© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 098/16 Finanzmarktaufsichtsrechtliche Maßnahmen unter CETA Die garantierte Souveränität des Gesetzgebers für aufsichtsrechtliche Maßnahmen im Bereich der Finanzdienstleistungen im Entwurf des CETA-Abkommens Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Vergleichbare Regelungen im GATS 5 3.1.2. Schiedsgerichtspraxis 5 3.1.3. Fehlende Bindungswirkung 5 3.2. BIT – Bilateral Investment Treaty 6 3.2.1. Regelungen in BITs 6 3.2.2. Streitbeilegungsmechanismen 7 3.2.3. Schiedsentscheidungen auf Ebene des ICSID 7 3.2.4. Keine Bindungswirkung 8 4. Fazit 8 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 – 098/16 Seite 4 1. Vorbemerkung Der Entwurf zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement - CETA)1 wirft sowohl in der parlamentarischen Debatte als auch insbesondere in der gesellschaftlichen Diskussion umfangreiche Fragen auf. Fokus dieser Ausarbeitung ist die Frage, inwieweit durch CETA die gesetzgeberischen Handlungsmöglichkeiten zur Finanzmarktregulierung beschränkt werden. Dies umfasst aufsichtsrechtliche Maßnahmen , wie beispielsweise Regelungen zur Verhinderung von Geldwäsche, Verbote bestimmter Finanzprodukte oder Regelungen zum Vertrieb von Finanzprodukten. Dazu erfolgt ein Vergleich der in CETA-E getroffenen Regelungen mit bereits bestehenden Handelsabkommen und Investitionsschutzabkommen , einschließlich einer Auswertung der darauf basierenden Schiedsspruchpraxis . Zentrale Norm in CETA-E für die Regelung der Finanzmarktregulierung ist Artikel 13.16 CETA-E in Verbindung mit Anhang 13-B zu CETA-E. 2. Regelungsinhalt Die Regelung des Art. 13.16 CETA-E bildet eine Ausnahme zu den übrigen Vorschriften des Abkommens . Durch das sog. „prudential carve-out“ wird sichergestellt, dass aufsichtsrechtliche Maßnahmen im Bereich der Finanzdienstleistung weiterhin möglich bleiben. So regelt Art. 13.16 Abs. 1 CETA-E, dass die Vertragsparteien aus aufsichtsrechtlichen Gründen „angemessene“ Maßnahmen einführen oder aufrechterhalten können. Art. 13.16 CETA-E wird ergänzt durch Anhang 13-B zu CETA E.2 Durch Nr. 8 Anhang 13-B zu CETA-E wird der „hochrangige Grundsatz“ aufgestellt, dass die Vertragsstaaten individuell und souverän über das angemessene Maß einer aufsichtsrechtlichen Regelung entscheiden können. Eine aufsichtsrechtliche Maßnahme kann letztlich dann nicht mehr angenommen werden, wenn Investoren willkürlich oder diskriminierend im Verhältnis zu anderen Investoren in gleicher Situation behandelt werden (Nr. 8 lit. d) ii) Anhang 13-B zu CETA-E). Der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit in Art. 13.16 CETA-E wird durch die Regelungen im Anhang 13-B zu CETA-E einschränkend definiert. 3. Vergleich mit anderen völkerrechtlichen Verträgen Fraglich ist, ob auch andere völkerrechtliche Verpflichtungen bestehen, die aufsichtsrechtliche Maßnahmen im Bereich der Finanzdienstleistungen betreffen. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass völkervertragliche Regelungen im Bereich der Finanzdienstleistungen selten sind. Zur Regulierung der Finanzwirtschaft gibt es oftmals keinen multilateralen Konsens. Aber auch abseits der 1 Europäische Kommission, COM(2016) 444 final, im Folgenden CETA-E. 2 Es gilt dabei zu beachten, dass die Anhänge zum Abkommen gem. Art. 30.1 CETA-E integraler Bestandteil des Abkommens sind. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 – 098/16 Seite 5 Finanzdienstleistungen gibt es derzeit nur wenige Handelsabkommen, die neben dem Handel mit Waren auch den Austausch von Dienstleistungen erfassen. 3.1. GATS – General Agreement on Trade in Services Zentrales Abkommen für den Handel mit Dienstleistungen ist das 1995 in Kraft getretene GATS- Abkommen3. Das GATS ergänzt das bestehende WTO-Recht insoweit um die Belange des Handels mit Dienstleistungen. 3.1.1. Vergleichbare Regelungen im GATS Auch das GATS enthält für den Bereich der Finanzdienstleistungen eine „prudential carve-out“ Regelung. Art. VI Abs. 1 GATS in Verbindung mit Abs. 2 lit. a) der Anlage zu Finanzdienstleistungen des GATS formuliert eine Ausnahme von den übrigen Regelungen des Abkommens für den Bereich der Finanzdienstleistungen. Es wird festgelegt, dass die Mitgliedstaaten aufsichtsrechtliche Maßnahmen im Bereich der Finanzdienstleistungen treffen können. So sind allgemein geltende aufsichtsrechtliche Maßnahmen angemessen, objektiv und unparteiisch anzuwenden.4 Die Regelung im GATS entspricht dabei im Wesentlichen der in CETA getroffenen Regelung, wobei bei CETA die Regelung deutlich detaillierter erfolgt ist. 3.1.2. Schiedsgerichtspraxis Die WTO-Entscheidungsdatenbank5 enthält 414 Fälle, die Regelungen des GATT 1994 als Streitgegenstand haben. Demgegenüber stehen lediglich 24 Fälle, die sich auf GATS Regelungen stützen . Schiedsentscheidungen mit Aufsichtsmaßnahmen im Bereich der Finanzdienstleistungen als Streitgegenstand sind in der Datenbank nicht vorhanden. Es sind lediglich fünf Fälle enthalten, die Finanzdienstleistungen betreffen, wobei es lediglich in zwei Fällen zu einer Schiedsentscheidung gekommen ist.6 Beide Entscheidungen hatten jedoch nicht die Frage zum Streitgegenstand, ob eine angemessene aufsichtsrechtliche Maßnahme vorliegt. 3.1.3. Fehlende Bindungswirkung Die Schiedsentscheidungen im WTO-Recht entfalten nur für die jeweiligen Parteien Bindungswirkung . Es erfolgt gerade keine verbindliche Auslegung von strittigen Normen. Die verbindliche 3 General Agreement on Trade in Services; in Deutschland durch Umsetzungsgesetz vom 9.09.1994, BGBl. II 1994, 1438 ratifiziert. 4 s. dazu Vahldiek, GATS und Bankaufsichtsrecht, erschienen in: Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (BKR) 2003, 971-976, 972. 5 Abrufbar unter: https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dispu_e.htm#disputes. 6 DS413 (China — Certain Measures Affecting Electronic Payment Services [Complainant: United States]) und DS453 (Argentina — Measures Relating to Trade in Goods and Services [Complainant: Panama]). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 – 098/16 Seite 6 Auslegung des WTO-Rechts obliegt der Ministerkonferenz und dem Allgemeinen Rat. Dennoch zeigt die rechtliche Praxis, dass die Entscheidungen des Appellate Body als allgemein verbindlich angesehen werden.7 Eine Bindungswirkung über das WTO-Recht hinaus kann jedoch nicht angenommen werden. Eine Übertragung der Entscheidungen auf CETA kommt nicht in Betracht. 3.2. BIT – Bilateral Investment Treaty Neben den zentralen Regelungen des GATS im Dienstleistungsbereich können jedoch auch andere allgemeinere völkerrechtliche Verträge ohne Fokus auf den Dienstleistungssektor relevant sein, um zu beurteilen, ob aufsichtsrechtliche Maßnahmen Rechtsfolgen auslösen. Investitionsschutzabkommen haben die Zielsetzung, Investitionen aus dem jeweils anderen Unterzeichnerstaat vor Enteignungen, enteignungsgleichen Eingriffen und Diskriminierungen zu schützen. Da dabei die Investition als solche geschützt wird, ist die Geltung nicht auf einzelne Branchen beschränkt . Erfasst werden damit auch Investitionen in Finanzdienstleister. In der rechtlichen Praxis sind Investitionsschutzabkommen bisher oftmals als bilaterale völkerrechtliche Verträge abgeschlossen worden. Art 207 AEUV eröffnet nunmehr eine Kompetenz der Europäischen Union Investitionsschutzabkommen für die gesamte Union zu schließen.8 Bereits abgeschlossene BIT der Mitgliedstaaten verlieren dadurch jedoch nicht ihre Gültigkeit. Bisher bestehen etwa 1500 BIT zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten.9 Deutschland verfügt derzeit über die meisten bilateralen Investitionsschutzabkommen weltweit.10 3.2.1. Regelungen in BITs Klassisch enthalten Investitionsschutzabkommen als Kernbestandteil Klauseln zum Schutz vor staatlicher Enteignung. Hinzu treten Regelungen, die vor Diskriminierungen schützen oder auch den Marktzugang regeln.11 Das Deutsche Musterabkommen12 sieht als zentrale Elemente Regelungen zum Schutz vor Enteignung, das Gebot der gerechten und billigen Behandlung, die Sicherung der Kapitalverkehrsfreiheit und Diskriminierungsverbote vor.13 7 So Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, 3. Auflage, Rn. 274. 8 Auch zuvor war die EU in diesem Bereich aktiv und stützte sich dabei auf eine bestehende Kompetenz für den Dienstleistungshandel (so Hahn, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV 5. Auflage, Art. 207 AEUV, Rn. 23). 9 Hahn, in: Calliess/Ruffert, (Fn. 8), Art. 207 AEUV, Rn. 23; Die Europäische Kommission nennt eine Zahl von 1.400 Abkommen (European Commission, Investor-to-State Dispute Settlement). 10 Krajewski, (Fn. 7), Rn. 556. 11 Krajewski, (Fn. 7), Rn. 542. 12 Abrufbar als Zusatzdokument 90 von Schwartmann, Völker- und Europarecht, Textbuch Deutsches Recht, 10. Auflage. 13 Krajewski, (Fn. 7), Rn. 557. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 – 098/16 Seite 7 Der Schutz vor Enteignungen sieht oftmals auch Regelungen zu sog. „de-facto Enteignungen“ vor. Hieraus kann sich ein Spannungsverhältnis zu nationalen Regulierungsvorhaben ergeben, da oftmals der Umfang des Schutzbereichs nicht genau definiert ist.14 3.2.2. Streitbeilegungsmechanismen In den jeweiligen BITs können unterschiedliche Mechanismen zur Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten vorgesehen werden. Dafür stehen verschiedene Systeme international zur Verfügung. Im Musterabkommen der Bundesregierung sind beispielsweise das ICSID-System (International Center for Settlement Investment Disputes),15 die Regeln des UNCITRAL (United Nations Commission on International Trade Law),16 die ICC (International Chamber of Commerce) oder der LCIA (London Court of International Arbitration) angesprochen. 3.2.3. Schiedsentscheidungen auf Ebene des ICSID Das ICSID hat sich international als zentrale Stelle für die Streitbeilegung in Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten erwiesen. Die Bundesrepublik ist einer von derzeit 153 Mitgliedsstaaten, die das ICSID-Übereinkommen ratifiziert haben.17 Das ICSID bietet dabei eine Basis für Schiedsgerichte ohne selbst eines zu sein. Es stellt vielmehr die Regelungen und Werkzeuge zur Streitbeilegung zur Verfügung. Die ICSID Datenbank18 enthält insgesamt 38 Verfahren zwischen Investoren und Staaten im Bereich der Finanzdienstleistungen. 26 dieser Verfahren wurden bereits abgeschlossen, wobei es nur in 17 Verfahren zu einer Entscheidung des Spruchkörpers kam.19 In zwölf Verfahren wurden die Anträge der Investoren abgewiesen. In sieben Fällen beruhte die Abweisung darauf, dass der Spruchkörper eine Zuständigkeit ablehnte. Eine inhaltliche Auseinandersetzung erfolgte dabei nicht. In fünf Fällen wurde zwar eine Zuständigkeit angenommen, aber materiell wurde keine Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen angenommen. In fünf der 17 entschiedenen Fälle kam es zu einer teilweisen oder vollständigen Stattgabe der Anträge der jeweiligen Investoren und einer damit verbundenen Zahlungsverpflichtung des Staates . 14 Kritisch als Beispiel für die Literatur Krajewski, (Fn. 7), Rn. 602 ff. 15 Verwendet beispielsweise in den BIT Ägypten, BIT Indonesien und BIT China. 16 Verwendet beispielsweise im BIT China neben der Möglichkeit ICSID zu verwenden. 17 BGBl. II 1969, 371. 18 Abrufbar unter: https://icsid.worldbank.org/apps/ICSIDWEB/cases/Pages/AdvancedSearch.aspx. 19 In den anderen Fällen wurden die Anträge auf Streitentscheidung zurückgenommen oder der notwendige Kostenvorschuss wurde nicht gezahlt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 – 098/16 Seite 8 In keinem der entschiedenen Fälle waren regulatorische Maßnahmen Streitgegenstand. Vielmehr waren beispielsweise Folgen von Privatisierungen oder staatliche Zahlungszusagen Streitgegenstand . Exemplarisch sei an dieser Stelle auf ein Verfahren gegen Argentinien verwiesen.20 Hier machte der Investor in Folge der argentinischen Finanzkrise verschiedene Ansprüche geltend. Der Spruchkörper sah in verschiedenen Maßnahmen, die die argentinische Regierung getroffen hat, keine Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen, weil die Maßnahmen nicht bloß ausländische Investoren betraf, sondern allgemein Wirkung entfalteten und jeden betrafen. Letztlich sah man nur einen Verstoß bei den Zahlungszusagen, die Argentinien gegenüber dem Investor gemacht hatte. Auch abgesehen von Finanzdienstleistungen fehlt es allgemein betrachtet an einer einheitlichen Schiedsgerichtspraxis zum Umfang des Schutzes vor „de-facto Enteignungen“21 und somit der Limitierung von regulatorischen Maßnahmen. 3.2.4. Keine Bindungswirkung Auch im Bereich des ICSID werden durch den Schiedsspruch lediglich die jeweiligen Parteien des Verfahrens gebunden. Eine darüber hinausgehende Bindungswirkung kann nicht angenommen werden.22 4. Fazit Die im CETA-Entwurf enthaltenen Regelungen zur Garantie von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen im Bereich von Finanzdienstleitungen entsprechen grundsätzlich den bereits bestehenden Regelungen des WTO-Rechts im GATS. Jedoch erfolgen die Regelungen in CETA-E deutlich detaillierter . Das im Investitionsschutzrecht bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz vor enteignungsgleichen Eingriffen und nationaler Souveränität bei der Regulierung wird in CETA-E im Bereich der Finanzdienstleistungen durch die umfassende Regelung zur Zulässigkeit von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen nicht fortgesetzt. Die bisher möglicherweise bestehenden Rechtsunsicherheiten werden durch die detailliertere Regelung auf Ebene von CETA nicht übernommen . Die Regelungen in CETA-E sorgen gerade dafür, dass der Beurteilungsspielraum für die Anwender eingeschränkter und damit die Rechtssicherheit gestärkt wird. --- Ende der Bearbeitung --- 20 Continental Casualty Company ./. Argentinien, ARB/03/9. 21 Krajewski, (Fn. 7), Rn. 606. 22 Art. 35 des ICSID-Übereinkommens.