des SolzG 1995 inhaltlich noch nicht auseinandergesetzt. Es hat jedoch im Rahmen seiner grundsätzlichen Stellungnahme zu den Voraussetzungen einer verfassungsrechtlich zulässigen Ausgestaltung einer Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG mit eingehender Begründung entschieden, dass es von Verfassungs wegen nicht geboten ist, eine solche Abgabe von vornherein zu befristen oder sie nur für einen ganz kurzen Zeitraum zu erheben.“ Dabei hielt das Gericht seine damaligen Wertungen aufrecht, dass keine starre Befristung für eine Ergänzungsabgabe erforderlich sei und stellte somit indirekt fest, dass jedenfalls für den Erhebungszeitraum bis 2007 keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlagsgesetzes bestehen: „Das FG lässt bei seiner Rechtsansicht, dass eine Finanzlücke allein durch auf Dauer angelegte Steuererhöhungen, nicht aber durch Fortführung einer Ergänzungsabgabe geschlossen werden dürfe, insbesondere unberücksichtigt, dass – wie in der Entscheidung des BVerfG ausgeführt – bei den Beratungen zum Finanzverfassungsgesetz auch bedacht worden ist, dass sich aus der 40 BVerfG, Beschluss vom 8.9.2010, Az: 2 BvL 3/10 41 Niedersächsisches FG, Beschluss v. 25.11.2009 – 7 K 143/08, DStR 2010, 854. 42 Vgl. insgesamt Ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 13 Ver°teilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern auch für längere Zeit ein Mehrbedarf – allein –des Bundes ergeben könne, dessen Deckung durch eine Erhöhung der Einkommen- und Körperschaftsteuer die Steuerpflichtigen unnötig belasten und konjunkturpolitisch unerwünscht sein könne, wenn eine Erhöhung der steuerlichen Gesamtbelastung vom Standpunkt der Länder nicht erforderlich sei (vgl. BVerfG v. 9.2.1972, 1 BvL 16/69, a. a. O.). Eine Auseinandersetzung mit diesem Aspekt wäre auch insoweit naheliegend gewesen […].“ 2.4.3. BFH-Urteil vom 21.07.2011 zur rechtmäßigen Erhebung des Solidaritätszuschlags im Veranlagungszeitraum ab 2005 Mit seinem Urteil vom 21. Juli 201143 hatte schließlich der BFH die jüngste höchstrichterliche Entscheidung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags erlassen. Der BFH erarbeitete in dem Urteil zunächst, dass auch für den Veranlagungszeitraum bis 2005 keine Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags zu erkennen sei. Er stellte grundlegend fest: „Die fehlende zeitliche Befristung des Solidaritätszuschlags beim Erlass des SolZG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn es ist von Verfassung wegen nicht geboten, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen oder sie nur für einen kurzen Zeitraum zu erheben […].Unerheblich ist, ob die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zweckgebunden für den „Aufbau Ost“ verwendet wurden. Der Solidaritätszuschlag ist eine Steuer, die dem Bund zur Deckung seiner Ausgaben zur Verfügung steht. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben in Angriff genommen werden und wie sie finanziert werden sollen, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich der gerichtlichen Nachprüfung entzieht […].“ Im Gegensatz zum BVerfG machte der BFH dann aber weitergehende Feststellungen zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ergänzungsabgabe und griff dabei auch die Problematik der dauerhaften Erhebung auf: „Eine zeitliche Begrenzung einer nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG unbefristet erhobenen Ergänzungsabgabe kann sich allerdings daraus ergeben, dass die Ergänzungsabgabe nach ihrem Charakter den Zweck hat, einen vorübergehenden aufgabenbezogenen Mehrbedarf des Bundes zu finanzieren , und sie damit kein dauerhaftes Instrument der Steuerumverteilung sein darf (vgl. Hidien/ Tehler, StBW 2010, 458; Birk, Finanz-Rundschau –-FR– 2010, 1002). Ein dauerhafter Finanzbedarf ist regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für die Einführung maßgebend waren, grundlegend ändern, z.B. weil der mit der Erhebung verfolgte Zweck erreicht ist und die Ergänzungsabgabe nicht wegen eines anderen Zwecks fortgeführt werden soll oder weil insoweit eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist (vgl. Hidien/ Tehler, StBW 2010, 458, unter II.5.c). Die Verfassungsmäßigkeit der Ergänzungsabgabe wird in diesen Fällen aber erst zweifelhaft, wenn die Änderung der Verhältnisse eindeutig und offensichtlich feststeht.“ 43 Siehe BFH, Urteil v. 21.07.2011 – II R 50/09, BeckRS 2011, 95989. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 14 Im Anschluss kam der BFH zum Ergebnis, dass diese Umstände – jedenfalls bis 2005 – nicht eingetreten seien und nahm dabei explizit Bezug auf den Solidarpakt II: „Danach war es verfassungsrechtlich nicht geboten, den Solidaritätszuschlag ab dem 1. Januar 2005 nicht mehr zu erheben. Zu diesem Zeitpunkt waren zwar schon insgesamt zehn Veranlagungszeiträume (1995 bis einschließlich 2004) abgelaufen, für die ein Solidaritätszuschlag festzusetzen war. Wegen des im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung weiterhin bestehenden Finanzbedarfs des Bundes konnte aber der Solidaritätszuschlag für den Veranlagungszeitraum 2005 noch festgesetzt werden. […]Zum Ausgleich der teilungsbedingten Sonderlasten, zum Abbau der bestehenden Infrastrukturlücke sowie zum Ausgleich der unterproportionalen kommunalen Finanzkraft sollen die „neuen“ Bundesländer bis 2019 Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen in Höhe von 105 Mrd. € erhalten; außerdem hat der Bund für den gleichen Zeitraum überproportionale Leistungen mit einer Zielgröße von 51,1 Mrd. € in Form von besonders aufbauwirksamen Programmen und Maßnahmen zugesagt (vgl. Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2005, BT-Drucks 15/6000, S. 11, 22, zum sog. Solidarpakt II). Aus § 11 Abs. 3 des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern ist zu entnehmen, dass sich die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen seit 2005 von Jahr zu Jahr mindern. Im Jahr 2005 betrugen sie 10.532.613.000 €, im Jahr 2019 belaufen sie sich dagegen auf nur noch 2.096.297.000 €. Daraus ist ersichtlich, dass der Bund von einem sinkenden Finanzbedarf ausgeht . Für einen dauernden, nicht mehr durch eine Ergänzungsabgabe abdeckbaren Finanzbedarf im Jahr 2005 ergeben sich jedenfalls keine Anhaltspunkte.“ Diese Einschätzung des BFH stellte insoweit eine Änderung in der Rechtsprechung zum Solidaritätszuschlag dar, als festgestellt wurde, dass mit anhaltender Dauer der Erhebung einer Ergänzungsabgabe der Druck auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung jener steigt und als er die Rechtfertigung bis 2019 am Solidarpakt II festmacht und somit eine rechtliche Verbindung zum Solidaritätszuschlag herstellte. Zwischenergebnis: Als erstes Zwischenergebnis nach Auswertung von Literatur und Rechtsprechung lässt sich demnach zunächst feststellen, dass der Solidaritätszuschlag verfassungskonform eingeführt worden ist, dass dieser Zustand aber nicht feststeht und sich verändern kann; dies insbesondere mit Hinblick auf das Auslaufen des Solidarpakts. 3. Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages ab Ende 2019 Ob der Solidaritätszuschlag auch nach 2019 noch als verfassungsmäßig eingestuft werden kann, ist eine umstrittene Frage, die letztlich nur das BVerfG in seiner Zuständigkeit beantworten kann. An der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags über das Ende 2019 hinaus bestehen nach Auswertung von Literatur und Rechtsprechung aber jedenfalls erhebliche Bedenken. Dies hat folgende Gründe: Es muss in Frage gestellt werden, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung als Sonderabgabe noch vorliegen (3.1). Diese Voraussetzungen lassen sich auch nur schwer durch das Instrument der sog. „Umwidmung“ wieder als erfüllt ansehen (3.2). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 15 3.1. Solidaritätszuschlag erfüllt Voraussetzungen der Erhebung einer Sonderabgabe nicht mehr Folgt man Tappe in seiner Einschätzung, dass die einzigen Anforderungen, die an eine Ergänzungsabgabe zu stellen seien, die materiellen Grundlagen aller Steuern seien und schlussfolgert man daraus wie er, dass es gerade keinen besonderen Finanzbedarf braucht, sondern jeder allgemeine Finanzbedarf ausreicht, den der Bund hat, so ergibt sich mit Ablauf des Jahres 2019 keine Veränderung für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit. Der Bund könnte mit Tappe im Rahmen seines weiten Beurteilungsspielraums selbst festlegen, was ein ausreichender Zweck für die Erhebung der Ergänzungsabgabe sei. Tappe kommt zu folgendem Schluss: „Es kommt also nur darauf an, dass der Bund einen entsprechenden Ausgabebedarf hat. Es ist aber nicht erforderlich, dass es der gleiche Bedarf ist (d.h. für gleiche Zwecke), der zur Einführung des Solidaritätszuschlag geführt hat. Auch ein anderer Bedarf des Bundes kann die Ergänzungsabgabe im Steuersystem weiter als sinnvoll erscheinen lassen.“44 Einen solchen Bedarf, der jetzt greifen könnte, benennt Tappe aber nicht. Er lässt schlicht jeden Finanzierungsbedarf des Bundes ausreichen. Dem wendet die Literatur aber mit guten Gründen das Argument entgegen, dass es so an jeder Schranke für die Einführung einer Ergänzungsabgabe fehlen würde und dem Bund keine Grenzen mehr gesetzt wären. Papier führt insoweit aus, dass die Finanzverfassung eine Schutz- und Begrenzungsfunktion erfülle und der Bürger darauf vertrauen dürfe, nur im Rahmen der vorgesehenen Instrumente besteuert zu werden. Dies wiederum setze voraus, dass eine Ergänzungsabgabe sich nicht aus jedem allgemeinen Finanzierungsbedarf rechtfertigen könne. „Der Bundesgesetzgeber erlangte dann nämlich die Möglichkeit, außerhalb der Aufkommensverteilung nach Art. 106 Abs. 3 GG zwischen dem Bund und den Ländern und ohne Zustimmung des Bundesrates beachtliches Aufkommen aus der Einkommensbesteuerung nach „eigenem Gutdünken“ zu generieren .“45 Insofern sind die Verbindung zum Solidarpakt II und die Probleme in der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Erhebung des Solidaritätszuschlags zu beachten. Der Wissenschaftliche Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH stellt insoweit fest: „Würde man auf einen derartigen, möglicherweise auch nur losen Konnex verzichten, entfiele jede Begrenzung.“46 Diese Einschätzung steht 44 Tappe, Schriftliche Stellungnahme zu PA 7 – 19/1179, 19/1083 – Öffentliches Fachgespräch am 27. Juni 2018 zu den Anträgen BT-Drs. 19/1038 und 19/1179 (Solidaritätszuschlag), S. 6. 45 Papier, Schriftliche Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995, S. 2. 46 Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Verfassungskonformität und Zukunft des Solidaritätszuschlags – auch unter Berücksichtigung der Diskussion um den Abbau der kalten Progression, DStR 2014, 1309. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 16 auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH von 201147, der damals schon die Rechtfertigung des Solidaritätszuschlags am – damals noch laufenden – Solidarpakt II festmachte und feststellte , dass eine Ergänzungsabgabe mit Zeitablauf die Legitimation verlieren könne. Papier führt schließlich weiter aus, dass eine dauerhafte Besteuerung der Bürger sich nach den dazu erforderlichen Gesetzgebungsprozessen in der Finanzverfassung richten müsse und resümiert : „Ein voraussichtlich dauerhafter Finanzbedarf des Bundes muss entweder über eine entsprechende Anpassung der Regelsteuern oder über eine Neuverteilung der Umsatzsteueraufkommen nach Maßgabe des Art. 106 Abs. 3 Sätze 3 ff. GG erfolgen“.48 Vor diesem Hintergrund geht der Großteil der Literatur von der Verfassungswidrigkeit des SolzG 1995 ab Ende 2019 aus bzw. meldet ganz erhebliche Zweifel an.49 Da die Rechtsprechung des BVerfG dieser Wertung nicht entgegensteht, das Urteil des BFH diese Einschätzung aber eher stützt, ist im Ergebnis jedenfalls fraglich, ob der Solidaritätszuschlag nach 2019 eine verfassungsrechtliche Überprüfung durch das BVerfG bestehen würde. 3.2. Möglichkeit einer Umwidmung? Einigkeit besteht insofern, als dass es keine rechtstechnische Verknüpfung zum Solidarpakt II gibt.50 Insofern käme es rein technisch in Betracht durch eine Umwidmung, den Solidaritätszuschlag ab 2020 durch einen neuen Sachgrund anderweitig zu rechtfertigen. Dies wäre auf den ersten Blick auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, das bereits 197251 ausführte: „Während des Laufes der Ergänzungsabgabe können sich zudem für den Bund neue Aufgaben ergeben, für deren Erfüllung die bei der allgemeinen Verteilung des Steueraufkommens zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht ausreichen, so daß die erneute Einführung der Ergänzungsabgabe und damit auch die Fortführung einer bereits bestehenden gerechtfertigt wäre. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben, insbesondere welche Reformmaßnahmen in Angriff genommen 47 S.o. unter 2.4.3. 48 Papier, Schriftliche Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995, S. 3. 49 Papier, Schriftliche Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Verfassungskonformität und Zukunft des Solidaritätszuschlags – auch unter Berücksichtigung der Diskussion um den Abbau der kalten Progression, DStR 2014, 1309; Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten ? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410; Kube, Verfassungsrechtliche Problematik der fortgesetzten Erhebung des Solidaritätszuschlags, DStR 2017, 1792; Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Abbau des Solidaritätszuschlags vom 4. Juni 2019, Gz.: I 2 – 90 08 04; Wernsmann, Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags verfassungsmäßig?, NJW 2018, 916 und Weitere. 50 S.o. 2.3.2. 51 S.o. 2.4.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 17 werden, und wie sie finanziert werden sollen, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich der Nachprüfung des BVerfG entzieht.“ Ob diese Möglichkeit im Allgemeinen aber tatsächlich besteht wird nicht einhellig bejaht.52 Jedenfalls ist dem Umwidmungsgedanken aber entgegenzusetzen, dass eine Aufgabe vergleichbarer Größenordnung gegeben sein müsste. Der Wissenschaftliche Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH stellt soweit fest „Neue Staatsaufgaben als solche“ reichten nicht aus. „Unvereinbar wäre es mit der Finanzautonomie der Länder und Kommunen, zunächst einen Bundeszuschlag zu erheben , um diesen dann wieder in Form von projektbezogenen Bundeszuschüssen auf anderen Ebenen zu verteilen“.53 Hoch schließt zudem die Möglichkeit der Umwidmung unter Rekurs auf die aktuell gute konjunkturelle Situation Deutschlands aus: „Eine solche nicht anderweitig zu deckende Bedarfsspitze ist in der derzeitigen politischen und konjunkturellen Lage unter Berücksichtigung des hohen Steueraufkommens allerdings bisher nicht genannt worden und auch nicht ohne weiteres ersichtlich.“54 Mithin vermag die – technische – Möglichkeit einer Umwidmung die oben aufgeführten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags derzeit nicht auszuräumen. 4. Verfassungsmäßigkeit der „90%-Lösung“ aus dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung Nicht zuletzt wegen der oben aufgezeigten, in der Wissenschaft auch teilweise schon länger diskutierten Probleme gibt es politische Bestrebungen den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, bzw. schrittweise abzubauen. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden insbesondere untere und mittlere Einkommen beim Solidaritätszuschlag entlasten. Wir werden den Solidaritätszuschlag schrittweise abschaffen und ab dem Jahr 2021 mit einem deutlichen ersten Schritt im Umfang von zehn Milliarden Euro beginnen. Dadurch werden rund 52 Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Abbau des Solidaritätszuschlags vom 4. Juni 2019, Gz.: I 2 – 90 08 04, S. 22 sieht im Gedanken der Umwidmung eine Überdehnung der Bundeskompetenz und verweist auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Kernbrennstoffsteuer; Wernsmann, Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags verfassungsmäßig?, NJW 2018, 916, 916 stellt insgesamt die Anwendbarkeit des Beschlusses des BVerfG auf die aktuelle Diskussion in Frage. 53 Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Verfassungskonformität und Zukunft des Solidaritätszuschlags – auch unter Berücksichtigung der Diskussion um den Abbau der kalten Progression, DStR 2014, 1309. 54 Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2413; im Ergebnis auch Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Abbau des Solidaritätszuschlags vom 4. Juni 2019, Gz.: I 2 – 90 08 04, S. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 18 90 Prozent aller Zahler des Solidaritätszuschlags durch eine Freigrenze (mit Gleitzone) vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet.“55 Das Bundesministerium der Finanzen hat hierzu jetzt einen Gesetzentwurf der Bundesregierung56 vorgelegt, der im Herbst 2019 im Deutschen Bundestag beraten werden soll. Im Lichte des unter Punkt 3. gefundenen Ergebnisses ist nun zu analysieren, ob diese geplante Lösung mit der Verfassung vereinbar ist, bzw. wie sich die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags auf das oben gefundene Ergebnis auswirkt. Auch dazu gibt es in der Literatur anhaltende Diskussionen, die auf der Grundlage der dargestellten Rechtsprechung ergehen. Zum einen wird angeführt, dass jede Erhebung des Solidaritätszuschlags , unabhängig von der konkreten Form, ab 2019 nicht mehr mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist (4.1). Ferner wird teilweise eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG angenommen, da nur ein Teil der Steuerzahler von der Abschaffung profitieren soll (4.2). Schlussendlich wird angezweifelt, dass die vorgegebenen Kompetenzen gewahrt werden , sollte der Bund eine soziale Staffelung in einem abgeschmolzenen Solidaritätszuschlag sehen (4.3). 4.1. Verfassungswidrigkeit jedweder Erhebung über 2019 hinaus Problematisch an der Lösung des Koalitionsvertrages ist, dass sie nach Ansicht des oben dargestellten Ergebnisses zu spät eingreift. Denn wenn argumentiert wird, dass dem Solidaritätszuschlag insgesamt die Berechtigung entzogen ist, so ist die logische Konsequenz, dass auch eine nur teilweise Weitererhebung ebenfalls nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen wäre. Hoch formuliert vor diesem Hintergrund: „Die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags in seiner jetzigen Ausgestaltung wird jedoch überwiegend mit dem Entfall dieses Mehrbedarfs nach Ablauf von nahezu 25 Jahren nach dessen Entstehung begründet. Es ist aber nicht nachvollziehbar , warum dies nicht zu einer vollständigen Abschaffung führt, sondern zu einer Weiterbelastung einer sehr eng gefassten Personengruppe.“57 Auch Papier konstatiert, dass der Zeitraum, zu 55 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, im Internet: https://www.bundesregierung .de/resource/blob/656734/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertragdata .pdf?download=1 (zuletzt abgerufen am 28.08.2019). 56 Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2019/08/2019-08-21- Gesetzentwurf-Abschaffung-Soli.pdf;jsessionid=C23B8C5BD6D4EA5BF4851097069D7288?__blob=publication- File&v=2, im Internet (zuletzt abgerufen am 28.08.2019). 57 Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2414. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 19 dem ein derartiges Abschmelzen noch angemessen gewesen wäre, mit Beginn des Jahres 2020 abgelaufen sei.58 Er führt an: „Auch Ergänzungsabgaben im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG können aus nicht-fiskalischen, etwa sozialpolitischen Gründen eine gewisse Staffelung erfahren. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass der legitimierende Erhebungszweck gänzlich entfallen wird, […].“59 4.2. Verstoß der „90%-Lösung“ gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG? Die nach dem Koalitionsvertrag bzw. im Regierungsentwurf60 vorgesehene Lösung zur Abschmelzung des Solidaritätszuschlags sieht vor, ab 2021 kleinere und mittlere Einkommen über eine Freigrenze mit Gleitzone zu entlasten. Insofern stellt sich zum einen die Frage, ob diese Art der Anpassung, dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Bezug auf die dann immer noch betroffenen Personen genügt (4.2.1). Des Weiteren wird eine Ungleichbehandlung darin gesehen, dass Unternehmen gar nicht von der Abschaffung profitieren sollen (4.2.2). 4.2.1. Ungleichbehandlung von natürlichen Personen Nach dem im aktuellen Regierungsentwurf61 geplanten Modell würde die Einkommensgrenze für Alleinstehende, unter welcher kein Solidaritätszuschlag mehr zu leisten wäre, derzeit bei ca. 73.874 EUR Jahreseinkommen liegen.62 Dies führt, verglichen mit dem Status quo, dazu, dass höhere Einkommensschichten stärker belastet werden. Vor diesem Hintergrund wird in der Fachliteratur daran gezweifelt, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt sei.63 Dem wird vor allem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von 1972 entgegengehalten , in der ausdrücklich entschieden wurde, dass auch im Rahmen einer Ergänzungsabgabe soziale Staffelungen gerechtfertigt sein können. Die Berücksichtigung sozialer Belange sei „zulässig und geboten“64. Das Gericht führte damals aus: „Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß infolge der Einführung der Freigrenze in § 4 Abs. 2 des Ergänzungsabgabengesetzes ein Teil der 58 Papier, Schriftliche Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995, S. 5. 59 Papier, Schriftliche Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995, S. 6. 60 Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2019/08/2019-08-21- Gesetzentwurf-Abschaffung-Soli.pdf;jsessionid=C23B8C5BD6D4EA5BF4851097069D7288?__blob=publication- File&v=2, im Internet (zuletzt abgerufen am 28.08.2019). 61 Ebd. 62 Pressemeldung BMF v. 21.08.2019, im Internet: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen /Finanzpolitik/2019/08/2019-08-21-PM-SoliZuschlag.html (zuletzt abgerufen am 28.08.2019). 63 So bspw. Wernsmann, Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags verfassungsmäßig?, NJW 2018, 916. 64 BVerfG, NJW 1972, 757, 757. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 20 Einkommensteuerpflichtigen nicht erfaßt wird. Wie bereits ausgeführt […], rechtfertigt sich diese Unterscheidung aus sozialstaatlichen Erwägungen.“ Zu unterscheiden von der generellen Möglichkeit der sozialen Staffelung einer Ergänzungsabgabe ist allerdings die Frage, ob die „neue“ soziale Staffelung das unter 3. gefundene Ergebnis zu beeinflussen vermag, ob also die soziale Komponente der angestrebten Änderung Einfluss auf die verfassungsrechtlichen Probleme des Solidaritätszuschlags im Ganzen hat. Hoch führt dazu aus: „Da der die Ergänzungsabgabe legitimierende Zweck des Mehrbedarfs jedoch insgesamt, das heißt nicht nur für geringere und mittlere Einkommen, entfiele, verdeutlicht eine solche fortgesetzte Belastung höherer Einkommen, dass kein zusätzlicher Mittelbedarf mehr besteht, sondern vorrangiges Ziel die sozialpolitische Korrektur der allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Lastenverteilung ist. […] Damit mutiert eine solche Ergänzungsabgabe vom Mittel zur Mehrbedarfsdeckung zum Mittel der Herstellung sozialpolitisch motivierter Verteilungsgerechtigkeit. Dies wiederum widerspricht dem allgemeinen Finanzierungszweck einer Ergänzungsabgabe und wäre ein verfassungswidriger Formenmissbrauch […].“65 Aus einer sozial gestaffelten Erhebung einer Ergänzungsabgabe ergibt sich keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bezogen auf betroffene natürliche Personen. Die soziale Verteilungskomponente beseitigt jedoch auch nicht die Bedenken zur Verfassungsmäßigkeit des angestrebten Besteuerungsmodells. 4.2.2. Ungleichbehandlung von Unternehmen Unternehmen, die unter die Körperschaftsteuer fallen, werden von der im Koalitionsvertrag vorgesehenen (und mittlerweile im Regierungsentwurf umgesetzten) Abschmelzung nicht profitieren .66 Laut Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) sei eine derartige Lösung „gleichheitswidrig und damit nicht verfassungsgemäß“.67 Ebenfalls vor diesem Hintergrund führt Kube aus: „Zwar kann es, wie das BVerfG mit Blick auf die Ergänzungsabgabe 1968 festgestellt hat, verfassungsrechtlich zulässig sein, Ergänzungsabgaben mit sozialer Zielsetzung zu staffeln. Doch ist die Ausgangssituation bei dem aktuellen SPD-Plan eine gänzlich andere als bei der Ergänzungsabgabe 1968. Letztere war eingeführt worden, um die regressive, gerade Einkommensschwächere belastende Wirkung der Erhöhung der Umsatzsteuer zu kompensieren. Die damals gewählte Freigrenze für die Erhebung der Ergänzungsabgabe in Höhe von 16.020 DM für Alleinstehende und 32.040 DM für Ehepaare diente mithin unmittelbar dazu, die Zielsetzung der Abgabe, eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung in der Zusammenschau von Einkommensteuer und Umsatzsteuer zu gewährleisten, zu erreichen. Der Solidaritätszuschlag soll dagegen den besonderen Mittelbedarf decken, der sich aus der deutschen Wiedervereinigung ergibt. Diese Zielsetzung legt als solche keinerlei besondere Differenzierung zwischen den Steuerpflichtigen nahe. 65 Hoch, Verfassungsrechtliche Fragen des Solidaritätszuschlags: Abschaffen, abschmelzen oder beibehalten? Zugleich eine Analyse des rechtspolitischen Meinungsstandes, DStR 2018, 2410, 2415. 66 Vgl. Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Stellungnahme zu dem öffentlichen Fachgespräch im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zur “Abschaffung des Solidaritätszuschlags“ am 27. Juni 2018, S. 2. 67 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 21 Wenn die Gründe für die soziale Staffelung des Solidaritätszuschlags mithin die gleichen, allgemeinen Gründe des sozialen Ausgleichs sind wie bei der Einkommensteuer selbst, dann erscheint es zur Sicherung der Belastungsklarheit und auch zur Vermeidung willkürlicher Belastungssprünge aufgrund einer unabgestimmten Kumulation sozialer Staffelungen demokratisch und rechtsstaatlich geboten, die gewünschte soziale Staffelung in die Bemessungsgrundlage oder den Tarif der Einkommensteuer einzuarbeiten und den aufgesattelten Solidaritätszuschlag für alle Steuerpflichtigen gleichmäßig abzuschmelzen.“ Tappe führt dagegen an, dass der Vergleich zwischen Unternehmen im Sinne der Körperschaftsteuer mit den natürlichen Personen, die von der Abschmelzung profitieren sollen, schon nicht geeignet ist, um eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen: „Die Körperschaftsteuer verfügt über einen gänzlich anderen Steuersatz, eine völlig andere Tarifstruktur als die Einkommensteuer. Wenn der Tarif der Einkommensteuer aber ein gänzlich anderer sein kann als der Satz der Körperschaftsteuer, ist nicht ersichtlich, warum nicht auf die eine Steuer ein Zuschlag erhoben werden soll, auf die andere nicht. […] Sozialstaatliche Erwägungen spielen bei der Körperschaftsteuer keine Rolle, hier gibt es auch keinen Grundfreibetrag, weil kein Existenzminimum zu gewähren ist. Die Steuern sind also, auch mit Blick auf einen darauf erhobenen Zuschlag , gar nicht vergleichbar.“ 68 Mithin ist auch hier die Diskussion völlig offen, so dass jedenfalls nicht gesagt werden kann, dass die 90%-Lösung des Koalitionsvertrags wegen einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Unternehmen verfassungswidrig sei. 4.3. Verstoß der „90%-Lösung“ gegen die Finanzverfassung? Wernsmann kritisiert über die bisher genannten Aspekte hinaus, dass die im Koalitionsvertrag vorgesehene (und mittlerweile im Regierungsentwurf umgesetzte) Lösung die Finanzverfassung im Kompetenzgefüge verletzt. Die Lösung sei progressionsverschärfend und wirke für den Bürger wie eine Steuererhöhung: „Wird (durch eine Freigrenze) der Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 % für Steuerpflichtige mit einem zu versteuernden Einkommen jenseits der Freigrenze auf die gesamte Einkommensteuerschuld, das heißt auch soweit sie auf Beträge diesseits der Freigrenze entfällt, erhoben und für Steuerpflichtige mit einem zu versteuernden Einkommen diesseits der Freigrenze gar nicht, so kommt es zu sehr starken Progressionsverschärfungen und Progressionssprüngen (die nach dem Koalitionsvertrag durch die sog. Gleitzone abgemildert werden sollen).“69 Er kritisiert sodann, dass selbst das BVerfG in seinem Beschluss vom 9. Februar 1972 diese Wirkung mit einer Tarifänderung der Einkommensteuer verglich, eine solche Tarifänderung aber nur unter Mitwirkung der Länder im Wege eines Zustimmungsgesetzes erfolgen könne.70 68 Tappe, Schriftliche Stellungnahme zu PA 7 – 19/1179, 19/1083 – Öffentliches Fachgespräch am 27. Juni 2018 zu den Anträgen BT-Drs. 19/1038 und 19/1179 (Solidaritätszuschlag), S. 14. 69 Wernsmann, Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags verfassungsmäßig?, NJW 2018, 916, 918. 70 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 22 Dies führe zur Verfassungswidrigkeit: „Könnte der Bund nun durch eine nicht streng akzessorisch (proportional) an die Höhe der Einkommensteuerschuld anknüpfende Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe eigene politische Gestaltungsvorstellungen hinsichtlich des Tarifverlaufs (bezogen auf die Gesamtsteuerbelastung des einkommen- bzw. körperschaftsteuerpflichtigen Einkommens ) umsetzen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss, so kommt es zu einer Umgehung des Art. 105 III GG und damit zu einem Wertungswiderspruch zu Art. 105 III GG.“71 Tappe wiederum entgegnet dem: „Allerdings muss zunächst der Tarifverlauf (nur) des Solidaritätszuschlags für sich betrachtet werden. Mit Blick auf diesen findet kein „Eingriff“ statt, der Tarif wird schlicht geändert. Das „Zusammenwirken“ von Solidaritätszuschlag und Einkommensteuer mag „aus der Perspektive des Bürgers“ wie eine Steuer wirken, die Einführung, Abschaffung oder Änderung des Solidaritätszuschlags wie eine Tarifänderung bei der Einkommensteuer. Das „Zusammenrechnen“ verschiedener Steuerarten ist aber fragwürdig.“72 Auch zu diesem Aspekt ist mithin eine offene Diskussion gegeben, deren finale Entscheidung letztlich das BVerfG treffen müsste, sollte es auf diese Frage noch ankommen. 5. Zusammenfassung Es zeigt sich, dass die Diskussion rund um die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1995 über die Jahre an Komplexität gewonnen hat. Mit dem bevorstehenden Ende des Solidarpakts II hat diese Diskussion jüngst einen deutlichen Schub erfahren. Insbesondere hervorzuheben ist, dass ein beachtlicher und auch renommierter Teil der Fachliteratur der Ansicht ist, dass mit Ablauf des Solidarpakts II die verfassungsmäßige Rechtfertigung für die Erhebung des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe entfällt. Nur eine nennenswerte Gegenstimme hat dies bisher bestritten. Die Rechtsprechung hat sich seit 2011 nicht mehr mit der Frage auseinandergesetzt. Der BFH zeigte aber jedenfalls eine Tendenz auf, die mit der vorherrschenden Meinung in der Literatur in Einklang steht. Nach alledem besteht ein sehr hohes Risiko , dass das BVerfG eine Erhebung des Solidaritätszuschlags für Veranlagungszeiträume ab 2020 für verfassungswidrig erklärt. Diese Bewertung hat auch Auswirkungen auf die 90%-Lösung des Koalitionsvertrages und des aktuellen Regierungsentwurfs73. Wenn diesbezüglich auch die Diskussionen um die soziale Staffelung Befürworter auf beiden Seiten hat und insgesamt weniger eindeutig ausfällt, so bleibt die Konsequenz, dass jedwede Erhebung des Solidaritätszuschlags über 2019 hinaus – sei es auch 71 Ebd. 72 Tappe, Schriftliche Stellungnahme zu PA 7 – 19/1179, 19/1083 – Öffentliches Fachgespräch am 27. Juni 2018 zu den Anträgen BT-Drs. 19/1038 und 19/1179 (Solidaritätszuschlag), S. 12. 73 Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2019/08/2019-08-21- Gesetzentwurf-Abschaffung-Soli.pdf;jsessionid=C23B8C5BD6D4EA5BF4851097069D7288?__blob=publication- File&v=2, im Internet (zuletzt abgerufen am 28.08.2019). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 099/19 Seite 23 nur von höheren Einkommensgruppen und Unternehmen – ein hohes Risiko der Verfassungswidrigkeit in sich birgt.